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Burghauser gegen Krauss

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Im Komitee erhob sich Widerstand. Anführer war Solofagottist Hugo Burghauser, ein erbitterter Gegner von Krauss, der sich zum Ziel setzte, den Direktor aus dem Amt zu jagen. Für seinen Kreuzzug räumte er den Vorstand der Philharmoniker, den Geiger Gustav Hawranek, aus dem Weg. Dieser war gerade Wunderer nachgefolgt und aufgrund seines harmoniebedürftigen Charakters sichtlich nicht geeignet für einen solchen Machtkampf. Burghauser zögerte nicht, auf eigene Initiative und ohne Auftrag zu handeln, indem er ein Memorandum an das Unterrichtsministerium schrieb und gegen Krauss erbarmungslos Stellung bezog.51 Auf seiner Anklageliste sprach Burghauser vom »katastrophalen Niedergang« der Staatsoper. Er erklärte, dass neue Werke wie Die Bacchantinnen von Egon Wellesz oder Wozzeck von Alban Berg nicht nur finanzielle Misserfolge seien, sondern auch mehr als zweifelhafte Experimente. Mit ihrem extrem modernen, atonalen Stil würden sie die Zeit des Orchesters über Gebühr in Anspruch nehmen. Hier kam eines der charakteristischen Merkmale der Philharmoniker, oder zumindest einiger, ans Licht: der Hang zum Konservatismus.

Burghauser konnte sich einer gewissen politischen Unterstützung sicher sein, da er Mitglied der 1933 gegründeten Vaterländischen Front von Engelbert Dollfuß war, dem ersten Kanzler des neuen austrofaschistischen Regimes. Dieses war nach der Auflösung des Parlaments am 4. März 1933 eingesetzt worden. Burghauser hatte auch gute Beziehungen zu Kurt Schuschnigg, der 1934 nach Dollfuß’ Ermordung Kanzler wurde, und stand der Heimwehr nahe, dem paramilitärischen, antikommunistischen Verband, der dazu beigetragen hatte, die Erste Republik zu Fall zu bringen. Das Komitee fühlte sich Burghausers Angriffen nicht gewachsen. Vorstand Gustav Hawranek und sein Stellvertreter Franz Mairecker, ein Unterstützer von Krauss, traten zurück. Erschüttert warnte Ehrenvorstand Alexander Wunderer, der sich einst dafür eingesetzt hatte, dass Krauss die Nachfolge von Furtwängler übernahm, den Dirigenten vor der drohenden Gefahr und riet ihm zurückzutreten, um der Demütigung einer Absetzung durch das Orchester zu entgehen, und sich in Deutschland niederzulassen. Burghauser sei von »hysterischem Hass« erfüllt, meinte er, während der Geiger Viktor Robitsek Burghauser für das Instrument einer Gruppe hielt, die schon immer gegen Krauss gewesen sei. In seinen Memoiren beschrieb Otto Strasser die entscheidende, peinliche Sitzung in der Kanzlei der Philharmoniker, als Krauss dem Komitee unter dem Vorsitz Burghausers gegenübertrat.52 Da er ablehnte, die Anzahl seiner Konzerte zu reduzieren, wurde sein Vertrag nicht verlängert. Er zog daraufhin seine Mitwirkung beim letzten Konzert der Saison 1932/33 zurück und gab damit einem Dirigenten Gelegenheit, bei den Philharmonikern zu debütieren, der später eine beträchtliche Rolle in ihrer Geschichte spielen sollte: Karl Böhm.

Ab 1933 gab es keinen festen Leiter der Abonnementkonzerte mehr, sondern nur noch Gastdirigenten, darunter keine Geringeren als Bruno Walter, Otto Klemperer, Arturo Toscanini oder Hans Knappertsbusch. Diese Politik sollten die Philharmoniker beibehalten. Was Krauss angeht, so blieb er Operndirektor und beantragte ein Disziplinarverfahren gegen Burghauser, seinen philharmonischen Erzfeind und als Mitglied des Staatsopernorchesters Angestellten. Im Sommer dirigierte er das Orchester bei den Salzburger Festspielen, wo er sich besonders als Dirigent der Werke seines geistigen Vaters Richard Strauss auszeichnete, dessen Arabella er 1933 in Wien zur glänzenden Uraufführung brachte. Als ihm aber ein Jahr später das nationalsozialistische Deutschland die Leitung der Staatsoper Berlin anbot, zögerte er keinen Augenblick und verließ Wien Ende 1934.

