Читать книгу David Copperfield - Charles Dickens, Чарльз Диккенс, Geoffrey Palmer - Страница 21

12. Kapitel – Da mir das Leben auf eigne Faust nicht gefällt, fasse ich einen großen Entschluss

Оглавление

Mr. Mi­ca­w­bers ers­te Bitt­schrift wur­de güns­tig er­le­digt, und das Ge­richt ord­ne­te zu mei­ner großen Freu­de sei­ne Frei­las­sung an. Sei­ne Gläu­bi­ger zeig­ten sich nicht un­ver­söhn­lich, und Mrs. Mi­ca­w­ber er­zähl­te mir, dass selbst der ra­che­dürs­ten­de Schus­ter vor Ge­richt er­klärt habe, er hege wei­ter kei­nen Groll, wün­sche aber be­zahlt zu sein, wenn man ihm Geld schul­de. Er habe ge­sagt, er glau­be, das sei mensch­lich.

Mr. Mi­ca­w­ber kehr­te nach Kings-Bench zu­rück, als sein Fall er­le­digt war, denn es muss­ten noch ei­ni­ge Kos­ten be­zahlt und ei­ni­ge For­ma­li­tä­ten er­füllt wer­den, ehe er frei­ge­las­sen wur­de. Der Klub emp­fing ihn mit Be­geis­te­rung und ver­an­stal­te­te an die­sem Abend ihm zu Ehren eine mu­si­ka­li­sche Fei­er, wäh­rend Mrs. Mi­ca­w­ber und ich uns pri­va­tim an ei­nem Lamms­bra­ten er­freu­ten, um­ge­ben von der schla­fen­den Fa­mi­lie.

»Bei die­ser Ge­le­gen­heit will ich mit Ih­nen, Mas­ter Cop­per­field«, sag­te Mrs. Mi­ca­w­ber, »mit ei­nem fri­schen Glas Flip – wir hat­ten schon ei­ni­ge ge­trun­ken – auf das Wohl von Papa und Mama trin­ken.«

»Sind sie tot, Ma­da­me?« frag­te ich, nach­dem ich mit mei­nem Wein­glas an­ge­sto­ßen hat­te.

»Mama schied aus dem Le­ben, be­vor Mr. Mi­ca­w­bers Drang­sa­le be­gan­nen oder we­nigs­tens noch nicht so schlimm wa­ren. Papa leb­te noch, um meh­re­re Male für Mr. Mi­ca­w­ber Bürg­schaft zu leis­ten, und hauch­te dann sei­nen Geist aus, be­weint von ei­nem zahl­rei­chen Kreis.«

Mrs. Mi­ca­w­ber schüt­tel­te den Kopf und ließ eine Trä­ne auf den Zwil­ling, der ge­ra­de bei der Hand war, fal­len.

Da ich schwer­lich eine güns­ti­ge­re Ge­le­gen­heit zu der Fra­ge, die mir sehr am Her­zen lag, fin­den konn­te, sag­te ich zu Mrs. Mi­ca­w­ber:

»Darf ich fra­gen, Ma’am, was Sie und Mr. Mi­ca­w­ber zu tun ge­den­ken, wenn Ihr Herr Ge­mahl aus sei­nen Ver­le­gen­hei­ten her­aus und wie­der in Frei­heit ist? Ha­ben Sie schon einen Ent­schluss ge­fasst?«

»Mei­ne Fa­mi­lie«, sag­te Mrs. Mi­ca­w­ber, die die­se Wor­te im­mer mit ei­ner großen Ges­te aus­sprach, ob­gleich ich nie her­aus­be­kom­men konn­te, wer ei­gent­lich dar­un­ter zu ver­ste­hen sei, »mei­ne Fa­mi­lie ist der Mei­nung, dass Mr. Mi­ca­w­ber Lon­don den Rücken keh­ren und sei­ne Ta­len­te in der Pro­vinz ver­wer­ten sol­le. Mr. Mi­ca­w­ber ist ein Mann von großem Ta­lent, Mas­ter Cop­per­field!«

Ich sag­te, dass ich dar­an nicht zweifle.

