Читать книгу Falkenrache - Chris Svartbeck - Страница 5
Im Schatten
Оглавление„...und Tariki hat definitiv zu viel für sein neues Pony bezahlt!“
Akiana drückte sich tiefer in die Nische und zog ihr Schultertuch über den Kopf. Mit etwas Glück würden ihre jüngeren Brüder sie für eine der Dienerinnen halten und nicht beachten.
„Das Pony hatte aber das Flussuferrennen gewonnen!“
„Klar hat es. Graf Mischekoko soll schließlich die anderen Reiter kräftig bestochen haben, dass sie ihre Ponys zurückhielten.“
„Schlauer Sandteufel!“
Schritte und Gespräch verklangen. Akiana atmete auf. Ihre Brüder hatten sie nicht bemerkt. Vorsichtig streckte sie den Kopf aus der Nische und spähte den Flur entlang. Niemand in Sicht. So lautlos wie möglich folgte sie den Prinzen.
Onkel Toleke wartete bereits im Lilienhof auf seine Schüler. Sehnsüchtig dachte Akiana an die Zeit, als sie noch offen am Unterricht teilnehmen konnte. Onkel Toleke hatte nie kapiert, dass sie nur ein Mädchen war. Was, wie ihr Vater ihr mit grimmiger Miene mitgeteilt hatte, daran lag, dass Toleke kein besonders starker Zauberer war. Der kleine Zauber, der ihre Haare immer wieder abbrechen ließ und somit kurz hielt, hatte ausgereicht, Toleke in die Irre zu führen, und er hatte nicht einmal bemerkt, dass sie überhaupt einen Zauber auf sich gelegt hatte. Bei ihm, hatte ihr Vater hinzugefügt, wäre sie mit derartigen Narrheiten niemals durchgekommen. Und falls sie das je noch einmal versuchen sollte ...
Er hatte seine Drohung nicht aussprechen müssen. Akiana hatte mehr als eine Frau im Sommerharem sterben sehen, die den Unmut ihres jähzornigen Vaters erregt hatte. Selbst einer seiner Söhne hatte erfahren müssen, zu was ihr Vater fähig war. Ihr jüngster Bruder Piritoka war kaum fünf Jahre alt gewesen, als die junge Katze, mit der er so gerne spielte, dem Vater zwischen die Beine lief und ihn ins Straucheln brachte. Akiana hatte das wutverzerrte Gesicht ihres Vaters gesehen, als er Piritoka befahl, dem unnützen Tier auf der Stelle die Kehle durchzuschneiden. Ihr Bruder hatte es nicht fertiggebracht und zu weinen begonnen. Da hatte der Vater die Katze ergriffen und ihr vor den Augen des Kleinen den Kopf abgeschnitten.
Und dann hatte er das Gleiche mit ihrem Bruder getan.
Hastig verdrängte sie die Erinnerung und konzentrierte sich auf das, was Onkel Toleke gerade erklärte. Trugbilder, wie schon seit sechs Tagen. Trugbilder waren überaus nützlich. Ihre Mutter liebte es, Trugbildschmuck zu tragen. Der echte Schmuck war ihr viel zu schwer, den benutzte sie nur zu besonders feierlichen Anlässen.
Onkel Toleke allerdings zählte gerade einige Beispiele für eine viel nützlichere Anwendung auf. Zum Beispiel, dass man damit einem einfachen Stock das Aussehen eines gefährlichen Schwertes geben konnte.
