Читать книгу Mörderische Schifffahrt - Charlie Meyer - Страница 5

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Alice fror, was kein Wunder war, wenn man bedachte, das sie hinter einem noch taunassen Busch unten an der Weser hockte. Sie trug Kopfhörer und hielt ein leistungsstarkes Richtmikrofon über ein paar Buhnen und den schmalen Motorboothafen hinweg geradewegs auf eine eher bescheidene Jacht gerichtet. Verstehen, was im Inneren der Jacht gesprochen wurde, konnte sie nicht, dafür hörte sie aus dem Kopfhörer hervorragend das Geschrei der Wildgänse, die gerade über ihrem Kopf zu ihren Sommerquartieren zogen. Am anderen Weserufer stritten zwei Angler, deren Leinen sich verheddert hatten, wessen Schuld das Kuddelmuddel war und ein Dritter murmelte Gott, würde ich die gern ficken und winkte zu ihr herüber.

Sie konnte nur hoffen, die Turteltäubchen würden sich irgendwann bequemen, die warme Koje unter Deck zu räumen, um sich oben im Freien darüber zu unterhalten, wie sie am Geschicktesten an das Vermögen seiner Ehefrau kamen. Das glaubte jedenfalls die betrogene Ehefrau und sah sich selbst schon als Leiche mit einem Föhn in der Badewanne. Alice hielt sich aus dem Glauben heraus. Sie wurde dafür bezahlt, das Liebespärchen zu überwachen und zu belauschen, und genau das tat sie hiermit. Sollte sie etwas Verwertbares erlauschen, würde sie den Rekorder in ihrem Rucksack einschalten und die Unterhaltung direkt über die Verbindung zum Mikrofon aufnehmen. Wenn nicht, auch gut. Grundsätzlich hielt sie jeden Menschen für jede denkbare Tat fähig.

Außerdem gab es zweihundert Euro pro Tag für die Detektei, und dieser Montag war der fünfte Tag ihrer Überwachung. Eintausend Euro, die sie in nur einer Woche der Detektei eingebracht hatte. Fred platzte beinahe vor Wut, denn sein Verdienst in exakt derselben Zeitspanne belief sich gerade mal auf sechshundert Euro für drei Nachtwachen vor einem attentatsgefährdeten Taubenschlag.

Arschloch, dachte Alice mit Inbrunst. Schon als kleines Kind war er ein aufgeblasener, kleiner Mistkerl gewesen, sie konnte sich noch gut daran erinnern, und heute war er ein aufgeblasener, großer Mistkerl.

Die Hocke erwies sich auf Dauer als außerordentlich anstrengend. Alice dachte an den Klappstuhl im Kofferraum ihres Fiat Panda und spielte mit dem Gedanken, ihn zu holen. Der Wagen parkte neben dem Gasthaus der Tündern’schen Warte, nur drei- oder vierhundert Meter entfernt. Andererseits misstraute sie Gevatter Zufall. Wenn sie der Jacht jetzt den Rücken zukehrte, würden sich unter Garantie wenige Minuten später zwei nackte, verschlungene Leiber ekstatisch auf dem Eisendeck wälzen und auf dem Höhepunkt ihrer Lust in die Welt hinausbrüllen, wie sie Frau Heppelweit-Nieberg zu schröpfen gedachten. So oder so ähnlich jedenfalls. Außerdem lief sie Gefahr, unerwünschte Aufmerksamkeit zu erregen, wenn sie wie ein aufgeschrecktes Wildschwein durch die Uferbüsche brach. Oberhalb der Böschung verlief der Weser-Radweg, und obgleich es Montag war, ein stinknormaler Arbeitstag, waren Heerscharen von Radfahrern unterwegs. Geradeso, als habe es, außer ihr natürlich, kein Schwein mehr nötig, arbeiten zu gehen. Es machte sie schon nervös genug, dass ihr der geile Angler vom jenseitigen Ufer aus zuwinkte.

