Читать книгу Renaissance 2.0 - Christian Jesch - Страница 7
Kapitel 6
Оглавление"Ich denke, wir sind angekommen", meinte Jikav, als sie den Scheitelpunkt des kleinen Bergkamps erreicht hatten und sich die Stadt in dem dahinter liegenden Tal offenbarte.
"Das ist Akeḿ?", fragte Tandra ungläubig zurück.
"Laut deiner Landkarte auf dem Comtab ist es das. Warum fragst du?"
"Sieht irgendwie anders aus, als ich es in Erinnerung habe."
"Du warst schon einmal hier?" Jikav war ein wenig erstaunt, da Tandra nichts dergleichen zuvor gesagt hatte.
"Nein. Aber irgendwie erinner ich mich an die Stadt."
"Ganz sicher? Oder verwechselst du da vielleicht eine Stadt mit einer anderen?"
"Keine Ahnung. Aber Akeḿ sagt mir etwas und ich bin mir sicher, dass der Ort früher einmal anders ausgesehen hat. Ich glaube, er war eine Biosphäre wie Nuhåven." Tandra legte die Stirn in Falten und dachte darüber nach, wieso sie das wusste oder glaubte zu wissen.
"Du hast vollkommen recht", ertönte Thevogs Stimme aus dem Hintergrund. "Akeḿ hatte früher einmal eine Kuppel. Ich bin verwundert, dass sie nicht mehr da ist. Zumal es überhaupt keinen Sinn ergibt, ein derart vor der schädlichen Umwelt schützendes Gewölbe zu entfernen."
"Ich erkenne da schon eine Logik", korrigierte Jikav den Jungen. "Seht euch nur die rauchenden Schornsteine an. Die produzieren Kohlenmonoxid das sich sonst unter der Glocke gesammelt hätte."
"Du meinst, die verwenden Kohlekraftwerke wie in den Jahren des anfangenden Industriezeitalters?", empörte sich Thevog. "Das ist doch unverantwortlich."
"Unverantwortlich schon. Aber wenn es die einzige Möglichkeit ist zu überleben und autark zu sein, macht man sich darüber keine Gedanken."
"Und da die Regierung immer noch nicht den vollständigen Ausstieg aus der Kohleverbrennung zur Energiegewinnung beschlossen hat, dank der Kohlebonzen, die Mår-quell finanzieren, kann Akeḿ dies auch völlig legal tun", mischte sich jetzt Misuk in das Gespräch ein.
"Lasst uns weiter gehen. Ich will zum frühen Nachmittag in der Stadt sein. Glaubst du, die Renegaten haben für uns eine Unterkunft?", wollte Jikav von Tandra wissen. Doch die war immer noch viel zu sehr mit ihren eigenen Gedanken beschäftigt, um zu antworten.
Jikav ging an ihr vorbei und legte dabei seine Hand flach auf ihren Rücken. Tandra gab dem leichten Druck nach und bewegte sich vorwärts. Misuk und Thevog folgten ihnen in einem kurzen Abstand.
Je weiter sie in das Tal gingen, um so mehr wuchs die Stadt vor ihnen in die Höhe. Erstaunlicherweise gab es in Akeḿ anscheinend keine Stahlbetonbauten. Alles war aus Ziegelsteinen. Sogar die Hochhäuser mit ihren zehn, zwölf oder mehr Stockwerken. Thevog, der sich mit Dingen wie Statik, Architektur und Technik auskannte, wunderte sich sehr darüber, dass diese Häuser überhaupt gebaut werden konnten. Und noch mehr darüber, dass sie nicht schon längst wieder zusammengestürzt waren. Je näher sie Akeḿ kamen, desto faszinierter war er von der Stadt. Eine etwa fünf Meter hohe Mauer, ebenfalls aus Ziegelsteinen, grenzte das Areal vollständig ein. Es gab einige wenige Straßen, die durch Tore, welche überwacht wurden, hineinführten. Die Gruppe wählte eine dieser Straßen und betrat die Stadt.
