Читать книгу Renaissance 2.0 - Christian Jesch - Страница 18
Kapitel 17
Оглавление"Wie lange glauben Sie, benötigen wir zu der Anlage?", fragte Neyton vorsichtig bei Ysana an. Zu Recht hatte er immer noch das Gefühl, die Anführerin der Liga würde ihm nicht trauen. Oder seinen Leuten, die wirklich nicht alle hinter seiner Entscheidung standen. Einige von ihnen hielten das Handeln von Neyton für zu eigenmächtig und überhastet. Er hatte in seinem Überschwang noch nicht einmal ansatzweise die übrigen Mitglieder der Gruppe nach ihrer Meinung befragt. Eine gewisse Unruhe war seit dem eingekehrt.
"Das hängt davon ab, ob einige Ihrer Gruppe Schwierigkeiten machen oder nicht", bestätigte Ysana seine Befürchtungen. "Und Sie müssen sich auch noch bewähren." Neyton schaute sie überrascht an. "Ich kann sehr überzeugend sein. Das heißt aber nicht, dass alle bei dieser Überzeugung bleiben, wenn es darauf ankommt."
Neyton schwieg zu dieser offenen Anmerkung. Unrecht hatte Ysana nicht. Ihre Rede hatte ihn gefangen genommen und dazu gebracht für den Moment über die Situation nachzudenken. Doch erst später wurde ihm klar, dass er in keinster Weise sagen konnte, wie dieses Mädchen seine Ansprüche durchsetzen wollte und ob ihm das gefallen würde. Sie war von sich überzeugt und, zumindest traute er ihr das zu, sie ging über Leichen, wenn es sein musste. Und das war etwas, das ihm Bauchschmerzen bereitete. Was würde Ysana mit ihm und seinen Leuten machen, wenn es darauf ankam und sie nicht mitzogen? Er hatte mit seiner Gruppe einfach zu lange im Wald gelebt, hatte zu sehr den Kontakt zur Realität verloren, hatte sich zu sehr an die Ruhe und den Frieden gewöhnt. Was jetzt auf ihn wartete, wurde beim Verlassen des Waldes nicht von ihm bedacht.
"Zweifel?", fragte Ysana ihn unerwartet, während sie den Mann schräg von der Seite betrachtete.
"Ich weiß nicht. Ehrlich gesagt habe ich ein wenig Angst. Ich habe mir keine Gedanken darüber gemacht, was uns hier, in dieser Welt, erwartet."
"Das werden Sie noch früh genug erkennen. Dann werden Sie und ihre Leute entweder wegrennen, wie die Hasen, oder für das kämpfen, was Ihnen zusteht. Wenn Sie oder jemand anderes aus ihrer Gruppe keins von beidem tut, ist diese Person tot. So ist das wahre Leben eines Mutanten unter der Herrschaft von Mår-quell."
"Jetzt mache ich mir richtige Sorgen um meine Gefolgschaft", stöhnte Neyton auf.
"Wir werden uns heute Abend zusammensetzen. Ihre Leute und meine. Und ich werde den Ihren genau erklären, wie diese Realität abläuft. Wer dann noch bei mir bleiben will, sollte wissen, worauf er oder sie sich einlässt. Alle anderen sollen zurück in den Wald gehen und sich weiterhin verstecken."
"Ich denke, es wird schwierig werden, die jungen Menschen zu überzeugen, in den Kampf zu ziehen, wie Sie sich das vorstellen."
"Das ist mir klar. Doch das müssen sie nun mal. Andernfalls werden sie ihre Daseinsberechtigung auf diesem Planeten im Laufe der Zeit vollkommen verlieren. Und das liegt nicht allein an mir."
"Ich verstehe."
"Bislang ist noch alles friedlich. Aber warten sie erst einmal, bis die entsprechenden Organisationen auf uns aufmerksam geworden sind und herausfinden, was wir vorhaben. Dann wird die Jagdsaison auf uns eröffnet und der Kampf beginnt."
