Читать книгу Falkenrache - Chris Svartbeck - Страница 12
Ein Entschluss
Оглавление„Wirst du es versuchen?“
Na-Ochone warf seinem Cousin einen spöttischen Blick zu. „Was denkst du denn? Natürlich werde ich es versuchen. In dieser lausigen Wüstenfestung will ich jedenfalls nicht alt werden. Oder hast du etwa Lust, den Rest deines Lebens Skorpione zu erschlagen und den Wüstenkriegern lästig zu fallen?“
„Wir könnten sie ja auch einfach mal angreifen.“
„Hat schon mein Vater vergeblich versucht. Und mein Großvater. Und mein Urgroßvater. Und so weiter. Die Wüstenratten sind so wenig zu fassen wie die Trugbilder, die die Wüstenwinde herantragen.“
„Und jetzt meinst du, in der Hauptstadt kannst du es weiterbringen?“
„Zumindest sind dort mehr Frauen.“
Chatchio grinste. „Ist ja klar, dass du nur an Frauen denkst. Du solltest heiraten, dann legt sich das.“
„Pah!“ Na-Ochones Spucke landete einen halben Finger neben der einsamen Fliege, die an der Mauer saß.
„Hast auch schon besser gezielt!“
„Und du hattest besser argumentiert. Heiraten? Hier? Wen denn? Eine Bäuerin wie die, die dein Bett wärmt? Wenn ich meinen Nachkommen nicht ganz gewaltig Ärger machen will, brauche ich eine Adelige, das weißt du so gut wie ich. Und es sind einfach keine hier. Niemand will seine Tochter in diese götterverlassene Grenzfestung an einen völlig unbedeutenden Wappenträger verheiraten.“
„Und du meinst, das ändert sich, nur weil du einen Besuch in der Hauptstadt machst? Wenn überhaupt, bist du dort noch unbedeutender als hier.“
„Aber ich könnte die Aufmerksamkeit des Königs erringen.“
Chatchio wandte den Kopf ab und sah betont gleichgültig über die Mauerzinne. „Wenn ich mich richtig entsinne, hat der gleiche Versuch bei deinem Vater damit geendet, dass besagter König ihn rausschmiss und ihm für den Rest seines Lebens verbot, die Hauptstadt je wieder zu betreten. Na ja, immerhin hat er auf dem Rückweg noch eine halbwegs passable Frau auftreiben können.“
„Was ihn die Einnahmen von drei Regenzeiten gekostet hat.“
„Könnte dich noch mehr kosten, so, wie du aussiehst. Ich wette, deine Nase ist doppelt so groß wie die deines Vaters. Du bist hässlich.“
„Das nimmst du zurück!“
„Warum? Ich habe nur die Wahrheit gesagt!“
Er duckte sich gerade noch rechtzeitig weg, sodass Na-Ochones Faust ihn nur streifte. Im nächsten Moment rollten die beiden Cousins katzbalgend durch den Wüstenstaub, der die Turmplattform ebenso stetig bedeckte wie alles, was die Wüstenfestung enthielt.
Der alte Soldat, der auf dem zweiten Wachturm stand, schmunzelte. Junge Männer! Zu viel Kraft und zu wenig Verstand. Es war immer das Gleiche mit den jungen Leuten.
Aber zumindest war der junge Herr noch nicht so gebrochen, wie sein Vater es nach der Rückkehr aus der Hauptstadt gewesen war. Der junge Herr konnte noch lachen. Der alte Soldat schickte ein Stoßgebet zu den Göttern, dass es so bleiben möge. Im selben Moment heulte der Wind spöttisch auf.
Eigentlich war es nur ein Tagtraum von ihm gewesen. Aber jetzt, wo er es seinem Cousin gegenüber ausgesprochen hatte ... Der Gedanke an die Hauptstadt ließ Na-Ochone nicht mehr los. Und wenn es ihm so ging wie seinem Vater? Was hatten die Nahne eigentlich gegen die Mehme-Sippe, dass sie ständig so auf ihnen herumhacken mussten? Das konnte doch unmöglich noch mit dieser uralten Sache zu tun haben. Oder hatten die auch so ein bescheuertes Ritual wie die Mehme?
