Читать книгу Mörderische Schifffahrt - Charlie Meyer - Страница 13
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Оглавление»Ich hätte dabei sein müssen!«, brüllte Alice wutentbrannt. »Ich habe die Leiche aus dem Wasser gezogen, ich habe mich als Servicekraft bei diesem gut aussehenden Arsch beworben, Ich recherchiere auf den Schiffen. Wie konntet ihr die wichtigste Befragung in diesem Mordfall auf einen Zeitpunkt legen, an dem ich nicht im Büro bin? Ihr wusstest doch, dass ich um zehn das Vorstellungsgespräch hatte.«
Fred gab sich genervt, obgleich er am liebsten so breit gegrinst hätte, wie es die Anatomie seines Gesichtes gestattete. Wie schön, einen so verkümmerten Ehrgeiz sein eigen zu nennen. Eine Achillessehne weniger, an der er verletzlich war.
»Zehn Uhr wurde nun mal vereinbart und um zehn Uhr stand Frau Müller auf der Matte, um den Vertrag zu unterschreiben. Sie war da, und der Rest, sprich die Befragung, hat sich naturgemäß daraus ergeben. Aus ihrer körperlichen Anwesenheit, meine ich. Schließlich konnte ich nicht sagen: Danke für Ihre Unterschrift, aber kommen Sie bitte noch einmal in zwei Stunden vorbei, wenn meine Kollegin ebenfalls Zeit für sie hat. Sie hätte eventuell noch die eine oder andere Frage an Sie.«
»Warum nicht?«, brüllte Alice mit hochrotem Kopf. »Wir sind ein Team. Ich habe ein Recht darauf, dabei zu sein, wenn in der Detektei eine dermaßen wichtige Besprechung stattfindet.«
Fred blickte an die Decke und dachte an Kater Hamlets stümperhaften Versuch, sich tot zu stellen. Er dachte an Axels Gebrüll, und wie er, Fred, ganz sacht die Tür hinter sich zugemacht hatte. Er dachte daran, wie ihn Axel durch das Holz weiter angebrüllt hatte. Durch seine Tür, in seiner Wohnung, in seinem Haus, auf seinem Grundstück. Eingeweicht hatte Axel den Kater dann in seiner Badewanne, mit seinem Shampoo, in seinem Badezimmer.
»Du standest bei dem Telefonat gestern ganz in meiner Nähe, als ich den Termin mit Frau Müller vereinbart habe. Wenn du zu dusselig bist, deine Lauscher aufzusperren, bist du hier fehl am Platz. Dieses Büro lebt unter anderem davon, dass jeder alles mitkriegt, damit im Notfall jeder überall einspringen kann. Und außerdem«, redete er mit gelinder Verzweiflung weiter und fuhr sich mit beiden Händen durch die strubbeligen Haare, »bin ich hier der Chef, und ich bestimme, wer an welchen Besprechungen teilnimmt oder nicht. Sollte dir meine Vorgehensweise nicht passen, steht es dir frei zu kündigen. Im Vertrag stehen vierzehn Tage Kündigungsfrist. Für normale Verhältnisse, sprich, der Angestellten passt die Nase des Chefs nicht mehr oder dem Chef missfällt die Pfuscharbeit der Angestellten. Wenn aber die Angestellte in anmaßender Weise den Chef anbrüllt, steht es dem Chef selbstredend frei, nämliche Angestellte auf der Stelle zu feuern.« Wow, das tat gut, auch wenn ihn in der zweiten Hälfte seiner Litanei plötzliche Angst überfiel. Was, wenn sie wirklich kündigte? Normalerweise wäre es ihm natürlich zu jeder Zeit mehr als nur recht gewesen, aber den Mord am Rattenfänger aufzuklären, fiel nicht unter normale Zeiten. Andererseits hatte er dann einen guten Grund, den Auftrag zu canceln. Personeller Engpass, Frau Müller, ihre ach so mutige Mitarbeiterin hat uns Knall auf Fall verlassen. Tut mir wahnsinnig leid.
Alice starrte ihn mit offenem Mund an, brüllte aber nicht mehr. Die Röte ihres Gesichtes verflüchtigte sich, und ihre Haut wurde blasser als normal. »Das meinst du nicht ernst«, flüsterte sie fassungslos.
