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8. KAPITEL 1918–1928. Schalk zwischen Tradition und Erneuerung

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Am 15. November 1918 wurde vier Tage nach dem Waffenstillstand und drei Tage nach der Ausrufung der Republik Österreich Franz Schalk (1863–1931) zum Direktor der Oper ernannt. Es ist sein Verdienst, dass die Umwandlung der Hofoper in die Staatsoper glatt über die Bühne ging. In dieser Zeit der radikalen Umwälzungen war er sowohl für die Oper als auch für das Orchester ein wertvoller Gewährsmann für Stabilität und Tradition. Seine Reformansätze scheiterten zwar an den wirtschaftlichen Bedingungen der Zwischenkriegszeit, sind aber als nicht zu unterschätzende Anstöße zu werten.

War Hans Gregor in erster Linie Geschäftsführer, so war Schalk vordringlich Dirigent. Die Philharmoniker konnten bei ihm mit mehr Verständnis für ihre Konzerte rechnen als bei seinem Vorgänger, über den sich Felix Weingartner als Leiter der Abonnementkonzerte mehrmals beschwert hatte. Es war immer wieder zu Konflikten wegen Konzertproben gekommen, da Gregor nicht verstand, dass man auch für Konzerte proben müsste. Die Musiker kannten Schalk seit Langem, da er seit 1900 erster Hofopernkapellmeister war. Er hätte allen Grund gehabt, sich über das Orchester zu ärgern, das ihn als Dirigenten nicht sehr schätzte und diese Ablehnung auch kundtat, indem es ihm Josef Hellmesberger vorzog, als es 1901 darum ging, Gustav Mahler als Dirigenten der Abonnementkonzerte zu ersetzen. Ebenso lehnten die Philharmoniker mit großer Mehrheit Schalk als Dirigenten des Gedenkkonzerts zum ersten Todestag von Kaiser Franz Joseph am 20. November 1917 ab.

Die schärfsten Gegner Schalks im Orchester waren der Oboist Armin Tyroler und der Trompeter Otto Fieck, der in der Komiteesitzung ausrief: »Lieber Weingartner oder sonst wer, aber nicht Schalk.« Weingartner war damals Dirigent der philharmonischen Konzerte: Übte eine Person dieselbe Funktion in der Oper und bei den Philharmonikern aus, hätten die Musiker viele Vorteile, würde ihre Konzerttätigkeit in diesem Fall von der Oper nicht als Konkurrenz gesehen. Bundeskanzler Karl Renner hatte vorgeschlagen, Weingartner zum Leiter aller staatlichen Musiktheater in Wien zu machen, ein Projekt, das von reichen Mäzenen unterstützt wurde, aber nicht zur Durchführung gelangte. In einer Stadt, der sehr viel am öffentlichen Dienst lag, galt diese Idee als eine versteckte Initiative zur Privatisierung.

Nun wurde Franz Schalk, den die Philharmoniker so gut es ging von ihren Konzerten ferngehalten hatten, obwohl er immerhin 16 Abonnementkonzerte zwischen 1903 und 1909 dirigiert hatte, deren Chef, indem er Operndirektor wurde. Er benutzte seine neuen Befugnisse nicht, um die Musiker für ihre Widerborstigkeit zu bestrafen, sondern blieb dem Orchester gegenüber loyal. Der Geiger Otto Strasser erinnerte sich an Schalk als einen eleganten Herrn der alten Schule, formvollendet und streng, aber auch als guten Pädagogen, der jedes Orchestermitglied persönlich kannte. Strasser verdankte sein berufliches Können der Arbeitsweise Schalks, der dem Orchester viel abverlangte und deshalb von den Philharmonikern als schulmeisterlich abgestempelt wurde. Als Vertreter der alten Schule war Schalk wie auch Konzertmeister Rosé ein Gegner des Vibrato und der Metallsaiten, die allmählich die Darmsaiten ablösten, da sie haltbarer waren und sich nicht so leicht verstimmten.

In den Jahren 1919–24 teilte sich Schalk die Direktion der Staatsoper mit Richard Strauss. Letzterer war schon lange kein Unbekannter mehr für die Orchestermitglieder. Bereits 1892 hatte Hans Richter in einem Abonnementkonzert zum ersten Mal ein Werk von Strauss dirigiert, Don Juan. Als Strauss 1906 sein Debüt als Dirigent gab, hatten die Philharmoniker bereits mehrere seiner maßgeblichen sinfonischen Dichtungen aufgeführt, u. a. Tod und Verklärung, Till Eulenspiegel und Also sprach Zarathustra. Die erste Sternstunde ihrer Zusammenarbeit war die Teilnahme der Philharmoniker an der Richard-Strauss-Woche in München im Jahr 1910, wo sie nicht weniger als drei Konzerte unter der Leitung des Komponisten spielten, und zwar in einer besonders herzlichen Atmosphäre. Auch die Hofoper hatte mehrere Strauss-Opern ins Repertoire aufgenommen, Elektra und Der Rosenkavalier sogar noch im Jahr der Dresdner Uraufführung. Die zweite, am häufigsten gespielte Fassung der Ariadne auf Naxos wurde 1916 in Wien uraufgeführt.

Aber so hoch die Musiker Strauss als Dirigenten und Komponisten schätzten, reagierten sie recht zögerlich auf seine Ernennung. Sie beklagten sich insbesondere über die hohen finanziellen Forderungen des Komponisten, die in keinem Verhältnis zu seiner Anwesenheit stünden, Vorwürfe, die von Tyroler und Fieck auch im Vorstand erhoben wurden, aber von anderen wie dem Geiger Gustav Hawranek relativiert wurden. Dieser forderte seine Kollegen auf, die »guten Seiten« von Strauss zu sehen … Diese Meinungsverschiedenheiten wirkten sich günstig auf das Mitspracherecht der Musiker aus, denn 1919 waren sie zum ersten Mal durch Delegierte in den Verwaltungsgremien der Oper vertreten: Von nun an sollte immer ein Obmann beziehungsweise Betriebsrat die Interessen des Opernorchesters vertreten.

Die Philharmoniker mussten sich einmal mehr um ihre Autonomie sorgen, denn es ging bald das Gerücht um, Strauss habe die Absicht, in der Oper Matineen zu veranstalten, die ihren Abonnementkonzerten Konkurrenz machen könnten. Strauss dementierte, Schalk bestätigte schriftlich, dass er sich für die Fortsetzung der philharmonischen Konzerte verbürge. Die Beziehungen normalisierten sich wieder, und das Orchester spielte unter dem Dirigenten Schalk in der Oper eine der wichtigsten Uraufführungen seiner Geschichte, Die Frau ohne Schatten von Richard Strauss 1919. Auch behinderte Schalk 1922 und 1923 nicht die Organisation zweier Südamerikatourneen der Philharmoniker mit Weingartner und Strauss, obwohl die Oper dadurch in große Schwierigkeiten bezüglich der Planung und Engagements geriet: Um ihm zu danken, vertrauten ihm die Philharmoniker das Festkonzert anlässlich des 25. Todestages von Anton Bruckner an, denn Schalk war einer der ihm am nächsten stehenden Schüler. Der zweiten Tournee 1923 stand Schalk zunächst ablehnend gegen. Als ihm der Veranstalter jedoch die Leitung von Opernaufführungen in Buenos Aires anbot, änderte er seine Meinung und stimmte der Tournee zu.

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