Читать книгу Falkenrache - Chris Svartbeck - Страница 9
Der Gegner im Norden
ОглавлениеWährend des langen Ritts nach Norden war die Stimmung gedrückt. Kämpfe gegen die Nordmänner bedeuteten regelmäßig starke Verluste. Ajitakas Brüder waren schweigsam, und wenn sie doch einmal sprachen, dann schroff und abweisend. Die Chancen, dass sie von diesem Feldzug nicht zurückkehren würden, waren mehr als groß. Seit in der Bevölkerung kaum noch starke magische Talente geboren wurden, waren die Könige Karapaks dazu übergegangen, Reserven für ihre Kampfspiegel unter ihren eigenen Kindern zu suchen. Ajitaka war sich verdammt sicher, dass sein Vater diese Reserve nutzen würde. Die Aura des Königs zeigte nur zu deutlich, wie wenig Kraft ihm noch verblieben war.
Allerdings war er selbst jetzt noch bedeutend stärker als fast alle seine Söhne. Ajitaka war sich nicht einmal sicher, dass er selbst genug Magie besaß, um im Fall der Fälle gegen seinen Vater zu bestehen.
Es war kalt hier im Norden. Die Soldaten froren, die Offiziere froren, die Königssöhne froren. Der König fror nicht, der trug ein mit Magie aufgeladenes Gewand, das ihm angenehme Wärme spendete.
Auf der Höhe der Grauen Schluchten begann es zu regnen. Regen in der Trockenzeit? Ajitaka war mehr als schockiert. War die Kälte vorher lästig gewesen war, wurde sie jetzt mehr als unangenehm. Durch die nasse Kleidung drang die Kälte noch leichter. Nach der ersten Nacht in einem kalten Zelt auf noch kälterem Boden schuf Ajitaka aus einem herumstreunenden Dorfhund einen Seelenspiegel und sorgte dafür, dass er einen magischen Schutzschuld bekam, der den Regen ab- und die Kälte fernhielt. Sein Vater gab keinen Kommentar dazu. Er lächelte nur spöttisch.
Drei Tage machten sie in eine Befestigung am Grenzfluss Halt. Auch wenn mehr als die Hälfte der Gebäude beim letzten Überfall zerstört worden war, hatten sie hier doch wenigstens ein notdürftiges Dach über dem Kopf und eine warme Küche.
Am vierten Tag klarte der Himmel auf. Der König gab Befehl zum Aufbruch.
Der Wind war weiterhin kalt, doch die Sonne schien. Und weit und breit kein Zipfel von den Nordmännern zu sehen. Die Laune der Soldaten hob sich.
Die des Königs wurde immer schlechter.
Am späten Vormittag des elften Tages öffnete sich die hügelige Landschaft zu einer weiten grünen Ebene. Der König befahl anzuhalten. Mit gerunzelter Stirn betrachtete er das Gelände. „Wo immer die Nordmänner sind, dort sind sie ganz offensichtlich nicht. Irgendetwas stimmt hier nicht. Schlagt das Lager auf. Mit extra Palisaden und vierfachen Wachen.“
Die Soldaten tauschen beunruhigte Blicke. Die Söhne des Königs warteten stoisch, bis ihr Vater sie zu sich in das königliche Zelt rief.
Er musterte sie finster. „Es ist völlig unmöglich, dass die Nordmänner unser Eindringen in ihr Land nicht bemerkt haben. Sie beobachten uns, das spüre ich. Vermutlich wollen sie uns eine Falle stellen. Oder sie haben es bereits getan, und wir haben es nicht bemerkt.“ Er legte einen Spiegel vor sich auf den Klapptisch. Einen Arbeitsspiegel von ungefähr Handgröße. Ein Wink seiner Hand. „Sahotep!“
Der jüngste seiner anwesenden Söhne trat mit unsicheren Schritten an den Tisch. „Hast du schon einmal mit einem Spiegel spioniert?“ Der junge Mann bejahte mit einer zittrigen Geste.