»Doch, tue ich. Ich habe nichts dagegen, wenn du deine Termine verschiebst, um an meinen teilnehmen zu können, aber erwarte diese Rücksicht bitte nicht von mir, deinem Chef. Von der Mitarbeiterseite her hat Melanie die Detektei vertreten. Übrigens ausgesprochen würdig.«
»Melanie?«
»Melanie! Frau Müller war von deiner Kollegin begeistert.«
»Wovon? Der Art, wie sie sich nicht traut, einem in die Augen zu sehen?« Alices Stimme kickste nach oben weg. Sie konnte nicht glauben, was sie hörte, und da war etwas tief in ihrem Inneren, das ihr dringend riet, alles, was gesagt wurde, schleunigst zu vergessen.
»Von ihrem messerscharfen Verstand. Von ihrer Fähigkeit zum analytischen Denken.« Fred gab sich alle Mühe nicht zu triumphieren. Die Schlacht war vorbei. Er überließ es Alice, die Leichen zu begraben.
»Melanie?«
»Melanie von Rhoden, das ist korrekt.«
Alice blickte sich suchend um. »Wo ist sie eigentlich? Hat sie mit ihrem messerscharfen Verstand dermaßen analytisch gedacht, dass sie den Mordfall längst geknackt hat? Ist sie unterwegs den Mörder zu verhaften, oder steht sie in diesem Moment auf dem Siegerpodest und lässt sich den Lorbeerkranz auf ihr weises Haupt drücken?« Hohn und Spott glückten ihr nicht ganz, wie sie verärgert merkte. Freds Rede hatte Spuren hinterlassen und sie verunsichert. Wo nahm der Kerl nur die Dreistigkeit her, so mit ihr zu sprechen. Sie sollte tatsächlich auf der Stelle kündigen. Bei ihrem Aussehen fand sich doch jederzeit ein neuer Job. Eigentlich hatte sie sogar schon einen. Den bei der Schifffahrtsgesellschaft Okko Jansen. Für acht Euro die Stunde.
»Hajo Claus hat sich wieder gemeldet, und Mellie ist als Geisterjägerin auf Achse.« Jetzt grinste er doch.
»Mit vollem Akku?«
»Der Akku ist voll, ja. Möchtest du dich selbst davon überzeugen?« Fred Roderich deutete auf die Ablage neben dem Gasherd. Dort hing noch immer der Akku am Strom, und ein grüner Lichtpunkt zeigte an, dass er zu hundert Prozent aufgeladen war.
»Oh Mann.« Alice fühlte sich sofort um Längen besser. Wenn Melanie wieder Geister jagte, blieb für sie die Mörderjagd, und logisch denken konnte sie allemal besser als diese graue Maus im Faltenrock. »Die Kamera hat sie aber mitgenommen?«
»Wird sie wohl, zumindest liegt sie hier nirgends rum. Einstein soll übrigens auch so ein Chaot gewesen sein. Es heißt, die meisten Genies versagen bei ihren täglichen Verrichtungen, aber ich bin mir unsicher, ob es sich dabei nicht nur um einen Spruch der Neider handelt.« Fred gähnte ungeniert. Wenn er nicht bald eine normale Mütze Schlaf bekam, würde der Pathologe im Krankenhaus einen typischen Fall von Stresstod obduzieren. Axel und er waren in getrennten Autos die ganze Nacht in Hameln unterwegs gewesen und hatten Kater Hamlet gesucht. Vergeblich natürlich, aber für Fred war es die zweite schlaflose Nacht in Folge gewesen. Den Kater hatte Axel erst am Morgen im Alleingang gefunden.
»Jetzt mach’ aber halblang, auch wenn du mein Chef bist. Stille Wasser mögen ja tief sein, aber ein Genie? Unsere Mellie im karierten Faltenrock?« Alice versuchte, spöttisch zu lachen, aber auch dies misslang. Dabei hatte ihr Tag durchaus triumphal begonnen. Eine begeisterte Personalchefin, ein sabbernder Chef, und in weniger als einer Stunde trat sie auf der Libelle ihren Dienst als Servicekraft an. Zwei Rundfahrten zum Eingewöhnen und morgen dann den ganzen Tag. Beginn: acht Uhr im Hafen.
»Im Normalfall sitzt unter einem Faltenrock etwas Gefühlsbetonteres als ein Gehirn. Ich hatte mal einen Schotten als Freund, und da ...« Fred klappte abrupt den Mund wieder zu. Die Übermüdung, sagte er sich, sonst nichts. Nur keine Panik. Alles im grünen Bereich.
Alice betrachtete ihn aufmerksam, und er merkte förmlich, wie sich ihr erschüttertes Ego wieder festigte. Er fand es zwar schade, dass das Erdbeben keine Zehn auf der Richterskala gewesen war, aber es hatte für kurze Zeit funktioniert, und wenn er, Fred, es für nötig befand, konnte er jederzeit ein neues auslösen. Er war der Chef!
