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XI.

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Sie machten sich wieder auf den Weg, und Ginia lächelte erschrocken unter Amelias Blicken.

»Wisch dir den Lippenstift ab«, sagte Amelia mit ruhiger Stimme. Ohne stehenzubleiben, betrachtete sich Ginia bis zur nächsten Straßenlaterne im Spiegel und wagte nicht aufzuhören, sondern strich sich die Haare zurecht, während sie sich forschend in die Augen sah.

»Habe ich heute Abend getrunken, soweit du weißt?«, fragte Amelia, als sie an der Laterne vorbei waren.

Ginia steckte den Spiegel ein und ging voraus, ohne zu antworten. Ihre Schritte hallten auf dem Pflaster. Als sie an die Ecke kamen, wollte Amelia sich verabschieden. Ginia sagte: »Hier entlang.« Sie bogen gemeinsam in die Straße ein, und als sie vor dem Haustor standen, sagte Amelia: »Also ciao.« – »Ciao«, antwortete Ginia und ging allein weiter.

Am nächsten Tag knipste Guido das Licht an, als sie eintrat, denn draußen war Nebel, und durch die großen Scheiben wirkte es, als sei man mittendrin. »Warum zündest du nicht den Ofen an?«, fragte sie ihn. »Er ist an«, sagte Guido, der diesmal seine Jacke trug. »Hab keine Angst, im Winter heizen wir den Kamin.« Ginia wanderte durch den Raum, hob ein Stück Stoff hoch, das an die Wand genagelt war, und sah dahinter einen Kamin, voll mit Schrott und Stößen von Büchern. »Ist der schön! Und die Modelle stellen sich hier hin?« – »Wenn es jemand aushält, nackt zu posieren«, sagte Guido. Dann zogen sie unter dem Bett hinter dem Vorhang einen Koffer hervor, der Guidos Kleidung enthielt. »Hast du schon Modelle gehabt?«, fragte Ginia. »Zeig mir die Mappen mit den Zeichnungen.«

Guido ergriff ihren Arm. »Wie viel du über Maler weißt. Sag mal, kennst du denn welche?« Scherzhaft legte Ginia einen Finger auf den Mund und wand sich, um sich loszumachen. »Zeig mir lieber die Mappen. Zu Amelia hast du gesagt, dass viele Mädchen hierherkamen.« – »Natürlich«, erklärte Guido, »das ist doch mein Beruf.« Dann, um sie festzuhalten, küsste er sie. »Wen kennst du?«

»Gar niemanden.« Sie umarmte ihn und sagte: »Ich möchte nur dich kennen und dass hier nie jemand herkäme.« – »Wir würden uns langweilen«, sagte Guido.

An jenem Abend wollte Ginia fegen, aber es gab keinen Besen, und sie begnügte sich damit, das Bett hinter dem Vorhang zu machen, das schmutzig war wie eine Höhle. »Schläfst du hier?«, fragte sie ihn. Guido antwortete, er sehe gern nachts die Fenster und werde auf dem Sofa schlafen. »Dann mache ich das Bett nicht«, sagte Ginia.

Am nächsten Tag kam sie mit einem Päckchen in der Handtasche. Es war eine Krawatte für Guido. Er nahm sie und probierte sie zum Spaß zu dem graugrünen Hemd an. »Wenn du wieder in Zivil bist, wird sie gut passen«, sagte Ginia. Dann gingen sie hinter den Vorhang und umarmten sich auf dem ungemachten Bett und zogen die Decke über sich, weil es kalt war. Guido meinte, eigentlich müsse er ihr Geschenke machen, und Ginia wünschte sich mit einer Grimasse einen Besen für das Atelier.

Die Tage, an denen sie sich so flüchtig sahen, waren die schönsten, aber es blieb nie Zeit, um sich ein wenig in Ruhe zu unterhalten, da Rodrigues jeden Moment kommen konnte und Ginia nicht ohne Schuhe überrascht werden wollte. Doch an einem der letzten Abende sagte Guido, er wolle sich revanchieren, und sie verabredeten, nach dem Essen auszugehen. »Wir werden ins Kino gehen«, sagte Guido. »Warum? Lass uns lieber bummeln, es ist so schön, zusammen zu sein.« – »Aber es ist kalt«, sagte Guido. »Wir können ins Café gehen oder in ein Tanzlokal.« – »Ich tanze nicht gern«, sagte Guido.

