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»Na Supermaus, was macht die Geisterjagd?« Alice stöhnte, entledigte sich ihrer Schuhe und zog sich einen Stuhl für die brennenden Füße heran. Vom Hafen zur Klütstraße war es ein langer taxiloser Weg gewesen.

Es war kurz nach neunzehn Uhr, und im Besprechungsraum der Detektei brannte bereits Licht. Für die Zeit, in der Alice auf dem Schiff recherchierte, fanden ihre täglichen Besprechungen abends um sieben statt, was keinem so recht passte. Fred sah aus, als schliefe er im Sitzen, und Mellie war so hibbelig, als flösse pures Adrenalin durch ihre Adern.

»Ich glaube, er wird verfolgt, aber ich bin mir nicht sicher«, stieß sie nervös hervor. »Erst war da ein Mann, mittelgroß, Anfang zwanzig, ein eher schlaksiger Typ, der ihm gefolgt sein könnte, als Hajo zur Post ging, dann noch mal zwei Typen etwa im selben Alter, als er nachmittags durch den Bürgergarten spazierte. Jedes Mal, wenn er sich umdrehte, haben sie versucht, ihre Gesichter abzuwenden. Ich meine rein theoretisch könnten sie ihm gefolgt sein. Diese Nachbarn von ihm, Rosenbuschs, habe ich allerdings schon wieder nicht gesehen.«

Für kurze Zeit blieb es still am Tisch. Alice bewegte nachdenklich ihre Zehen auf dem Stuhl, und Fred Roderich stützte auf der Tischplatte die Ellenbogen ab und hielt seinen Kopf mit beiden Händen fest, die Augen fast geschlossen.

»Ganz sicher?«, murmelte er.

»Sag ich doch, nein!«, wiederholte Mellie ungehalten. »Aber es könnte möglich sein.«

»Fotos?«, fragte Alice, und versuchte, nicht vorzeitig schadenfroh zu grinsen. Sie hatte den Akku der Digitalkamera im Blick, der immer noch im Aufladegerät an der Steckdose hing.

»Du wirst es nicht glauben, aber ja, ich habe Fotos geschossen. Von allen Dreien. Trotz der Aggressivität, mit der sie die Worte hervorstieß, schien irgendetwas nicht zu stimmen.

Alice blickte von ihren Zehen auf, die von der vielen Lauferei in den engen Schuhen dick und gerötet aussahen. Fred öffnete die Augen, richtete sich stöhnend auf und tastete auf der Tischplatte nach seiner Brille mit der eckigen schwarzen Fassung.

»Wieso vermisse ich dann die Begeisterung bei dir? Du glaubst also, deinem Klienten folgt jemand. Warum, bitte schön, bist du dann nicht Feuer und Flamme, denjenigen zu erwischen? Ich meine, ich persönlich bin mehr als nur skeptisch, weil mir permanent diese Hilfe meine Nachbarn bestrahlen mich Story von ihm einfällt. Aber gut, okay, vielleicht folgt ihm ja tatsächlich jemand. Beweis es uns. Ein vielleicht oder könnte sein reicht mir einfach nicht. Du hast, wie du sagst, Fotos geschossen, obgleich ich beim besten Willen nicht weiß wie, denn da drüben neben dem Elektroherd hängt der Akku noch an der Steckdose. Okay, gehen wir einfach mal davon aus, du hast Fotos geschossen, wie auch immer. Wo liegt das Problem?«

Alice stieß ein Ächzen aus, das durchaus als mühsam unterdrücktes Lachen interpretiert werden konnte.

