Читать книгу Gemma. Sei glücklich oder stirb - Charlotte Richter - Страница 15
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Zwei Gestalten beugen sich zu mir herunter. Xaviers Lächeln wirkt angespannt, während Beatrix Swann höchst zufrieden scheint.
Als hätte sie gemerkt, dass ich meinen Traum mit einem Trick verändert habe.
Behutsam löst Xavier die Drähte von meiner Schläfe. Beatrix Swann verschränkt die Arme vor der Brust. »Für manche Studenten ist es eben doch zu viel. Du siehst erschöpft aus. Möchtest du etwas trinken?«
»Danke, kein Bedarf.« Ich richte mich auf. »Wo sind die anderen?«
»Oh, sie sind längst wieder im Unterrichtsraum«, lässt sie mich mit Flötenstimme wissen. »Wir warten nur noch auf dich.«
»Was war denn los, Gemma?« Die Schatten des abgedunkelten Raumes tauchen Xaviers Gesicht in eine silbrige Dunkelheit. »Du hast deinen Traum in null Komma nichts umgemodelt, die Schnellste von allen, perfekte Werte – und dann bist du irgendwie hängen geblieben.«
Okay. Von meinem Geheimnis haben sie anscheinend nichts mitbekommen, immerhin ein Punkt für mich.
»Muss ich das Offensichtliche erklären?« Beatrix Swann seufzt lange und tief anhaltend. »Sie hat ihre Kräfte verbraucht, während sie ihren Traum verändert hat. Darum konnte sie sich nicht wecken. Wir müssen das im Auge behalten, Xavier. Sie könnte mit der Modulation grundsätzlich überfordert sein. Was ihr Studium ernsthaft gefährden würde.«
»Ich bin nicht überfordert«, sage ich fest. »Mir geht’s gut.«
»Ich denke, Gemma hat eine akzeptable Leistung abgeliefert«, sagt Xavier kühl zu Beatrix Swann.
»Und ich denke, wir sollten nicht von jedem Studenten automatisch annehmen, dass er sich für die Laufbahn eines Protektors eignet, nur weil er die Prüfung besteht«, gibt sie noch kühler zurück. Gerade weil sie mich nicht anschaut, habe ich das Gefühl, dass sie mich unverwandt anstarrt. Als wüsste sie, was ich geträumt habe. Doch das kann nicht sein, sie war ja nicht einmal als Observerin an den Traum angeschlossen.
Ahnt sie also doch etwas von meinem Geheimnis? Aber wie sollte sie?
Hier geht es um etwas anderes. Sie gibt mir die Schuld, dass Florentine durchgefallen ist.
Womit sie ja nicht ganz unrecht hat.
Zurück im Unterrichtsraum quetscht mich Xavier gehörig über meinen Traum aus. Auch Tilda und Larissa lehnen sich mir neugierig entgegen. Auf keinen Fall werde ich ihnen von meinem Vater, seinen Vorwürfen, dem entsetzlichen Gefühl meiner Schuld erzählen – oder wie ich es geschafft habe, meinen Traum zu verändern.
Auch von Keno werde ich nicht sprechen.
»Ich hab am Himmelsee gesessen. Das ist ein See bei uns in der Gegend.«
»Und was ist dort passiert?«, fragt Xavier behutsam.
»Da war ein Ungeheuer«, improvisiere ich. »Ein, äh, Seeungeheuer. Mit Zähnen. Und Saugnäpfen. Ich konnte es in einen Vogel verwandeln. Eine Krähe. Das sind meine Lieblingsvögel. Ich hab wohl zu lange zugeschaut, wie sie über den See geflogen ist. Sie war so … schön«, schließe ich lahm.
»Aha«, sagt Beatrix Swann und meine Geschichte kommt mir noch dämlicher vor. Ihr Blick, die Stille zwischen uns. Mein Herz klopft, als würde ein kleiner Vogel von innen gegen meinen Brustkorb picken.
Keine weiteren Fragen.
Als die Reihe an Tilda kommt, sagt sie unumwunden das, was ich nicht herausgebracht habe: Sie will ihren Traum für sich behalten. Xavier nickt, kein Problem. Er schaut auf seine Uhr. »Noch ein Wort zum Schluss. Im ersten Semester müsst ihr euch dem sogenannten Härtetest stellen. Das bedeutet, wir schicken euch in den Traum einer Testperson aus der Fünften Zone.« Gezischel, Getuschel, er hebt eine Hand. »Diesen Traum sollt ihr natürlich nicht modulieren. Einem Fünfer kann niemand mehr helfen. Aber ihr sollt den Traum eines Fünfers erleben. Es ist der letzte Test für die Stabilität eurer Zone.«
»Und wann?« Larissas Augenbrauen sind zwei schreckhaft hochgewölbte Bögen.
Xavier steht jetzt direkt hinter Tilda. Er streckt eine Hand aus, als wollte er ihr Haar berühren, hält inne und lässt die Hand wieder sinken. »Sobald eine unserer Testpersonen in die Fünfte Zone eintritt. In der Regel passiert das alle paar Wochen. Haltet euch also bereit.«