»Von großem Ta­lent«, wie­der­hol­te Mrs. Mi­ca­w­ber. »Mei­ne Fa­mi­lie ist der Mei­nung, dass mit ein we­nig Für­spra­che für einen Mann von sei­nen Fä­hig­kei­ten et­was beim Zoll­amt ge­tan wer­den könn­te. Da der Ein­fluss mei­ner Fa­mi­lie nur lo­ka­ler Art ist, ist es ihr Wunsch, dass Mr. Mi­ca­w­ber nach Ply­mouth hin­un­ter­kom­men sol­le. Sie hal­ten es für un­er­läss­lich, dass er sich an Ort und Stel­le be­gibt.«

»Um be­reit zu sein?« frag­te ich.

»Ganz rich­tig«, wie­der­hol­te Mrs. Mi­ca­w­ber. »Um be­reit zu sein, falls eine glück­li­che Wen­dung ein­tritt.«

»Und Sie ge­hen auch mit, Ma’am?«

Die Er­eig­nis­se des Ta­ges, die Mit­wir­kung der Zwil­lin­ge und viel­leicht auch der Flip hat­ten Mrs. Mi­ca­w­ber sehr hys­te­risch ge­stimmt, und sie ver­goss Trä­nen, als sie ant­wor­te­te:

»Ich wer­de Mr. Mi­ca­w­ber nie ver­las­sen! Mr. Mi­ca­w­ber hat mir viel­leicht zu An­fang sei­ne Be­dräng­nis­se ver­heim­licht, aber sein san­gui­ni­sches Tem­pe­ra­ment mag ihn zu der An­sicht ver­lei­tet ha­ben, er wer­de sie bald über­win­den kön­nen. Das Per­len­hals­band und die Arm­bän­der, die ich von Mama ge­erbt habe, sind um den hal­b­en Wert ver­schleu­dert wor­den. Und der Koral­len­schmuck, den mir Papa zur Hoch­zeit schenk­te, fast für nichts. Aber ich wer­de Mr. Mi­ca­w­ber nie ver­las­sen! Nein!« rief Mrs. Mi­ca­w­ber mit noch grö­ße­rer Rüh­rung als vor­her, »ich wer­de das nie tun. Ich las­se mich nicht über­re­den!«

Ich fühl­te mich sehr un­be­hag­lich, da Mrs. Mi­ca­w­ber zu glau­ben schi­en, ich hät­te sie zu ei­nem sol­chen Schritt ver­lei­ten wol­len, und sah sie sehr be­un­ru­higt an.

»Mr. Mi­ca­w­ber hat sei­ne Feh­ler, ich leug­ne nicht, dass er un­be­dacht ist. Auch nicht, dass er mit Geld nicht um­zu­ge­hen weiß und mich über sei­ne Mit­tel und sei­ne Schul­den in Un­kennt­nis ge­las­sen hat«, fuhr sie, den Blick an die Wand ge­rich­tet, fort, »aber ich wer­de nie­mals Mr. Mi­ca­w­ber ver­las­sen!«

Da sich ihre Stim­me jetzt zu lau­tem Krei­schen ge­stei­gert hat­te, war ich so er­schreckt, dass ich ins Klub­zim­mer da­von­lief und Mr. Mi­ca­w­ber, der an ei­nem lan­gen Tisch prä­si­dier­te, in dem Chor­ge­sang:

*

»Hühü, Dob­bin,

Hüho, Dob­bin,

Hühü, Dob­bin,

Hühü und hüho-o-«

*

den er eben lei­te­te, mit der Nach­richt stör­te, dass sich Mrs. Mi­ca­w­ber in ei­nem sehr be­ängs­ti­gen­den Zu­stand be­fän­de, wor­auf er so­fort in Trä­nen aus­brach und mit mir for­teil­te, die Wes­ten­ta­sche voll Kre­vet­ten, mit de­nen er sich ge­ra­de be­schäf­tigt hat­te.

»Emma, mein En­gel«, rief er, als er ins Zim­mer stürz­te, »was ist ge­sche­hen?«

»Ich wer­de dich nie­mals ver­las­sen, Mi­ca­w­ber!« rief sie aus.

