Читать книгу Nachtmahre - Christian Friedrich Schultze - Страница 13
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ОглавлениеIm Herbst 1951 wurde meine Schwester Beate geboren. Alle freuten sich darüber, nur ich nicht.
Vater und Mutter liebten sich in jener Zeit sehr. Aber dieser Mann, der plötzlich in mein kleines Leben getreten war, versuchte offensichtlich auch, Mutter und mich zu entzweien. Und sie schenkte ihm sogar noch ein Kind!
Karl Wauer hatte sich gebadet und rasiert. Anfangs passten ihm seine alten Anzüge nicht. Er benötigte fast ein Jahr, um das Wasser, welches wegen der langen einseitigen Ernährung in seinem Körper war, wieder loszuwerden. Dabei wurde er zusehends jünger. Er ging zurück zum Bergbau. Bald war er bei der WISMUT. Man benötigte erfahrene Leute, um das Uran des Erzgebirges für die Sieger aus der Erde zu holen. Seine in der Gefangenschaft erworbenen Russischkenntnisse kamen ihm dabei sehr zugute.
Seine Meinung über den Sowjetismus wurde allerdings trotzdem nicht besser.
Unser Lebensstandard dagegen besserte sich spürbar. Die Wismut wurde gesondert versorgt; wird sie heute noch. Auch mein Leben änderte sich. Das neue Baby war nun das Zentrum der Familie geworden. Auch dieses Kind hatte Mutter mit Hilfe von Doktor Krause und Frau Katzer zur Welt gebracht. Vater war im Bergarbeiterhaus dabei gewesen. Es war also eine ganz moderne Geburt. Nur ich wurde von diesem Ereignis ausgeschlossen. Von da an fühlte ich mich stets irgendwie ausgesperrt.
Und außerdem lagen zwischen mir und dem Mann viereinhalb Jahre Kriegsgefangenschaft. Das ist eine ganze Welt!
In den ersten Jahren nach seiner Rückkehr schrie Vater oft im Traum. Manchmal wurden wir munter davon. Vater schrie auf Russisch. Mutter hatte in solchen Fällen alle Hände voll zu tun, um uns wieder zu beruhigen und zum Einschlafen zu bringen. Vaters Stimme klang aber auch zu schrecklich, wenn er träumte.
Die Demokratie in unserer Familie, worunter ich meine Mitbestimmung verstand - oder war es meine Diktatur gewesen? - war nun dahin. Es herrschte der Mann. Vaters Wille geschah, und es stellte sich heraus, dass er jähzornig war. So lernte ich die Prügelstrafe kennen.
Die erste Dresche, die ich bekam, war auch die erste große Sensation meines Lebens für mich. Solch eine innere Aufregung hatte ich noch niemals erlebt. Bisher war alles in einem ruhigen Gleichmaß verlaufen. Fürderhin gab es Höhen und Tiefen. Bisher hatten mich alle geliebt, ich war der erklärte Liebling aller gewesen, Mutters, Onkel Jo´s und der Leute, denen ich präsentiert worden war. Dieser Mann liebte mich anscheinend nicht. Und um mir das zu zeigen, schlug er mich, wenn ich ihm seinen Willen nicht tat.
Ich erinnere mich, wie es das erste Mal geschah. Ich empfand es nicht als Strafe für irgend etwas Schlechtes, sondern ich dachte nur, dass er seine Wut an mir ausließe. Über dem Schrecken machte ich mir prompt in die Hosen. Vorn und hinten.
Dies war eine große Enttäuschung für meinen Vater. Ich war mit meinen fast sechs Jahren kein Junge, sondern ein elender Waschlappen, ein jämmerlicher, weibischer Weichling, der sich beim geringsten Schmerz in die Hose schiss. Pfui Teufel! Sowas wurde nie ein Mann!
Ich begann daran zu zweifeln, dass ein Vater eine notwendige Einrichtung sei. Ich bemühte mich, so selten wie möglich seinen Willen zu erfüllen. Meistens büßte ich dafür, obwohl sich meine Widerstandsmethoden mit der Zeit verfeinerten. Aber eines Tages würde es mir gelingen, irgendwann kam der Tag, an dem ich es ihm noch zeigen würde.
Unsere Auseinandersetzung dauerte ziemlich lange. Erst einige Jahre nach meiner Verheiratung begann ich darauf zu verzichten, ihm beweisen zu wollen, dass auch ich ein Mann sei. Vermutlich war ich da einer geworden.