»Schlecht geschlafen?«
»Nein«, log er. »Ganz prima. Um diese Jahreszeit bin ich immer ein wenig müde. Die Frühjahrsmüdigkeit nach dem Winterschlaf. Schwer in die Gänge zu kommen nach der faulen Bärenhaut.«
»Tja, das muss wohl das Alter sein. Ich dachte schon, du und Axel, ihr hättet euch die Nacht auf der Suche nach dem Kater um die Ohren geschlagen.« Sie lächelte schon wieder. Zumindest versuchte sie es. Am liebsten hätte sie ihren Revolver aus ihrer Wohnung am Hammelstein geholt oder Freds Magnum aus dem Handschuhfach des Sportwagens, auf seine Nasenwurzel gezielt und gefragt: Wer, sagtest du, ist der Boss in diesem Laden? Wieso zum Teufel, fragte sie sich plötzlich, lässt du eigentlich die Pistole zu Hause in der Nachttischschublade, wenn du in einem Mordfall ermittelst?
»Hamlet? Ach wo, aber der ist übrigens auch wieder da. Axel hat ihn aus einem Dachsbau oben am Klüt gefischt. Ein wenig lädiert zwar und mit weniger Fell als vorher, weil der Dachs wohl etwas gegen die Einquartierung hatte, aber bleibende Schäden scheint er nicht davongetragen zu haben.« Leider, fügte er in Gedanken hinzu, und spürte es pochen in der tiefen Furche von Hamlets Kralle auf seiner Wade. Ob er für das Ertränken eines unberechenbaren Katers wohl Bewährung bekam? Nein, die Frage musste anders lauten: Ob Axel wohl Bewährung bekam, wenn er, Fred, den Kater ertränkte und Axel ihn als Schuldigen lokalisierte. Kaum wieder zu Hause, hatte Hamlet sich auf dem weißen Teppichboden im Wohnzimmer erbrochen. Jede Menge blutiger Taubenfedern.
»Es stand heute Morgen übrigens in der Zeitung«, sagte sie langsam.
»Der Mord am Rattenfänger? Es wundert mich ...«, setzte Fred an, wurde aber brüsk unterbrochen.
»Das Massaker an den Tauben, und wenn man dem Züchter und all den anderen Zeugen glauben darf, hat eine Katze im Schlag gewildert, kein Fuchs. Oder sollte ich sagen ein Kater?« Jetzt lächelte sie wirklich. Wie schön, das es das Schwert der Rache gab und wie aufmerksam von ihrem Boss Fred, ihr den Schaft persönlich in die Hand zu drücken.
Fred erstarrte, aber nur eine Sekunde lang, dann entspannte sich sein Körper wieder. Diesmal war er es, der lächelte, auch wenn ihm eher elend zumute war. »Oh, aber die Sache hat sich aufgeklärt. Es war tatsächlich eine Katze, die in den Taubenschlag eingedrungen ist. Eine wildernde Katze aus den Feldern. Einen Tag nach dem Desaster bin ich noch einmal rausgefahren, habe ihre Spuren auf der nassen Erde verfolgt und das Mistvieh tatsächlich gefunden. Keine hundert Meter weit entfernt, mitten auf der Straße zwischen den beiden Kleingartenkolonien. Tot. Ein Auto hat sie erwischt.« Er hatte dem Taubenzüchter am nächsten Morgen tatsächlich eine überfahrene Katze frei Haus geliefert, allerdings eine, die er rein zufällig auf der anderen Weserseite gefunden hatte. Im Industriegebiet zwischen der Puddingpulverfabrik Vogeley und der Mewa, als er auf dem Weg zum Baumarkt war, eine neue Steckdose besorgen. Hamlet holte alles aus der Wand, was mit weniger als drei Schrauben befestigt war. Freds große Hoffnung bestand darin, dass es eines schönen Tages einen gewaltigen Kurzschluss gab, und die Wohnung nach verbrannter Katze stank.
Alice überlegte eine Weile. Sie versuchte sich vorzustellen, wie Fred mit einer großen Lupe in der Hand gebückt über die Felder rannte, immer den Pfotenspuren nach, und schüttelte den Kopf. Es musste eine andere tote Katze gewesen sein, die er zufällig gefunden hatte, nur würde sie ihm das ebenso wenig nachweisen können wie der Taubenzüchter. Zwei zu null für ihren Chef. Kein guter Tag für die Rache. Sie sollte sich wieder angewöhnen, morgens ihr Horoskop zu lesen.
