Читать книгу Brennpunkt Balkan - Christian Wehrschütz - Страница 26
Gemischte Gefühle für die EU
ОглавлениеGedämpft sind dagegen die Erwartungen, dass die Lage durch den EU-Beitritt besser wird. So sagt eine ältere Frau:2) „Vielleicht mehr Verkehr auf der Donau, vielleicht neue Arbeitsplätze, ich weiß es wirklich nicht.“ Noch skeptischer ist ein Student: „Überhaupt nichts. Vielleicht wird die Ausbildung besser, doch das braucht Zeit.“ Ängste bestehen auch, weil Kroatien nun die CEFTA, die Freihandelszone mit den Nachbarländern Serbien und Bosnien und Herzegowina, verlassen muss. Daher sagt ein älterer Mann: „Unser Austritt aus der CEFTA wird uns mehr schaden, als uns die EU nützen kann. Ihr können wir nicht viel bieten. Unsere Landwirtschaft ist vernichtet, unsere Industrie ist in einer sehr schwierigen Lage. Die ersten Jahre werden wir von der EU keinen Vorteil haben, später vielleicht.“ Vukovar werde schon bald vom Beitritt profitieren, betont Bürgermeister Željko Sabo. Mit Mitteln aus dem EU-Fonds soll ab 2014 eine Kläranlage gebaut werden. Das Projekt koste insgesamt 48 Millionen Euro, doch das Wasser, das in die Donau rinne, werde dann Trinkwasserqualität haben.
Die Stimmung in Vukovar ist durchaus nicht untypisch für Kroatien. Zu groß sind die Sorgen des Alltags, zu groß die Krise in der EU, um dem Beitritt mit Begeisterung entgegensehen zu können. Dabei gleicht das Grundgefühl hier jenem in vielen anderen Krisenregionen im ehemaligen Jugoslawien. Doch es gibt viele Beweggründe, warum eine gewisse depressive Verfassung vorherrscht, auf die man bei Passanten im Zentrum treffen kann. So auch bei einer 60-jährigen Krankenschwester, die nach dem Krieg zunächst in Donaueschingen arbeitete, dann aber wieder an das Krankenhaus in Vukovar zurückging. Nun ist sie in Pension. Ihre Heimkehr begründet sie so: „Ich bin zurückgekommen, um meinen Vater zu finden. Er wurde mit einem Kopfschuss getötet, in die Donau geworfen und tauchte in Serbien irgendwo wieder aus dem Wasser. 13 Jahre wusste ich nicht, was mit ihm geschehen ist. Ich habe Blut für die DNS-Analyse gespendet und erst vor sechs Jahren erfuhr ich, wo er ist. Ich habe ihn zurückbekommen, um ihn hier begraben zu können.“ Die Nachwirkungen des Krieges sind also auch in den Biografien noch allgegenwärtig.