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Die Tiere des Kaisers

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In einem kurzen Essay aus dem Jahr 1952 erwähnt der argentinische Schriftsteller Jorge Luis Borges eine taxonomische Ordnung, die er einer alten chinesischen Enzyklopädie mit dem Titel Himmlischer Warenschatz wohltätiger Erkenntnisse zuschreibt:

Auf ihren weit zurückliegenden Blättern steht geschrieben, dass die Tiere sich wie folgt gruppieren: (a) Tiere, die dem Kaiser gehören, (b) einbalsamierte Tiere, (c) gezähmte, (d) Milchschweine, (e) Sirenen, (f) Fabeltiere, (g) streunende Hunde, (h) die in diese Einteilung aufgenommene, (i) die sich wie toll gebärden, (j) die unzählbar sind, (k) die mit einem ganz feinen Pinsel aus Kamelhaar gezeichnet sind, (l) und so weiter, (m) die den Wasserkrug zerbrochen haben, (n) die von weitem wie Fliegen aussehen.

Mit seinem bekannten Sinn für das Absurde trifft Borges hier dennoch einen wichtigen Punkt. Die Ordnung und Struktur der Welt hängt zum großen Teil von unseren Konzepten und Kategorien ab. Wir ordnen die Dinge mittels der Sprache, und die Sprache lässt uns einen weiten Spielraum. Die Cheyenne-Indianer Nordamerikas zum Beispiel kennen den Gattungsbegriff vovetas, der Verschiedenes bedeuten kann: Geier oder ganz allgemein Raubvogel, aber auch Libelle, und sogar Tornado oder Wirbelwind. Was verbindet diese so verschiedenen Entitäten? Geier, Libellen und Tornados gehören für die Cheyenne zusammen, weil sie sich wie Spiralen in der Luft fortbewegen. Die Cheyenne ordnen die Dinge in der Welt also aufgrund ihrer Fortbewegungsweise.

Theoretisch sind unendlich viele Klassifikationen möglich. Man kann Tiere zum Beispiel nur in zwei Gruppen einteilen, in solche, die fliegen und in solche, die nicht fliegen. Zur ersten Gruppe gehörten dann Krähen, Fledermäuse oder Wespen, zur zweiten Schildkröten, Elefanten und Regenwürmer. Man könnte sie auch nach Farbe, Größe oder Kuschelfaktor ordnen. Eine solche Einteilung ist natürlich sehr beliebig und subjektiv. Eine Klassifizierung der Lebewesen müsste zumindest ihr Verwandtschaftsverhältnis berücksichtigen. Aber auch das ist nicht ganz unproblematisch. Manche Lebewesen, die sich sehr ähneln, haben nichts miteinander gemeinsam. So bestehen zwischen dem Wolf und dem im 20. Jahrhundert ausgestorbenen Beutelwolf Tasmaniens verblüffende Übereinstimmungen, obwohl sich ihre Entwicklungslinien schon vor mehr als hundert Millionen Jahren getrennt haben. Der Wolf ist ein Plazenta-Säugetier, während der Beutelwolf zu den Marsupialia gehört. Andererseits können zwei im Aussehen sehr unterschiedliche Lebewesen – zum Beispiel Dänische Dogge und Dackel – zur selben Art gehören, nämlich zu Canis familiaris, das heißt, sie können sich kreuzen und – mit einer gewissen Akrobatik – gesunde und fruchtbare Nachkommen hervorbringen.

Kurzum, die Klassifizierung der Lebewesen ist nicht so einfach, wie sie auf den ersten Blick scheinen mag. Heute lässt sich mithilfe molekularbiologischer Analysen die Verwandtschaft der Organismen leichter klären. Doch das heißt nicht, dass die Taxonomie eine moderne Forschungsdisziplin ist. Im Gegenteil, das Studium der Ordnung der Natur geht mindestens bis auf Aristoteles zurück, der die ihm bekannten Tierarten nach morphologischen und anatomischen Merkmalen ordnete. Der griechische Philosoph war sich bewusst, dass jede Systematisierung bestimmte Kriterien voraussetzt. So unterschied er etwa zwischen eierlegenden und lebendgebärenden Arten, was ihn zu der richtigen Erkenntnis führte, dass Delfine nicht zu den Fischen gehören. Doch die wichtigsten Fortschritte auf dem Gebiet der Taxonomie sollten noch zweitausend Jahre auf sich warten lassen.

