Читать книгу Brennpunkt Balkan - Christian Wehrschütz - Страница 11

Fehlendes gemeinsames Auftreten

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Der Restbalkan hat es bisher wegen politischer und ethnischer Konflikte nicht geschafft, gegenüber Brüssel mit einer Stimme zu sprechen. Dazu zählen auch die vielen offenen Fragen zwischen Kroatien und Serbien, die von der Suche nach Vermissten bis hin zur Grenzziehung an der Donau reichen, um ein weiteres Beispiel zu nennen. Daher ist der Brdo-Prozess unter Führung der Staatspräsidenten von Slowenien und Kroatien ein positiver Ansatz, der natürlich darunter leidet, dass die Präsidenten in der Region vorwiegend nur protokollarische Funktion haben. Wichtig wäre es, dass derartige Treffen auch auf der Ebene der Ministerpräsidenten stattfinden. Denn mit dem EU-Beitritt zählt Kroatien nicht mehr zur Balkan-Familie, die damit noch kleiner geworden ist. Albanien, Bosnien und Herzegowina, der Kosovo, Mazedonien, Montenegro und Serbien zählen zusammen gerade einmal 19 Millionen Einwohner, das ist weniger als das EU-Mitglied Rumänien hat. Will der Restbalkan in Brüssel stärker gehört werden, muss er einerseits versuchen, viele regionale Probleme selbst zu lösen, und andererseits gegenüber der EU geschlossener auftreten. Dieses Ziel wird nicht leicht zu erreichen sein. Trotzdem dürfen die Fortschritte nicht übersehen werden, die der Restbalkan in den vergangenen Jahren gemacht hat. Serbien konnte schließlich zehn Jahre nach dem Sturz von Slobodan Milošević die Zusammenarbeit mit dem Haager Tribunal erfolgreich beenden. Dazu bestehen auch echte Chancen auf eine Normalisierung der Beziehungen zwischen Serbien und dem Kosovo, wobei berücksichtigt werden muss, dass der serbisch-albanische Gegensatz bereits etwa 150 Jahre dauert und nicht erst durch Milošević geschaffen wurde. Positiv zu bewerten ist schließlich noch der Umstand, dass die regionale Zusammenarbeit – von der Wirtschaft bis hin zur Justiz – spürbar zunimmt, obwohl der Weg zur Aussöhnung noch weit ist. Dabei sollte berücksichtigt werden, dass seit dem Ende der Zerfallskriege im ehemaligen Jugoslawien noch keine 20 Jahre vergangen sind.

Der grundlegende Pferdefuß des Balkans ist derzeit vor allem die triste soziale und wirtschaftliche Lage. Sie trifft das gesamte ehemalige Jugoslawien und Albanien, wobei die Auswirkungen je nach Entwicklungsniveau zwangsläufig unterschiedlich sind. Doch mit Arbeitslosenraten von zehn bis 20 Prozent und mehr ist trotz Schattenwirtschaft und – rückläufiger – Hilfe aus der Diaspora auf Dauer kein Staat zu machen. Nicht vergessen werden darf, dass ohne ein besseres Leben wohl auch in Deutschland und Österreich eine umfassende Aufarbeitung der Vergangenheit nicht möglich gewesen wäre, die in „Kakanien“ außerdem erst mit großer Verspätung begonnen hat. Die tiefgreifende Aussöhnung der Völker setzt eine gewisse materielle Sicherheit voraus, die derzeit auf dem Balkan nicht gegeben ist. Dass Aussöhnung nicht nur dort Zeit braucht, zeigt etwa die Tatsache, dass jenseits des Handschlags von Kohl und Mitterand auf den Schlachtfeldern von Verdun, Angela Merkel erst 90 Jahre nach dem Ende des Ersten Weltkriegs als erste deutsche Kanzlerin zu einer Gedenkfeier nach Paris eingeladen wurde. Der Balkan ist somit keine Ausnahme in Europa und schon gar keine Region, die von Menschen bewohnt wird, die nichts anderes im Sinn haben, als ständig miteinander Kriege zu führen – ganz im Gegenteil. Auch auf dem Balkan leben Menschen mit Wünschen, Hoffnung und Sehnsüchten, wie sie in ganz Europa anzutreffen sind. Doch der Balkan ist eine kleinräumige Region mit vielen Völkern, die in ihrer Geschichte seit etwa 500 Jahren bis heute stets fremdbestimmt wurden. Diese Rolle des permanenten „Objekts“ in der Geschichte kann in der EU aufgehoben werden. Die Zerfallskriege im ehemaligen Jugoslawien sind nicht zu Unrecht als das größte kollektive Versagen von USA und EU seit dem Ende des Zweiten Weltkriegs bezeichnet worden. Dieses Versagen hat auf dem Balkan – der natürlich nicht aus seiner eigenen Mitschuld entlassen werden darf – sehr viele Menschenleben und den europäischen Steuerzahler sehr viel Geld gekostet. Aus dieser doppelten Verantwortung heraus ist es politisch und moralisch unerlässlich, dass die EU trotz aller ihrer Krisen auf einem klaren Erweiterungskurs bleibt.


Neuer (EU)-Kolonialismus? Titelbild des unabhängigen, slowenischen, aktuell-politischesn Wochenmagazins „Mladina”. (deutsch „Jugend”)

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