„Weißt du, wie man mit einem Spiegel Energiesignaturen findet?“
„Onkel Toleke hat uns darin unterrichtet.“
Der König deutete auf den Arbeitsspiegel. „Ich habe vorhin einen Fährtensucher ausgeschickt. Versuch über den Spiegel, seinen Standort zu finden.“
Mit sichtlicher Erleichterung nahm Sahotep den Spiegel auf und aktivierte ihn. Es dauerte ungefähr zwanzig Herzschläge, bis er ihn vorsichtig wieder auf den Tisch sinken ließ. „Der Fährtensucher ist im Südwesten, ungefähr zweitausend Pferdelängen entfernt.“
„Offenbar war Toleke doch zu etwas nütze.“ Der König griff nach dem Spiegel. Und berührte damit seinen Sohn.
Sahotep war so überrascht, dass er nicht einmal aufschrie, als der Spiegel ihn aufsog.
„Ihr anderen könnt gehen. Alle, außer Ajitaka.“
Er wartete, bis er mit seinem ältesten Sohn alleine im Zelt war. „Was denkst du, warum ich das getan habe?“
„Weil es einfacher ist, einen Spiegel etwas ausführen zu lassen, was er bereits kennt.“
Einen Moment sah der König fast zufrieden aus. „Richtig. Ich werde versuchen, mit diesem Spiegel die Nordmänner zu finden. Deine Aufgabe wird es sein, dafür zu sorgen, dass ich nicht gestört werden.“
Ajitaka ging wortlos an den Eingang des Zeltes und stellte sich davor. Hinter ihm war es zunächst ruhig. Dann hörte er den Atem seines Vaters, hörte ihn nach und nach lauter werden, dann ein Keuchen und Klirren.
„Nichts“, hörte er ihn schließlich sagen. Vorsichtig drehte er sich wieder um. Der Spiegel war nur noch ein formloser Metallklumpen, sein Vater sah müde und um Jahre gealtert aus. „Da draußen ist etwas, aber es versteckt sich hinter einer magischen Barriere. Beim nächsten Versuch brauche ich einen stärkeren Spiegel.“
Der nächste Versuch kostete zwei weitere seiner Söhne. Aber der König fand, was er gesucht hatte. Nur zu spät. Noch während er in seinem Zelt versuchte, wieder zu Atem zu kommen, griffen die Nordmänner an. Es war, als ob der Boden sie ausspie. Wilde Gestalten, mit Erde beschmiert, mit Moos und Zweigen bedeckt, darunter fast nackt, in jeder Hand Schwert oder Axt. Sie sprangen über die Palisaden, hieben und stachen um sich und flohen so rasch in das Gestrüpp zurück, wie sie gekommen waren.
Dann war es gespenstisch ruhig, bis auf das Jammern der Verwundeten.
Die Bestandsaufnahme war mehr als düster. Gut ein Zehntel der Männer war tot oder kampfunfähig. Und nur zwei der Nordmänner waren auf der Strecke geblieben.
In der Nacht flogen Brandpfeile. Lediglich das königliche Zelt, durch Zauber geschützt, blieb unversehrt. Die Verwundeten verbrannten in ihren Zelten. Ajitaka schauderte bei ihren Schreien. Sein Vater schien es nicht einmal zu hören.
Und im ersten Morgengrauen griffen die Nordmänner ein zweites Mal an, nur um sich ebenso schnell wie beim ersten Mal zurückzuziehen. Dieses Mal allerdings erwarteten sie kampfbereite Soldaten, und auch die Nordmänner hatten Verluste. Trotzdem gab es zu viele neue Tote.
Nolokata sah seine Männer sterben. Er tat, was jeder gute Feldherr tun würde. Er suchte seinen Vater, den König, auf. „Wir hatten diese Nacht schon wieder hohe Verluste.“
„Und du glaubst, das hätte ich nicht bemerkt?“
Nolokata bewahrte Haltung. Lediglich seine Augenlider flatterten leicht. „Ihr habt mich zum obersten Feldherrn ernannt, königlicher Vater. Damit bin ich zuständig für die Truppen, die ich anführe. Die Nordmänner kennen das Land und jedes noch so kleine Versteck. Wir nicht. Ihr Angriff hat unsere Zelte verbrannt. Das bedeutet, wir brauchen offene Feuer für Wärme und Essen. Damit sind wir die perfekten Zielscheiben. Und wenn wir das nicht sein wollen, sind wir hungrig und frieren. So oder so, es ist schlecht für die Moral. Mal abgesehen davon, dass wir sowieso bald hungern werden, wenn wir hier bleiben. Das Feuer hat nämlich auch über die Hälfte unserer Proviantkarren vernichtet. Wenn wir in dieser Stellung verbleiben, werden wir alle sterben.“
„Wenn wir den Rückzug antreten, vermutlich auch. Oder glaubst du, die Nordmänner würden uns einfach so ziehen lassen?“
„Sie haben uns mit Feuer angegriffen“, warf Ajitaka ein. „Wir könnten ihnen dieses Feuer zurückgeben. Über einen Spiegel. Ich glaube kaum, dass sie dagegen etwas ausrichten könnten. Sie sind schließlich nur Magielose.“
„Die Männer, die uns angegriffen haben, ja. Aber was glaubst du, wer sie zuvor mit seinem Zauber geschützt hat? Da draußen wartet ein Schamane!“
Nach kurzem Überlegen entschied sich auch der König für Rückzug.