»Mein Le­ben«, sag­te Mr. Mi­ca­w­ber und schloss sie in die Arme. »Da­von bin ich voll­stän­dig über­zeugt.«

»Er ist der Va­ter mei­ner Kin­der, der Er­zeu­ger mei­ner Zwil­lin­ge, er ist der Gat­te mei­nes lie­ben­den Her­zens«, rief Mrs. Mi­ca­w­ber schluch­zend, »ich wer­de Mr. Mi­ca­w­ber nie-mals ver-las-sen.«

Mr. Mi­ca­w­ber war so tief ge­rührt durch die­sen Be­weis von An­häng­lich­keit, – ich zer­floss selbst­ver­ständ­lich in Trä­nen –, dass er sich lei­den­schaft­lich über sei­ne Gat­tin beug­te und sie an­fleh­te, auf­zu­se­hen und sich zu be­ru­hi­gen. Je mehr er sie aber an­fleh­te, auf­zu­bli­cken, umso mehr starr­ten ihre Au­gen ins Lee­re, und je mehr er sie an­fleh­te, sich zu fas­sen, de­sto we­ni­ger tat sie es. Schließ­lich war Mr. Mi­ca­w­ber selbst so er­schüt­tert, dass er sei­ne Trä­nen mit ih­ren und mei­nen misch­te und mich bat, mir einen Stuhl auf die Trep­pe hin­aus­zu­neh­men, wäh­rend er sie zu Bett bräch­te. Ich woll­te mich für den Abend ver­ab­schie­den, aber er moch­te da­von nichts hö­ren, ehe nicht die Frem­den­glo­cke ge­läu­tet habe. So saß ich denn an ei­nem Trep­pen­fens­ter, bis er mit dem zwei­ten Stuhl nach­kam und mir Ge­sell­schaft leis­te­te.

»Wie be­fin­det sich jetzt Mrs. Mi­ca­w­ber, Sir?« frag­te ich.

»Sehr ge­schwächt«, sag­te Mr. Mi­ca­w­ber und schüt­tel­te den Kopf. »Re­ak­ti­on! O, was war das für ein schreck­li­cher Tag! Wir ste­hen jetzt al­lein, al­les ist von uns ge­gan­gen.«

Er drück­te mir die Hand, stöhn­te und ver­goss Trä­nen. Ich war sehr er­grif­fen und auch ent­täuscht, denn ich hat­te er­war­tet, dass wir bei die­ser glück­li­chen lan­ger­sehn­ten Ge­le­gen­heit recht hei­ter sein wür­den. Mr. und Mrs. Mi­ca­w­ber hat­ten sich an ihre al­ten Be­dräng­nis­se so ge­wöhnt, glau­be ich, dass sie sich ganz schiff­brü­chig vor­ka­men, als sie jetzt von ih­nen er­löst wa­ren. Die gan­ze Elas­ti­zi­tät war von ih­nen ge­nom­men, und ich hat­te sie nie auch nur halb so elend wie an je­nem Abend ge­se­hen. Als die Glo­cke läu­te­te und Mr. Mi­ca­w­ber mich bis zum Tür­schlie­ßer be­glei­te­te und dort mit ei­nem Se­gens­spruch von mir Ab­schied nahm, bang­te mir fast, ihn al­lein zu las­sen, so un­glück­lich sah er aus.

Aber trotz all der Ver­wir­rung und Be­drückt­heit, die sich un­se­rer Ge­mü­ter so un­er­war­tet be­mäch­tigt hat­te, fühl­te ich deut­lich, dass mir ein Ab­schied von den Mi­ca­w­bers be­vor­stand. Auf mei­nem Nach­hau­se­weg in je­ner Nacht und den schlaflo­sen Stun­den, die dar­auf folg­ten, kam mir zu­erst der Ge­dan­ke, der spä­ter zu ei­nem fes­ten Ent­schluss wer­den soll­te.

Ich hat­te mich so an die Mi­ca­w­bers ge­wöhnt und war mit ih­ren Be­dräng­nis­sen so ver­traut ge­wor­den und stand so ohne je­den Freund da, wenn sie mir fehl­ten, dass mir die Aus­sicht, aber­mals un­ter frem­de Leu­te ge­hen zu müs­sen, un­er­träg­lich schi­en. Der Ge­dan­ke an all die Scham und das Elend, das in mei­ner Brust leb­te, wur­de mir bei dem Ge­dan­ken dar­an noch pei­ni­gen­der, und ich sah kei­ne Hoff­nung an Ent­rin­nen, wenn ich nicht aus eig­nem Ent­schluss einen Ver­such wag­te.

Ich hat­te sel­ten von Miss Murd­sto­ne ge­hört und nie­mals mehr von ih­rem Bru­der, au­ßer, dass hie und da ein Pa­ket neu­er oder aus­ge­bes­ser­ter Klei­der für mich an Mr. Qui­ni­on ge­kom­men war, im­mer mit ei­nem Zet­tel da­bei, auf dem J. M. hoff­te, dass D. C. in sei­nem neu­en Be­ruf flei­ßig und ge­hor­sam sei. Nie die ge­rings­te An­deu­tung, dass ich auf eine Än­de­rung in mei­nem Schick­sal hof­fen dürf­te und je et­was an­de­res als ein ge­wöhn­li­cher Ta­ge­löh­ner wer­den wür­de, zu wel­cher Stu­fe ich im­mer mehr her­ab­sank.

