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Kapitel 14

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"Was machen wir jetzt mit Siglas?", fragte Jikav, bevor sie das Haus von Shilanés Onkel verließen.

"Gar nichts", antwortete Tandra. "Sein Kommandant wollte uns mit den Renegaten zusammenbringen, mit denen Pumar gearbeitet hat. Also soll er das auch tun. Alles Weitere erledigen wir dann."

"Bin mal gespannt, wie Siglas erklärt, dass er hier vor dem Haus herumlungert." Ohne ein weiteres Wort öffnete er die Haustür und trat auf die Straße. Noch bevor der Renegat sich im Schatten verstecken konnte, rief Jikav ihm einen fröhlichen Gruß zu. Siglas hielt in seiner Bewegung inne, um dann freudig den beiden zuzuwinken.

"Ich hoffe, Sie nehmen es mir nicht übel, dass ich Ihnen gefolgt bin. Der Kommandant war etwas besorgt und hat mich darum gebeten, auf sie aufzupassen."

"Nein, keine Sorge. Das ist schon in Ordnung. Ich hoffe nur, Sie haben nicht die ganze Nacht hier draußen verbracht", spottete Tandra. Der Renegat schüttelte den Kopf. Offensichtlich hatte er genau das getan. Der Mann sah alles andere als ausgeschlafen aus. Dazu konnte man noch einen leichten, strengen Geruch wahrnehmen, wenn er im richtigen Wind stand.

"Der Kommandant möchte sie heute Morgen noch einmal sehen. Er hat gestern Abend noch herumgefragt, welche Einheit mit Pumar zusammengearbeitet hat. Kommen Sie. Ich bringe sie wieder zum Stützpunkt."

"Na, dann mal los. Gehen wir", sagte Jikav tonlos und schob den Renegaten voran. Der war überhaupt nicht erfreut über die schroffe Art. Wie ein kleiner Junge, den man ertappt und festgehalten hatte, drehte er sich ruckartig von Jikav weg und trat einen großen Schritt nach Vorne. Dementsprechend eisig und schweigsam war dann auch der Weg in die Basis der Renegaten, wo der Kommandant bereits auf die beiden wartete. Dieser hatte auf einem Tisch verschieden Unterlagen ausgebreitet. Unter anderem eine, die Tandra besonders interessierte, da sie die Adresse enthielt, die sie vor wenigen Minuten verlassen hatten.

"Lassen Sie Shilané und ihren Onkel in Ruhe", eröffnete sie das Gespräch frostig. Der Kommandant schaute sie entsetzt an. "Ich meine es ernst", setzte sie nach, während sie deutlich auf das Dokument starrte. Der Kommandant folgte ihrem Blick und nickte dann verstehend.

"Entschuldigung. Aufgrund Ihrer gestrigen Bemerkung hielt ich es für angebracht, sie zu beobachten. Schließlich sind wir Renegaten unter Anderem auch für die Sicherheit des Gottkaisers verantwortlich."

"Schicken Sie mir noch einmal einen Mann oder eine Frau hinterher, kommt diese Person in einem Plastiksack postwendend an Sie zurück. Haben wir uns verstanden?" Jikav zuckte fast noch mehr zusammen, als es der Kommandant tat. So hatte er seine Freundin noch nie erlebt. Offensichtlich war die Renegaten-Tandra, die Doktor Ayki vor nicht ganz einer Woche aus der Versenkung hervorgeholt hatte eine weitaus aggressivere Person, als die das Wohnheim leitende Tandra. Der Kommandant wechselte umgehend das Thema und berichtete von der Einheit, die vor mehreren Wochen von dem Spezialrenegat Pumar besucht wurde. Für Jikav stand fest, er wollte Tandra so schnell wie möglich abgeben, bevor er noch Schaden nehmen würde.

Dahos hatte den Auftrag, die beiden zur Basis Achtzehn zu bringen und sie dort dem kommandierenden Offizier vorzustellen. Der war höchst erfreut, Tandra wiederzusehen. Erneut konnte sich die junge Renegatin an kein Zusammentreffen mit Suprimeleutnant Vecal erinnern, woraus sie auch keinen Hehl machte. Ein weiteres Mal entschuldigte sie sich damit, einen partiellen Gedächtnisverlust erlitten zu haben, was wiederholt zu Bedauern führte, das sie geflissentlich überging. Stattdessen kam sie sofort zum eigentlichen Punkt.