Bis zum späten Nachmittag lief alles einigermaßen gut. Dann setzte der Regen wieder ein. Und mit dem Regen kamen die Nordmänner zurück.
Angriffe in kleinen Gruppen, mal hier, mal dort, tausend Nadelstiche, jeder für sich alleine unbedeutend. Aber alle zusammen forderten sie ihren Blutzoll. Ein Dutzend Männer starb am ersten Tag. Sieben Männer am zweiten. Zweiundvierzig, als sie am dritten Tag durch eine kleine Schlucht mussten. Und die Randberge waren noch nicht einmal erreicht.
An diesem Abend ließ der König seine Söhne erneut antreten. Schwer stützten sich seine beiden Fäuste auf den Tisch, links und rechts von einem auffällig großen Spiegel, während er die vier verbliebenen jungen Männer finster musterte.
„Wenn das so weitergeht, kehrt nicht einmal die Hälfte der Truppe heim. Wir müssen die Nordmänner angreifen, gründlich genug, dass sie uns danach in Ruhe lassen. Aber dieser verdammte Schamane schützt sie nach wie vor mit seinem Tarnzauber. Also werde ich mich darum kümmern müssen.“
Ajitaka schluckte. Der Größe nach musste der Spiegel bereits ein Seelenspiegel sein. Doch er musste nicht nachdenken, um zu wissen, dass sein Vater diesen Spiegel mit noch mehr Seelen auffüllen wollte. Schließlich hatte zuvor bereits der Spiegel, den zwei seiner Brüder gebildet hatten, keinen Erfolg gebracht.
„Nolokata! Du sorgst dafür, dass deine Männer mit dem ersten Sonnenstrahl angriffsbereit sind. Sobald du dann die Nordmänner siehst, zeigst du ihnen, was karapakische Schwerter vermögen.“
Nolotaka salutierte und sah zu, dass er so schnell wie möglich aus dem Zelt wieder herauskam. Manchmal hatte es Vorteile, nur geringe Spuren von Magie zu besitzen.
Ajitaka spürte, wie ihm trotz der Kälte der Schweiß auf die Stirn trat. Was, wenn sein Vater beschlossen hatte, alle drei magiestarken Söhne in seinen Seelenspiegel einzubinden?
Der König hob den Spiegel. „Zwei Seelen sind bereits darin“, stellte er wie beiläufig fest.
Platz genug für drei weitere Seelen. In Ajitakas Ohren rauschte das Blut so laut, dass er kaum hörte, was sein Vater weiter sagte.
Der jüngere seiner Brüder trat mit gesenktem Kopf an den Tisch. Zwei Herzschläge später hatte der Spiegel ihn aufgesogen. Der zweite folgte.
Ajitaka erwiderte den Blick seines Vaters, auch wenn er am liebsten weggelaufen wäre. Der König lächelte maliziös. „Du bleibst. Noch. Dich brauche ich als Verstärkung, wenn sich der Spiegel zu schnell leert.“
Die Nacht wurde lang. Ajitaka wartete. Der König wartete. Das ganze Lager wartete. Kampfbereit, aufbruchsbereit.
Als das erste ferne Grau am Horizont den kommenden Tag ankündete, griff der König zu seinem Spiegel und aktivierte ihn. Ajitaka fühlte die Macht des Zaubers, die über ihn hinwegbrandete, einen Teil von ihm mitriss und sich in das ganze Umland ausbreitete. Der König suchte seinen Gegner. Drei Seelen, vereint in einem Spiegel, und darüber die Signatur des Königs, mächtig, drohend, schwer. Ajitaka fühlte, wie unsichtbare Fühler vorwärts krochen, jeden Busch, jeden Baum, jeden Felsen abtasteten.