"Willkommen in Akeḿ", begrüßte sie eine freundliche Computerstimme. "Bitte begeben Sie sich zu einem der Monitore. Ihre Einführung beginnt in wenigen Sekunden. Danke."
Die kleine Gruppe wendete sich nach links, wo es auf einem Platz mehrere getrennte Zonen gab, die mit Bildschirmen versehen waren. In jede dieser Zonen passten zirka zehn Menschen. Rechts und links an den Trennwänden zu den anderen Bereichen waren mehrere Scanner angebracht, deren Funktion die vier in dem folgenden Video erklärt bekommen sollten.
"Willkommen in Deusakem", ertönte erneut die Stimme, während die Monitore flackernd ansprangen. "Im nun Folgenden erhalten sie detaillierte Anweisungen über ihr Verhalten in der Stadt. Zunächst ein besonderer Hinweis. Personen aus arbinischen Ländern oder aus der Tekay habe in der Stadt keinen Zutritt. Sollten Sie aus einem dieser Länder stammen und sich trotz des Verbotes Zutritt verschaffen, bedeutet dies sofortige Deportation. Allen anderen wünschen wir einen angenehmen Aufenthalt." Es entstand eine kurze Pause, dann sprach die Stimme weiter. "Verstöße gegen hier geltende Gesetze werden schwer bestraft. Im Vergleich dazu sind die Strafen der mår-quellschen Gesetzesgebung als übertrieben mild zu bezeichnen. Die Stadt ist vollständig überwacht. Ein Verstoß bleibt daher unmöglich verborgen. Mord, Totschlag, Vergewaltigung und Kindes Misshandlung werden mit lebenslanger Einzelhaft bis zum natürlichen Tod bestraft. Dies gilt auch für den Angriff auf einen Exekutivrichter oder das Denunzieren des Deus Jachwey. Glücksspiel ist in jedweder Form verboten. Dies gilt auch für Wetten. Ich möchte Sie jetzt bitten, dass jeder seine Fingerabdrücke der rechten und linken Hand über einen der Scanner eingibt. Vielen Dank und einen angenehmen Aufenthalt."
"Deusakem?", wiederholte Tandra überrascht.
"Da hat sich scheinbar jemand seinen eigenen Stadtstaat aufgebaut", kommentierte Jikav die Verwunderung Tandras.
"Und ich schätze, dieser Jemand ist jener Deus Jachwey. Also sollten wir sehr vorsichtig sein, wenn wir über ihn reden."
"Das können Sie laut sagen", wurden sie von einem Mann angesprochen der mit ihnen in der Zone stand. "Meinen Freund habe ich nie wieder gesehen. Ich weiß noch nicht einmal, ob er noch lebt. Die haben ihn aber so schnell festgenommen, dass er seine Bemerkung über Jachwey gar nicht erst zu Ende bringen konnte." Mit diesen Worten verschwand der Mann wieder in der Menge, die aus der Zone in die Stadt strebte.
Tandra und Jikav schauten sich ernst an. Offensichtlich hatte Akeḿ einen neue, eigene Regierung, die weitaus schärfer durchgriff als Mår-quell. Auf dem Weg aus der Zone kamen die vier an einem weiteren Monitor vorbei, der einige Statistiken aufführte. So gab es seit der Gründung von Deusakem lediglich drei Morde, beziehungsweise Totschlag und nur eine einzige Vergewaltigung. Und alle Straftaten lagen mehr als ein dreiviertel Jahr zurück. Seit dem gab es keine rechtlichen Übergriffe mehr.
"Wenn das stimmt, dann scheint die neue Regierung wirklich alles im Griff zu haben", murmelte Jikav leise.
"Zu wünschen wäre das. Eine solche Regierung könnten wir landesweit gebrauchen. Nicht diese geldgeilen Politiker, die nichts tun, außer sich die Taschen vollzustopfen."