Alice Hupe entschied sich gegen den Klappstuhl. Es reichte, wenn sie sich ein trockeneres Plätzchen suchte und auf ihre Regenjacke setzte.

Sie richtete sich mit knackenden Knien auf und balancierte auf der schrägen Böschung Richtung Hafen. Trotz der Profilsohlen ihrer Wanderstiefel rutschte sie immer wieder ab und drohte ins Wasser zu fallen. Nach wenigen Metern blieb sie erleichtert stehen. Eine grasbewachsene Erdbuhne ragte in die Weser hinein, und wenn sie ihr Gefühl nicht trog, bot der Huckel den idealen Platz für ein kleines Dinner for one, während sie darauf wartete, dass die beiden im Boot ihr Nümmerchen zu einem Ende brachten.

Sie breitete die Regenjacke aus und kramte die rosa Tupperbox mit dem Frühstücksbrötchen aus ihrem Rucksack. Mortadella, naja. Über ihre empfindlichen Geschmacksnerven würde sie Romeo noch aufklären müssen, alles andere beherrschte er so einigermaßen. Nicht umwerfend, aber auch nicht so grottenschlecht wie Heiko, sein Vorgänger. Romeo hieß mit richtigem Namen Roman Vargas, wie er ihr irgendwann im Bett gestanden hatte, Wochen nach ihrem ersten Date. Auf den Namen Romeo habe er sich umgetauft, weil es da vor langer Zeit in Italien diesen Typen gab, der an Balkonen hochkletterte und ganze Sippschaften ins Unglück stürzte, bevor er ein tragisches Ende nahm. Montague oder Carpulet oder so ähnlich, so ganz genau bekam es der falsche Romeo nicht mehr zusammen, aber der Name war ihm offenbar für zwischenmenschliche Sinnesfreuden verheißungsvoller erschienen als Roman Vargas. Der falsche Romeo entpuppte sich letztendlich als zwar sinnesfreudiges, aber eher faules Stück Fleisch, das zu schnarchen anfing, sobald es von ihr runterrutschte und ansonsten an ihrem Rockzipfel hing, als habe es kein eigenes Zuhause. Romeo schien schwer verliebt, sie war genervt.

Nach dem Sex dann lag sie häufig wach und dachte an Crispin, an seinen festen Körper und die langen, sehnigen Finger, die so unglaublich talentiert waren. Und an Crispin, wie er mit einer Rose zwischen den Zähnen vor ihr kniete und nuschelte: »Meinscht du, du wirscht mich heiraten wollen?« Und an Crispin, wie er auf der Landstraße kurz vor Starnberg lag, hundert Meter von seinem Motorrad entfernt und das Blut aus seinem Helm strömte. Man hatte sie aus einem Gebüsch gezogen und neben ihn gelegt, nachdem sie dieser größenwahnsinnige Neunzehnjährige in seinem Cabrio auf freier Strecke urplötzlich ausgebremst hatte und Crispin den Lenker des Motorrades herumreißen musste und gegen die Böschung donnerte.

Schnee von Gestern, dachte sie trotzig und konzentrierte sich wieder auf die Jacht, die in diesem Moment anfing, wild hin- und herzuschaukeln.

»Ach du liebes Lieschen.« Alice fiel vor Schreck das Brötchen aus der Hand. Es landete im Matsch. Natürlich, wo auch sonst? Sie hob es mit angewidertem Gesicht auf und ließ es zurück in die Tupperbox fallen. Keine Spuren zurücklassen - Regel Nummer eins im Handbuch für Detektive. Sie nahm die Kopfhörer ab, legte sie zum Richtmikrofon auf ihren Rucksack und suchte am Rand der Buhne nach einer weniger steilen Stelle, um sich in der Weser die Hände zu waschen.

Sie fand eine. Allerdings hing ärgerlicherweise gerade dort der Zipfel eines großen Stück Stoffes zwischen Steinen fest, während sich der Rest des Tuchs auf dem Wasser ausgebreitet hatte wie eine Tischdecke. Eine ausgesprochen farbenfrohe Tischdecke, rot, grün, lila und gelb. Bunt wie ein Karnevalskostüm. Sie löste den Zipfel vom Stein, schob einen Stock unter den Stoff und versuchte ihn mit Schwung aus dem Wasser zu befördern. Vergeblich. Irgendwo hing er immer noch fest.