Melanie von Rhoden schossen die Tränen in die Augen. »Dank euch weiß ich jetzt wenigstens, wie sich Hajo Claus fühlen muss, wenn er seine Story jemandem erzählen soll, meinen besten Dank auch. Außerdem habe ich nur gesagt, er wird vielleicht verfolgt, nicht, dass ihn seine Nachbarn bestrahlen.« Es hatte schon immer Phasen in ihrem Leben gegeben, in denen Schlimmes geschah, Menschen aus ihrer Umgebung verunglückten, zu Tode kamen wegen ihrer, Mellies, schwarzen Aura. Verwandte, Freunde, sogar weitläufige Bekannte. Erst erfasste ein Auto ihren Vater, als er mit ihr als Fünfjährige das Überqueren stark befahrener Straßen übte und sie »Jetzt, Papa!« rief, ohne sich selbst vom Fleck zu rühren. Keine Chance für den armen Kerl, der den Bus fuhr. In der zweiten Klasse stürzte ihre beste Freundin aus acht Meter Höhe kopfüber aus ihrem Kinderzimmerfenster in die Tiefe, nachdem Mellie versprochen hatte, sie an den Beinen festzuhalten. Als Susi längst tot auf dem Pflaster lag, hielt sie, über der Fensterbank hängend, noch immer Susis Stiefelchen mit dem Fellrand in Händen. Und so gab es während ihrer Kindheit und Pubertät und sogar später in den Jahren als Erwachsene in unregelmäßigen Abständen Todesfälle, an denen sie in irgendeiner Weise beteiligt war. Zufall, unglückliche Verkettung von Umständen – oder doch ihre Aura, die so tiefschwarz sein musste, dass ihr der Tod nicht widerstehen konnte? Bevor sie im Büro zu arbeiten anfing, hatte sie eine Reiki-Meisterin gebeten, Fred und Alice gegen ihre todbringende Aura mit einem Bannspruch zu schützen.

»Jetzt krieg dich mal wieder ein und zeig uns die Fotos«, sagte Fred genervt. »Es ist Viertel nach sieben und mein ganz privates Sofa steht keine zehn Meter von hier entfernt. Vielleicht könnten wir unser Meeting einfach schnell hinter uns bringen und dann zum Wesentlichen übergehen – dem Feierabend. Außerdem wird es wohl noch erlaubt sein, eine derart abstruse Geschichte, wie sie dir Herr Claus aufgetischt hat, anzuzweifeln. In aller Bescheidenheit maße ich mir ein gutes Urteilsvermögen an, und seine Verfolgungsarie schreit nicht minder zum Himmel wie seine Bestrahlungsarie.«

»Du meinst, in etwa so wie die Story mit mir und dem toten Rattenfänger ohne Arme?«, warf Alice in neutralem Tonfall ein. »Wenn Rattenfänger in Schiffsschrauben geraten und Katzen in Taubenschläge, liegt es da nicht im Bereich des Möglichen, dass Herr Claus in irgendetwas Dubioses reingeschliddert ist und nun, warum auch immer, Gott weiß wen auf den Fersen hat?« Sie drehte den leeren Becher in Händen, auf dem Today is the first day of the end of your life stand. Ein Geburtstagsgeschenk von Fred zum Dreißigsten. Kalter Kaffee wäre jetzt gar nicht mal so übel.

Melanie Gesumme hörte erst auf, als sie die unwilligen Blicke der andern spürte. »Entschuldigung, ich dachte gerade an Patrizia Müller und ihre Gottallergie. Wollt ihr die Fotos sehen?«

Ich kenne auch jemanden mit einer Gottallergie, lag Alice schon auf der Zunge, obgleich sie nicht im Mindesten ahnte, worum es ging, hielt aber dann doch den Mund.

»Nur zu«, seufzte Fred. »Ist das dein Fotoapparat oder der von der Detektei?«

»Meiner, deshalb brauchte ich auch den Akku nicht. Also hier ist das erste von zwölf Fotos. Wenn du den Apparat nachher an Alice weiterreichst, Fred?«

Die nächsten Minuten wäre es still gewesen, wenn Melanies hibbelige Nervosität ihren Stuhl nicht bewogen hätte, permanent zu knarren.

»Ich versteh’ dein Problem«, resümierte Fred und beobachtete, wie Alice Augenbrauen sich verärgert zusammenzogen, als sie sich eins nach dem anderen die Fotos auf dem Display der Kamera anzeigen ließ. »Ich versteh’ nur nicht warum. Hattest du denn nicht ein einziges Mal die Chance, die Verfolger deines Klienten von vorn zu erwischen? Nicht ein einziges Mal? Nur Hinterköpfe und knackige Ärsche?«

Mellie schob die Unterlippe vor und malte mit dem Finger Figuren auf das Walnussholz des Tisches. Ihr dicker, brauner Zopf hing ihr über die Schulter bis in den Schoß. »Ich weiß auch nicht. Ich habe mich – einfach nicht wohlgefühlt dabei. Ich meine, jemanden heimlich zu fotografieren.«

»Nicht wohlgefühlt«, echote Fred und ließ einen kummervollen Blick umherschweifen. Er fühlte sich auch nicht wohl in seiner Haut zurzeit, und doch musste er in ihr leben. Und eine Detektivin, die sich beim Fotografieren nicht wohlfühlte, war so fehl im Job wie ein humorloser Clown.

