Читать книгу Seeungeheuer und Monsterfische - Chet Duzer - Страница 7

Einleitung

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Im Mittelalter und in der Renaissance erschienen die auf den europäischen Karten dargestellten Seeungeheuer dem Betrachter als echte Gefahr. Heute zählen sie nur noch zu den ansprechenden Elementen der alten Karten – ob sie nun kraftstrotzend schwimmen, mit den Wellen tanzen, Schiffe angreifen oder einfach durch ihr Aussehen unsere Bewunderung hervorrufen. Kurioserweise wurde dieses Thema kaum untersucht.1 Ein Grund für diese Vernachlässigung ist vielleicht die Schwierigkeit, zwischen den auf mittelalterlichen Karten dargestellten Ungeheuern Beziehungen und Abhängigkeiten zu entdecken (in der Renaissance-Kartographie ist die Situation anders). Das liegt zweifellos auch daran, dass nur ein kleiner Prozentsatz des ursprünglichen Bestands an mittelalterlichen Karten erhalten ist und zudem die abgebildeten Seeungeheuer oft aus anderen Quellen stammen als aus dem Text, den die jeweilige Karte erläutert. Das trifft selbst auf die Karten einer einzelnen kartographischen Familie zu wie die der mappae mundi aus den illustrierten Handschriften des Kommentars zur Apokalypse, den Beatus von Liébana (ca. 730–ca. 800) verfasst hat. Zwischen den Seeungeheuern gibt es von Karte zu Karte nur eine geringe oder gar keine Verbindung.

Dennoch ist die Schwierigkeit, eine lineare Entwicklung der auf den Karten abgebildeten Seeungeheuer zu erkennen, kein Grund sie zu ignorieren. Das Thema ist nicht nur für die Geschichte der Kartographie, der Kunst und der Tierdarstellung von Bedeutung, sondern auch für die Geschichte einer »Geographie der Sagen- und Mythenwelt« und der westlichen Vorstellungen vom Ozean. Zudem verschaffen uns die dargestellten Untiere bedeutende Erkenntnisse über die Quellen, künstlerischen Einflüsse und Methoden der Kartographen, von denen sie gezeichnet oder gemalt wurden. In diesem Buch werde ich die wichtigsten Beispiele für Seeungeheuer auf den in Europa erstellten Karten analysieren, beginnend mit den frühesten mappae mundi, auf denen sie im zehnten Jahrhundert erstmals erscheinen, und fortgesetzt bis zum Ende des sechzehnten Jahrhunderts. Ich versuche, sie so gut wie möglich zu identifizieren, und führe ähnliche Beispiele aus anderen mittelalterlichen Karten sowie zeitgenössischen zoologischen Werken an. Ein Ergebnis dieser Studie ist, dass Kartographen häufig die zuletzt angefertigten Arbeiten über Seeungeheuer als Quelle für ihre eigenen Karten-Monster verwendeten.

Aber was ist ein Seeungeheuer? Das Wort »Ungeheuer« ist bekanntlich schwer zu definieren und folglich sind auch einige der Begriffsbestimmungen von mittelalterlichen Autoren widersprüchlich. Während viele sowohl antike als auch mittelalterliche Autoren einschließlich Marcus Cornelius Fronto (ca. 100–170), Pierre Bersuire (Petrus Berchorius, ca. 1290–1362) und Sir John Mandeville (Jehan de Mandeville, fl. ca. 1360) Ungeheuer als irgendwie contra naturam oder »gegen die Natur«2 betrachten, ist ein Ungeheuer für Augustinus (354–430) und Isidor von Sevilla (ca. 560–636) Teil des göttlichen Planes, eine Zierde des Universums, die auch über die Gefahren der Sünde belehren kann.3 Der im dreizehnten Jahrhundert schreibende Autor und Theologe Thomas von Cantimpré widmet in seiner Enzyklopädie Über die Natur der Dinge (De natura rerum) den Seeungeheuern (De monstris marinis, Buch 6) und den Fischen in Meeren und Flüssen (De piscibus marinis sive fluvialibus, Buch 7) unterschiedliche Bücher.4 Zu Beginn des sechsten Buches nennt er Seltenheit und Größe als zwei Unterscheidungsmerkmale von Seeungeheuern, ordnet dann aber einige Tiere in die Kategorie Fisch ein, die wir mit Sicherheit als selten betrachten würden – wie etwa den lepus marinus oder Seehasen. Man muss aber bedenken, dass eine Reihe von großen oder so gut wie nie gesehenen Meerestieren, wie etwa Wale und Walrosse, die für uns heute keine Ungeheuer sind, im Mittelalter und in der Renaissance für solche gehalten wurden. Für die Zwecke dieses Buches wird ein Seeungeheuer definiert werden als ein Wassertier, das man in antiken, mittelalterlichen und Renaissance-Zeiten als erstaunlich und exotisch empfand (ungeachtet ob es ein wirkliches oder ein mythisches Wesen war).