Sie trafen sich, und es befremdete Ginia, neben einem Sergeanten herzugehen, aber sie dachte daran, dass es doch Guido war, er war es. Guido nahm sie am Arm, unter der Achsel, als wäre sie ein kleines Mädchen. Aber er musste ständig Offiziere grüßen, und daraufhin wechselte Ginia auf die andere Seite und hängte sich bei ihm ein.

So gingen sie, und die Straße war nicht mehr dieselbe.

»Wenn wir Amelia begegneten«, dachte Ginia und erzählte Guido von Signora Bice, wobei sie versuchte, nicht zu lachen. Guido sagte gut gelaunt: »In drei Tagen brauche ich sie nicht mehr zu grüßen, diese Affen. Schau nur, was für dämliche Gesichter sie haben.« – »Auch Amelia«, sagte Ginia, »bleibt gern stehen und lacht den Passanten ins Gesicht.«

»Amelia übertreibt manchmal ein bisschen. Kennst du sie schon lange?«

»Sie wohnt bei mir in der Nähe«, antwortete Ginia. »Und du?«

Da erzählte Guido ihr von jenem Jahr, in dem er das Atelier gemietet hatte und seine Studienfreunde ihn besuchten, und dass einer von ihnen später Mönch geworden war. Amelia arbeitete damals noch nicht als Modell, aber sie amüsierte sich gern, und sie kamen tagsüber und abends und lachten und tranken, während er versuchte zu arbeiten. Wie es mit Amelia genau gewesen war beim ersten Mal, wusste er nicht mehr. Dann musste einer zum Militär, ein anderer hatte Examen gemacht, einer hatte geheiratet: Vorbei war es mit dem lustigen Leben.

»Tut dir das leid?«, fragte Ginia und sah ihn durchdringend an.

»Dem Mönch tut es noch mehr leid, ab und zu schreibt er mir und fragt, ob ich arbeite und ob ich noch jemanden treffe.«

»Dürfen sie denn schreiben?«

»Sie sind ja nicht im Gefängnis«, sagte Guido. »Der war der Einzige, dem meine Bilder gefielen. Wenn du ihn sehen könntest: ein großer Mann, so stark wie ich, mit den Augen eines Mädchens. Er verstand alles, es ist schade um ihn.«

»Du wirst aber nicht Mönch, Guido?«

»Da besteht keine Gefahr.«

»Rodrigues gefallen deine Bilder nicht. Der hat wirklich ein Pfaffengesicht.«

Doch Guido nahm Rodrigues in Schutz und erklärte, er sei ein ganz außerordentlicher Maler, aber einer, der vor dem Malen lange nachdenke und nichts dem Zufall überlasse, nur die Farbe fehle ihm. »In seinem Land gibt es zu viele Farben«, sagte er. »Als Kind hat er mehr als genug davon gehabt, und jetzt möchte er ohne malen. Aber er ist wirklich begabt.«

»Lässt du mich mal zusehen, wenn du mit Farben malst?«, fragte Ginia und drückte seinen Arm.

»Falls ich es noch kann, wenn ich diese Uniform ablege. Vorher, ja, da habe ich viel gearbeitet. Ich malte ein Bild pro Woche. Das Leben damals regte mich an. Die schöne Zeit ist vorbei.«

»Bedeute ich dir gar nichts?«, fragte Ginia.

Da drückte Guido ihren Arm. »Du bist doch nicht der Sommer. Du weißt nicht, was es heißt, ein Bild zu malen. Ich müsste mich in dich verlieben, um gescheit zu werden. Und dann würde ich Zeit verlieren. Du musst wissen, dass ein Mann nur arbeiten kann, wenn er Freunde hat, die ihn verstehen.«

»Hast du dich noch nie verliebt?«, fragte Ginia, ohne ihn anzusehen.

