Читать книгу Die Wiener Philharmoniker - Christian Merlin - Страница 46
Erste Salzburger Festspiele und erste Tourneen
ОглавлениеIn der Ära Schalk/Strauss fanden zum ersten Mal die Salzburger Festspiele statt, die sich bald zusammen mit der Wiener Staatsoper und dem Musikverein zu einem der drei maßgeblichen Wirkungsfelder der Wiener Philharmoniker entwickeln sollten. Waren die ersten von Hugo von Hofmannsthal und Max Reinhardt gegründeten Festspiele ganz dem Sprechtheater gewidmet, kam im Sommer 1922 die Oper ins Spiel: Unter der Leitung von Schalk und Strauss führten die Philharmoniker vier Mozart-Opern auf. Von nun an wurde Salzburg zur Sommerresidenz der Philharmoniker; ihnen allein wurden die Opernaufführungen übertragen. Wie wichtig in den ersten Jahren die Mitwirkung der Philharmoniker für die Festspiele war, lässt sich aus einem Brief herauslesen, den der Festspielgeschäftsführer Erwin Kerber im Januar 1926 an den Hornisten und Kassier der Philharmoniker, Hermann Moissl, schickte. Er fände keinen Schlaf, schreibt er, bevor die Teilnahme der Philharmoniker nicht einigermaßen gesichert sei. Herr Moissl solle es ihm nicht übelnehmen, dass er so insistiere!39 Immer wieder sollten sich die Philharmoniker auf diese Weise bitten lassen, um ihren Preis zu erhöhen.
An den Festspielen 1922 waren lediglich die 37 Philharmoniker beteiligt, die nicht an der Südamerikatournee des Orchesters teilnahmen. Es handelte sich um die bisher weiteste und komplizierteste Reise der Philharmoniker. 1900 waren sie mit Mahler in Paris, 1906 mit Schalk in England, 1910 mit Strauss in München, 1917 mit Weingartner in der Schweiz, 1918 in Berlin und 1921 in der Tschechoslowakei gewesen. Die Reise über den Ozean im Jahr 1923 kostete die Philharmoniker vier ihrer Mitglieder: Der Geiger Karl Knoll verübte in Montevideo Selbstmord, indem er sich aus dem Fenster stürzte – an seiner Beerdigung konnten nur der Oboist Armin Tyroler und der Geiger Hermann Obermeyer teilnehmen, während das Orchester die Tournee fortsetzte –, der Klarinettist Franz Behrends starb an einer Lungenentzündung und wurde in Buenos Aires begraben, der Kontrabassist Eduard Madensky starb ebenfalls an einer Lungenentzündung, auf dem Schiff während der Rückreise nach Europa: Seine Leiche wurde im Ozean bestattet. Der Bratschist Eugen Hüttner fand so großen Gefallen am lateinamerikanischen Lebensstil, dass er nicht mit seinen Kollegen nach Wien zurückkehrte, sondern sich in Argentinien als Geigenlehrer niederließ. Dazu schrieb der Geiger Daniel Falk in seinem Tagebuch 1923: »Hüttner bleibt in Amerika; sein noch in Wien gefaßter Plan bei seinem Onkel in einer Fabrik in Nordamerika zu arbeiten, wird bei dieser ›Gelegenheit‹ verwirklicht. Er reitet zu Pferd mit einem Bekannten von Süd- nach Nordamerika, durch Felder und Wälder. Glück auf!«
Der Organisationsplan der Südamerikatournee von 192340 gab einen Vorgeschmack auf eine Schwierigkeit, die zu einem der größten Probleme des Orchesters werden sollte: Man musste die Anwesenheitspflicht in der Oper mit den internationalen Tourneen in Einklang bringen. Während 95 Philharmoniker auf Reisen waren, blieben 42 Mitglieder des Staatsopernorchesters in Wien, zu denen 74 Substituten stießen, um ein Orchester von 115 Mitgliedern zu bilden: 28 von ihnen kamen vom Wiener Sinfonieorchester, 22 aus der Volksoper, 17 von der Bühnenmusik. Insgesamt blieben in Wien nur 10 von 23 Primgeigern, 3 von 18 Sekundgeigern, 5 von 13 Bratschisten, 3 von 11 Cellisten, 3 von 11 Kontrabassisten, 2 von 3 Harfenisten, 1 von 5 Flötisten, 2 von 6 Oboisten, 2 von 7 Klarinettisten, 2 von 6 Fagottisten, 2 von 10 Hornisten, 2 von 6 Trompetern, 2 von 7 Posaunisten, die beiden Tubisten und einer der 5 Schlagwerker. Das sind nur 35% des Orchesters: eine Prozentzahl, die heute laut dem Kollektivvertrag unmöglich wäre.
In dieser Zeit der Veränderungen erlebten die Musiker die Anfänge eines Mediums, das von nun an nicht mehr aus dem Leben der Philharmoniker wegzudenken war: das Radio. Im Winter 1924 übertrug Radio Wien ein Konzert des Sedlak-Winkler-Quartetts, dessen Primarius der gerade erst engagierte junge Philharmoniker Fritz Sedlak war, sodann anlässlich dessen hundertsten Geburtstags ein Stück von Anton Bruckner für ein kleines Ensemble, das sich aus Mitgliedern des Wiener Staatsopernorchesters zusammensetzte, und am 9. Dezember 1924 drei Haydn-Symphonien, die Solooboist Alexander Wunderer dirigierte. Zur ersten Opernübertragung kam es am 24. August 1925: Don Giovanni, eine Aufführung der Salzburger Festspiele. In dieses Jahrzehnt, ins Jahr 1924, fällt auch die erste Plattenaufnahme der Philharmoniker: An der schönen blauen Donau, unter der Leitung des Primgeigers und Ballettdirigenten Josef Klein. 1928 folgten mehrere Beethoven-Symphonien unter Franz Schalk.