Abb. 1 Ein mythisches Seemonster, halb Löwe, halb Mensch, auf dem Neptun-Mosaik im Eingangssaal der Thermen des Neptun in ostia Antica (zweites Jahrhundert n. chr.).

Viele der Seeungeheuer, die auf mittelalterlichen Karten erscheinen, sind Mischwesen wie der Seehund, der Seelöwe und das Seeschwein. Die Quelle für viele dieser Kreaturen war die antike und mittelalterliche Theorie, dass jedes Landtier sein Gegenstück im Meer hat. Diese Theorie wird explizit formuliert von Plinius dem Älteren (23–79) in seiner Naturgeschichte, wo er schreibt vera ut fiat vulgi opinio, quicquid nascatur in parte naturae ulla, et in mari esse (»so dass die gewöhnliche Meinung stimmen mag, dass alles was in irgendeinem Teil der Natur entsteht, auch im Meer vorkommt«).5 Einige römische Mosaike spiegeln diese Theorie, indem sie Mischwesen wie Seewidder, Seelöwen, Seepferde usw. zeigen (Abb. 1).6 Der Gedanke wird wiederholt durch Isidor von Sevilla in seiner Etymologiae und durch Gervasius von Tilbury (ca. 1150–ca. 1228) in seinen Otia imperialia (»Kaiserlichen Mußestunden«): nullam in nostra habitatione terrena repertam cuiusuis animantis effigiem cuius similitudinem non liceat in piscibus occeani Britannici ab umbilico superius speculari, »Es gibt keine Form eines bei uns auf dem Land lebenden Tieres, dessen Ähnlichkeit vom Nabel aufwärts nicht in den Fischen des britischen Ozeans beobachtet werden kann«.7 Diese Theorie, die ein fruchtbarer Generator von Seemonstern war, fand noch Anhänger bis ins sechzehnte Jahrhundert.8


Die Meeresungeheuer, die in diesem Buch besprochen werden, erscheinen auf mittelalterlichen Karten, die sich in zwei Hauptgruppen gliedern lassen. Die erste Gruppe bilden die mappae mundi: handgezeichnete oder handgemalte Weltkarten, die einen hilfreichen Überblick geben, um sich eine Vorstellung von der Geographie der Erde zu verschaffen, aber zum Reisen oder Navigieren nicht zu gebrauchen sind. Sie zeigen die Welt meist als kreisförmiges Land umgeben von Meer. Viele sind klein und schematisch, andere aber größer und enthalten Bilder und Texte über ferne Völker und exotische Wesen. Die zweite Gruppe bilden handschriftliche Seekarten, auch Portolankarten genannt. Sie waren ursprünglich praktische Navigationsinstrumente, mit sorgfältig gezeichneten Küstenlinien und eingetragenen Küstenorten, aber mit wenig oder gar keinen Details vom Landesinneren. Allerdings boten Kartographen auch mehr ausgearbeitete Versionen an, mit Texten und gemalten Bildern von Fürsten, Städten und Lebewesen. Diese Luxuskarten wurden nicht zur Navigation an Bord verwendet, sondern von Königen und Adligen gesammelt und zur Schau gestellt. Wir werden uns auch mit einer mittelalterlichen Karte befassen, die zu keiner dieser beiden Kategorien gehört: eine gezeichnete Karte des Hafens von Brindisi in Italien. Sowohl die Welt- als auch die Seekarten aus den Handschriften hatten Nachfolger, die mit Hilfe der Druckpresse erstellt wurden, aber die bessere Funktionalität und höhere Genauigkeit der nautischen Kartentradition war viel beliebter, und dank der neuen Drucktechnik kamen Welt- und Regionalkarten schneller und weniger teuer in Umlauf.