Schon der nächs­te Tag zeig­te mir, dass Mrs. Mi­ca­w­ber nicht ohne gu­ten Grund von ih­rem Weg­ge­hen ge­spro­chen hat­te. Die Fa­mi­lie mie­te­te sich in dem Hau­se, wo ich wohn­te, für eine Wo­che ein, um sich nach Ablauf die­ser Zeit nach Ply­mouth zu be­ge­ben. Mr. Mi­ca­w­ber kam nach­mit­tags aufs Kon­tor, um Mr. Qui­ni­on zu sa­gen, dass er mich vom Tage sei­ner Abrei­se an ver­las­sen müs­se, und zoll­te mir ein ho­hes Lob, das ich ge­wiss auch ver­dien­te. Mr. Qui­ni­on rief Tipp, den Kärr­ner, der ver­hei­ra­tet war und ein Zim­mer zu ver­mie­ten hat­te, her­ein und quar­tier­te mich im Voraus bei ihm ein. Aber mein Ent­schluss stand fest.

Ich ver­leb­te mei­ne Aben­de mit Mr. und Mrs. Mi­ca­w­ber, so­lan­ge wir noch un­ter ei­nem Da­che wohn­ten, und wir ge­wan­nen ein­an­der noch lie­ber, je mehr die Zeit ver­ging.

Am letz­ten Sonn­tag lu­den sie mich zum Mit­ta­ges­sen ein und wir be­ka­men Schweins­bra­ten, Ap­fel­mus und Pud­ding. Ich hat­te den Abend vor­her ein ge­scheck­tes Holz­pferd als Ab­schieds­ge­schenk für den klei­nen Wil­kins Mi­ca­w­ber und eine klei­ne Pup­pe für die klei­ne Emma ge­kauft.

Ich schenk­te auch einen Schil­ling dem Wais­ling, der jetzt ent­las­sen wer­den soll­te.

Wir ver­leb­ten einen recht ver­gnüg­ten Tag, wenn wir auch we­gen un­se­rer nahe be­vor­ste­hen­den Tren­nung sehr weich ge­stimmt wa­ren.

»Ich wer­de nie an die Zeit von Mr. Mi­ca­w­bers Be­dräng­nis zu­rück­den­ken, Mas­ter Cop­per­field«, sag­te Mrs. Mi­ca­w­ber, »ohne mich Ih­rer zu er­in­nern. Ihr Be­neh­men war im­mer von der zart­fühlends­ten und ver­bind­lichs­ten Art. Sie sind uns nie ein Mie­ter ge­we­sen, son­dern im­mer ein Freund.«

»Mei­ne Lie­be«, sag­te Mr. Mi­ca­w­ber, »Cop­per­field« – so nann­te er mich in der letz­ten Zeit – »hat ein Herz für die Lei­den sei­ner Mit­menschen, das mit­fühlt, wenn die Wol­ken des Un­heils über ih­nen hän­gen, einen Kopf, der fühlt – eine Hand, die – kurz, er ver­steht es, al­les ver­füg­ba­re Ei­gen­tum, wenn es nö­tig ist, zu Geld zu ma­chen.«

Ich drück­te mei­ne Er­kennt­lich­keit für die­ses Lob aus und sag­te, wie leid es mir täte, dass wir uns tren­nen müss­ten.

»Mein lie­ber jun­ger Freund, ich bin ein Mann von ge­wis­ser Le­bens­kennt­nis und – kurz und gut, ich bin in der Not er­fah­ren. Ge­gen­wär­tig und bis die glück­li­che Wen­dung ein­tritt, die ich jetzt stünd­lich er­war­te, kann ich Ih­nen lei­der nichts als einen gu­ten Rat ge­ben. Doch ist er in­so­fern wert, be­folgt zu wer­den, als – kurz, ich habe ihn selbst nie be­folgt und bin der elen­de Wicht, den Sie vor sich se­hen.« Mr. Mi­ca­w­ber, der bis zu den letz­ten Wor­ten mit strah­len­dem Ge­sicht da­ge­s­es­sen hat­te, mach­te eine Pau­se und nahm eine sehr düs­te­re Mie­ne an.