Alice Hupe war von Natur aus ein zielstrebiger Mensch. Aufgeben lag nicht in ihren Genen verankert. Sie warf den Stock zur Seite, tauchte rechts und links des festhängenden Zipfels die Hände ins Wasser – und stockte abrupt. Ihre Finger ertasteten etwas Dickes, Hartes und Knubbeliges, das ihre haptische Erinnerung beinahe sofort mit menschlichem Schultergelenk assoziierte. Dass sie an dieser Stelle nicht kreischend davonrannte, flößte ihr noch im Nachhinein Respekt vor sich selbst ein. Der Schock, vielleicht.

Fakt war, dass sie beherzt zugriff und am Stoff zog und zerrte, bis die Leiche mit einem fast unanständigen Geräusch aufs Ufer rutschte. Wann genau sie bemerkte, dass dem Mann, der offensichtlich der Rattenfänger war, ein Messer aus Nacken und Kehle ragte, hinten der schwarze Griff und vorn die Spitze, wusste sie später nicht mehr zu sagen. Sie starrte dem Toten erst ins aufgedunsene Gesicht und dann auf die zerfetzten Armstümpfe, aus denen Reste von Sehnen und Adern hingen, und spuckte ihr Frühstück wieder aus. Sie schrie nicht, sie quiekte nicht einmal erschrocken auf. Sie zog lediglich die Leiche an Land, seufzte, machte auf den Hacken kehrt und übergab sich. Dann rief sie über Handy die Polizei an und versuchte sich während des Telefonats auf die lächerlichen gelben Schnabelschuhe zu konzentrieren, um dem Rattenfänger nicht ins Gesicht oder auf die Armstümpfe sehen zu müssen.

Während sie auf die Hüter des Gesetzes wartete, stopfte Alice Richtmikrofon und Kopfhörer zum Rekorder in den Rucksack. Es gelang ihr nicht gleich. Ihre Hände zitterten, und verärgert biss sie die Zähne zusammen, bis sie knirschten. Jetzt hieß es Haltung bewahren und vor allem so zu tun, als sei man nur rein zufällig anwesend gewesen. Sie hatte zwar noch keine Erfahrung mit der Hamelner Kripo gemacht, konnte sich aber lebhaft vorstellen, dass Kripobeamte und Detektive von Natur aus auf Kriegsfuß miteinander standen. Zumindest war es in Spielfilmen so, und wenn die Detektei auch noch von einem schwulen Detektiv geleitet wurde, war der Kriegsfuß aller Voraussicht nach besonders groß. Vor allem aber legte sie keinen Wert darauf, sich wegen des nutzlosen Richtmikrofons oder eines plötzlichen Nervenzusammenbruchs auslachen zu lassen. Als sie ihre Gerätschaften verstaut hatte, zitterte sie bereits am ganzen Körper. Sie musste sich auf den Boden setzen und die angezogenen Beine umklammern, um den flatternden Nerven einen Halt zu geben.

Als Hilfe anrückte, in rascher Folge erst Polizei, dann Kripo und Rettungswagen, empfang sie den ganzen Trupp stehend. Sie zeigte die Leiche vor, log bei den Fragen nach dem Grund ihres Aufenthaltes unten am Ufer, gab ihre Personalien an, lächelte aufmunternd einem blassen Polizisten zu, der ihr gestand, noch nie eine Leiche gesehen zu haben, und knallte unmittelbar darauf eben jenem blassen Polizisten ohnmächtig vor die Füße. Sie merkte nicht, wie ihr eine Visitenkarte aus der Jackentasche rutschte, auf der nicht nur ihr Name, sondern auch der der Detektei Roderich, Hupe und von Rhoden stand.

Mörderische Schifffahrt

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