"Und jeder, der dann nicht bereit ist, sich zu wehren…"
"...der wird entweder getötet oder gefangen genommen", unterbrach Ysana Neyton. "Wobei tot besser ist, als gefangen."
Erneut verfiel Neyton in ein langes, nachdenkliches Schweigen. Wie sollte er nur seine ahnungslosen Mitstreiter auf diese Brutalität vorbereiten? Wie sollte er sie davon überzeugen, dass es besser ist zu töten, als umgebracht oder gefangen genommen zu werden? Einige von ihnen konnten noch nicht einmal ein Tier töten, um es zu schlachten, damit die Gemeinschaft etwas zu essen hatte. Diese wenigen würden wahrscheinlich die ersten Opfer des Krieges sein, an dessen Schwelle er jetzt mit Ysana zusammen stand. Und, war er überhaupt bereit dazu? Diese Frage überfiel ihn so plötzlich, dass er fast stolperte. Ysana bemerkte dies. Sie konnte nur erahnen, was Neyton gerade durch den Kopf ging, aber sie war sich sicher, dass sie mit ihrer Vermutung richtig lag.
"Wir hätten uns in Akeḿ mit Proviant versorgen sollen", unterbrach Neyton überraschend die Stille. "Wir habe nicht genug mitgenommen, um alle über einen längeren Zeitraum zu versorgen."
"Ich hatte meine Gründe, warum wir nicht nach Akeḿ gegangen sind. Diese Stadt ist eine Hochburg der Sturmredner und ich habe weder die Lust noch die Zeit sie ebenfalls in Schutt und Asche zu legen."
"Wie darf ich das verstehen?", fragte der Mann nachdenklich.
"In Akeḿ befand oder befindet sich noch immer eine Art Oberkommando dieser unnützen Behüter der Metamenschen."
"Wer sind diese Sturmredner?"
"Stimmt. Hatte ich vergessen. Wie sollten Sie etwas über diese Leute gehört haben. Die Sturmredner sind eine Gruppe, die vor Jahren angefangen haben, Metamenschen aus den Anstalten der Regierung zu befreien, nur um sie dann an irgendwelchen geheimen Orten vor der Außenwelt zu verstecken. Oder anders ausgedrückt, die Mutanten wurden von einem unfreiwilligen in ein freiwilliges Gefängnis gebracht. Und alle fanden es toll." Ysana verzog die Miene, als müsste ihr übel werden. "Bis ich kam."
"Dann hätten wir doch in Akeḿ weitere Mutanten fragen können, ob sie sich uns anschließen wollen", bemerkte Neyton vollkommen ernst. Ysana blieb abrupt stehen. Sie betrachtete den Mann völlig verständnislos, als wäre er schwachsinnig. Dann fing sie lauthals an zu lachen und konnte sich nicht mehr einkriegen. Neyton hingegen verstand überhaupt nicht, warum sie so reagierte und wendete sich an Tenju, der ebenfalls mit sich rang.
"Was habe ich denn falsches gesagt?", erkundigte der Mann sich bei dem Jungen. Der musste erst einmal tief Luft holen.
"Man geht nicht so einfach zu den Sturmrednern und fragt, ob sich ihre Mutantenschützlinge für einen Rachefeldzug gegen die Menschheit anschließen wollen. Ganz im Gegenteil. Man bekämpft die Obersten und die Ältesten der Sturmredner, weil sie einfach zu weich in der Birne sind, um zu begreifen, was sie den Metamenschen antun. Wenn sie könnten, würden sie Ysana versuchen aufzuhalten. Wie Ysana schon sagte, wenn wir genügend Zeit hätten, wären wir nach Akeḿ gegangen, hätte die Stadt in Schutt und Asche gelegt und die Metamenschen aus der Gefangenschaft dieser Idioten befreit. So müssen wir das erste einmal auf später verschieben."