Der Schamane blieb verborgen.
Fast hätte er es ebenfalls nicht gesehen. Es war blanker Zufall, dass der Teil von Ajitaka, der im väterlichen Energiestrahl schwamm, sich umdrehte, versuchte, zurückzukommen in seinen Körper, und dabei den Schatten gewahrte. Die Auren der Soldaten, die das Lager deutlich kennzeichnete, die in kleinen Gruppen in der Umgebung verstreuten Auren der Nordmänner, deren Standorte Ajitaka jetzt mühelos erkennen konnte, die schwachen, aber noch immer sichtbaren Energien der Bäume der restlichen Vegetation, durchsetzt mit den kleinen Funken der Tiere, die sich darin verbargen, und dann diese eine Stelle, an der nichts war. Überhaupt nichts.
Ein starkes Tarnfeld. Der Schamane!
In dem Moment, in dem Ajitaka es dachte, erreichte die Information auch seinen Vater. Mit dem mentalen Äquivalent eines Fluches wandte der König den Fluss der Energien zurück, ließ sie gegen die Dunkelheit anbranden.
Ajitaka hätte hinterher nicht zu sagen gewusst, was da genau geschehen war. Alles, was er spürte, war die Wucht, mit der die beiden feindlichen Energien aufeinander prallten. Die Auren flammten auf, wogten wie sturmgepeitschte Gewitterwolken. Eine Ewigkeit schienen sie sich ineinander zu verbeißen, zugleich wusste Ajitaka, dass bislang kaum ein Herzschlag vergangen war. Sein Vater war der bessere Kämpfer, der stärkere Zauberer, doch der Schamane war jung, und was ihm an Erfahrung fehlte, machte er mit Entschlossenheit wett. Ajitaka fühlte den Sog. Und er begriff. Sein Vater hatte den Spiegel bereits erschöpft. Im Gegensatz zu dem Schamanen, der nur mit seinen eigenen Kräften kämpfte und entsprechend haushälterisch mit ihnen umging, war sein Vater es gewohnt, jederzeit Nachschub zu finden. Er hatte die Energien, die ihm zur Verfügung standen, so leichtfertig verschwendet, als wäre der Kampf nichts weiter als ein Spiel. Und seine eigene Energie war fast erschöpft.
Der Schamane war kräftiger. Nicht viel. Aber es reichte, dass er gewinnen konnte. Und so setzte der König an, den letzten ihm verbliebenen Sohn ebenfalls in den Spiegel zu zwingen und mit seiner Seelenkraft das Duell zu gewinnen.
Sein Vater verlor nicht gerne.
Ajitaka allerdings auch nicht.
Er begriff seine Chance und wehrte sich. Einen Herzschlag lang. Einen zweiten Herzschlag lang. Einen weiteren.
Beim achten Herzschlag erlosch der Spiegel seines Vaters. Die Aura des Königs floss in seinen Körper zurück. In einen Körper, der, wie Ajitaka erkannte, erschöpft zusammenbrach und vorerst keine Gefahr mehr darstellte. Das dringendere Problem stand direkt vor ihm. Der Schamane.
Alt und jung zugleich, den Körper fast verbraucht von dem erbarmungslosen Kampf, materialisierte dessen Bild vor seinem geistigen Auge.
„Willst du weiterkämpfen?“
„Ich würde gewinnen. Da ist immer noch ein Seelenspiegel, den ich bislang nicht eingesetzt habe.“
„Ja, das würdest du. Ich bin erschöpft, du nicht. Und du hast die Reserve deines Spiegels. Aber ich bin nicht der einzige Schamane hier im Norden. Noch vor der Grenze würdest du auf einen meiner Brüder treffen. Und verlieren.“
„Und wenn ich nicht kämpfe?“
„Würde ich dich und deine Männer ziehen lassen. Für dieses Mal.“
Da gab es nichts zu überlegen. Ajitaka erklärte sich einverstanden.
Um ihn herum schrien Männer. Ajitaka benötigte einige kostbare Augenblicke, um sich in seinem eigenen Körper wieder zu orientieren. Dann begriff er. Das Lager wurde von den Nordmännern angegriffen. Sein Vater lag halb über dem Tisch, bewusstlos, unfähig zu kämpfen, unfähig, Kommandos zu geben. Ajitaka riss die Zelttür auf. Überall kämpfende Männer. In der Dämmerung ließ sich kaum ausmachen, wer Feind war und wer zu den eigenen Leuten gehörte. Er griff nach seinem Schwert.
