Читать книгу Seeungeheuer und Monsterfische - Chet Duzer - Страница 17
Zwei monumentale Mittelalterkarten und kaum Seeungeheuer
ОглавлениеDie Ebstorf- und die Hereford-Weltkarte zählen zu den wichtigsten und größten mappae mundi, die der Forschung heute noch zur Verfügung stehen. Beide wurden als Einzelexemplar erstellt, nicht als Bestandteil anderer Werke, allerdings ist über die Ziele ihrer Schöpfer oder die Bedingungen, unter denen sie in Auftrag gegeben wurden, fast nichts bekannt. Angesichts der Größe und Detailgenauigkeit dieser Karten könnten wir erwarten, dass beide in ihrem allumfließenden Ozean eine Fülle von Lebewesen zeigen, doch dies ist nicht der Fall. Die im späten dreizehnten Jahrhundert in einer bemerkenswerten Größe von 3,6 × 3,6 m erstellte Ebstorfer mappa mundi wurde im Zweiten Weltkrieg zerstört, konnte aber dank erhalten gebliebener Reproduktionen wieder angefertigt und zur Betrachtung ausgestellt werden.83 Sie zeigt im östlichen Teil des Randozeans ein paar Fische und nordöstlich des Paradieses eine riesige Seeschlange, die einen Hirsch verschlingt (Abb. 19). Diese Seeschlange geht auf Honorius Augustodunensis zurück, der in seinem Werk Imago mundi 1,12 riesige Schlangen in Indien erwähnt, die Hirsche fressen und über den Ozean schwimmen können.84 Es gibt auch einen Bildtext zwischen drei Inseln im Persischen Golf mit dem Wortlaut Tres insule, in quibus ydri marini vicinorum cubitorum existunt, was bedeutet: »Drei Insel, auf denen es zwanzig Ellen lange Seeschlangen gibt«85, aber keine Darstellung der Schlangen.
Die vermutlich zwischen 1290 und 1310 geschaffene Hereford mappa mundi ist die größte vollständig erhaltene mittelalterliche Karte (158 × 133 cm) und ständig in der Kathedrale zu Hereford ausgestellt (Abb. 20). Neben der ins Auge springenden Abbildung einer Sirene im Mittelmeer, zeigt sie auch zwei Fische, einen Schwertfisch (dessen »Schwert« nicht vorne aus dem Maul ragt, sondern auf seiner Flanke liegend dargestellt ist), eine Seeschlange sowie die beiden Ungeheuer Suilla (Skylla) und Caribdis (Charybdis), die Homers Odyssee entstammen (Abb. 21).86 Skylla (lat. scylla) ist als Kopf abgebildet und Charybdis in einer Schneckenform, die wohl durch die Windungen einen Strudel andeuten soll. Es gibt auf der Hereford-Karte im allumfließenden Ozean nur zwei mehr oder weniger hundsköpfige und Wasser speiende Seekreaturen, beide als Svilla, also Skylla bezeichnet, je eine im Süden und Norden Großbritanniens, die offensichtlich Strudel darstellen und vor auf den dort auftretenden Strömungen warnen.87 Zudem enthält die Karte noch einen Texthinweis auf leider nicht bildlich dargestellte Seeungeheuer im Randozean, wo in der Beschriftung zu einer Insel im Südpolarmeer steht Hic Sirenae abundant, das heißt »Hier gibt es viele Sirenen«.88
Abb. 19 Im nordöstlichen Quadranten der Ebstorf mappa mundi (ca. 1235) ist eine Riesenschlange abgebildet, die im Ozean schwimmt und einen Hirsch verschlingt (Kloster Ebstorf).
Auf beiden Karten spielt der ringförmige, als schmales Band dargestellte Weltenozean eine untergeordnete Rolle, während sich die reiche Bebilderung, darunter eine Vielzahl exotischer Tiere und Monster, auf die Landfläche konzentriert.89 Insofern steht das hier gebotene Kartenbild der mappae mundi im krassen Gegensatz zu dem der Beatuskarten, die viele Meeres- aber keine Landtiere zeigen. Doch diese grafische Unterordnung des Ozeans stimmt genau mit anderen Aspekten der Karten überein. Im Fall der Ebstorf-Karte fungiert die Erde visuell als Leib Christi und folglich liegt es auf der Hand, dass der sie umgebende Ozean dabei an Bedeutung verliert. Und die auf der Hereford-Karte rings um die Erde platzierten Buchstaben M-O-R-S (für »Tod«) sollen auf die Vergänglichkeit der Menschen und Dinge hinweisen, sodass auch hier verständlich wird, wie nebensächlich der Ozean im Vergleich zur Vermittlung der heilsgeschichtlichen Information ist.90
Abb. 20 die von der Folio Society aufbereitete Reproduktion der zwischen 1290–1310 geschaffenen und geosteten (Osten oben) Hereford-Karte (Hereford. the Hereford Mappa Mundi trust).
Abb. 21 Eine Sirene, ein Schwertfisch, Skylla und Charybdis im Mittelmeer auf der von der Folio Society aufbereiteten Reproduktion der Hereford-Karte von ca. 1290–1310 (Hereford. The Hereford Mappa Mundi Trust).
Abb. 22 Ein Schwertfisch, ein Wal und wahrscheinlich ein Killerwal auf der um etwa 1400 erstellten Gough-Karte von Britannien (Oxford, Bodleian Library, MS Gough Gen. Top. 16).