Читать книгу Falkenrache - Chris Svartbeck - Страница 13

Die Hauptstadt

Оглавление

Sawateenatari war groß. Sehr groß. Viel größer, als er sich das vorgestellt hatte. Na-Ochone hatte sein Pferd auf der kleinen Anhöhe gezügelt und starrte reglos auf die beeindruckende Masse an Gebäuden, die vor ihm förmlich aus dem Boden zu quellen schien. Einen halben Tagesritt waren sie noch entfernt, und trotzdem schien die Stadt schon fast über sie herzufallen.

Chatchio hatte inzwischen aufgeschlossen und starrte nicht weniger fasziniert als sein Cousin auf das beeindruckende Panorama. „Was, bei den Göttern, ist das?“ Er flüsterte die Frage nur. Seine Augen klebten an dem Gebilde aus nadelspitzen Türmen, die in allen Regenbogenfarben schillernd hoch über Sawateenatari ragten.

Na-Ochone sah die Türme jetzt auch – und begriff im selben Moment, dass sie die ganze Zeit dagewesen sein mussten. Warum hatte er etwas so Offensichtliches direkt vor seiner gewiss nicht kleinen Nase nicht wahrgenommen? Ein eisiger Schauder lief ihm über den Rücken. „Das muss die Kristallkammer sein.“

Chatchio ruckte unwillkürlich am Zügel, sodass sein Pferd nervös einen Schritt zurück machte. „Du meinst, da, in dem Ding dort, da leben die Zauberer?“

„Soweit ich weiß, ja.“

„Uhhhh.“

„Geht mir genauso. Das ist unheimlich.“

„Wir sollten umdrehen.“

Na-Ochone sah Chatchio verblüfft an. „Jetzt? Einfach so? Nachdem wir mehr als einen halben Mond unterwegs waren?“

„Ich habe ein miserables Gefühl bei dieser Sache.“

„Unsinn. Wir wollen ja nicht zu den Zauberern, sondern zum König.“

„Der aber auch ein Zauberer ist.“

„Aber er zaubert nur im Krieg.“

„Sagt man uns.“ Chatchio klang nicht überzeugt. „Was, wenn nicht? Ist unser Haus nicht schon genug verflucht? Wir sollten es lieber lassen.“

„Auf keinen Fall! Jetzt sind wir schon so weit geritten, jetzt will ich es wissen. Soll der König mir selbst sagen, warum er glaubt, diese blöde alte Fehde immer weiterlaufen lassen zu müssen. Falls er es überhaupt noch weiß. Und wenn nicht, dann können wir dieses Kapitel vielleicht endgültig abschließen. Und ich kann eine angemessene Frau finden.“

Na-Ochone gab seinem Pferd die Sporen. Das Tier setzte sich in einen ruckeligen Trab. Ausdauernd waren sie zwar, diese Pferde mit Wüstenblut, und schnell wie der Wind, aber ihre Gangarten ließen zu wünschen übrig. Vielleicht konnte er ja nicht nur eine Frau finden, sondern auch noch einen guten Zuchthengst ergattern, um die Blutlinien der Mehme-Pferde mal wieder etwas aufzufrischen.

Na-Ochone grinste. Blutlinien auffrischen passte, sowohl für ihn wie auch für seine Pferdezucht.

Die Kristallkammer hatte er bereits wieder vergessen.

Chatchio nicht. Mit eingezogenem Kopf und einem flauen Gefühl in der Magengegend folgte er seinem Cousin. Er konnte es ihm einfach nicht antun, ihn hier in Stich zu lassen. Auch wenn er den Eindruck hatte, geradewegs ins offene Maul einer Sandviper zu reiten.

Es war verdammt schwer, eine brauchbare Unterkunft zu finden. Nicht, dass es in Sawateenatari keine Gasthäuser gab, im Gegenteil. Allerdings war die eine Hälfte zu teuer, und die andere bestand aus heruntergekommenen Kaschemmen, die zehn Schritte gegen den Wind nach Pisse und Ungeziefer stanken. Keine brauchbare Unterkunft für einen Adeligen.

„Wenn wir eines der teureren Häuser nehmen, reichen unsere Mittel höchstens für zwei Monde.“ Na-Ochone musterte das Gasthaus, vor dem sie standen, mit finsterem Blick. „Mann sollte meinen, dass es in einer Stadt dieser Größe auch ein paar günstige, aber annehmbare Unterkünfte gibt.“

Der rotznäsige Bengel, der sie hergeführt hatte, schniefte und hielt die Hand auf. „Vielleicht fällt mir ja eine ein.“

Chatchio warf seinem Cousin den Zügel seines Pferdes zu, sprang ab und war mit zwei langen Schritten bei dem Jungen. Zu spät erinnerte der sich daran, dass er ja weglaufen könnte. Seine Beine traten Luft. Chatchio hatte ihn im Klammergriff. „Hör zu, du kleine Ratte. Du hast die Wahl. Entweder du bringst uns zu einer brauchbaren, erschwinglichen Herberge und bekommst von mir ein ganzes Kupferstück, oder du tust es nicht – und schmeckst mein Messer.“