Schattenhafte Gestalten huschten davon. Und plötzlich war es ruhig. Solange, bis die ersten Verwundeten zu stöhnen und zu schreien begannen.
Ajitaka suchte seinen Bruder. Er fand ihn unter den Sterbenden, die die Soldaten im Lager zusammentrugen.
Nolotaka lächelte schwach, als er seinen Bruder sah. „Du lebst noch. Dann hat der König also gewonnen.“
Ajitaka entschied, dass er die letzten Atemzüge seines Bruders nicht mit der Wahrheit vergällen wollte.
„Die Nordmänner ziehen sich zurück. Damit hast du ebenfalls gewonnen.“
Die Lippen seines Bruders bewegten sich. Lautlos zunächst, dann aber drangen doch noch Worte daraus hervor. „Sie kamen aus dem Nichts, wie zuvor. Wir haben sie einfach nicht gesehen. Wie willst du gegen Geister kämpfen? Und dann, plötzlich, konnte ich sie sehen. Auch den Rotbärtigen, der mit seiner großen Axt vor mir stand und zuschlug. Ich kriegte nicht einmal mehr mein Schwert hoch. Aber statt mich zu töten, drehte er sich dann um und lief weg.“
Ajitaka dachte an den Schamanen und dessen Versprechen. „Wir kehren nach Hause zurück, mein Bruder. Deine Asche wird bei unseren Vorfahren ruhen.“
Nolotaka starb eine halbe Stunde später. Der König lebte noch, wachte aber nicht aus seinem komatösen Schlaf auf, und Ajitaka hütete sich, ihm zu nahezukommen. Den Soldaten, die sich um ihn kümmern mussten, befahl er, den Körper des Königs auf keinen Fall mit bloßen Händen zu berühren. Fehlte gerade noch, dass sein Vater durch den direkten Kontakt die Lebenskraft der Männer anzapfen konnte und wieder handlungsfähig wurde. Das auf keinen Fall! Nur ein toter König würde ein guter Vater sein.
Mit dem bewusstlosen König und der Leiche seines Bruders auf einem der Proviantkarren trat der Heerzug den Rückweg an, während hinter ihnen die Totenfeuer der gefallenen Soldaten brannten. Niemand hatte Lust, zu warten, bis die Feuer herabgebrannt waren und man die Asche einsammeln konnte. Ihre Seelen würden in den Winden aufgehen. Mochten sie von dort die Träume der Nordmänner heimsuchen.
Der König starb, noch bevor sie wieder karapakischen Boden erreichten. Ajitaka wartete, bis der Leichnam seines Vaters erkaltet war, bevor er ihn zu berühren wagte und einen Erhaltungszauber über ihn legte, wie schon zuvor über seinen Bruder.
Die Soldaten, deren Befehlshaber er jetzt war, betrachteten ihn mit der gleichen Vorsicht, die man einem Skorpion entgegenbrachte. Sie wussten, dass der Feldzug ein komplettes Desaster war, das eigentlich niemand von ihnen hätte überleben dürfen. Und sie vermuteten, dass es Ajitaka war, dem sie ihre Rückkehr zu verdanken hatten. Aber er hatte nichts weiter getan, als im königlichen Zelt zu stehen und dort zu warten, bis sein Vater, der König, sterbend zusammenbrach.
Ajitaka war ihnen unheimlich.
Er spürte das Misstrauen, die Vorsicht, die Angst. Es war ihm egal. De facto war er bereits ihr König. Und wenn die Männer schlau waren, taten sie gut daran, über das zu schweigen, was auf diesem Feldzug geschehen war. Er würde seinen toten Vater und seinen toten Bruder nach Hause bringen, für eine gebührende Totenfeier sorgen und sofort den Thron Karapaks besteigen.
Und dann würde er leben. Endlich. Sorglos, denn da war kein Vater mehr, dessen bloße Laune ihn vernichten konnte, und kein Bruder, der ihn um den Thron beneidete und seinen Dolch in sein Herz versenken wollte. Er konnte endlich all das tun, um was er seinen Freund Dakane immer beneidet hatte.
Nach außen zeigte Ajitaka eine steinerne Miene. Aber sein Herz jubelte.