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Seeungeheuer an der Kirchendecke
ОглавлениеWährend Baudri de Bourgueil eine imaginäre mappa mundi beschreibt, die den Schlosszimmerboden einer Gräfin ziert, hat die Kirche St. Martin im Schweizer Ort Zillis eine solche Darstellung des Weltbildes ganz real als Deckenschmuck. Die rechteckige Kirchendecke aus der Mitte des zwölften Jahrhunderts besteht aus 153 bemalten Tafeln mit Szenen aus der Bibel und dem Leben des Hl. Martin.61 Auf jedem der vier Eckfelder befindet sich ein Engel mit zwei Trompeten, offensichtlich nach der Vision des Hl. Johannes: »Vier Engel standen an den vier Ecken der Erde« (Offenbarung, 7,1). Ferner sind alle Randfelder, die quasi den Rahmen der Komposition bilden, sicher deshalb mit maritimen Motiven versehen, weil sie den die Erde umfließenden Weltenozean repräsentieren,62 sodass die Decke zwar keine Weltkarte im heutigen Sinn verkörpert, aber eine, die wie die Beatuskarte von Saint Sever des späten elften Jahrhunderts (siehe oben) als Bühne für das Aufführen christlicher Geschichte fungiert, um ein Bild der Welt darzustellen.63 Die Bildtafeln des Randozeans sind reichlich mit Seeungeheuern bestückt, darunter Sirenen und etliche Mischwesen wie Wolfsfisch, Ziegenfisch, Hahnfisch, Löwenfisch, Pferdefisch, Elefantenfisch und so weiter (siehe Abb. 13 und 14), die den mittelalterlichen Glauben widerspiegeln, dass jedes Landtier sein Gegenstück im Meer hat, wie schon besprochen. Hier zeigen die Seeungeheuer sicherlich an, dass der Weltenrand voller Gefahren und fabulöser Bedrohungen ist, wie auch die Reihe der menschenähnlichen Monstren am Südrand Afrikas auf der Londoner Psalterkarte (dreizehntes Jahrhundert, um 1260), dem »Duchy of Cornwall«-Fragment, der Ebstorf-Weltkarte (spätes dreizehntes Jahrhundert), der Hereford-Karte (ca. 1290–1310) und der mappa mundi, die eine Handschrift des späten vierzehnten Jahrhunderts von Ranulf Higdens Polychronicon illustriert.64 Darüber hinaus verweisen die Ungeheuer an der Kirchendecke in Zillis auf die Vielfalt und Fülle der göttlichen Schöpfung.65
Abb. 13 Ein Wasser-Einhorn mit Fischschwanz auf einer Tafel der aus dem zwölften Jahrhundert stammenden Bilderdecke in der Kirche St. Martin in Zillis, Schweiz.
Abb. 14 Dieser See-Elefant, der auch ein Walross sein könnte, ist ebenfalls auf der gemalten Bilderdecke in der Kirche St. Martin in Zillis, Schweiz.
Zu dieser Weltkarte in der Kirche von St. Martin lassen sich Parallelen finden. So gibt es in der Felsenkirche von San Pedro de Rocas in Ourense, Spanien, die Kopie einer Beatuskarte als – inzwischen sehr verblasstes – Wandgemälde aus dem zwölften Jahrhundert;66 es gibt Reste eines aus der Kirche San Salvatore in Turin stammenden Mosaiks mit Weltkarte und dem Rad der Fortuna, die sich jetzt im Palazzo Madama, ebenfalls Turin, befinden;67 auch die nun verlorenen Wandmalereien aus dem zwölften Jahrhundert in der Kirche von Saint-Silvain in Chalivoy-Milon, Frankreich, enthielten eine riesige Weltkarte;68 und es scheint, dass die Hereford-Karte aus dem dreizehnten Jahrhundert seit kurz nach ihrer Erstellung in der Kathedrale zu Hereford ausgestellt war.69 In all diesen Fällen liegt der Gedanke nahe, dass die Karten einerseits wegen ihres lehrreichen historischen Inhalts dargeboten wurden,70 andererseits als »Bücher der Natur« (mit der Vorstellung, dass die invisibilia Dei durch Betrachtung der visibilia der Schöpfung erkennbar werden),71 aber es ist schwierig, weitere Aussagen über ihre Funktion in den Kirchen zu machen.72