»Okay«, sagte sie ernüchtert. »Kommen wir wieder zum Geschäftlichen. Würdest du mich – bitte – über den Inhalt eurer Besprechung mit dieser Patrizia Müller in Kenntnis setzen. Ich hoffe zumindest, dass mein Gehirn scharfsinnig genug ist, all die scheinbar unbedeutenden Einzelheiten analytisch denkend in einen logischen Zusammenhang zu bringen. Wollen wir uns setzen? Gibt es Kaffee? In einer Stunde muss ich auf dem Schiff sein, denn, während ihr hier Klönschnack gehalten habt, habe ich mir einen neuen und sehr lukrativen Job gesucht.«
Einen kleinen, heiklen Moment lang stutzte Fred, dann begriff er trotz seiner Übermüdung und rang sich Worte ab, die ihm aus dem Herzen gekommen wären, wenn er sie an jemand anderen hätte richten können. »Super! Tolle Arbeit. Die Detektei ist stolz auf dich. Jetzt musst du nur noch den Mörder überführen, dann sind wir aus dem Schneider. Also, um auf die Besprechung zurückzukommen. Der Rattenfänger Dickie Blume hieß mit vollständigem Namen Benediktus Blumenthal-Sowieso und war zweiunddreißig Jahre alt. So, wie es sich anhörte, war er nicht eben der freundliche Junge von nebenan. Nett war er zu denen, die ihn hofierten und unnett zu jenen, die dies eben nicht taten. Er ...«
»Unnett? Was ist das denn für ein Wort? Neue deutsche Wortschöpfung?«
»So in etwa. Unnett ist der Ausdruck, den Patrizia Müller exklusiv für ihren toten Freund kreierte. Er stellte Menschen bloß, die ihm nicht die nötige Aufmerksamkeit zollten. Was nun mögliche Motive für den Mord betreffen: Blumenthal war spielsüchtig, sowohl privat als auch bei den Banken hoch verschuldet, hatte aber schon private Insolvenz angemeldet, sodass wir dort wohl kaum das Motiv finden werden. Er war arrogant seinen Mitmenschen gegenüber und ein Träumer, der sich eine Karriere erhoffte, ohne etwas dafür zu tun.«
Alice runzelte die Stirn und besah sich kritisch das belegte Brötchen aus der Metzgerei. Leberkäse? Sie hatte Parmaschinken, nicht Leberkäse gesagt. Igitt. »Ein Motiv hätte mir vollkommen gereicht. Danke der Nachfrage«, sagte sie leicht geistesabwesend, während sich ihr Magen entschieden verknotete. Für Leberkäse Zutritt verboten.
»Er wollte Musiker werden. Klarinettist bei den Berliner Symphonikern, aber er übte nicht. Er träumte eben nur. Spielsüchtig war er in Bezug auf einarmige Banditen, und deshalb, beziehungsweise aus dem Grund, weil er wegen versuchtem Diebstahl vor Gericht kam, musste er bei Pik-As, einer Selbsthilfegruppe, antreten und lernte Frau Müller kennen.«
»Okay. Jetzt das Ganze noch mal in allen Einzelheiten. Zur Belohnung schenke ich dir anschließend mein Leberkäsebrötchen.«
Fred Roderich schilderte ihr alle Einzelheiten, soweit sie sich in seinem übermüdeten Hirn verfangen hatten, und Alice lauschte mit wachsendem Interesse. Dann aß Fred das Leberkäsebrötchen und hörte zu, wie Alices Magen knurrte.
»Du solltest was essen, bevor du deinen Dienscht antrittscht«, mümmelte er.
»Wirklich witzig!« Alice war bereits damit beschäftigt, ihre SMS zu lesen. Zwei stammten von Romeo Ich liebe dich unsagbar und Warum antwortest du mir nicht. Sie verdrehte die Augen, der Kerl fing an, ihr langsam auf die Nerven zu gehen. Vor eineinhalb Stunden erst war sie von zu Hause aufgebrochen, ihn im Bett zurücklassend, wo er friedlich vor sich hinschnarchte. Kaum war er wach, fing er an sie mit seinen SMS zu traktieren. Wo bist du? Warum kommst du nicht? Wer war der Kerl, mit dem ich dich in der Stadt gesehen habe? Verlass mich nicht, sonst hänge ich mich auf und so weiter und so fort. Er ließ keine Peinlichkeit aus, und mehr als einmal hatte sich Alice gewünscht, er würde die letzte seiner Drohungen ganz einfach wahr machen, sich einen Strick kaufen und im Wald oberhalb des Hammelsteins nach einem kräftigen Ast Ausschau halten.