Читать книгу Falkenrache - Chris Svartbeck - Страница 11
Experimente
ОглавлениеEs gab jetzt nur noch einen einzigen erwachsenen männlichen Nahne im Palast: ihren Bruder. Und der hatte gerade anderes zu tun, als seine kleine Schwester zu kontrollieren. Akiana begann vorsichtig damit, weitere Zauber aktiv auszuüben.
Am brauchbarsten war der Tarnzauber. Zuerst testete sie ihn im Sommerharem. Die Gespräche ihrer Tanten und Halbgeschwister zu belauschen war genauso langweilig, wie sich direkt mit ihnen zu unterhalten. Aber niemand entdeckte sie, selbst wenn sie kaum eine Armlänge entfernt stand. Lediglich zwei ihrer Tanten schienen etwas zu spüren und sahen sich suchend um.
Beim nächsten Mal schlich Akiana sich in den Palast. Eigentlich wollte sie ja den Kronrat belauschen. Gerade noch rechtzeitig erkannte sie ihren Fehler. Dem Thronrat gehörten ja auch Zauberer der Kristallkammer an. Ihren Bruder mochte sie mit etwas Glück noch täuschen können, diese Männer nicht. Die würden ihre Tarnung umgehend auffliegen lassen.
Stattdessen spazierte sie durch die Quartiere der adeligen Gäste, der Mitglieder des Thronrates und ihrer Söhne. Während ihre Väter über Politik debattierten, vertrieben die jungen Männer sich mit genau den gleichen Dingen die Zeit, die ihre Brüder immer geliebt hatten. Kleine Pferderennen, Geschicklichkeitsspiele, Übungskämpfe und natürlich Wetten aller Art.
In dem großen Übungshof hinter der Kaserne erregten laute, vergnügte Stimmen ihre Aufmerksamkeit. Ein halbes Dutzend junger Adeliger demonstrierte dort gerade ihre Geschicklichkeit im Bogenschießen. Unter ihnen eine breitschultrige Gestalt in einem weiß-blauen Wappenrock. Unverkennbar der Schwan der Vuhon-Grafen. Das musste Dakane sein, der Freund, von dem ihr Bruder Ajitaka ihr erzählt hatte. Der, von dem er mal halb im Scherz gesagt hatte, dass er vielleicht Akianas Ehegatte werden könne.
Dakane war gerade an der Reihe. Er war ein guter Schütze. Die Pfeile, die er einen nach dem anderen verschoss, landeten fast alle im schwarzen Zentrum der Scheibe.
Mit gerunzelter Stirn setzte er den Bogen ab. „Das ist zu einfach. Wir brauchen ein anspruchsvolleres Ziel. Am besten eines, das sich bewegt. Holt uns Hunde.“
„Aber nur solche, die nicht in der königlichen Meute sind, sonst gibt’s Ärger“, fügte einer der anderen hinzu. „Welche von denen draußen.“
Zwei Sklaven rannten davon. Geraume Zeit später kamen sie zurück, einen Korb mit mehreren gefesselten, jaulenden Hunden zwischen sich.
Der erste freigelassene Hund bewegte sich kaum. Verängstigt stand er auf dem Platz, den Schwanz zwischen die Hinterläufe geklemmt. Dakane schoss fast achtlos. Der Hund war sofort tot.
„Ich hoffe, ihr habt auch welche dabei, die laufen können.“ Seine Stimme klang ruhig, aber Akiana sah, wie die Sklaven zusammenzuckten.
Den nächsten Hund ließen sie nicht einfach frei, sondern warfen ihn im hohen Bogen auf den sandigen Platz. Der Hund traf am Boden auf, überschlug sich, kam wieder auf die Läufe und versucht, von den Menschen fortzurennen. Dakane wartete, bis der Hund fast am Ende des Übungsplatzes angekommen war, bevor er seinen Befehl gab. Fünf Pfeile trafen den Hund. Drei davon tödlich. Und natürlich gehörte einer dieser drei Pfeile Dakane. Akiana wandte den Blick ab, als die Aura des Hundes erlosch.
„Immer noch langweilig“, befand Dakane. „Die haben ja überhaupt keine Ahnung, was Pfeile bedeuten. Wir brauchen eine bessere Herausforderung.“ Das maliziöse Lächeln, das diese Worte begleitete, ließ Akiana zusammenzucken.
„Ihr da! Macht den Hunden Beine, oder ihr seid die nächsten Ziele!“
Die beiden Sklaven wurden aschfahl. Mit zitternden Händen griff der Ältere einen weiteren Hund aus dem Korb und löste seine Fesseln. Kurz verständigte er sich mit dem anderen Sklaven, dann ließen sie den Hund los. Beide Männer liefen sofort hinterher. Der Hund, eingedenk früherer schlechter Erfahrungen mit Menschen, winselte, sprang zur Seite und versuchte, seinen Verfolgern zu entkommen.
„Das sieht schon besser aus“, sagte Dakane. „Ich kriege den ersten Schuss. Wenn ich treffe, kann ich weiter schießen. Wenn ich verfehle, ist der nächste dran. Und jeder, der einen meiner Sklaven trifft, schuldet mir ein Silberstück.“
Dakanes erster Schuss ratschte über den Rücken des Tieres. Der Hund jaulte auf, stolperte, fing sich wieder und rannte weiter. Der zweite Schuss sauste haarscharf am Ohr des jüngeren Sklaven vorbei, zwei Mannslängen entfernt von dem Hund. Die Aura des Mannes wechselte zu jenem Graurot, das von Todesangst kündete. Akiana begriff. Die wahre Herausforderung war nicht der Hund, sondern der Sklave. Die Männer wollten herausfinden, wer am dichtesten an dem Mann vorbeischießen konnte.
Was die Sklaven natürlich nicht wussten. Ebenso wie der Hund rannten sie jetzt um ihr Leben, schlugen Haken und versuchten gleichzeitig, das Tier in Bewegung zu halten, wie Dakane es ihnen befohlen hatte. Jeder der Schützen kam mit zwei Pfeilen zum Zuge, einen auf den Hund, einen in Richtung der Sklaven, alles in schneller Reihenfolge, denn die Männer warteten bereits mit gespanntem Bogen auf ihren Einsatz.
Jetzt war Dakane wieder an der Reihe. Er hob den Bogen und schoss. Der Hund überschlug sich lautlos und blieb liegen. Der ältere Sklave schrie auf, als der zweite Pfeil seine Hand traf.
„Mist“, sagte Dakane mit breitem Grinsen. „Jetzt muss ich mir selbst ein Silberstück zahlen.“ Seine Stimme wurde wieder lauter. „Der nächste Hund!“
Akiana hatte genug gesehen. Dakane war jung und sah gut aus, ja, aber er war grausam und genoss die Angst anderer. Wenn ihr Bruder wirklich vorhatte, sie an diesen Mann zu vergeben, dann war es nur eine Frage der Zeit, bis Dakane sich irgendwann gegen sie wenden würde. Unwahrscheinlich, dass sie dann nicht auf ihre Zauberkräfte zurückgreifen würde. Danach wären sie beide tot. Dakane, weil sein Zaubererblut zu schwach war, um gegen sie zu bestehen. Und sie, weil ihr Bruder, sobald er von ihrer Aufsässigkeit hörte, sie umgehend in einen Spiegel wandeln würde.
Vielleicht wäre es besser gewesen, ihr Vater hätte sie noch vor dem Feldzug einem der älteren Adeligen als Gattin gegeben.