Читать книгу Gemma. Sei glücklich oder stirb - Charlotte Richter - Страница 10

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Um mich ist es dunkel. Wo bin ich?

Akademie, denke ich. Prüfung.

Die Okulare lösen sich von meinen Augen, der Druck an meinen Schläfen lässt nach. Als ich blinzele, sehe ich erst nur gedämpftes Licht, dann den Prüfungsraum. Alle Glieder tun mir weh, mir ist schwindelig und ein paar Sekunden lang habe ich das schreckliche Gefühl, dass ich mich übergeben muss, doch mit dem nächsten Atemzug vergeht die Übelkeit. Neben mir hebt sich mit einem Surren Kenos Maske. Seine Lider sind geschlossen.

Florentine ist schon wach.

»Hey«, sage ich leise.

»Hey.« Ihr Gesicht ist ein bleiches Oval, die gefalteten Hände drückt sie auf ihre Brust, als müsse sie ihren Arkanit beschützen. Rasch gucke ich auf meinen eigenen Stein. Erste Zone, Glück gehabt. Trotzdem habe ich das Gefühl, dass die Prüfung alles andere als gut gelaufen ist. Wieder schaue ich zu Keno. Diesmal schaut er zurück.

Kann ein Blick ruhig und zugleich durchbohrend sein? Seiner ist es.

Auf einmal erwacht der Prüfungsraum zum Leben, Leute stürmen herein, angeführt von der Direktorin, ein Mann löst Kenos Gurte und hilft ihm, sich aufzusetzen. Das Stimmengewirr schwillt an.

Kenos Arkanit ist nicht mehr grau; nicht nur. Ein hauchzarter goldener Fleck schwebt darin.

Zweite Zone. Unmöglich. Sein Traum war schlimm und ich habe ihn schlimmer gemacht, habe ihn nicht positiv, sondern negativ verändert.

Sein Arkanit sagt etwas anderes.

Eine Hand legt sich auf meine Schulter. »Wie geht es dir?«, fragt Gathea sanft.

»G-gut«, stammele ich.

»Was ist mit dir?«, wendet sie sich an Keno.

Er legt den Kopf schief, als würde er über ihre Frage nachdenken. »Ich bin okay.«

»Gathea?«, flüstert der Mann, der Keno vorhin hereingeführt hat. »Das andere Mädchen. Florentine.«

Florentines Hände sind in ihren Schoß gesunken, ihr Arkanit liegt offen auf ihrer Brust. Durch das Gold schlängelt sich ein Gewirr aus grauen Fäden.

Sie ist in die Zweite Zone abgerutscht.

Weitere Stimmen, schriller jetzt und in allen Sprachen. Menschen scharen sich um uns, Gathea reicht Florentine ein Glas mit einer gelben Flüssigkeit und legt ihr eine Hand auf die Schulter. »Wie fühlst du dich?«

»Mir geht’s gut«, nuschelt Florentine. Ihre Stimme klingt brüchig.

O Gott, was habe ich getan – Florentine angetan? Ich wollte doch nur das schwarze Zeug loswerden! Meine Hände legen sich auf meine Brust und schieben sich unter meinen Arkanit. Dort ist es nicht mehr kalt, nur normal warm, doch der Anblick von Florentine lässt mich frieren.

Nachdem sie ihr Glas geleert hat, hilft ihr eine Mitarbeiterin beim Aufstehen und schiebt sie durch eine Seitentür hinaus. Es tut weh, ihr nachzuschauen. Als würde sich mein Blick an ihr schneiden.

Gathea mustert mich nachdenklich, dann flüstert sie einem Mitarbeiter etwas zu. Hat sie gesehen, was passiert ist? Nein, kann nicht sein, sie war ja gar nicht an Kenos Traum angeschlossen, also hat sie auch keine Bilder empfangen. Aber die Art, wie die beiden zu mir herüberschauen, lässt mich in meinen Sessel hineinschrumpfen. Was habe ich mit Florentine angestellt, was wissen sie? Und wenn ich die Prüfung vergeigt habe – was wird aus meinem Vater?

