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Eine aktive Einstellungspolitik

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Schalk bemühte sich nicht nur, den Philharmonikern in allen Belangen zu helfen, er traf auch wichtige Entscheidungen für das Orchester. In seiner zehnjährigen Amtszeit engagierte er 62 Musiker, davon 31 in den ersten drei Jahren. Damit erreichte er zwar nicht den Rekord Mahlers, hatte aber nicht minder viele Abgänge zu verkraften. Zunächst ging es darum, möglichst schnell die Lücken zu schließen, die der Erste Weltkrieg geschlagen hatte. Zu Saisonbeginn 1918 fehlten 4 Primgeiger, 3 Sekundgeiger, 1 Bratschist, 1 Kontrabassist, 1 Oboist, 1 Klarinettist, 1 Hornist, 1 Trompeter, 1 Posaunist, 1 Tubist und 2 Schlagwerker.

Unter den Neuzugängen waren einige, die im Orchester ihre Spuren hinterlassen sollten, wie der Geiger Hermann Obermeyer, der Bratschist Ernst Morawec, der Kontrabassist Alois Vondrak, der Fagottist Hugo Burghauser, der Hornist Hans Koller und der Trompeter Franz Dengler. Manche traten eine schwierige Nachfolge an, Morawec etwa die des Solobratschisten Franz Jelinek. Dengler musste den Solotrompeter Max Schöniger ablösen. Dengler, obwohl in der Habsburgermonarchie geboren, war nicht etwa im Wiener Konservatorium ausgebildet worden, sondern in Dresden, wo er bis 1918 beschäftigt war. Mahler stand demnach mit seiner Wertschätzung der deutschen Trompetenschule nicht allein da, zudem bestanden in der Instrumentalausbildung enge Beziehungen zwischen Wien und Dresden. Dasselbe gilt für den Instrumentenbau: So wie die von Richard Baumgärtel entwickelte Wiener Oboe vom Dresdner Modell inspiriert war, so brachte Dengler in Dresden hergestellte Heckel-Trompeten nach Wien. Während es eine ununterbrochene Kontinuität beim Wiener Horn gab – die Linie Schantl–Stiegler–Freiberg –, setzte Dengler der Tradition der Wiener Trompete von Blaha–Stiegler ein Ende, indem er eine neue Schule gründete.

Während bei der Cellogruppe Wilhelm Jeral die Stelle als dritter Solocellist behielt, sah sich Friedrich Buxbaum oft allein am Pult des ersten Solocellisten. Hier wäre eine Doppelbesetzung vonnöten gewesen. Doch der Niederländer Engelbert Röntgen, der 1913 engagiert worden war, verließ schon 1920 wieder seinen Posten, um für gut 25 Jahre in den Vereinigten Staaten als Solocellist an der Metropolitan Opera zu spielen. Der hervorragende Paul Grümmer folgte ihm nach, aber noch im selben Jahr wurde sein Vertrag wieder aufgelöst, sehr zum Kummer von Franz Schalk, der große Hoffnungen in diesen verdienstvollen Musiker gesetzt hatte. So schrieb er ihm am 29. Dezember 1920:

Hochverehrter Herr Professor!

Mit allergrößtem künstlerischem und persönlichem Bedauern nehme ich von Ihrem neuerlichen Ersuchen um Entlassung aus Ihrem Vertrage Kenntnis. Ich muss nach den gemachten Erfahrungen leider Gottes darauf verzichten, nochmals ein Arrangement zu versuchen, und es bleibt mir nichts übrig, als Ihnen für die nur allzu kurze Zeit Ihrer Tätigkeit an unserem Institute herzlichst zu danken.41

