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XIII.

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»Weißt du, was das ist?«

Wortlos bejahte Ginia die Frage mit den Augen.

»Ich wusste es nämlich nicht.«

»Wer hat es dir gesagt?«

»Hörst du nicht, wie ich spreche?«, fragte Amelia mit erstickter Stimme.

»Kommt das nicht vom Rauchen?«

»Das dachte ich auch«, sagte Amelia. »Aber der gute Mann vom Sonntag war Arzt. Schau.« Sie riss sich die Bluse auf und holte eine Brust heraus. Ginia sagte: »Das glaube ich nicht.«

Die Brust zwischen den Fingern, hob Amelia den Blick und sah sie an: »Dann küss mich hier«, sagte sie langsam, »hier, wo die Entzündung ist.« Einen Moment lang starrten sie sich an, dann schloss Ginia die Augen und beugte sich über die Brust.

»O nein«, sagte Amelia, »ich hab’ dich ja schon einmal geküsst.«

Ginia merkte, dass sie schweißgebadet war, lächelte töricht und wurde feuerrot. Amelia schaute sie wortlos an.

»Siehst du, wie dumm du bist«, sagte sie schließlich, »ausgerechnet jetzt hast du mich gern, wo du in Guido verliebt bist und ich dir egal bin.« Mit ihrer mageren Hand knöpfte sie sich die Bluse zu. »Sei ehrlich, dir liegt doch nichts mehr an mir.«

Ginia wusste nicht, was sie sagen sollte, weil sie selbst nicht verstand, was sie da gerade hatte tun wollen. Doch dass Amelia sie ausschimpfte, freute sie, weil sie jetzt verstand, was die Aktzeichnungen, die Posen und ihr ganzes Gerede zu bedeuten hatten. Sie ließ Amelia ihr Herz ausschütten und fühlte sich die ganze Zeit elend, wie früher als Kind, wenn sie sich zum Baden auf dem Stuhl neben dem Ofen auszog.

Doch als Amelia sagte, man erkenne die Krankheit am Blut, erschrak Ginia. »Wie wird das gemacht?«, fragte sie.

Beim Erzählen war Amelia weniger verzweifelt, als wenn sie schwieg. Sie erklärte ihr, dass einem am Arm ein schwarzes Blut abgezapft werde, mit der Nadel. Sie sagte ihr, man müsse sich ausziehen und mehr als eine halbe Stunde in der Kälte sitzen. Der Arzt sei immerzu wütend gewesen und habe gedroht, sie ins Krankenhaus zu sperren.

»Das kann er doch nicht«, sagte Ginia.

»Du bist noch jung«, erwiderte Amelia. »Er kann mich sogar ins Gefängnis stecken, wenn er will. Du weißt nicht, was Syphilis ist.«

»Aber woher hast du die bloß?«

Amelia sah sie schief an. »Die holt man sich beim Liebemachen.«

»Einer von beiden muss sie schon haben.«

»Tja«, sagte Amelia.

Da erinnerte Ginia sich an Guido und wurde so blass, dass sie kein Wort mehr herausbrachte.

Amelia hatte sich aufgesetzt und hielt unter der Bluse die Brust mit der Hand umfasst. Sie starrte ins Leere, und so, ohne Schleier und verzweifelt, sah man deutlich, wie außer sich sie war. Ab und zu knirschte sie mit den Zähnen und zeigte das Zahnfleisch. Nicht einmal ihr Parfüm wirkte beruhigend.

»Du hättest Rodrigues sehen sollen«, sagte sie plötzlich mit ihrer Stimme. »Ausgerechnet er, der gesagt hat, dass man blind wird und an Geschwüren stirbt. Er ist kreidebleich geworden bis zum Hals.« Amelia schnitt eine Grimasse, als wollte sie ausspucken. »Es ist immer das Gleiche. Er hat nichts.«

Ginia fragte sie so hastig, ob das wirklich sicher sei, dass Amelia stutzte. »Nein, sei ganz ruhig, sie haben ihm Blut abgenommen. Nichtsnutze haben ein dickes Fell. Hast du Angst wegen Guido?«

Ginia versuchte zu lächeln und schlug die Augen nieder. Amelia schwieg, schwieg eine Ewigkeit, dann sagte sie schroff: »Guido hat mich nie angerührt, sei ganz ruhig.«

Da fühlte Ginia sich glücklich. So glücklich, dass sie Amelia die Hand auf die Schulter legte. Amelia verzog das Gesicht. »Hast du keine Angst, mich anzufassen?«, fragte sie. »Wir schlafen ja nicht miteinander«, stotterte Ginia.

Ihr Herzklopfen legte sich allmählich, während Amelia von Guido sprach. Sie erzählte, dass sie und Guido sich nicht einmal geküsst hätten, denn man könne ja nicht mit jedem schlafen, Guido gefalle ihr schon, aber warum er auch Ginia gefalle, verstehe sie nicht, da sie doch beide blond seien. Ginia spürte, wie ihr wieder ganz warm wurde, und genoss es, glücklich.

»Aber wenn Rodrigues nichts hat«, sagte sie, »heißt das doch, dass du auch nichts hast. Sie haben sich geirrt.«

Da sah Amelia sie von der Seite an: »Was glaubst du eigentlich? Dass er mich angesteckt hätte?«

»Ich weiß nicht«, sagte Ginia.