»In eine von euch? Dazu habe ich keine Zeit.«

Als sie vom Gehen müde waren, setzten sie sich ins Café wie ein Liebespaar, und Guido zündete sich eine Zigarette an, hörte zu, was Ginia erzählte, und beobachtete dabei, wer hereinkam und wer hinausging. Dann zeichnete er, um sie zufriedenzustellen, ihr Profil mit Bleistift auf den Marmor. Als sie einen Augenblick allein waren, sagte Ginia zu ihm: »Weißt du, ich bin froh, dass du noch nie verliebt warst.«

»Wenn’s dich freut«, erwiderte Guido.

Der Abend endete melancholisch, weil herauskam, dass Guido gleich nach seiner Entlassung auf einen Sprung in sein Dorf fahren musste, um seine Mutter zu besuchen. Ginia tröstete sich, so gut sie konnte, indem sie sich nach seiner Familie und seinem Zuhause erkundigte, nach dem Beruf seines Vaters und der Zeit, als er noch klein war. Sie erfuhr, dass er eine Schwester hatte, die Luisa hieß, aber es missfiel ihr, dass Guido letztlich ein Bauer war. »Als Junge ging ich barfuß«, gestand er ihr lachend, und da begriff Ginia, woher er seine starken Hände und diese schleppende Stimme hatte, und sie glaubte nicht, dass ein Bauer Maler werden könne. Das Seltsame war, dass Guido sich dessen rühmte, und als Ginia zu ihm sagte: »Aber du lebst doch hier«, antwortete er ihr, die wahre Malerei entstehe auf dem Land. »Aber du lebst hier«, wiederholte sie, doch er sagte: »Gut geht es mir nur auf dem höchsten Punkt eines Hügels.«

Von da an dachte Ginia, wer weiß warum, viel an jene Luisa und beneidete sie darum, dass sie Guidos Schwester war, und versuchte, sich die Gespräche vorzustellen, die Guido als Junge mit ihr geführt hatte. Jetzt begriff sie, warum Amelia ihn nie gewollt hatte. »Wenn er kein Maler wäre, wäre er ein beliebiger Bauernlümmel«, und sie stellte sich ihn als Wehrpflichtigen vor, als einen der jungen Burschen, die im März, das Tuch um den Hals, singend vorbeiziehen und Soldaten werden. »Aber er lebt hier«, dachte sie, »und hat studiert, und wir haben die gleichen Haare.« Wer weiß, ob auch Luisa blond war. In jener Nacht schloss Ginia, sobald sie nach Hause kam, die Türe ab, dann zog sie sich vor dem Spiegel aus, betrachtete sich besorgt und verglich ihre Haut mit der Farbe von Guidos Nacken. Jetzt tat ihr nichts mehr weh, und es schien ihr sonderbar, dass keine Zeichen zurückgeblieben waren. Sie stellte sich vor, sie posiere für Guido, und setzte sich auf einen Stuhl, so wie Amelia an jenem Tag in Barbettas Atelier. Wer weiß, wie viele Mädchen Guido schon gesehen hatte. Die Einzige, die er noch nicht genau gesehen hatte, war sie, und Ginia bekam Herzklopfen, wenn sie nur daran dachte. Es wäre schön gewesen, plötzlich wie Amelia zu werden, braun, schlank und gleichgültig. So konnte sie sich vor Guido nicht nackt sehen lassen. Zuerst mussten sie heiraten.

Aber Ginia wusste, dass er sie niemals heiraten würde, und wenn sie ihn noch so lieb hätte. Das hatte sie schon von dem Abend an gewusst, an dem sie sich ihm hingegeben hatte. Es war nur zu freundlich von ihm, dass er immer noch zu arbeiten aufhörte, um mit ihr hinter den Vorhang zu kommen. Sie konnte ihn nur weiter treffen, wenn sie sein Modell wurde. Sonst nahm sich Guido eines schönen Tages eine andere.

Ginia fror dort vor dem Spiegel und legte sich den Mantel um die nackten Hüften, auf denen sie eine Gänsehaut bekam. »So wäre es, wenn ich Modell sitzen würde«, sagte sie sich und beneidete Amelia, die sich nicht mehr schämte.

Der schöne Sommer

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