Krauss mag als Leiter der Abonnementkonzerte umstritten gewesen sein, für die Staatsoper hat er ohne Zweifel Vorzügliches geleistet. Als fanatischer Arbeiter und großer Stimmenkenner überließ er nichts dem Zufall und bestand so lange darauf, auch die Wiederaufnahmen einer von ihm dirigierten Premiere zu dirigieren, bis sie ihm perfekt erschienen. Seine analytische Detailverliebtheit, die vielen Philharmonikern missfiel, weil sie daran gewöhnt waren, eher auf die große Linie zu achten, machte ihn zu einem definitiv modernen Dirigenten. Das bestätigte Otto Strasser, damals ein junger Geiger, der Krauss sehr bewunderte: »Seine Proben gingen bis ins letzte Detail, meist dauerten sie lange, was sie manchmal etwas langweilig machte; man lernte aber die Werke so gründlich kennen wie kaum unter einem anderen Dirigenten. Das ausgefeilte Detail war Krauss’ unbestrittene Stärke; der große Zusammenhang, das, was man meist die große Linie nennt, fehlte bis zu einem gewissen Grad, und das war der Punkt, wo seine Gegner, mit dem Vorstand an der Spitze, einsetzten.«53 Diesen Vorwurf hatte man schon 30 Jahre zuvor Gustav Mahler gemacht, schenkt man dem Cellisten Theobald Kretschmann Glauben: Mahler »arbeitete mit eisernem Fleisse an neuernder Deutlichkeit, störte jedoch allzu häufig durch allzu geistreiche Analyse den grossen Zug des Werkes«.54

In den fünf Spielzeiten seines Direktoriums war es Krauss nicht möglich, wie Mahler oder Schalk eine grundsätzliche Umgestaltung des Orchesters durchzuführen. Das lag vor allem an der schwierigen Situation, in der sich die österreichische Republik vor dem Austrofaschismus der Jahre 1934–38 befand. Es war nicht der richtige Moment, öffentliche Mittel für neue Musikerstellen zu beanspruchen. So ging die Mitgliederzahl des Orchesters Anfang der 30er Jahre nach der Spitzenzahl von Schalk zurück: 19 Primgeiger (23 1922, 21 1925, 20 1927), 13 Sekundgeiger (17 1922, 15 1926), 12 Bratschisten (13 1922), 10 Cellisten (11 seit 1921), 10 Kontrabassisten (11 seit 1922), 2 Harfenisten (3 seit 1916) 5-fache Holzbläser (statt 6-fache), 8 Hornisten (10 seit 1920, 9 seit 1927), 5 Trompeter (6 zwischen 1922 und 1926), 6 Posaunisten (unverändert), 1 Tubist (statt 2), 4 Schlagwerker (statt 6). Das Orchester von Krauss war deutlich kleiner als das von Schalk. Erst mit dem Zweiten Weltkrieg sollte es wieder wachsen.

Mit zwölf Neueinstellungen in fünf Jahren hatte die Ära Krauss quantitativ nicht viel zu bieten. Dagegen hat er qualitativ einiges für das Orchester geleistet. Im ersten Jahr seines Direktoriums gelang es ihm, Arnold Rosé nach 28-jähriger Abwesenheit als vollwertigen Philharmoniker zurückzuholen. Zu einer Annäherung war es schon 1925 durch seine Anstellung als Gastkonzertmeister gekommen. Doch Krauss wusste genau, dass er die Führungspositionen verjüngen musste, besonders bei den Streichern, deren Rangordnung noch von Mahler stammte. Anstatt moralische Instanzen wie Arnold Rosé oder Friedrich Buxbaum zum Abschied zu drängen, ging er nach der Methode Mahlers vor, indem er neue Stellen schuf und neue Solisten ohne Probespiel engagierte.

Seine erste Initiative betraf Rangordnung und Bezahlung der Stimmführer bei den Sekundgeigern. Diese bestanden bisher aus vier gleichgestellten Stimmführern mit der niedrigsten Leistungszulage. Ab 1. Mai 1930 wurde zwischen zwei »Vorgeigern« und zwei »Stimmführern« unterschieden. Die beiden Vorgeiger erhielten eine Zulage von 48 Schilling, die Stimmführer 33, was eine späte Anerkennung für Erwin Dengler und Johann Klein mit sich brachte. Die Unterscheidung zwischen Vorgeigern und Stimmführern der Sekundgeigen ist bis heute bei den Wiener Philharmonikern üblich.

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