»Lie­ber Mi­ca­w­ber«, fleh­te sei­ne Gat­tin.

»Ich sage also«, fuhr Mr. Mi­ca­w­ber fort, ver­gaß sich ganz und lä­chel­te wie­der, »der elen­de Wicht, den Sie vor sich se­hen. Mein Rat ist: Ver­schie­ben Sie nie auf mor­gen, was Sie heu­te tun kön­nen. Auf­schub ist der Dieb der Zeit. Fas­sen Sie ihn beim Kra­gen.«

»Mei­nes ar­men Pa­pas Grund­satz«, be­merk­te Mrs. Mi­ca­w­ber.

»Mein Herz«, sag­te Mr. Mi­ca­w­ber, »dein Papa war vor­treff­lich in sei­ner Art, und Gott sei vor, dass ich ihn je her­ab­set­zen soll­te. Aber neh­men wir ihn al­les in al­lem – kurz, wohl nie­mand hat­te in sei­nem Al­ter so statt­li­che Wa­den für Ga­ma­schen und konn­te ohne Bril­le die kleins­te Schrift le­sen wie er. Lei­der wand­te er sei­nen Grund­satz auch auf un­se­re Hoch­zeit an, mei­ne Lie­be, und wir schlos­sen sie dem­zu­fol­ge so vor­zei­tig und schnell, dass ich mich bis heu­te noch nicht von den Un­kos­ten er­holt habe.«

Er sah sei­ne Gat­tin von der Sei­te an und füg­te hin­zu: »Nicht dass es mich etwa ge­reu­te! Ganz im Ge­gen­teil, mei­ne Lie­be!«

Hier­auf be­ob­ach­te­te er ein paar Mi­nu­ten tiefs­tes Still­schwei­gen.

»Mei­nen zwei­ten Rat«, fuhr er fort, »ken­nen Sie be­reits, Cop­per­field. Jähr­li­ches Ein­kom­men: zwan­zig Pfund. Jähr­li­che Aus­ga­ben: neun­zehn Pfund, neun­zehn Schil­ling sechs Pence. Re­sul­tat: Wohl­er­ge­hen. Jähr­li­ches Ein­kom­men: zwan­zig Pfund, jähr­li­che Aus­ga­ben: zwan­zig Pfund sechs Pence. Re­sul­tat: Elend. Die Blü­te ist da­hin, das Laub ver­welkt, der Gott des Ta­ges geht un­ter über ei­nem trau­ri­gen Schau­spiel und – kurz, Sie sind im Saft. Wie ich.«

Um das Bild noch ein­drucks­vol­ler zu ma­chen, trank Mr. Mi­ca­w­ber mit ei­ner Mie­ne großer Be­frie­di­gung ein Glas Punsch aus und pfiff den »lus­ti­gen Kup­fer­schmied«.

Ich un­ter­ließ nicht, ihm mit Wor­ten zu ver­si­chern, dass ich mir sei­ne Vor­schrif­ten sehr zu Her­zen neh­men woll­te, – un­nö­ti­ger­wei­se – denn ich war sicht­lich ge­rührt.

Am nächs­ten Mor­gen traf ich die gan­ze Fa­mi­lie in der Land­kut­sche und sah sie mit trost­lo­sem Her­zen ihre Plät­ze ein­neh­men.

»Mas­ter Cop­per­field«, sag­te Mrs. Mi­ca­w­ber, »Gott seg­ne Sie! Ich kann es nie ver­ges­sen, glau­ben Sie mir, und möch­te es nicht, selbst wenn ich könn­te.«

»Cop­per­field«, sag­te Mr. Mi­ca­w­ber, »le­ben Sie wohl! Glück und Wohl­er­ge­hen! Wenn ich mich im Lauf der da­hin­rol­len­den Jah­re über­zeu­gen könn­te, dass mein ver­lor­nes Le­ben eine War­nung für Sie ge­we­sen ist, wür­de ich füh­len, dass ich nicht ver­ge­bens mei­nen Platz auf Er­den aus­ge­füllt habe. Falls eine glück­li­che Wen­dung ein­tritt, wo­von ich fest über­zeugt bin, wer­de ich mich au­ßer­or­dent­lich glück­lich schät­zen, wenn es in mei­ner Macht steht, Ihre Aus­sich­ten zu ver­bes­sern.«