»Du meine Güte«, sagte Alice und ließ es dabei bewenden. Sie war nicht die Chefin der Detektei, und je weniger sie sagte, desto besser.

»Gut!«, entschied Fred. »Beziehungsweise nicht gut. Da dein Hajo Claus offenbar ein langmütiger Mensch ist und dich noch immer nicht gefeuert hat, werde ich mit ihm gleichziehen. Ich gebe dir von heute an drei Tage Zeit, mir Fotos von seinen Verfolgern vorzulegen, so er denn tatsächlich verfolgt wird. Auf diesen Fotos möchte ich Gesichter sehen. Stell die Kamera auf ein Meter große Fotos ein, dann hast du genügend Spielraum für Ausschnittsvergrößerungen. Wohlgemerkt, niemand sagt, du sollst diese Typen aus ein Meter Entfernung fotografieren, sondern lediglich die Größe der Fotos auf ein Meter einstellen. Eins der typischen Kennzeichen eines Detektivs ist im Übrigen die Arbeit im Verborgenen. Verdeckte Ermittlung nennt sich so etwas, und wenn du in der nächsten Woche noch einen Job haben möchtest, dann tu es einfach. Ermittel verdeckt und liefer der Detektei, vor allem aber auch deinem Kunden, anständige Ergebnisse. Fotos, Namen, Adressen. Noch Fragen oder Anmerkungen?«

Mellie schüttelte Kopf und Zopf und kämpfte mit den Tränen.

»Okay, Alice, was machen die Mordermittlungen?«

»Du zuerst«, erwiderte sie rasch. »Ich wollte mir gerade einen Kaffee holen, sonst schlafe ich mitten im Erzählen ein.« Schon stand sie auf und wanderte zur Kaffeemaschine hinüber. Sie lächelte voll Vorfreude. Ihre Story mit all ihren Erfolgen würde den krönenden Abschluss der Besprechung bilden. Gute Arbeit, würde Fred zugeben müssen. Weiter so.

»Wie du willst. Also – ich habe mich höchst offiziell bei der Schifffahrtsgesellschaft und der Stadt als Detektiv zu erkennen gegeben, der im Auftrag von Frau Müller im Fall des toten Rattenfängers ermittelt.« Er seufzte erneut. »Bei der Schifffahrtsgesellschaft bin ich auf eine Art Popeye oder Meister Proper gestoßen, der dort der Chef ist. Ein Kahlkopf mit jeder Menge Muskeln. Man bedaure den Tod des Rattenfängers außerordentlich, aber man bedaure auch, mit der Kripo eine Vereinbarung getroffen zu haben, alle relevanten Informationen ausschließlich an sie weiterzugeben. Kam ihm allerdings wenig überzeugend über die Lippen. Ich hatte das Gefühl, dass er den Bullen nicht unbedingt die Lösung des Falles zutraut. Bei der Hameln Marketing und Tourismus GmbH genau dasselbe, nur besaß der Chef dort noch ein paar Haare und wählte geringfügig andere Worte. Sein Standpunkt hörte sich nach Granit an. Über die offiziellen Stellen scheinen wir also nicht weiterzukommen.« Fred Roderich zuckte die Achseln. Versager, Versager, Versager, murmelte ein Stimmchen in seinem Kopf, und er wusste, er konnte das Stimmchen nur durch einen großen Schluck Single Malt Whiskey mundtot machen. Oder dadurch, dass er sich den Lauf seiner Magnum an die Schläfe hielt und abdrückte.

»Macht die Kripo etwa Front gegen uns?«, fragte Alice beunruhigt. Was, wenn sie sich ein paar Tage auf dem Schiff abschuftete und Material zusammentrug und dann plötzlich Kommissar X als Held in der Zeitung stand, weil er vor ihr den Mörder des Aushilfsrattenfängers Dickie Blume überführen konnte?