"Bevor wir mit den wichtigen Dingen anfangen, möchte ich Sie bitten, mir zu erklären, was mit den Renegaten hier in Deusakem passiert ist", sagte Tandra mit ruhiger, interessierter Stimme. "Scheinbar geht es hier nicht mehr um Widerstand, sondern eher darum, Jachwey zu dienen. Glauben Sie, das ist im Sinne des Suprimegenerals?"

"Sie werden erstaunt sein, wenn ich Ihnen sage, dass wir in ihrem Auftrag handeln. Mehr darf ich allerdings nicht dazu sagen."

"Verstehe ich das richtig, dass Sie eine verdeckte Mission ausführen?", vergewisserte sich Tandra.

"Völlig richtig. Aber das ist wirklich das Letzte, was ich dazu sagen werde."

"Das ist interessant und klingt schon mehr nach uns. Pumar war Teil dieser Mission. Habe ich recht?" Sie schaute Vecal durchdringend an. Der machte ein ausdrucksloses Gesicht und schwieg.

"Danke, mehr wollte ich gar nicht wissen." Wie von einem Katapult abgeschossen, sprintete der Suprimekommandant auf sie zu, um nur wenige Zentimeter vor ihr zum Stehen zu kommen. Jetzt spiegelten sich in seinem Gesicht hunderte von Emotionen gleichzeitig. Er schnappte nach Luft, während er nach den richtigen Worten suchte. Tandra gab ihm einige Minuten. Jikav grinste breit. Die neue Tandra gefiel ihm zusehends.

"Ich war Pumars rechte Hand", bluffte sie nun. Warum auch nicht. Schließlich waren sie und der Spezialrenegat scheinbar zur selben Zeit in der Stadt. Vermutlich nur Zufall, aber wusste der Kommandant das? Offensichtlich nicht, denn der setzte sich wie vom Blitz getroffen auf einen in der Nähe stehenden Stuhl. Ein Leuchten der Erkenntnis wanderte durch seine Augen. Wenn ich doch nur wüsste, ob ich etwas mit Pumar zu tun habe oder nicht, dachte Tandra verzweifelt. Warum kannte sie jeder hier? Warum wurden ihr so freiwillig die Unterlagen von Pumar zur Verfügung gestellt? Irgendetwas lief hier ab, von dem sie keine Ahnung hatte. Sollte das eine Falle sein, fragte sie sich plötzlich. Ihr Gedankengang wurde überraschend von Kommandant Vecal unterbrochen, der sich wieder gefangen hatte.

"Also gut, Submajor Tandra. Wenn dem so ist, dann sollten wir jetzt da weitermachen, wo sie vor einigen Monaten so plötzlich aufgehört haben. Kommen Sie in den Nebenraum, dort finden Sie alle Unterlagen, die Pumar zusammengetragen hat. Vielleicht können sie ja Licht ins Dunkel bringen, trotz Ihrer Amnesie. Wir haben das jedenfalls nicht geschafft." Der Kommandant stand auf, ging an ihr vorbei, ließ einen Irisscan über sich ergehen und öffnete die Tür zu einem weiteren Raum. Dann schaltete er das Licht ein. In der Mitte befand sich ein Tisch, auf dem eine Vielzahl an Akten verstreut waren. Ein Dokument stach Tandra besonders ins Auge. Eine Blaupause. Sie ging darauf zu und griff danach.

"Das ist das größte Mysterium von allen, das ihr Spezialagent angeschleppt hat", kommentierte Vecal. "Ein Schaltplan. Von was auch immer."

"Haben Sie ihn nachgebaut?"

"Nachgebaut, analysiert, verglichen. Was Sie sich nur vorstellen können. Nichts. Was auch immer das sein soll, es hat keine Funktion."

"Das kann ich mir nicht vorstellen", mischte sich Jikav in das Gespräch. "Vielleicht sollte sich Thevog das mal ansehen."

"Dann holen Sie ihn her. Mal sehen, ob er besser als sämtliche unserer Akademiker zusammen ist. Wir haben uns wochenlang die Köpfe darüber zermartert, wozu das Teil gut ist. Es piept und blinkt noch nicht einmal", beendete der eindeutig frustrierte Kommandant seinen Ausbruch sarkastisch.