Na-Ochone konnte sich noch gut an den Tag erinnern, als er volljährig wurde, vor Stolz darüber fast platzend, wie es nur ein Vierzehnjähriger konnte. Sein Vater hatte ihn nach dem Ritual in der kleinen Tempelkapelle in seinen Arbeitsraum zitiert. Ein Raum, der noch hässlicher war als der Rest der Festung, wenn das überhaupt möglich war. Kahle graue Wände, davor lange Regale mit den Aufzeichnungen für das königliche Archiv und die Steuer. Aufzeichnungen, die seit mehr als sieben Generationen niemand mehr abberufen hatte. Kein Bild, kein Teppich, keine Feuerpfanne, nur ein schlichter hölzerner Schreibtisch mit einem ebenso schlichten hölzernen Stuhl vor dem Fenster.
Sein Vater hatte ihm die Geschichte seines Urahns Tiko erzählt, zum ersten, aber keineswegs zum letzten Mal. Immer wieder hatte er sie hören müssen. Schikanen, Demütigungen und jene letzte Zurschaustellung, als der König den Mehme wegnahm, was sie in den Grenzbergen so mühsam als prosperierendes Lehen aufgebaut hatten. Die Anordnung jenes neuen Wappens mit dem Falken, das ihnen bei jedem Anblick ihrer Banner noch einmal unter die Nase rieb, wie sehr sie versagt hatten. „Schwöre!“, hatte sein Vater finster gesagt. „Schwöre bei deiner Ehre und dem Blut deiner Familie, dass du alles daransetzen wirst, diese Schmach zu tilgen!“
Er hatte geschworen, auch wenn es ihm absolut schleierhaft war, wie er diesen Schwur jemals halten sollte.
Sein Vater hatte diese Sache jedes Jahr wiederholt, solange er lebte. Er hatte geschworen, jedes Jahr. Und sich mit jeder verstreichenden Regenzeit mehr gefragt, was dieser ganze Schwachsinn sollte. Nach so vielen Generationen hätte dieser Zwist längst begraben sein müssen.
Als sein Vater dann am Biss einer Lanzenotter starb und diese blöde Zeremonie damit endgültig aufhörte, nahm Na-Ochone sich jedenfalls vor, eine andere Lösung zu finden. Bloß, dass er keine Idee hatte, welche. Sein Vater musste beim König ziemlich viel verbrannte Erde hinterlassen haben, so vollkommen, wie seine Verbannung zurück an den Rand der Wüste gewesen war.
Na-Ochone lag mit offenen Augen auf seinem Nachtlager, starrte durch das glaslose Fenster hinaus in die sternengleißende Wüstennacht und träumte von sanften, anschmiegsamen, antilopenäugigen Frauen inmitten einer großen Stadt.
Die Schicksalsmächte schienen seinen Wunsch vernommen zu haben. Kein halbes Jahr später erreichten Gerüchte die Festung, dass der König tot sei. Achtzehn Tage später folgte der offizielle Bote. Sein Bericht klang verdächtig vage. Soweit Na-Ochone es sich aus den allgemeinen Gerüchten und den wenigen Brocken der offiziellen Informationen zusammenreimte, hatte der König sich auf einem Feldzug gegen die Nordländer im magischen Zweikampf gegen einen Schamanen derart verausgabt, dass seine restliche Lebensenergie wenige Tage später erlosch. Sein ältester legitimer Sohn Ajitaka war wenige Tage nach der Einäscherung in einer pompösen Zeremonie der neue Herrscher Karapaks geworden.
Ein neuer Herrscher!
Das war die Gelegenheit. Ajitaka war kaum älter als er selbst, und er hatte seinen Vater niemals getroffen. Wenn es überhaupt eine Chance gab, den ganzen alten Rachequatsch zu begraben und auf einer vernünftigen Basis neu zu beginnen, dann jetzt. Na-Ochone war bereit zum Aufbruch.
Natürlich kam sein Cousin mit. „Ich kann dich doch nicht alleine lassen! Du würdest nur Unfug anstellen und kein Fettnäpfchen auslassen“, spottete er.
„Hey, ich brauche keinen Aufpasser!“ Na-Ochone verzog das Gesicht. „Falls du es noch nicht gemerkt hast, ich bin seit acht Jahren erwachsen!“
„Merkt man bloß nichts davon. Vermutlich hat die Wüstenluft deine Eingeweide so sehr ausgetrocknet, dass deine Volljährigkeit dein Denken noch nicht erreichen konnten. Ich glaube, sie sitzt immer noch zwischen deinen Beinen und wartet darauf, eine Chance zu kriegen, auch in dein Gehirn zu kriechen.“
Chatchio bückte sich lachend, als das fadenscheinige Kissen durch die Luft flog. Es traf hinter ihm auf die Wand, zerplatzte und gab eine Wolke halbzerfallener Federn frei.