Dank Lutz, dem Pförtner, dachte Fred und feixte unglücklich. Doch das war einzig und allein sein Problem und ging Alice nichts an. »Der einzige Auskunftsbereite, der mit dem Mord in Verbindung steht, ist der Pathologe, den ich gestern aufgesucht habe. Allerdings konnte der mir auch nicht viel mehr sagen, als dass der Rattenfänger tot ist. Unter Wasser verblutet, nachdem ihm die Schiffsschraube die Unterarme abgerissen hatte. Dafür habe ich seinem Skelett ein großzügiges Bakschisch zahlen müssen.«

»Was?«

»Ach nichts, ich habe nur laut gedacht. Also, das waren in aller Kürze meine Ermittlungserfolge beziehungsweise Pleiten, jetzt bist du dran. Wir sind ganz Ohr. Mit oder ohne Kaffee, komm zur Sache, ich hör schon den verdammten Kater in meinem Fernsehsessel miauen.« Axel sprach nicht mehr mit ihm, seit seinem gestrigen Gebrüll, und wenn Fred genauer darüber nachdachte, fand er diesen Zustand gar nicht mal so schlecht. Am Frühstückstisch konnte er in aller Ruhe die Zeitung lesen und abends mit Kopfhörern seine Musik hören, während Axel mit Kopfhörern fernsah. Wenn er jetzt noch sein Futon zurückerobern könnte, konnte er Axel das Gästezimmer vermieten und sie wären nichts weiter als eine stinknormale Männer-WG.

Alice nahm die nackten Füße vom Stuhl, breitete ihre Unterlagen auf dem Tisch aus und legte los. Fünf Minuten später war sie mit dem Gröbsten durch. Mellie und Fred hingen gebannt an ihren Lippen. Zumindest kam es ihr so vor.

»Na ja«, sagte Fred nach ihrem letzten Punkt. »Nicht überwältigend aber ganz ordentlich. Was meinst du, Mellie?«

»Was, wenn dein Chef hinter die Täuschung kommt?«, murmelte Mellie und sah weg.

»Was, wenn nicht?«, fragte Alice patzig zurück. Du lieber Himmel, da nahm sie es mit einer ganzen Schiffsladung meckernder Senioren auf, trug Material zusammen, an das nicht einmal Fred in seiner offiziellen Rolle als Detektiv gekommen war, und alles, was sie hörte, war ein ganz ordentlich und eine Sturmwarnung bei absoluter Flaute.

Sie schob ihre Unterlagen zusammen und stand auf.

»Soll ich morgen wieder aufs Schiff, Chef?«

Fred zuckte die Achseln. »Wenn du dir was davon versprichst.«

»Was ist das denn für eine bescheuerte Antwort? Ich befolge nur Anweisungen, denn im Gegensatz zu dir stehe ich in der Nahrungskette ganz unten.« Alice wurde langsam ernsthaft böse. Es wurde höchste Zeit sich von Fred abzunabeln und ihre eigene Detektei zu eröffnen. Um am Gängelband zu laufen, fehlte ihr die Demut.

»Gut, ich erteile dir hiermit den Befehl, wieder aufs Schiff zu gehen. Solltest du jedoch gefressen werden, weil du in der Kette so weit unten rangierst, übernimmt die Firma keine Haftung. Fängt die Kripo den Mörder ohne unsere Hilfe, bitte, sehen wir es als Schicksal an. Zumindest zahlt uns Frau Müller für die vergeudete Zeit. Und lass deine Unterlagen hier. Während du auf dem Schiff herumturnst, könnte ich schon das eine oder andere Telefonat erledigen. Du recherchierst vor Ort, ich überprüfe die Teilnehmer der Charter, soweit sie erreichbar sind.«

»Tu das.« Alice lächelte gezwungen. Am liebsten hätte sie alles allein gemacht, nur fehlte ihr dummerweise die Zeit.

»Ich wollte schon immer mal Bankern auf die Füße treten. Vielleicht hat einer von denen die Klarinette einfach stiebitzt«, entgegnete Fred aufmüpfig.

»Vielleicht ist einer von denen der Mörder«, murmelte Mellie. »Die Chancen stehen bei hundertzwanzig zu acht. Hundertzwanzig Banker, sechs Servicekräfte, zwei Nautiker. Wenn sich nicht noch ein Fremder an Bord geschlichen oder der Rattenfänger auf sehr komplizierte Weise Selbstmord begangen hat, muss einer von denen der Mörder sein. Die Frage ist nur, wie kommst du an die Liste mit den hundertzwanzig Banker-Namen und wie willst du sie alle in zehn Tagen überprüfen?«

»Neun«, verbesserte Alice lakonisch. »Neun Tage. Einer ist schon weg.«

Mörderische Schifffahrt

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