Читать книгу Nachtmahre - Christian Friedrich Schultze - Страница 18

3.

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Ich empfand ein großes Erstaunen in mir, als ich plötzlich, so kurze Zeit nach unserem ergiebigen abendlichen Frühlingsspaziergang, jenes eigenartige Gefühl verspürte, dass etwas mit mir nicht in Ordnung sei.

Wir waren gleich auf unsere Zimmer gegangen, als ich, kaum im Bett liegend, fühlte, wie nacheinander einzelne Gliedmaßen und bald auch mein ganzer Korpus abzusterben begannen. Zuerst war es nur so ein Kribbeln, bald darauf aber war mir, als trockneten mir unaufhaltsam Haut und Fleisch ein, so dass sie gewissermaßen an den Knochen klebend zusammenschrumpften.

Auf welche Weise ich ins Krankenhaus gelangt war, entzog sich meiner Kenntnis. Wahrscheinlich hatte ich bereits im Hotel das Bewusstsein verloren. Noch im Auto, das einer neuzeitlichen GRÜNEN MINNA beunruhigend ähnelte, hatte ich es jedoch kurz vorm Erreichen der Auffahrt zum Eingang des Hauptgebäudes wiedererlangt.

Zum Entsetzen des Fahrers wie des mich begleitenden Pflegers war ich, als man die hintere Tür des Wagens geöffnet hatte, von der Trage gesprungen und mit der Aktentasche in der Hand, in der sich, was mich überraschte, mein Frühstück vom Morgen befand, in das Hauptgebäude hinein, den langen gefliesten Korridor entlang und dann rechts die Treppen zur ersten Etage hoch in die innere Abteilung gelaufen.

Seltsamerweise wusste ich genau, wohin ich wollte.

Als ich die Pendeltür zur Station aufstieß, um mich im Schwesternzimmer zu melden, schienen alle außerordentlich überrascht und starrten mich einigermaßen fassungslos an. Offenbar sah ich selbst für das an Kummer und Elend gewöhnte Krankenhauspersonal ziemlich furchterregend aus. Meine Begleiter, die mir gefolgt waren, ohne mich jedoch einholen oder gar aufhalten zu können, standen jetzt abwartend und zögernd hinter mir in der Tür.

Die diensthabende Stationsschwester schrie, etwas außer Kontrolle geratend, eine kleine schwarzhaarige Praktikantin, die ich von irgendwoher kannte, und den Fahrer des Gefängniswagens gleichzeitig an:

„Menschenskinder, das ist doch der Magenbluter, den können sie doch nicht so alleine hier raufkommen lassen! Schwester Rosi, holen sie um Gotteswillen ganz schnell Doktor Deutscher her! Ich hab` keine Ahnung, was ich im Augenblick machen soll!“

Ich stand wie angewurzelt in der Tür. Ich empfand weder Schmerzen noch sonst irgend etwas und war über die entstandene Aufregung ein bisschen verwundert. Allmählich allerdings überkam mich eine eigentümliche Taubheit, die zuerst den Kopf, dann aber den gesamten Körper erfasste. Auch bemerkte ich, dass weitere merkwürdige Veränderungen mit mir vorgingen. Mir dämmerte, dass jetzt wohl das Furchtbarste kam, was ich je in meinem Leben erfahren hatte. Dabei war ich aber völlig ruhig. Mir fiel nur auf, dass sich die Menschen um mich herum plötzlich in Zeitlupe bewegten und alle Geräusche kurzzeitig wie weggeschaltet waren. Dann begann es.

Zunächst rollte und schrumpelte mir die Haut vom Fleisch. Das ging ganz schnell, als ob ein Flammenwerfer an mir arbeitete. Danach schmolz mir in der gleichen Weise das Fleisch von den Knochen. Während dieses für mich völlig schmerzlosen Vorgangs, der am ganzen Körper gleichzeitig stattfand, konstatierte ich voller Kummer, dass draußen vor dem Fenster der Wind die welken Blätter von einem Haselnussstrauch trieb.

Es ist Herbst geworden, dachte ich und fühlte mich mit einem Mal sehr müde.

Unterdessen beobachteten Schwestern und Pfleger mit Grauen, aber tatenlos, die Veränderungen, die an mir stattfanden. Nun begannen sich auch Gesichtshaut, Gesichtsfleisch und Haupthaar stückchenweise vom Schädelknochen zu lösen und zu Boden zu bröckeln. Gleichzeitig bildete sich mein Zahnfleisch rapide zurück. Nacheinander lösten sich die Zähne und füllten Stück um Stück meine Mundhöhle.

Strahlung, dachte ich. Das ist Neutronenstrahlung!

Ich wollte kämpfen. Wofür? Wogegen? Meine Füße klebten am Boden fest.

Um das eklige Gefühl der ausfallenden Zähne im Mund loszuwerden, beschloss ich, sie umgehend auszuspucken. In der linken Hand hielt ich immer noch die Aktentasche mit meinem Frühstück, welches ich nun ganz umsonst mitgenommen hatte. Also hob ich den rechten Arm, um die Handfläche unter den Mund zu halten und die Zähne da hineinzuspeien.

Was ich jetzt sah, überstieg das Maß dessen, was ich ertragen konnte. Aus dem rohen, verschrumpften Fleisch meines enthäuteten Unterarms krochen dicke weiße Maden mit schwarzen glänzenden Köpfen und purzelten, wie nun auch meine Zähne, hinab auf den Fußboden.

Noch nie, niemals empfand ich einen solchen Ekel.

Ich wünschte das Ende herbei.

In diesem Moment traf Thomas ein: Weißer Arztkittel mit goldenen Knöpfen, die die Assoziation einer Uniform aufkommen ließen; am Hals baumelnd ein goldenes Stethoskop. Neben ihm, im aufreizend durchsichtigen Kittel, durch welchen dicke schwarze Brustwarzen schimmerten, Anita. Wo kamen die her??

Beide grinsten mich schadenfroh an.

„Mann, hilf mir doch!“, wollte ich aus meinem zahnlosen Mund lallen, bekam aber nur ein heißeres Röcheln zustande.

„Ich hab dir schon immer gesagt, du sollst mehr Sport treiben. Ständig diese Medikamente und der Alkohol, das konnte auf Dauer ja nicht gutgehen“, entgegnete mein angeblicher Freund ungerührt.

Es hat keinen Zweck mehr, dachte ich daraufhin. Machen wir Schluss.

Ich fiel in mich zusammen, knallte auf den hellbraunen Steinholzfußboden und sah im letzten Moment, während sich das Zimmer wie rasend um mich drehte, wie mein rechter Arm, sich in sämtliche Einzelteile auflösend, davonrollte. Dann fiel ich weiter, durch den Boden, in einen dunklen Nebel, und es war aus.

Nachtmahre

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