Es muss betont werden, dass die meisten mittelalterlichen Seekarten keine Seeungeheuer zeigen, weil dieses dekorative Element optional war, und wenn der Kunde, der die Karte in Auftrag gegeben hatte, nicht für Seeungeheuer bezahlte, dann erhielt er auch keine. Die Gründe für ihr Fehlen auf den meisten mappae mundi sind komplizierter, denn diese illustrieren in der Mehrzahl Handschriften von Werken wie Sallusts De bello jugurthino, Isidors Etymologiae oder Gautier de Metz‘ L‘image du monde (geschrieben ca. 1245). Sie sind daher klein und schematisch und haben einfach keinen Platz für Seeungeheuer oder überhaupt für dekorative Elemente wie etwa Stadtbilder. Aber andere Fälle sind weniger klar. Die meisten Beatus-Karten, die groß und ausgeschmückt sind, enthalten zumindest ein paar Meerestiere, andere wiederum keine, und wir wissen nicht warum. Es gibt Sonderausführungen von großen Karten, bei denen wir Seeungeheuer erwarten würden, aber keine finden und auch keinen Hinweis für den Grund haben, denn wir wissen weder, warum oder für wen sie gemacht wurden, noch wie (oder gar ob) für sie bezahlt wurde. Zum Beispiel hat eine detaillierte, 46 × 34 cm große mappa mundi aus dem späten vierzehnten Jahrhundert, die das Polychronicon von Ranulf Higden illustriert, zahlreiche Legenden über Landungeheuer, aber kein einziges Bild oder Legende über ein Seeungeheuer.9 Dasselbe trifft zu für die große Weltkarte des Andreas Walsperger von 1448 (42,5 cm im Durchmesser)10 und für die Borgia-Karte aus der Mitte des fünfzehnten Jahrhunderts (63 cm im Durchmesser).11 Die Karten von Jean Rotz in seinem Boke of Idrography, das er 1542 Heinrich VIII. überreicht hat12, zeigen auf dem Festland aufwendige Illustrationen, aber keine Bilder oder Texte, die sich auf Seeungeheuer beziehen. Ich kenne nur eine einzige große und detaillierte mappa mundi, für die der Kartograph wohl einen Grund für den gänzlichen Verzicht auf Seeungeheuer angibt: Fra Mauro betont in mehreren Legenden auf seiner berühmten Karte von ca. 1450, die wir später erörtern, seine Skepsis, die er in Bezug auf Fabelwesen hegt. In anderen Fällen mag ihr Fehlen der Vorliebe des Kartographen, den Vertragsbedingungen, dem Zeitdruck, der Tatsache, dass die als Vorlage benutzte Karte keine Seeungeheuer enthielt, oder anderen Faktoren zuzuschreiben sein: Wir wissen es einfach nicht.

Die Veränderung der Produktionstechnik von handschriftlichen zu gedruckten Karten, die im späten fünfzehnten Jahrhundert begann, änderte auch die Beweggründe der Kartographen, Seeungeheuer in ihre Karten aufzunehmen.13 Natürlich konnten sowohl handschriftliche wie auch gedruckte Karten Seemonster enthalten, um die Bildung des Kartographen unter Beweis zu stellen, doch bei Ersteren waren sie meist (so fern wir wissen) Teil des Auftrags oder des Vertrags, bei Letzteren ein (dekoratives oder wissenschaftliches) Element, das dem mehr oder weniger erfolgreichen Verkauf von Kartenkopien gezollt war. Das heißt, der Preis für die Seeungeheuer wurde nicht länger vorher festgelegt (im Auftrag), sondern vorauskalkuliert (für den Verkauf). Trotzdem, und unabhängig von finanziellen Überlegungen, finden sie sich nur auf einigen gedruckten Karten und auf anderen nicht. Manchmal macht es den Eindruck, dass der Geschmack des Kartographen in dieser Beziehung wechselt: Die aus zwölf Teilen bestehende gedruckte Weltkarte von Martin Waldseemüller aus dem Jahr 1507 hat mehrere Legenden, die Seeungeheuer beschreiben, aber keine bildlichen Darstellungen. Umgekehrt enthält seine zwölfblättrige Carta marina von 1516 keine solche Legenden, dafür zwei abgebildete Seemonster: ein Walross, das einem Elefanten ähnlich sieht, und eine Meereskreatur, auf der König Manuel von Portugal (1469–1521) vor der Südspitze Afrikas reitet. Kurz gesagt, obwohl wir in vielen Fällen die Gründe für das Vorhandensein oder das Fehlen von Seeungeheuern auf Mittelalter- und Renaissance-Karten nicht kennen, sind sie besondere Schmuckelemente und lassen in der Regel jene Karten, auf denen sie erscheinen, reicher, kostbarer und aufwendiger wirken.