Ich glau­be, wie Mrs. Mi­ca­w­ber mit den Kin­dern hin­ten auf dem Wa­gen saß und ich so klein auf der Stra­ße stand und sehn­süch­tig zu ih­nen auf­sah, da fiel der Schlei­er von ih­ren Au­gen und sie sah, was für ein win­zi­ges Ge­schöpf ich in Wirk­lich­keit war. Ich glau­be es, weil sie mich plötz­lich mit ei­nem ganz ver­än­der­ten Ge­sicht und mit müt­ter­li­chem Aus­druck in den Zü­gen her­auf­stei­gen hieß und mich um­arm­te und mich küss­te, wie ihr eig­nes Kind. Ich hat­te kaum Zeit, wie­der her­un­ter­zu­kom­men, da fuhr die Kut­sche fort. Ich konn­te die Fa­mi­lie vor lau­ter Ta­schen­tü­cher­schwen­ken kaum mehr se­hen. In ei­ner Mi­nu­te wa­ren sie ver­schwun­den. Der Wais­ling und ich stan­den auf der Mit­te der Stra­ße und sa­hen ein­an­der mit lee­ren Bli­cken an, dann schüt­tel­ten wir uns die Hand und nah­men Ab­schied von­ein­an­der; sie ging ins St.-Lu­kas-Ar­men­haus zu­rück, wahr­schein­lich, und ich an mein trau­ri­ges Ta­ge­werk bei Murd­sto­ne & Grin­by.

Aber ich hat­te die Ab­sicht, nicht mehr lan­ge dort aus­zu­hal­ten. Nein. Ich hat­te mir vor­ge­nom­men, weg­zu­lau­fen, – so oder so, – um auf ir­gend­ei­ne Wei­se die ein­zi­ge Ver­wand­te, die ich noch auf der Welt be­saß, mei­ne Tan­te, Miss Betsey, auf­zu­su­chen und ihr mein Leid zu kla­gen.

Ich habe schon er­zählt, dass ich nicht weiß, wie mir die­ser ver­zwei­fel­te Ge­dan­ke ein­ge­fal­len war. Aber ein­mal ent­stan­den, blieb er und setz­te sich in mir fest, wie kaum je­mals im Le­ben spä­ter ir­gend­ein an­de­rer. Ich war durch­aus nicht über­zeugt, dass ich große Hoff­nun­gen he­gen durf­te. Aber ich war fest ent­schlos­sen, mei­nen Plan aus­zu­füh­ren.

Im­mer und im­mer wie­der seit je­ner schlaflo­sen Nacht, wo mir der Ge­dan­ke durch den Kopf ge­fah­ren, hielt ich mir die alte Ge­schich­te bei mei­ner Ge­burt vor Au­gen, die ich schon in den schö­nen, al­ten Zei­ten mei­ne Mut­ter hat­te so gern er­zäh­len hö­ren und fast aus­wen­dig wuss­te. Mei­ne Tan­te kam in die­se Ge­schich­te hin­ein­ge­schrit­ten und schritt wie­der hin­aus, wie eine Furcht und Grau­en ein­flö­ßen­de Ge­stalt; aber an einen ganz klei­nen Zug ih­res Be­neh­mens er­in­ner­te ich mich so gern, und er gab mir einen win­zi­gen Schat­ten von Er­mu­ti­gung. Ich konn­te nicht ver­ges­sen, dass mei­ne Mut­ter ge­glaubt, sie hät­te ge­fühlt, wie die Tan­te ihr schö­nes Haar nicht mit un­sanf­ter Hand be­rühr­te. Und wenn es viel­leicht eine blo­ße Ein­bil­dung mei­ner Mut­ter ge­we­sen sein moch­te, so mach­te ich mir doch dar­aus ein klei­nes Bild von mei­ner schreck­li­chen Tan­te, auf dem sie mil­der ge­stimmt von dem mäd­chen­haf­ten Ein­druck mei­ner Mut­ter, die doch so gut und lieb­lich ge­we­sen, dreinsah. Wohl mög­lich, dass mir all das lan­ge im Kopf her­um­ge­spukt und dazu bei­ge­tra­gen hat­te, nach und nach mei­nen Ent­schluss zu be­fes­ti­gen.