»Der hat doch mehr Angst als ein kleines Kind«, presste Amelia zwischen den Zähnen heraus. »Der nicht. Aber der Herrgott straft. Die, die mir das Geschenk gemacht hat, ist schlechter dran als ich. Sie weiß es nur noch nicht, und ich lasse sie blind werden.«

»Eine Frau ist es?«, fragte Ginia leise.

»Es ist über zwei Monate her. Dieses Zeichen ist ein Geschenk von ihr«, und sie berührte ihre Bluse.

Den ganzen Abend lang versuchte Ginia, sie zu trösten, gab aber acht, sich nicht berühren zu lassen, und machte sich Mut mit dem Gedanken, dass sie nur Arm in Arm gegangen waren, mehr nicht, und übrigens erklärte Amelia ihr auch, man müsse eine Verletzung haben, um sich anzustecken, denn die Infektion sei im Blut. Außerdem war Ginia sicher, wagte aber nicht, es zu sagen, dass so etwas eben passierte, wenn man solche Sünden beging wie Amelia. Doch hier hörte sie zu denken auf, denn dann müssten ja alle krank sein.

Als sie die Treppe hinunterstiegen, sagte sie vielmehr zu ihr, sie dürfe sich nicht an jener Frau rächen, denn wenn sie nichts davon wisse, habe sie auch keine Schuld. Doch Amelia blieb auf der Treppenstufe stehen und unterbrach sie: »Soll ich ihr etwa einen Blumenstrauß schicken?« Sie verabredeten, sich am nächsten Tag im Café zu treffen, und Ginia schaute ihr mit klopfendem Herzen nach, während sie sich entfernte.

Doch am nächsten Tag hielt Ginia es nicht mehr aus. Sie verließ das Haus eine Stunde früher, als die Straßenlaternen noch brannten, und lief zum Atelier. Sie traute sich nicht, gleich hinaufzugehen, weil Rodrigues noch schlief, sondern spazierte in der Kälte unten auf und ab, sodass es ihr vorkam, als wälze sie sich noch im Bett. Doch dann stieg sie zitternd hinauf und klopfte an die Tür.

Rodrigues öffnete ihr im Schlafanzug, sah sie mit trüben Augen an, hüpfte durchs Zimmer und setzte sich wieder auf den Bettrand. Alles war schmutzig und hell wie immer, und Ginia begann zu stottern, und Rodrigues kratzte sich an den Fußgelenken, bis sie ihn schließlich fragte, ob er zum Arzt gegangen sei. Danach zogen sie gemeinsam über Amelia her, und Ginia regte sich so auf, dass ihre Stimme zitterte, während sie zur Seite blickte, um seine hässlichen Füße nicht sehen zu müssen.

Dann sagte Rodrigues: »Ich gehe wieder ins Bett, mir ist kalt«, drehte sich um und zog die Decken über sich.

Als Ginia ihm bebend gestand, dass Amelia sie geküsst hatte, fing er, im dämmrigen Licht auf den Ellbogen gestützt, zu lachen an und sagte: »Also sind wir Kollegen. Nur ein Kuss?«

»Ja«, sagte Ginia, »ist das gefährlich?«

»Was für ein Kuss?«

Ginia verstand nicht. Da erklärte er es ihr, und Ginia schwor, es sei ein Kuss unter Mädchen gewesen.

»Dummheiten«, sagte Rodrigues, »sei ganz ruhig.«

Ginia stand vor dem Vorhang und bemerkte auf dem Tisch ein schmutziges Glas und Orangenschalen. »Wann kommt Guido zurück?«, fragte sie.

»Am Montag«, antwortete Rodrigues. »Siehst du? Das ist ein Stillleben«, und er deutete auf das Glas.

Ginia lächelte und wandte sich um.

»Setz dich, Ginia. Setz dich hier aufs Bett.«

»Ich muss mich beeilen«, sagte Ginia, »ich arbeite doch.«

Doch Rodrigues beklagte sich, dass sie ihn geweckt hatte und ihm jetzt nicht einmal Guten Morgen sagen wollte. »Um zu feiern, dass wir der Gefahr entronnen sind«, sagte er.

Da setzte sich Ginia auf die Bettkante, unter den weit geöffneten Vorhang. »Ich habe Angst um Amelia«, sagte sie. »Die Ärmste. Sie ist verzweifelt. Wird man wirklich blind?«

»Aber nein«, sagte Rodrigues, »man wird wieder gesund. Sie werden sie von allen Seiten zerstechen, werden ihr ein paar Stückchen Haut herausschneiden, und du wirst sehen, zuletzt geht dieser Arzt noch mit ihr ins Bett. Glaub mir.«

Ginia unterdrückte ein Lächeln, und Rodrigues fuhr fort: »Hat er euch auf den Hügel mitgenommen?«, und streichelte beim Sprechen ihre Hand, als wäre es der Rücken einer Katze.

»Was für kalte Hände«, sagte er dann, »warum kommst du nicht und wärmst sie dir?«

Ginia ließ sich auf den Hals küssen und sagte: »Nehmen Sie sich zusammen«, dann stand sie auf, über und über rot, und lief davon.

Der schöne Sommer

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