„Wenn die Illusion gut genug ist, glaubt dein Gegner sie. Und wenn er sie fest genug glaubt, vermag ihn selbst eine bloße Illusion zu töten.“
„Und wenn er sie nicht fest genug glaubt?“
„Dann braucht ihr zusätzlich zu der Illusion noch eine Transformation. Selbst Holz vermag zu schneiden, wenn man ihm eine scharfe Kante verleiht. Aber so weit seid ihr noch nicht. Versucht bitte erst einmal die Illusion.“
Akiana pflückte sich ein Oleanderblatt aus dem nahen Pflanzkübel und konzentrierte sich. Drei Herzschläge später hielt sie einen schlanken, nadelspitzen Dolch in der Hand. Töten würde sie damit nicht können. Blätter waren einfach nicht so stark wie Holz. Andererseits ... Waren nicht Blatt wie Holz Produkte einer Pflanze? Wenn die Pflanze das eine wie das andere erschaffen konnte, war es vielleicht möglich, beides ineinander umzuwandeln. Sie konzentrierte sich erneut. Das Trugbild in ihrer Hand wurde schwerer, größer, passte seine Form ihren Gedanken an. Vorsichtig fühlte sie mit der anderen Hand die Klinge entlang. Tatsächlich. Echtes Holz.
„Es geht nicht!“
Die Jammerstimme Nolokatas ließ Akiana aufsehen. Ihr zweitältester Bruder hatte immer Schwierigkeiten mit den magischen Übungen.
„Du konzentrierst dich nicht genug“, tadelte Onkel Toleke. „Hier, ich zeig dir noch einmal, wie es geht. Schau auf meine Aura!“
„Wie soll ich die in der Sonne überhaupt sehen können?“
Akiana unterdrückte ein frustriertes Stöhnen. Eine Aura zu sehen war doch nun wirklich ein Kinderspiel.
Ihr Onkel unterdrückte sein Stöhnen nicht. „Hast du überhaupt etwas von dem begriffen, was wir jetzt seit acht Monden machen? Du bist nicht bei der Sache. Pass besser auf. Mach das so!“
Schon wieder folgte eine Konzentrationsübung. Akiana runzelte die Stirn. Ihr Onkel mochte Auren sehen können, lesen konnte er sie aber offenbar nicht. Sonst hätte er längst bemerkt, dass Nolokata keineswegs zu faul war zum Lernen. Er war nur schlichtweg unfähig zu höherer Magie. Nolokatas magische Fähigkeiten waren nicht größer als die jener Bastarde, die ihr Vater mit jeder vollkommen unmagischen Sklavin zeugen konnte.
Akiana starrte auf ihren Trugbild-Dolch. Und wenn sie sich jetzt verteidigen müsste? Ihre Brüder mochten Kraft genug haben, auch mit einem hölzernen Dolch zu stechen und zu schneiden, sie nicht. Sie brauchte mehr. Behutsam griffen ihre Gedanken erneut nach dem Dolch. Das Material wehrte sich. Holz und Metall waren natürliche Feinde. Mit einem Seufzer griff sie nach der Lebensenergie des Oleanders und zwang das Holz, ihren Wünschen zu gehorchen. Dann ließ sie das Trugbild fallen. Noch lebenswarm, aber bereits zu tödlicher Kühle erkaltend, lag ein reales Ebenbild des Trugbildes in ihrer Hand. Sie strich sanft mit der Fingerspitze über die Schneide. Hinter ihr fielen die letzten Blätter des verdorrten Oleanders zu Boden.
Toleke lächelte, während seine Schüler sich mit einer Verbeugung verabschiedeten. Er lächelte noch immer, während er sie davongehen sah. Erst als der letzte von ihnen außer Sicht war, erlaubte er seinen Gesichtsmuskeln, sich zu entspannen. Auf keinen Fall durften die jungen Prinzen merken, wie wenig er von ihnen hielt. Immerhin würde einer von ihnen in nicht allzu ferner Zukunft sein König sein. Toleke tippte auf Ajitaka. Er war intelligent, ehrgeizig und, was vermutlich am wichtigsten war, trotz aller offensichtlichen Mängel der beste Zauberer dieser Generation. Ausgestattet mit einem ausreichenden Mangel an Rücksicht, um diese Zauberkraft gegebenenfalls erbarmungslos gegen seine Brüder und Halbbrüder einzusetzen.
Na schön, vielleicht doch nicht der beste Zauberer, wies Toleke sich in Gedanken zurecht. Seine jüngere Schwester Akiana war eindeutig stärker. Sie führte mit ihren sieben Jahren bereits Zauber aus, deren Grundzüge ihre älteren Brüder noch nicht einmal ansatzweise begriffen hatten. Und sie wusste genau, wie sie an die dazu nötige Kraft herankam. Toleke hatte den verdorrten Oleander bemerkt.