Da ich nicht ein­mal wuss­te, wo Miss Betsey leb­te, schrieb ich einen lan­gen Brief an Peg­got­ty und frag­te sie so ne­ben­bei, ob sie sich nicht er­in­nern könn­te. Ich gab vor, ich hät­te von ei­ner Dame die­ses Na­mens in ei­ner Stadt, die ich aufs Ge­ra­te­wohl nann­te, ge­hört und möch­te ger­ne wis­sen, ob es mei­ne Tan­te wäre. In dem­sel­ben Brief sag­te ich Peg­got­ty, dass ich eine hal­be Gui­nee zu ei­nem Zweck, den ich ihr spä­ter mit­tei­len wür­de, brauch­te und bat sie recht sehr, mir die­se Sum­me zu lei­hen.

Peg­got­tys Ant­wort ließ nicht lan­ge auf sich war­ten und war wie ge­wöhn­lich voll Zärt­lich­keit. Sie leg­te die hal­be Gui­nee bei, ich fürch­te, sie muss­te un­end­li­che Schwie­rig­kei­ten ge­habt ha­ben, sie aus Mr. Bar­kis’ Kof­fer her­aus­zu­be­kom­men – und teil­te mir mit, dass Miss Betsey in der Nähe von Do­ver woh­ne, ob aber in Do­ver selbst, Hy­the, Sand­ga­te oder Folks­to­ne kön­ne sie nicht sa­gen. Ei­ner un­se­rer Leu­te bei Murd­sto­ne & Grin­by klär­te mich dar­über auf, und ich er­fuhr, dass alle die­se Orte dicht bei­ein­an­der lä­gen. Da­her be­schloss ich, mich ge­gen Ende der Wo­che auf den Weg zu ma­chen.

Da ich ein sehr ehr­li­cher klei­ner Kerl war und bei Murd­sto­ne & Grin­by nicht gern ein schlech­tes An­den­ken zu­rück­las­sen woll­te, blieb ich bis Sams­tag­abend, da mir der Wo­chen­lohn im­mer vor­aus­be­zahlt wor­den war. Die hal­be Gui­nee hat­te ich mir aus­ge­borgt, um ein we­nig Rei­se­geld zu ha­ben.

Als der Sams­tag­abend kam, schüt­tel­te ich Mick Wal­ker die Hand und bat ihn, wenn die Rei­he an ihn käme bei Aus­zah­lung der Löh­nung, Mr. Qui­ni­on zu sa­gen, dass ich fort­ge­gan­gen sei, um mei­nen Kof­fer zu Tipp zu brin­gen.

Mein Kof­fer stand in mei­ner al­ten Woh­nung, und ich hat­te auf die Rück­sei­te ei­ner der Adress­kar­ten, die wir auf die Fäs­ser na­gel­ten, ge­schrie­ben: Mas­ter Da­vid Cop­per­field, Land­post­bü­ro Do­ver. Die­sen Zet­tel trug ich in der Ta­sche, um ihn auf dem Kof­fer zu be­fes­ti­gen. Dann sah ich mich nach je­mand um, der mir das Ge­päck ins Ein­schrei­be­bü­ro brin­gen könn­te.

Nicht weit von dem Obe­lis­ken in Black­fri­ars Road fiel mein Blick auf einen lang­bei­ni­gen Bur­schen vor ei­nem nied­ri­gen, mit ei­nem Esel be­spann­ten Kar­ren. Als wir ein­an­der an­sa­hen, nann­te er mich »schuf­ti­ges Klein­geld« und frag­te mich, ob ich mir viel­leicht sein Ge­sicht für ei­ni­ge Jah­re ein­prä­gen woll­te, – wahr­schein­lich, weil ich ihn so an­starr­te. Ich ver­si­cher­te ihm, dass ich ihn nicht be­lei­di­gen woll­te und nur gern ge­wusst hät­te, ob er mir nicht eine klei­ne Be­sor­gung ma­chen möch­te.

»Wat for ne Be­sor­jung?« frag­te der lang­bei­ni­ge Bur­sche.

»Ei­nen Kof­fer fort­zu­schaf­fen«, ant­wor­te­te ich.

»Wat for nen Kof­fer?«

Ich sag­te ihm: mei­nen Kof­fer, der in der nächs­ten Stra­ße ab­zu­ho­len sei, und den er mir für sechs Pence nach dem Büro der Do­ver Land­kut­sche brin­gen möch­te.

»Ab­je­macht, for n Six­pence«, sag­te der lang­bei­ni­ge Bur­sche, sprang auf sei­nen Kar­ren, der nichts als eine große Holz­mul­de auf Rä­dern war, und ras­sel­te dann in sol­chem Trab da­von, dass ich lau­fen muss­te, was ich konn­te, um mit dem Esel Schritt zu hal­ten.