Ich möchte behaupten, dass Seeungeheuer auf Karten im Wesentlichen zwei Funktionen haben. Erstens dienen sie als bildliche Darstellung von Literatur über Seemonster, als Hinweise für Seefahrer auf mögliche Gefahren – wie auch als Bezugspunkte für die Geographie der Sagen- und Mythenwelt. Zweitens können sie als dekorative Elemente die Weltdarstellung bereichern, indem sie zwar allgemein auf die Gefährlichkeit des Meeres, aber an erster Stelle auf seine Belebtheit und die Mannigfaltigkeit der Erdengeschöpfe aufmerksam machen, wie auch auf die künstlerischen Fähigkeiten des Kartographen. Natürlich sind diese zwei Hauptrollen austauschbar und Seeungeheuer können beide zugleich spielen. Es ist sogar sehr spannend zu sehen, wie unterschiedlich Kartographen diese Rollen auf ihre Seeungeheuer verteilen. So sind sie auf vielen der mittelalterlichen Beatus-Karten in erster Linie Schmuckelemente, und nur einige wenige gehen auf naturgeschichtliche Texte zurück. Drei der vier Seeungeheuer im Indischen Ozean befinden sich nur deshalb auf der sogenannten Genueser Weltkarte von 1457, weil schriftliche oder mündliche Überlieferungen sie dort ansiedelten. In den Madrider Handschriften des Ptolemäus zur Geographie, die um das Jahr 1460 datiert werden, sind sie dagegen pure Dekoration und wurden willkürlich platziert, obwohl sie allem Anschein nach ikonographisch auf die Ungeheuer in einem Bestiarium oder einem illustrierten Lexikon zurückgehen. Andere spezifische Gesichtspunkte in Bezug auf ihre Funktion werden an Ort und Stelle erörtert – etwa der Gedankengang, dass die zahlreichen Monster im Europäischen Nordmeer auf der Skandinavien-Karte des Olaus Magnus von 1539 dazu bestimmt waren, die Fischer anderer Länder abzuschrecken, damit der üppige Fang skandinavischen Fischern vorbehalten bleibt.


Der Philosoph, Theologe und Astronom Nikolaus von Kues (15. Jahrhundert) zog einen Vergleich zwischen dem Kartographen und Gott: Wie Gott die Welt erschuf, erschafft der Kartograph ein Bild der Welt.14 Diese Analogie lässt sich erweitern, wenn wir dem Glauben des Heiligen Augustinus und anderer Denker (siehe Anm. 3) folgen, dass auch die Vielfalt der Ungeheuer zur Schönheit von Gottes Schöpfung beiträgt: Genau wie von Gott geglaubt wurde, dass er die Ungeheuer geschaffen hat, um die Welt zu schmücken und die Vielgestaltigkeit seiner Werke zu bekunden, schmückte auch der Kartograph sein Bild der Welt mit ihnen – ob er nun wissenschaftliche Informationen festhalten, einem Mäzen gefallen, die Vielfalt der Lebewesen in der Welt sichtbar machen, mit seinem Talent protzen oder die Karte zum Verkauf von Kopien attraktiver gestalten wollte.