Der Junge hörte auf zu zappeln. „Ist ja schon gut“, maulte er. „Ich tu alles, was Ihr wollt. Lasst mich herunter, damit ich Euch den Weg zeigen kann.“

„Hältst du mich für blöd? Wenn ich dich loslasse, bist du schneller in einem deiner Rattenlöcher verschwunden, als ich gucken kann.“ Er klemmte sich den Jungen unter den linken Arm, ging an seine Satteltasche und holte ein Stück Seil heraus, das in einer Schlinge endete. „Normalerweise fange ich mir damit unterwegs mein Abendessen“, plauderte er gelassen. „Aber man kann damit auch ganz leicht nichtsnutzige, freche Bengel aufhängen.“ Schon landete die Schlinge um den Hals des Jungen.

Der war sichtlich blass geworden. „Ich bin nicht nichtsnutzig, Herr! Ich schwöre, ich kann Euch führen, ich bin nützlich!“

Chatchio saß wieder auf. Das Ende des Seils behielt er fest in der Hand. „Beweise es!“

Der Junge krallte seine Finger in die Schlinge, konnte sie aber nicht lösen. Chatchio grinste. Mit mürrischem Gesicht stapfte der Junge los.

Er führte sie aus dem Hafenviertel heraus, durch die Gassen der Freude, über den Pferdemarkt, durch das Handwerkerviertel und dann ins Händlerviertel. Na-Ochone sah sich zweifelnd um. Diese Häuser wirkten reich. Zu reich für jemanden mit seinem schmalen Geldbeutel. Aber der Junge schien ohnehin ein anderes Ziel zu haben, er lief stetig weiter.

Schließlich kamen sie in einen Bereich, in dem die Häuser wieder schmaler und schäbiger wurden, dazwischen große Bereiche, die als Viehpferche abgetrennt waren. „Die Karawanenhäuser“, erklärte der Junge. „Nicht zu teuer. Sauber, ruhig und vor allem bewacht.“ Er deutete auf ein Haus mit blauen Wänden und einer dunkelroten Tür. „Da nehmen sie auch einfache Reisende auf.“

Na-Ochones Hand lag auf dem Dolch. „Und warum hast du uns nicht gleich hierher geführt?“

„Zu wenig Verdienst. Hier kriege ich keine Prozente, und ihr seid geizig.“

„Immerhin ist er ehrlich“, sagte Chatchio, beugte sich im Sattel und löste die Schlinge vom Hals des Jungen. Der sprang sofort einen Satz zurück, lief aber nicht weg.

„Und mein Lohn?“

Chatchio lachte und fingerte die versprochene Kupfermünze aus seinem Beutel. Sie landete zielsicher in der schmutzigen kleinen Hand. Der Junge verbeugte sich grinsend. „Vielen Dank, edle Herren! Wenn Ihr noch einen Auftrag für mich habt ...“

„Verschwinde!“, knurrte Na-Ochone.

Noch immer grinsend lief der Junge zurück.

„Vermutlich haben wir ihm viel zu viel bezahlt.“

Chatchio zuckte mit den Schultern. „Na und? Wir sind in einer Gegend, wo uns nicht jeder sofort im Schlaf die Gurgel durchschneidet, und was wir bei ihm zu viel bezahlt haben, können wir bei der Unterkunft vermutlich sparen. Ich finde, das war es wert.“

Na-Ochone antwortete nicht mehr. Er hatte den sehr unangenehmen Verdacht, dass sie beide gerade bewiesen hatten, was für unwissende Provinzler sie waren. Hoffentlich war das kein Vorgeschmack darauf, wie der königliche Hof sie empfangen würde! Mürrisch trieb er sein Pferd an, der roten Tür entgegen.

Der Empfang war nicht gerade herzlich. Ja, es gab freie Zimmer, und ebenfalls ja, sie waren für einen annehmbaren Preis zu haben, inklusive eines Platzes für ihre Pferde. Aber die Männer, die in Vorderraum beisammen saßen, aßen und tranken, sahen misstrauisch zu den beiden neuen Besuchern, die ganz offensichtlich keine Händler waren. Die ebenso offensichtlich ein Wappen führten, was sie als Adelige auswies. Der Wirt zeigte ihnen das Zimmer. Ein Zimmer, ein Bett. Na-Ochone hatte den Verdacht, dass er sein Gold noch anderweitig brauchen würde. „Ihr könnt was zu essen haben von dem, was alle hier kriegen“, sagte der Wirt. „Ich bringe es Euch aufs Zimmer.“

Chatchio kniff die Augen zusammen. „Warum?“

„Weil meine anderen Gäste sich in einer Gesellschaft wie der Euren nicht wohlfühlen würden.“

Na-Ochone winkte ab, als Chatchio antworten wollte. „Schon gut. Bringt uns etwas. Und einen Krug Wasser.“

Der Wirt sah zweifelnd drein. „Wasser? Keinen Wein?“

„Wasser“, bekräftigte Na-Ochone.

Der Wirt verschwand kopfschüttelnd.