"Und was hältst du von der lückenlosen Überwachung?"
"Wenn man nichts zu verbergen hat, dann muss man sich darüber auch keine Gedanken machen."
"Das sagt eine Renegatin, die im Untergrund arbeitet", grinste Jikav. "Wo wir aber gerade über die Renegaten reden. Ich habe mich schon ein wenig gewundert, dass die in dem Video nicht erwähnt wurden. Gibt es hier denn gar keine mehr?"
"Jetzt, wo du es sagst. Du hast recht. Über uns wurde kein Wort verloren. Und über die ProTeq auch nicht."
"Vielleicht sollten wir uns erst einmal eine andere Unterkunft suchen, bevor wir nach den Renegaten fragen."
"Möglicherweise ist das besser. Solange wir nicht wissen, wie die neue Regierung zu uns steht, halten wir uns besser bedeckt."
"Hallo", rief ein aufgebrachter junger Mann hinter ihnen. "Hallo, Sie dort. Warten Sie bitte." Der Mann holte sie schnell ein und reichte jedem von ihnen eine kleine Packung, welche die vier verwundert betrachteten. "Sie haben die Zone so schnell verlassen, dass Sie Ihr Medikament vergessen haben."
"Was für ein Medikament?", fragte Tandra misstrauisch.
"Bitte einmal Morgens und einmal Mittags einnehmen. Es reinigt ihren Körper von der Umweltverschmutzung in der Stadt. Wenn Sie es aufgebraucht haben, einfach in die nächste Apotheke gehen. Sie bekommen es dort umsonst. Einen schönen Aufenthalt."
So schnell, wie der Mann gekommen war, war er auch schon wieder verschwunden. Skeptisch betrachtete jeder von ihnen die kleine Pappschachtel. Thevog öffnete seine und schaute hinein. Darin befanden sich fünf Waver mit jeweils zehn kleinen, gelben Tabletten und ein Begleitzettel. Auf einer Seite der Packung stand dick aufgedruckt: Bringen sie die leere Schachtel zu einem Apotheker Ihrer Wahl und Sie erhalten einen neue.
"Das nenne ich mal gesundheitliche Fürsorge", entfuhr es Jikav.
Plötzlich verdunkelte sich der Himmel über ihnen. In Erwartung eines Hovers der ProTeq zuckten die Zwei zusammen und schauten nach oben. Doch der Grund war ein ganz anderer. Eine Wolke schwarzen Qualms verdunkelte für wenige Sekunden die Sonne, löste sich aber genauso schnell wieder auf, wie sie entstanden war.
"Ich glaube, wir sind in der Zeit zurückgereist. Das ist das beginnende Zeitalter der Industrie", kommentierte Tandra das Ereignis.
"Keine Sorge. Wir sind nicht in der Zeit zurückgereist. Das kann ich euch versichern", sagte Misuk, um dann wieder zu schweigen. Die drei anderen blickten sie fragend an. Dieses Mädchen war wirklich sehr merkwürdig. Was sollte diese Bemerkung?
"Wir sollten uns jetzt auf die Suche nach einer Unterkunft machen, um dann nach den Renegaten Ausschau zu halten", forderte Jikav die Gruppe auf. "Das wird noch schwierig genug, denke ich."
Die vier waren noch keine zehn Meter weit gekommen, als eine plötzliche Aufregung die Menge um sie herum erstarren ließ. Tandra prallte überrascht auf den Mann vor ihr, der abrupt stehen geblieben war und ein deutliches 'Verdammte Scheiße' ausstieß. Sie versuchte über die Schulter der Person nach Vorne zu sehen, was ihn denn so erregte, als die Frau neben ihm anfing ihn zu beruhigen. Endlich hatte sie freie Sicht auf das Geschehen oder zumindest auf den Ort, wo dieses wohl stattfand. Doch sehen konnte sie nicht wirklich etwas. Mit sanfter Gewalt bahnte sie sich einen Weg voran. Jikav und die beiden Jugendlichen folgten ihr.