In der Renaissance sind die Seeungeheuer auf Karten Spiegel und Ausdruck für das damals vorherrschende und weithin gesteigerte Interesse an Wundern und bizarren Erscheinungen.15 Es gibt eine sehr aufschlussreiche Stelle zu diesem Thema in Paolo Cortesis De cardinalatu, einer 1510 veröffentlichten Abhandlung über das für Kardinäle angemessene Verhalten.16 Als er die geeignete Dekoration für einen Kardinalspalast beschreibt, sagt er, dass in Gemälden von technischen Geräten die Abbildung umso gelehrter erscheinen wird, je diffiziler das darin zum Ausdruck gebrachte mathematische Prinzip ist. Außerdem wird sich der Gebildete über eine Darstellung der Welt oder eine Karte der neuesten geographischen Entdeckungen freuen. Er setzt fort17:

Dasselbe gilt für Bilder, die die außergewöhnliche Beschaffenheit mancher Lebewesen zeigen. Bei ihnen verdient sorgfältige Beobachtung umso mehr Anerkennung, je weniger bekannt die in den Bildern dargestellte Art ist. Lobenswert sind also solche Zeichnungen von Kuriositäten und Fabeln, die dem Intellekt scharfsinnige Deutungen erlauben und die durch gelehrte Darstellung den Geist bilden.

Das heißt, je exotischer das abgebildete Lebewesen, desto besser, und das Studium sowohl der Karten als auch der Bilder solcher Wesen sollte den Intellekt schärfen und lehrreich sein. Folglich dürften Karten mit Seeungeheuern für den Betrachter ein noch reichhaltigeres intellektuelles Erlebnis gewesen sein.18

Eine subtile und bislang noch nicht angesprochene Wirkung von Seeungeheuern auf Karten ist das Machtgefühl, das dem Zuschauer vermittelt wird: Der Kartograph zeigt an der Wasseroberfläche Wesen, die normalerweise in den Tiefen verborgen sind. Er lässt den Zuschauer also an einer privilegierten und übernatürlichen Sicht der Welt teilhaben. Die Ungeheuer stehen für die Offenbarung verborgener Erkenntnis und transportieren etwas vom Wunder des Psalm 104, 25–26 (GNB): »Da ist das weite, unermessliche Meer, darin wimmelt es von Lebewesen, von großen und kleinen Tieren. Schiffe ziehen dort ihre Bahn und die gefährlichen Meerungeheuer – du hast sie geschaffen, um damit zu spielen.«

Die Beziehung zwischen den Seeungeheuern und den jeweiligen Kulturen, die sie erschaffen, ist nie einfach. Auf der einen Seite sind Ungeheuer zerstörerische Feinde der Gesellschaft; auf der anderen Seite können literarische und künstlerische Werke mit diesen zum Wichtigsten gehören, was die Kultur hervorbringt. Das heißt, während die Monster auf der Erzähl- oder Darstellungsebene die Gesellschaft bedrohen, sind sie in der wirklichen Welt Teil der Kultur und nutzen der Gesellschaft. Bei Seeungeheuern auf Karten ist die Art der Beziehung eine andere: sie sind weniger eine Bedrohung für die ganze Gesellschaft als vielmehr für die Forschungsunternehmungen und die Kartographie. Denn allein die Tatsache, dass sich Seeungeheuer auf den Karten befinden, muss zumindest bis zu einem gewissen Grad genau jene Forschung entmutigen, die zur Verbesserung der Karten notwendig wäre. Das gilt umso mehr, als die Monster oft in nur wenig bekannten Gebieten angesiedelt sind, also gerade in jenen Arealen, deren Erkundung der Kartenherstellung am meisten nutzen würde. Aber zugleich sind die Seeungeheuer auch die besten Freunde des Kartographen, weil sie ihm als dekorative Elemente helfen, neue Aufträge zu sichern oder den Kartenverkauf zu steigern und damit Brot auf den Tisch zu bringen.


Abb. 2 Ein Meermann auf dem kartenähnlichen assyrischen »Frieze of the Transportation of Timber«, dem Fries des Holztransports, (achtes Jahrhundert v. Chr.) aus dem Palast von König Sargon II. in Khorsabad, Nordirak (Louvre, AO 19889–19899).

Seeungeheuer und Monsterfische

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