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VUKOVAR Heldenstadt zwischen Krieg und Krise
ОглавлениеVukovar liegt an der Mündung der Vuka in die Donau, die auch die Grenze zu Serbien bildet. Die Stadt ist Siedlungsgebiet seit prähistorischer Zeit. Einer Urkunde aus dem Jahre 1231 ist zu entnehmen, dass die Region von Deutschen, Ungarn und Kroaten bewirtschaftet wurde, und nach der Volkszählung aus dem Jahre 1900 hatte Vukovar damals 10.400 Einwohner: 4.000 Kroaten, 3.500 Deutsche, etwa 1.900 Serben und 950 Ungarn. Der Zerfall der österreichisch-ungarischen Monarchie im Jahr 1918 und insbesondere der Zweite Weltkrieg beendeten durch Mord, Flucht und Vertreibung 700 Jahre deutscher und jüdischer Siedlungsgeschichte. Um diese Tatsache kommt auch ein Büchlein in kroatischer Sprache1) nicht ganz herum, obwohl es die Ursachen für das Verschwinden dieser Teile der Bevölkerung verschweigt.
Vukovar muss während der Regierung der Habsburger eine liebliche Kleinstadt gewesen sein. Davon zeugt die historische Bausubstanz, die trotz aller Kriege und Katastrophen nicht völlig vernichtet wurde. Hervorzuheben ist das Schloss der Grafen von Eltz, das zu den schönsten Barockbauten Kroatiens zählt. Nach 1945 enteignet und bis heute nicht restituiert, beherbergt das Schloss seit 1948 das Museum der Stadt. In seinem Depot findet man auch zwei großformatige Porträts des vorletzten Kaiserpaares Franz Joseph I. und Elisabeth. 1991 im Krieg schwer beschädigt, wurde das Schloss nun wieder aufgebaut und bietet einen überwältigenden Blick über die Donau. An der Uferpromenade gibt es Cafés und Restaurants sowie das Denkmal für die Verteidiger der Stadt. Immer weniger zerstörte Bauten sind in Vukovar zu sehen; dass es sie auch fast 20 Jahre nach Kriegsende immer noch gibt, hängt damit zusammen, dass viele Eigentümer nicht mehr zu ermitteln sind. Derartige Ruinen stehen ausgerechnet in der Straße, die den Namen Franjo Tudjman trägt und damit nach dem ersten Präsidenten des unabhängigen Staates Kroatien benannt ist. Das entbehrt nicht einer gewissen Ironie, weil man meinen könnte, dass angesichts der Verehrung, die Tudjman bis heute zuteil wird, der ehemalige Partisanengeneral und kroatische Staatsgründer eine bessere Straße verdient hätte. Während diese „Wunden“ langsam aber doch heilen, wurde die größte Bausünde offenbar beim Wiederaufbau begangen: Ein hässlicher Glasbau im Zentrum, der im Verhältnis zur Architektur aus der Zeit der Habsburger sprichwörtlich wie die Faust aufs Auge wirkt und in dem der Bürgermeister residiert.
Das größte Problem der Stadt Vukovar ist heute aber nicht die Kriegszeit, sondern die soziale und wirtschaftliche Krise, die im Grenzgebiet zu Serbien noch viel stärker zu spüren ist als in der Hauptstadt Agram oder gar in Istrien, das vom Tourismus lebt. Im Jahr 2012 verzeichnete Vukovar nach Angaben der örtlichen Zweigstelle der kroatischen Wirtschaftskammer zwar keine einzige ausländische Direktinvestition, aber eine bedeutende Privatisierung. Deshalb gibt es einige gut funktionierende Betriebe, die Landmaschinen, Kunstdünger, Pellets aus Biomasse und Leichtflugzeuge aus Holz produzieren. Diese Investitionen sind aber bisher zu gering, um den Wohlstand zurückzubringen, der vor dem Krieg herrschte, als Vukovar nach dem slowenischen Marburg zur zweitreichsten Stadt im ehemaligen Jugoslawien zählte. So beschäftigte Borovo, die größte Schuhfabrik Jugoslawiens, in den 1980er Jahren 20.000 Mitarbeiter bei einer Einwohnerzahl von 44.000. Jetzt sind es nur noch 1.000, Vukovar zählt nur mehr 28.000 Einwohner, und viele Produktionshallen sind nach wie vor Ruinen. Jeder Dritte ist Pensionist, 3.000 Bürger sind arbeitslos gemeldet, der Durchschnittslohn liegt bei 400 Euro monatlich – das ist um bis zu 50 Prozent niedriger als in Agram, während Lebensmittel kaum billiger sind. Der lokale Tourismus ist erst im Aufbau, und daher haben Reisende, die mit Donau-Kreuzfahrtschiffen anlegen, bisher nicht besonders viele Möglichkeiten, Geld in der Stadt oder in der Umgebung auszugeben. So mancher Bewohner verdingt sich im Sommer als Saisonarbeiter an der Küste, doch viele Junge, die in Agram und anderen Städten studieren, kehren nicht zurück. Also ist die Abwanderung ein offensichtliches Problem.