Dummerweise war Akiana nur ein Mädchen, dazu bestimmt, in wenigen Jahren bereits verheiratet zu werden. Was effektiv jeder Ausbildung ein Veto setzte. Zumal, seit ihr Vater es ihr ausdrücklich verboten hatte, weiterzulernen.
Natürlich lauschte Akiana jetzt heimlich seinem Unterricht. Und Toleke tat so, als ob er es nicht bemerkte. Jemand, der so stark war, musste einfach ein Mindestmaß an Ausbildung bekommen. Die Kleine wäre sonst eine Gefahr für sich und den ganzen Palast. Aber es war eben auch wirklich nur ein Mindestmaß. Mehr würden ihre Brüder ohnehin nie kapieren, folglich würde er die Themen höherer Magie auch nicht im Unterricht ansprechen. Akiana würde niemals ihren Fähigkeiten entsprechend ausgebildet werden können.
Toleke seufzte. So eine Verschwendung von Potenzial! Wenn Akiana ein Junge wäre ... Seine Gedanken wanderten zu ihrem Onkel Gorato, dem älteren Bruder Ajitakas. Wenn er jemals einen guten Schüler gehabt hatte, dann ihn. So ein Talent war in der Politik geradezu verschwendet. Er hatte dem Jungen geraten, in die Kristallkammer einzutreten. Den Berichten nach war er ein äußerst fähiger Zauberer geworden. Großmeister Ro hatte es sich nicht nehmen lassen, einen Teil seiner Ausbildung persönlich zu überwachen.
Großmeister Ro hätte vermutlich auch Akiana gerne in den Kristalltürmen gesehen. Nur dass Toleke sich verdammt sicher war, dass sein königlicher Bruder ihm den Kopf abreißen würde, wenn er es wagte, noch eines der königlichen Kinder für die Kristallkammer zu rekrutieren. Und wer weiß, womöglich war das sogar besser für das Mädchen. Schließlich hatte es seit mehr als vierhundert Jahren keine Frau mehr geschafft, die Ausbildung zu überleben.
Trotzdem ...
Er dachte an den schlanken, spitzen, tödlichen Metalldolch in ihrer Hand. Ein Dolch, geformt aus einem Oleanderblatt. Akiana hätte es schaffen können.
Toleke seufzte noch einmal abgrundtief, bevor er sich mühsam erhob und seinen arthritischen Körper in Bewegung zwang. Hoffentlich hatte sein Leibsklave den Mohntee bereits aufgegossen. Das war das Einzige, was sowohl seine Schmerzen linderte als auch süßen Schlummer schenkte.
Früher sollten die Zauberer imstande gewesen sein, Krankheiten wie die seine zu heilen.
Früher.
Heute wussten sie nur noch, wie man tötet.
Wie sein Bruder, der König, mit jedem neuen Feldzug unter Beweis stellte.
Narren, allesamt.
Akiana wartete, bis die schleifenden Schritte verklungen waren. Dann erst setzte sie sich selbst wieder in Bewegung. Ob Onkel Toleke sie bemerkt hatte? Vermutlich nicht. Er hatte kein einziges Mal zu ihr herüber gesehen.
Andererseits – Onkel Toleke hatte andere Wahrnehmungsmöglichkeiten als nur seine Augen. Wenn er sie also doch bemerkt hatte? Ein Glück, dass er ihren Vater, seinen Bruder, nicht besonders gut leiden konnte. Die beiden sprachen nur das Nötigste miteinander. Toleke würde sie vermutlich nicht verraten.
Lautlos huschte sie den Gang entlang, bog dann in den Orchideengarten ab und schlüpfte schließlich durch die kleine Pforte in den Pfauenhof. Hier war zurzeit niemand, die Pfauen waren in der Mauser und sahen wenig attraktiv aus. Hier konnte sie in Ruhe weiter üben.