Der Bur­sche hat­te et­was Ab­sto­ßen­des in sei­nem We­sen, be­son­ders in der Art, wie er an Stroh kau­te, wäh­rend er mit mir sprach, was mir nicht ge­fiel. Da aber der Han­del ab­ge­schlos­sen war, tru­gen wir den Kof­fer zu­sam­men her­un­ter und leg­ten ihn auf den Kar­ren. Um nicht bei mei­nen Wirts­leu­ten auf­zu­fal­len, woll­te ich die Adres­se hier nicht be­fes­ti­gen und sag­te des­halb dem Bur­schen, er sol­le einen Au­gen­blick an der Ge­fäng­nis­mau­er von Kings-Bench hal­ten. Kaum wa­ren die­se Wor­te über mei­ne Lip­pen ge­kom­men, ras­sel­te er da­von, als ob er, der Kar­ren, der Esel – alle mit­ein­an­der – ver­rückt ge­wor­den sei­en. Ich war ganz au­ßer Atem vom Ru­fen und Hin­ter­her­ren­nen, als ich ihn an dem be­zeich­ne­ten Ort ein­hol­te.

In mei­ner Auf­re­gung riss ich die hal­be Gui­nee mit aus der Ta­sche, als ich die Kar­te her­vor­hol­te. Ich nahm sie der Si­cher­heit we­gen zwi­schen die Zäh­ne, und ob­gleich mei­ne Hän­de sehr zit­ter­ten, hat­te ich die Kar­te eben zu mei­ner Zufrie­den­heit be­fes­tigt, als der lang­bei­ni­ge Bur­sche mich hef­tig un­ter das Kinn stieß und ich mei­ne hal­be Gui­nee in sei­ne Hand flie­gen sah.

»Wat«, sag­te der jun­ge Mann, mich mit ei­nem ent­setz­li­chen Grin­sen am Kra­gen pa­ckend, »dat je­hört for de Po­li­zei. Woll­test aus­rücken, was? Komm uff de Po­li­zei, du Je­würm. Komm mit nach de Po­li­zei.«

»Bit­te, ge­ben Sie mir mein Geld zu­rück«, sag­te ich er­schreckt, »und las­sen Sie mich los.«

»Komm nach de Po­li­zei«, sag­te der Bur­sche. »Musst et vor die Po­li­zei be­wei­sen.«

»Ge­ben Sie mir doch mei­nen Kof­fer und mein Geld!« rief ich und brach in Trä­nen aus.

Der Bur­sche rief im­mer noch: »Uff de Po­li­zei!« und zerr­te mich zu dem Esel hin, als ob das der Po­li­zei­rich­ter wäre, dann be­sann er sich plötz­lich, sprang auf den Kar­ren und ras­te mit den Wor­ten »Ick fah­re nach de Po­li­zei« auf und da­von. Ich rann­te ihm nach, so schnell ich konn­te, hat­te aber kei­nen Atem mehr, ihm nach­zu­ru­fen, und wür­de es wohl auch kaum ge­wagt ha­ben. Wohl zwan­zig Mal in ei­ner Vier­tel­stun­de ent­ging ich knapp dem Über­fah­ren­wer­den. Jetzt ver­lor ich ihn aus den Au­gen, dann sah ich ihn wie­der, ver­lor ihn noch­mals, dann ver­setz­te mir je­mand einen Peit­schen­hieb, ein an­de­rer schrie mir nach; jetzt lag ich un­ten in der Gos­se, war wie­der auf­ge­stan­den, stürz­te je­mand in die Arme und rann­te schließ­lich ge­gen einen Pfahl. End­lich gab ich, ganz au­ßer mir vor Auf­re­gung und Furcht, halb Lon­don könn­te schon zu mei­ner Ver­fol­gung auf den Bei­nen sein, mei­nen Kof­fer und mein Geld auf und mach­te mich keu­chend und wei­nend, aber nicht einen Au­gen­blick still­ste­hend, auf den Weg nach Green­wich, der ers­ten Sta­ti­on nach Do­ver, wie ich ge­hört hat­te. Ich nahm we­nig mehr aus der Welt mit, als ich mei­ne Tan­te auf­su­chen ging, als ich an je­nem Abend, wo ihr mei­ne An­kunft so viel Är­ger be­rei­tet, in die Welt mit­ge­bracht hat­te.

David Copperfield

Подняться наверх