Die Anführerin der Liga hatte sich mittlerweile auch wieder beruhigt und nickte fleißig zu dem, was Tenju ausführte. Der Leiter der Waldmenschen hingegen schien nicht ein Wort zu begreifen. Dafür dämmerte es ihm langsam, auf was er sich hier eingelassen hatte. Und es fing an, ihm zu gefallen. Nach und nach begriff er, was die Primitiven den Metamenschen schon seit vielen Jahren vorenthielten. Die Freiheit. Nicht nur die Regierung tat dies. Auch selbsternannte Hilfsorganisationen taten nichts anderes. Nur verpackten diese es in einer anderen Umschreibung. Schutz. Doch was nutzte Schutz, wenn man sich nicht frei bewegen konnte? Je mehr er darüber nachdachte, desto mehr kam die Erkenntnis. Endlich war er bereit, diesem jungen Mädchen und ihrem Ziel zu folgen. Was der Rest seiner Gruppe darüber dachte, war ihm in diesem Moment vollständig egal. Ysana erkannte daran, wie sich Neytons Gesicht langsam aufhellte, dass er jetzt endlich zu einem der ihren geworden war. Ihr Blick glitt über den Rest der Truppe, von der sie weniger überzeugt war. Überraschend zog etwas Neues ihre Aufmerksamkeit auf sich. Drei große, schwarze Punkte, die sich weit hinten am Himmel abzeichneten. Sie bewegten sich schnell in verschiedene Richtungen. Einer davon auf die Gruppe zu.
"Wir müssen hier sofort verschwinden", sagte Ysana tonlos, während sie sich nach Deckung umschaute.
"Was ist los?", fragte Neyton überfordert.
"ProTeq", war ihre einzige Antwort.
"Was ist ProTeq?"
"Die Jagdsaison wurde gerade eröffnete", nahm Ysana ihre Worte von vorhin auf. "Deckung!", brüllte sie so plötzlich, dass sich der Führer der Waldmutanten erschrak. Doch er begriff schnell.
"Morell!", brüllte er. "Tarnmodus!"
"Tarnmodus?", fragte Ysana.
"Warte ab", grinste Neyton lediglich.
"Ich habe mich mit der ProTeq in Verbindung gesetzt", eröffnete der Gottkaiser das Gespräch mit dem Ältesten. "Sie werden sich an der Suche beteiligen."
"Haben Sie ihnen auch mitgeteilt, dass sie sich nicht mit der Hexe anlegen sollen."
"Natürlich habe ich das. Die ProTeq wird drei Hover starten, welche dann die entsprechenden Routen zu den Anlagen abfliegen. Sie werden aber nicht aus der Luft angreifen."
"Das bedeutet was?", fragte der Älteste neugierig nach, da er das Gefühl hatte, der Gottkaiser hatte noch etwas vergessen zu erwähnen.
"Jeder Hover ist mit einer Vigintur Suziden besetzt. Die werden vom Boden aus versuchen diese Liga zu stoppen."
"Suziden?"
"Eine Spezialeinheit aus weniger rühmlichen Menschen, die sich auf diese Art beweisen können. Wenn sie mehrere Einsätze überleben, erhalten sie ihre Bürgerrechte zurück und dürfen ganz normal in der Stadt leben."
"Weniger rühmlich?", staunte der Älteste.
"Kriminelle aller Art und Herkunft. Illegal eingewanderte. Und Ähnliches", erklärte Jachwey. "So haben sie wenigstens noch einen Nutzen für die Bevölkerung von Deusakem."
Ysana schaute den jungen Mann erwartungsvoll an, doch nichts geschah. Der Hover-Zerstörer kam immer näher und legte einen riesigen Schatten über das Land. Schließlich erreichte er die Gruppe in einem Abstand von etwa einhundert Meter, um dann behäbig weiterzufliegen. Die Ligaführerin war beeindruckt.
"Wer von denen ist Morell?", wollte sie wissen. Neyton winkte eine junge Frau heran, die sich zu ihnen gesellte.
"Eine beeindruckende Leistung", sagte sie zurückhaltend begeistert.