Erst im 18. Jahrhundert machte die biologische Systematik einen großen Schritt vorwärts. Der schwedische Naturforscher Carl von Linné brachte Ordnung in das Chaos, indem er zuallererst eine hierarchische Gliederung aufstellte. Er führte konsequent die binominale (zweinamige) lateinische Bezeichnung durch, die auch heute noch gebräuchlich ist. Jedem Lebewesen wird ein Gattungsname, zum Beispiel Homo, und ein Artname zugewiesen, zum Beispiel sapiens. Organismen, die zur selben Gattung bzw. zum selben Geschlecht (Genus) gehören, haben den selben generischen Namen. (Beide Namen werden kursiv geschrieben, der Gattungsname groß, der Artname klein.) Die Gattung Homo umfasst etwa neben Homo sapiens die Arten H. erectus und H. habilis (wenn die Bezeichnung eindeutig ist, kann der Gattungsname auch abgekürzt werden).


Abb. 3.1: Die Taxonomie des Menschen, der Taufliege und der Eiche

Linné kannte außer der Art und der Gattung noch weitere übergeordnete Kategorien im hierachischen System wie Ordnung, Klasse und Reich. Arten sind einer Gattung untergeordnet, Gattungen einer Ordnung, Ordnungen einer Klasse und Klassen schließlich einem Reich. Linné unterschied wie schon Aristoteles nur zwischen zwei Reichen, nämlich Pflanzen (Plantae) und Tieren (Animalia). Spätere Forscher, wie der deutsche Biologe Ernst Haeckel, fügten im Laufe der Zeit noch drei weitere hinzu: Fungi (Schimmelpilze, Hefen, Pilze), Protista (einzellige Eukaryoten) und Monera (Prokaryoten). Die beiden letzten Kategorien stammen aus dem 20. Jahrhundert, als man entdeckte, dass es einen fundamentalen Unterschied gibt zwischen einzelligen Organismen mit Zellkern (Nukleus) oder Eukaryoten (griechisch eu = gut; karyon = Kern) und solchen ohne Zellkern oder Prokaryoten („vor dem Kern“). Zu den Prokaryoten gehören unter anderem die Bakterien und die Cyanobakterien (Blaualgen), die frühesten Lebensformen auf der Erde. In Linnés Hierarchie gibt es noch weitere Kategorien, etwa Familie und Stamm. Demzufolge kann jedes Reich in verschiedene Stämme, Klassen, Ordnungen, Familien, Gattungen und Arten unterteilt werden. Abbildung 3.1 zeigt als Beispiel die Taxonomie dreier Arten.

Die hierarchische Klassifizierung der Lebewesen, die Linné einführte und die in den vergangenen zweihundert Jahren verfeinert wurde, ist noch heute international gebräuchlich. Und noch immer finden interessante Entwicklungen statt. So wurde dem „Reich“ eine weitere Rangstufe vorangestellt, die man als Domäne bezeichnet. Nach Auffassung mancher Biologen kann man alle Lebewesen drei Domänen zuordnen: Archeabacteria („alte“ prokaryotische Bakterien), Eubacteria („moderne“ prokaryotische Bakterien) und die Eukaryota (alle eukaryotischen Organismen, das heißt Schleimpilze, Pilze, Pflanzen und Tiere, einschließlich des Menschen). Diese neue Einteilung beruht zum großen Teil auf molekularbiologischen Untersuchungen. Auf der Ebene der Zelle sind nämlich die Unterschiede zwischen den Archeabacteria und den Eubacteria größer als zwischen diesen beiden und den Eukaryota.

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