"Wo ist der Nachbau?", wollte Tandra plötzlich wissen.

"Ich weiß es gerade nicht. Aber warten Sie einen Moment. Ich werde das erledigen." Er lief, so schnell er konnte, aus dem Raum und ließ die beiden mit den Unterlagen zurück.

"Vielleicht kann der Kommandant einen der Renegaten schicken, der Thevog abholt und hier herbringt", überlegte Jikav laut.

"Thevog sieht die Dinge häufig aus einem anderen Blickwinkel. Das könnte hilfreich sein. Die Ingenieure haben nur auf die Bauteile geschaut und nicht darüber hinaus. Das ist genau Thevogs Spezialität."

"Was ist der Rest hier auf dem Tisch?" Jikav nahm einige Akten zur Hand und klappte sie nacheinander auf. Das meiste waren EEG's, CT's, MRT's und ähnliche, ärztliche Aufzeichnungen. Der junge Renegat warf sie unbeachtet wieder zurück auf die Tischplatte.

"Keine Ahnung, warum Pumar diese Unterlagen für stehlenswert gehalten hat."

"Hast du dir mal die letzte Seite der Akten angesehen?", forderte Tandra ihn auf. Jikav griff erneut nach einem der Pappordner und blätterte zur letzten Seite darin. Nachdem er sie gelesen hatte, fragte er seine Freundin, was denn so besonders daran war. Die runzelte die Stirn und nahm ihm das Dokument aus der Hand.

"Stimmt. An der ist nichts Besonderes. Aber schau dir mal diese an. Sie stammt von einem Mutanten." Jetzt war auch Jikav hellwach.

Sofort griff er nach weiteren Ordnern und blätterte sie durch. Dann machte er zwei Stapel. Einen für Mutanten und einen für normale Menschen. Gemeinsam verglichen sie die Datenblätter der beiden Gruppen und stellten nach einer Weile fest, dass bei den Mutanten Hirnaktivität gemessen wurde, sobald sie ihre Fähigkeit ausführten. Bei den normalen Menschen wurden jedoch Hirnströme gemessen, während man bei ihnen bestimmte Areale stimulierte. Allem Anschein nach wollte Jachwey dem Ursprung der Mutanten auf den Grund gehen. Lediglich der Anlass zu dieser wissenschaftlichen Erforschung offenbarte sich ihm nicht. Was Jikav jedoch noch viel mehr interessierte, war die Frage, wo der Gottkaiser die Mutanten her hatte, die sich für die Messungen zur Verfügung stellten.

"Vecal soll die Unterlagen wieder wegschließen", beendete Jikav seinen Gedankengang. "Ich denke, wir müssen uns diesen Gottkaiser einmal etwas genauer betrachten."

"Dazu benötigen wir aber Hilfe", wendete Tandra kritisch ein.

"Das ist kein Problem", erklang es von der Tür.

"Dahos? Ich dachte, Sie wären schon wieder in Ihrem Stützpunkt."

"Ich musste unbedingt noch mit Ihnen reden. Es gab einen guten Grund, warum Siglas heute Morgen vor Ihrem Haus stand. Wir müssen Sie warnen. Der Kommandant ist nicht nur ein einfacher Befürworter des Gottkaisers, wie die Meisten hier in der Stadt. Er ist eher so etwas wie ein Stalker. Der Kommandant lässt nichts auf Jachwey kommen und jeder, der schlecht über den Regenten spricht, steht auf seiner persönlichen Abschussliste. Nach Ihrer gestrigen Bemerkung war uns sofort klar geworden, dass Sie in Gefahr sind."

"Was für eine Bemerkung habe ich den gemacht?", fragte Tandra unwissend.

"Das Jachwey Technologie gestohlen haben soll", erinnerte sie Dahos.

"Wie ich schon sagte, davon habe ich nichts gesagt", widersprach die Renegatin vehement, wobei sie das Wort Ich besonders hervorhob.

"Doch. Das hast du leider", belehrte sie jedoch Jikav. "Aber das haben wir ja gestern schon geklärt."

"Könnt Ihr das zu einem späteren Zeitpunkt ausdiskutieren?", unterbrach Dahos. "Siglas, Qari und ich haben es geschafft, den Kommandanten zu überreden, in eurer Nähe zu bleiben. Nicht als Spion, sondern als Beschützer und in der Hoffnung, dass er unser doppeltes Spiel nicht herausbekommt."