Zur selben Zeit richtete Franz Schalk ein Schreiben an die Verwaltung, in dem er betonte, dass die zahlreichen Engagements des Prof. Grümmer unvereinbar mit seiner Aktivität im Orchester seien. Grümmer sollte der Nachwelt als Mitglied des berühmten Busch-Quartetts in Erinnerung bleiben. Er unterrichtete an der Wiener Akademie und zählte dort unter anderen Richard Krotschak, den zukünftigen Solocellisten der Philharmoniker, und einen gewissen Nikolaus Harnoncourt zu seinen Schülern. Nach dem gescheiterten Versuch mit Grümmer rückte Rudolf Hindemith, der jüngere Bruder des Komponisten, 1921 auf dessen Stelle nach, um sie 1923 schon wieder zu verlassen und unter verschiedenen Pseudonymen eine nicht besonders erfolgreiche Karriere als Komponist zu versuchen. Das Phänomen Grümmer wiederholte sich 1925, als der Niederländer Maurits Frank, Cellist beim Amar-Quartett (dessen Bratschist Paul Hindemith war), nach nur wenigen Monaten als Solocellist der Staatsoper kündigte. Die Zeit reichte nicht aus, um Mitglied der Philharmoniker zu werden.

Die chronische Instabilität am Solocellopult war umso gravierender, als, wie die Direktion beklagte, Buxbaum sich oft beurlauben ließ, wohl wegen seiner Mitwirkung beim Rosé-Quartett, und der dritte Solocellist Jeral kränklich war und an Augenbeschwerden litt. Die Situation verbesserte sich erst 50 Jahre später, als die drei Solocellisten rangmäßig gleichgestellt wurden, indem man eine ordentliche dritte Solocellistenstelle einrichtete.

Gelegentlich stützte sich Schalk wie vor ihm Mahler auf seine Ermessensfreiheit und engagierte einen Musiker unter Umgehung von Probespielen, zum Beispiel den Flötisten Josef Niedermayr, der 1921 mit 21 Jahren die Lücke ausfüllte, die der »Star« Ary van Leeuwen hinterlassen hatte. Diesem war es zwar letztendlich gelungen, den Zorn der Philharmoniker zu besänftigen und von ihnen akzeptiert zu werden, er war aber dem Ruf der Neuen Welt gefolgt und hatte einen einträglichen Posten in Cincinnati angenommen. Niedermayr war ein geschätzter Soloflötist, mit dem Furtwängler gerne Bachs 5. Brandenburgisches Konzert am Klavier spielte und der mit Mozarts Konzert für Flöte und Harfe unter Karl Böhm und unter Hans Knappertsbusch auftrat. Er war der letzte von Roman Kukula nach der alten Methode unterrichtete Schüler, ließ sich aber auch von van Leeuwen beeinflussen, was eine originelle Synthese ergab. Seine Aufgabe sei es gewesen, den Stil der Wiener Flötenschule zu bewahren, der eine Mischung aus der soliden Musikalität von Kukula und der Virtuosität van Leeuwens sei, meinte er später einmal.42

Schalk zögerte nicht, notfalls die Schaffung von provisorischen Stellen zu beantragen. So machte er 1920 die Theaterdirektion auf die problematische Situation bei den Solohornisten aufmerksam und beantragte die Einstellung eines vierten Solisten. Herr Nowak sen. sei mit seinen 35 Dienstjahren nicht mehr in der Lage, schwierige moderne Opern zu spielen, und Herr Nowak jun. müsse wegen seines Gesundheitszustands seine Kräfte schonen, sodass eigentlich Professor Karl Stiegler als Einziger am ersten Pult voll einsatzfähig sei. Man könne aber nicht verlangen, dass er eine so schwierige und exponierte Aufgabe auf Dauer alleine bewältige. Das Ansuchen wurde bewilligt und der junge Hans Koller als vierter Solohornist mit der Aussicht engagiert, dass 1926 nach dem Ausscheiden von Nowak sen. der vierte Posten nicht nachbesetzt würde. Hans Koller war nicht der erste Koller im Orchester, er fand am vierten Horn seinen Bruder Franz vor, 1946 sollte der jüngste Bruder Josef dazustoßen, der zuvor bei der Staatskapelle Berlin engagiert war. Die Geschichte der Kollers ist nicht nur eine Familien-, sondern auch eine Hornistengeschichte: Sie waren die Neffen von Christian Nowak sen., seit 1885 Orchestermitglied, und Cousins ersten Grades von Christian Nowak jun., Solohornist seit 1914.

Die Wiener Philharmoniker

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