Auf dem Boden lag ein Mann. Er regte sich nicht und alle hielten einen möglichst großen Abstand zu ihm. Tandra wollte sich weiter vorarbeiten, doch die Umstehenden hielten sie mit aller Kraft davon ab. Zwei Frauen drehten sich zu ihr um, blickten Tandra ins Gesicht und schüttelten leicht die Köpfe. Die Renegatin konnte das Verhalten nicht verstehen. Die Person am Boden brauchte vielleicht Hilfe. Aber niemand tat etwas.
"Ich muss hier sofort verschwinden", hörte sie jemanden hinter sich sagen.
"Vergiss es. Wir haben damit nichts zu tun. Und schau dich doch mal um."
Jikav, an den die Worte zwar nicht gerichtet war, der aber aus Neugier der Aufforderung folgte, begriff sofort, was gemeint war. Als wäre sie aus dem Boden gewachsen standen ein gutes Dutzend Männer und Frauen mit Waffen in der Hand um sie herum.
"Wo kommen die Bewaffneten so plötzlich her?", flüsterte Jikav Tandra zu.
"Das sind Wächter. Beamte der ProTeq. Sie sorgen für die Sicherheit hier im Staat", erklärte ihm ein Mann rechts von ihm. "Sie kommen nicht von hier, richtig?"
"Nein. Wir kommen aus Nuhåven."
"Stimmt es, dass die Biosphäre vollständig zerstört wurde?", wollte der Mann nun aufgeregt wissen.
"Das ist richtig", antwortete ihm Tandra.
"Wie konnte das passieren?"
"Sie wurde gesprengt", entgegnete diesmal Jikav völlig nüchtern.
"Von wem?", kam jetzt die Frage von der anderen Seite, durch eine Frau, die sich in das Gespräch einmischte.
"Das werden Sie mir nicht glauben", erwiderte Jikav. "Von der ProTeq."
"Nein!", stießen die beiden Personen etwas lauter hervor, als sie wollten. Sofort zogen sie sich einige Schritte zurück, um nicht entdeckt zu werden.
Eine Person löste sich aus der Menge und ging auf den am Boden liegenden zu. Sie holte ein Gerät aus der Tasche, um es dem Mann auf den Bauch zu drücken. Dann las sie die Daten auf dem Display aus, überprüfte diese ein zweites Mal, um dann wieder aufzustehen.
"Alles in Ordnung", sage sie. "Kein Gift oder ähnliches. Organisieren Sie einen Leichentransport. Sie können die Leute weitergehen lassen."
"So funktioniert also die Sicherheit in Deusakem", murmelte Thevog ein wenig beeindruckt.
"Scheinbar sind hier in den Straßen ebenso viele Proteqtoren wie Bewohner unterwegs. Ist schon ein bisschen beeindruckend. Nicht so wie unter Mår-quell, wo jeder jedem am helllichten Tag etwas antun kann, ohne dabei gesehen zu werden." Der junge Renegat nickte anerkennend und löste sich dann von der Szene, die sich jetzt vor ihren Augen abspielte.
"Dann werden die Renegaten es hier wohl um einiges schwerer haben, als in Nuhåven", konsternierte Tandra etwas entmutigt.
"Die Renegaten?", kam plötzlich die Frage von hinter ihnen. "Überhaupt nicht. Die arbeiten doch auch für den Gottkaiser Jachwey."
Tandra und Jikav schauten sich erstaunt an, bevor sie sich nach der unbekannten Stimme umdrehten. Es war ein kleiner, vielleicht siebzigjähriger Mann, der sie von Unten angrinste. Er war sogar noch kleiner, als Thevog und Misuk. Sein breites Grinsen machte ihn überaus sympathisch, sodass Tandra ihn direkt fragte, ob er den wüsste, wo sie die Renegaten finden könnten.