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Die Nachzügler auf dem Westbalkan
ОглавлениеHinter Montenegro und Serbien rangieren Mazedonien und Albanien sowie Bosnien und Herzegowina. Bei Mazedonien hängt der Beginn der Beitrittsverhandlungen an der Lösung des Namensstreits mit Griechenland, die derzeit nicht in Sicht ist. Wie viel Zeit Mazedonien, auch durch sein provokatives Verhalten gegenüber Athen3) verloren hat, zeigt die Tatsache, dass Mazedonien den Status eines EU-Beitrittskandidaten schon im Dezember 2005 und damit zu einem Zeitpunkt erhielt – zu dem Montenegro noch kein unabhängiger Staat war. Albanien wiederum ist seit 2008 Mitglied der NATO. Seine EU-Annäherung verläuft aber wesentlich langsamer. Albanien hat die Verhandlungen über ein Stabilisierungs- und Assoziationsabkommen schon im April 2005 abgeschlossen und den Beitrittsantrag im Juni 2009 gestellt. Die politischen Spannungen im Land und der mangelhafte Kampf gegen Korruption und Kriminalität haben aber die weitere EU-Annäherung beträchtlich verzögert. Ob sich das unter dem neuen sozialistischen Ministerpräsidenten Edi Rama ändern wird, bleibt abzuwarten.
Am stärksten belastet die Lage in Bosnien und Herzegowina die dauerhafte Stabilisierung des Balkans. Bosnien erinnert an Belgien nur mit drei gravierenden Unterschieden: Belgien ist bereits in der EU, seine Wirtschaft ist in einem weit besseren Zustand, und statt zwei Konfliktpartnern gibt es in Bosnien drei – Bosniaken, Serben und Kroaten sowie zwei Teilstaaten, die zentralistisch organisierte Republika Srpska und die Bosnisch-Kroatische Föderation, die mit ihren zehn Kantonen fast ebenso schwer zu regieren ist wie der Gesamtstaat. Bereits die Periode von 2006 bis 2010 war durch politische Stagnation gekennzeichnet, die sich auch nach den Wahlen im Oktober 2010 fortgesetzt hat.
So dauerte es in der Föderation fast ein Jahr, ehe eine Regierung zustande kam, während im Gesamtstaat erst nach 15 Monaten – und unter der Drohung einer massiven Finanzkrise – eine Regierung gebildet werden konnte. Darauf folgte eine politische Krise unter den bosniakischen Parteien in der Föderation. Im Grunde genommen hat das Land weitere vier Jahre verloren. Das gilt natürlich auch für die EU-Annäherung. Zwar konnte 2008 das Stabilisierungs- und Assoziationsabkommen unterzeichnet werden, doch es ist bis heute nicht in Kraft getreten, weil Bosnien und Herzegowina gegen die Europäische Menschenrechtskonvention verstößt, worauf ich später noch eingehen werde.
Das Grundproblem des Landes besteht nach wie vor darin, dass das Verhältnis zwischen Bosniaken und Kroaten sowie zwischen Bosniaken und Serben auch 17 Jahre nach Kriegsende noch immer stark belastet ist. Hinzu kommt ein ineffizientes Staatswesen, das mit der Unterzeichnung des Friedensvertrages von Dayton vor allem mit westlicher „Hilfe“ zustande kam. Damit wurde zwar der Krieg beendet, doch ein Staat geformt, der den Anforderungen von EU-Beitrittsverhandlungen nicht gewachsen ist. Die Lösung dieses Problems wird zusätzlich dadurch erschwert, dass das im Dayton-System geschaffene „Gleichgewicht“ durch den massiven Exodus der Kroaten (von etwa 800.000 auf geschätzte 500.000) demografisch immer brüchiger wird, und nach wie vor kein gemeinsames Staatsbewusstsein unter den drei konstitutiven Völkern besteht. Eine Anpassung des Dayton-Systems ist schon deshalb unausweichlich, weil ein Urteil des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte eine Gleichstellung der „anderen“ Volksgruppen (etwa der Roma) verlangt, und damit auch die Wahl zum drei Personen umfassenden Staatspräsidium reformiert werden muss. Dabei geht es um Ämter, die derzeit nur Kroaten, Serben und Bosniaken offen stehen. Doch das Urteil des Gerichtshofs vom 22. Dezember 2009 wurde bis dato nicht umgesetzt, und daher ist das Stabilisierungs- und Assoziationsabkommen noch immer nicht in Kraft getreten.
Abgesehen von politischen und ethnischen Herausforderungen haben alle Staaten des Restbalkans strukturelle, interne Probleme zu bewältigen. Dazu zählen der Aufbau einer Verwaltung, die Beitrittsverhandlungen nicht nur führen, sondern den gemeinsamen Rechtsbestand der EU auch umsetzen und die zu erwartenden finanziellen Mittel sinnvoll einsetzen kann. Außerdem hat der Restbalkan noch einen weiten Weg vor sich, um etwa die Umweltstandards der EU auch nur annähernd zu erfüllen. Hinzu kommen der Kampf gegen organisierte Kriminalität und Korruption sowie der Aufbau eines effizienten Justizwesens. Wie das Beispiel von Ivo Sanader in Kroatien zeigt, wird vor allem der Kampf gegen die Korruption in einigen Staaten des Restbalkans einen schrittweisen politischen Elitenwechsel erfordern.