Na-Ochone sah sich in dem Zimmer um. Roher Dielenboden, weiß gekalkte Wände, ein Strohdach. Dazu ein Schemel, ein Gestell, das vermutlich für Kleidung gedacht war, und das Bett. Eine Holzkonstruktion mit einem Strohsack und einer Wolldecke. Chatchio hob bereits den Strohsack an.

„Scheint kein Ungeziefer drin zu sein. Und breit genug, dass wir beide darauf liegen können, ist es auch.“

„Aber es ist eine Unterkunft weit unterhalb meines Standes“, gab Na-Ochone mürrisch zurück.

„Na und?“

„Ja und! Wenn die anderen Adeligen am Königshof hören, wo wir abgestiegen sind, werden sie uns garantiert nicht für voll nehmen.“

„Spielt das eine Rolle? Nach allem, was dein Vater erzählt hat, tun sie das sowieso nicht.“

Na-Ochone ballte die Fäuste. „Sie sollen es aber! Ich muss es einfach schaffen!“

Chatchio antwortete nicht.

Na-Ochone hatte gewusst, dass es schwer werden würde. Aber er hatte es sich nicht sooo schwer vorgestellt. Eine Audienz beim König? Das ging nicht einfach so. Wäre ja noch schöner, wenn jeder dahergelaufene Provinzadelige einfach so beim König vorsprechen könnte, hatte ihm der Zeremonienmeister hochnäsig erklärt. Es hatte dreier Goldstücke bedurft, um überhaupt mit auf die Liste zu kommen. Und dann hieß es warten. Elend lange warten.

Nach dem ersten Mond hatte nicht einmal Chatchio noch Lust, durch die Stadt zu streifen oder Karten zu spielen. Es war geradezu ein Glücksfall, dass einer der Händler mit einem lahmenden Pferd ankam. Zufällig hörte Chatchio, wie der Mann davon sprach, das Tier an den Schlachter zu verkaufen. Er bot dem Mann an, das Pferd binnen einer Handvoll Tage zu kurieren. Gegen einen kompletten Abend für ihn und Na-Ochone mit Freibier, wenn er Erfolg hatte.

Die Wüstenkräuter halfen. Noch besser halfen Chatchios kräftige Hände, die genau wussten, wie die Gelenke eines Pferdes sich anzufühlen hatten. Und das anschließende Besäufnis war eines der besten, was sie beide seit langem gehabt hatten.

Danach war das Warten erträglicher. Der Nachschub an kranken Pferden kam praktisch mit jeder Karawane. Und die Tatsache, dass sogar Na-Ochone mit Hand anlegte, ließ die Vorbehalte der Händler gegen die beiden Adeligen schwinden. Jetzt hatten sie nicht nur genug zu trinken, sondern auch Unterhaltung.

Selbst der Wirt wurde umgänglicher. Eines schwülheißen Abends, als sie bei einem Bier im Schankraum saßen, kam er zu ihnen an den Tisch.

„Ich hab´gehört, Ihr wartet auf eine Audienz.“

Na-Ochone brummte zustimmend.

„Ihr habt mit dem Zeremonienmeister gesprochen?“

„Vermutlich haben eher meine drei Goldstücke mit ihm gesprochen.“

Der Wirt nickte bedächtig. „Drei Goldstücke sprechen ziemlich leise. Ihr hättet die zehnfache Menge gebraucht. Aber vermutlich habt Ihr die nicht, sonst würdet Ihr nicht hier wohnen.“

Na-Ochone ballte die Fäuste. „Heißt das, wir bekommen keine Audienz?“

„Das heißt, ihr braucht einen Fürsprecher. Sonst wartet Ihr im nächsten Sommer noch immer.“

„Und du weißt – rein zufällig natürlich – einen solchen?“

„Eine solche. Ich kenne eine Kurtisane, die das Ohr eines ganz bestimmten hochrangigen Mitglieds des königlichen Hauses hat.“

„Und weshalb sollte diese Dame gewillt sein, mir zu helfen? Ihre Dienste dürften ja wohl deutlich teurer sein als dreißig Goldstücke.“

„Besagte Dame ist die Tochter des dritten Sohnes der zweiten Frau meines Vaters. Sie verdankt es mir, dass sie einen Platz im Seidenschloss bekam und damit Zugang zum Hof des Königs.“

Das Seidenschloss kannte Na-Ochone, wenn auch nur von außen. Es war eines der angesehensten Vergnügungshäuser der Stadt. Ausschließlich der Adel verkehrte dort.

„Weshalb ist dir plötzlich so an unserem Wohlergehen gelegen?“

Der Wirt breitete beide Hände aus und grinste schief. „Weil Ihr gut für mein Geschäft seid. Seitdem Ihr das mit den Pferden macht, hat sich meine Kundschaft glatt verdoppelt. Und ich zahle prinzipiell gerne meine Schulden zurück.“

Was immer die Nichte des Wirts tat, es funktionierte. Keine fünf Tage später bekam Na-Ochone Nachricht, dass er zur Audienz geladen war.

Falkenrache

Подняться наверх