"Ich bin mir nicht sicher, ob ich das will", sagte Tandra offen und schaute dabei Jikav von der Seite an, dem der Gedanke scheinbar auch nicht gefiel.

"Offengestanden wissen wir nicht, wie ihr zu all dem steht", fügte er hinzu. "Unser Interesse am Gottkaiser könnte dem euren im Wege stehen."

"Wir gehören zur gleichen Garde von Renegaten, wie der Kommandant dieses Stützpunktes", wies Dahos den Einwand zurück, während sich Tandra fragte, wie lange sie sich schon in der Nähe des Raumes befunden haben musste, dass sie diese Information mitbekommen hatte. "Wir unterstützen den Gottkaiser nur oberflächlich. In Wahrheit beobachten wir alles, was er macht. Er scheint irgendetwas zu verheimlichen."

"Soll was genau bedeuten?", hakte Jikav nach.

"Wissen wir noch nicht. Da wir nichts von Pumars Anwesenheit wussten, konnten wir sie, oder ihn, keine Ahnung, auch nicht unterrichten. Möglicherweise hätte das geholfen."

"Dann unterrichten Sie uns jetzt. Glauben sie, dass Jachwey eine Gefahr für das Land ist?"

"Diese Frage kann ich Ihnen nicht beantworten. Wir haben nur beobachtet, dass er eine Vielzahl an Wissenschaftlern und Ingenieuren angeheuert hat. Ingenieure konnten wir ja noch erklären. Deusakem soll so eigenständig, wie nur möglich, gegenüber der Hauptstadt und der Regierung sein. Aber Wissenschaftler? Darauf konnten wir uns keinen Reim machen."

"Unabhängigkeit von Lebensmitteleinfuhren durch genmanipulierte Agrarkulturen und Aquafarmen vielleicht", gab Jikav zu bedenken.

"Dann hätte er aber keine Ärzte und andere medizinische Forscher hier hergeholt."

"Gesundheitliche Versorgung und Forschung für die Bevölkerung", warf jetzt Tandra ein. Darauf hatte Dahos keine Antwort.

"Ich sehe schon, sie glauben mir nicht, dass da irgendetwas vor sich geht", sagte die Renegatin bedrückt.

"Das heißt nicht, dass wir Ihnen nicht glauben. Der Ansatz für Ihre Zweifel ist nur etwas dürftig."

"Und? Was haben Sie jetzt vor?" Tandra blickte ihren Freund mit einem leidigen Blick an. Sie wusste nicht so recht, was sie mit der Frau anfangen sollte. Konnten sie ihr trauen? Und, wenn ja, konnten sie auf die anderen beiden auch zählen? Jikav schien auch so seine Zweifel zu haben, denn er hatte seine Stirn in Falten gelegt und dachte angestrengt über die Pro und Kontra nach. Einen Vorteil hatte die Zusammenarbeit mit den dreien, vorausgesetzt, sie waren ehrlich zu Tandra und Jikav. Sie hatten somit auch Zugriff auf das Verhalten des Kommandanten ihrer Basis und wurden über jede seiner Handlungen unterrichtet. Trotzdem blieb da immer noch ein Restrisiko. Die drei Renegaten waren Unbekannte für sie. Aber vielleicht war er auch nur übertrieben paranoid. Mit einem unangenehmen Gefühl in der Magengrube nickte er unmerklich Tandra zu.

"Also gut. Bewähren Sie sich. Wir nehmen Sie mit in das Team. Trotzdem. Wir werden sie alle sehr genau im Auge behalten. Keiner von uns kann sich einen Fehler leisten. Versuchen Sie uns also nicht über den Tisch zu ziehen", drohte Tandra Dahos ganz offen. Die verzog keine Miene. Sie hatte sehr genau verstanden, was die Suprimemajorin damit andeuten wollte. Und sie traute ihr genau das auch zu, weswegen ihre in wenig mulmig wurde. Tandra bemerkte diese leichte Veränderung und beendete das Thema, indem sie Dahos beauftragte, ihre beiden Begleiter, Qari und Siglas, über das neue Abkommen zu informieren und sie herzuholen, damit weitere Schritte besprochen werden konnten. Von dem Inhalt der Akten erwähnte sie jedoch nichts gegenüber ihren neuen Mitstreitern.

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