Die Tür fliegt mit einem Knall auf und eine Frau stürmt herein. Silberblonde Haare bis zu den Hüften, blasse Lippen, die Ähnlichkeit ist unverkennbar. Es ist Beatrix Swann – Florentines Mutter.

»Was ist hier los?« Ihr Blick schießt von mir zu Keno und wieder zu mir.

Gathea tritt auf sie zu und legt ihr besänftigend eine Hand auf die Schulter. »Bea …«

»Es ist wie damals.« Beatrix Swann schiebt ihre Hand weg. »Wie bei Finn.«

»Unsinn. Finn war krank.«

»Dann ist sie auch krank!«

»Würdest du dich bitte beruhigen? Gemma hat uns eine mustergültige Modulation geliefert. Wie aus dem Lehrbuch. Schau sie dir an. Vollkommen ruhig, absolut klar im Kopf. Keine Spur von einem Zusammenbruch.«

Die Augen von Beatrix Swann schillern silbrig und kalt. Gathea schiebt sie so vorsichtig in Richtung Tür, als könnte sie jederzeit explodieren. »Du solltest jetzt an deine Arbeit zurückkehren.«

Über die Schulter wirft mir Beatrix Swann einen letzten Blick zu. Obwohl sie schweigt, höre ich jedes einzelne Wort: Was hast du mit meiner Tochter getan?

Ich weiß es nicht. Dieses schwarze Zeug, ich wollte das nicht, ich wollte es wirklich nicht!

Nur nützt das Florentine nicht mehr viel.

Mit steifen Schritten verlässt Beatrix Swann den Raum. Gathea kehrt zu mir zurück, doch ich wende mich leicht von ihr weg, voller Angst, sie könnte meine Schuld sehen. Als ich kurz die Augen schließe, schwebt hinter meinen Lidern der Glanz. Er verblasst jetzt schnell, mein Vorrat ist nahezu erschöpft, der Arkanit auf meiner Brust wird bereits schwer und scheint durch meinen Brustkorb nach innen zu sinken. Du spürst deinen Stein erst, wenn du auf dem Weg in eine tiefere Zone bist.

DIP, Inneres Programm – nutzlos an dieser Stelle. Nur mein Geheimnis kann mir noch helfen.

Ich öffne die Augen wieder, stehe aus meinem Sessel auf, recke mich, auch wenn sich meine Arme kaum heben wollen, lächele entspannt und frage Gathea nach den Toiletten. Sie deutet auf die Tür, hinter der Florentine verschwunden ist. »Den grünen Pfeilen nach. Am besten, du gehst danach gleich in den Vorbereitungsraum. Der Weg ist ausgeschildert.«

Ihre Stimme klingt freundlich, doch ihre Worte wirken auf mich wie ein Guss kaltes Wasser. Das Lächeln rutscht mir aus dem Gesicht. »Soll ich denn niemanden mehr als Observerin begleiten?«

»Das hat sich erledigt.«

Scheint so, als sei sie in den letzten Minuten doch in Zweifel darüber geraten, ob die mustergültige Modulation, die ich hingelegt habe, wirklich so mustergültig war.

»Dann bin ich … durchgefallen?«

»Die Ergebnisse verkünden wir in zwei Stunden.«

Ich bin durchgefallen. Das spüre ich.

In der Tür drehe ich mich noch einmal um. Die lagunenfarbenen Augen sind unverwandt auf mich gerichtet. Zum ersten Mal verstehe ich die Bedeutung des Wortes Blickkontakt. Kenos Blick packt mich und hält mich fest, schlingt eine Fessel um mich, die ich nicht mehr durchschneiden kann. Er sieht mich an, als hätte er durch den Traum mehr über mich erfahren als ich über ihn – und ich weiß nicht einmal, was es sein könnte.

Gemma. Sei glücklich oder stirb

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