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Die herausfordernde Arbeitsaufgabe des Künstlers

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Worin besteht die Arbeitsaufgabe des Künstlers und welche Herausforderungen bringt sie mit sich? Die größte Herausforderung, der beispielsweise ein Schauspieler ausgesetzt ist, liegt darin, dass er sich selbst als Arbeitsinstrument nutzt. Auf der Bühne steht nicht ein Kunstwerk aus Stein, Stahl oder Holz, sondern ein Mensch mit Ausstrahlung, Persönlichkeit, einem Körper und einer Psyche. Die Rolle wird durch die eigene Person dargestellt. Es geht gar nicht anders, als dass das Persönliche mit einfließt. Erfahrungen aus dem privaten Leben werden damit automatisch auf der Bühne als Arbeitsstoff verwendet. Zudem, aus neurobiologischer Sicht betrachtet, ist eine Emotion eine Emotion, auch wenn sie gespielt ist. Wie die Embodiment-Forschung, die Forschung der Wechselwirkung von Körper und Psyche, zeigt, kann auch eine gespielte gute Stimmung, selbst ein künstliches Verziehen des Gesichts zu einem Lächeln, ein entsprechend positives Gefühl auslösen, bzw. die körperliche Darstellung negativer Gedanken kann negative Gefühle erzeugen.

Gefühle auf der Bühne und reale Emotionen lassen sich nicht trennen – außer man nimmt lediglich entsprechende Körperhaltungen als Projektionsfläche für das Publikum ein, wie es beispielsweise in asiatischen Schauspieltraditionen der Fall ist, in denen der Körper im Fokus steht.2 Doch selbst hier werden Emotionen ausgelöst.

Diese Arbeit wird als belastend empfunden, wenn der Darsteller in einer Inszenierung entgegen seiner eigentlichen Emotion fühlen muss, zum Beispiel wenn er nicht hinter der Interpretation steht. Ebenso ist es auf Dauer eine Belastung, unter hohem Druck punktgenau wiederholt negative Gefühle darstellen zu müssen.

Dieser hochemotionale Einsatz der Psyche ist das Grundarbeitsmittel von Künstlern, jedoch wird ein gesunder, selbstschützender Umgang damit selten in den Ausbildungsstätten oder an den Theaterbetrieben thematisiert und noch seltener aktiv trainiert. Ganz im Gegenteil: Der Fokus liegt oft auf der »Entblößung« der eigenen Psyche, der gerne mit dem Argument der notwendigen künstlerischen Grenzüberschreitung gekoppelt wird.

Ich möchte an dieser Stelle einen Vergleich mit der japanischen Kampfkunst Aikido anbringen, deren Körperübungen vielen Schauspielern bekannt sein werden und die ich selbst seit vielen Jahren praktiziere und unterrichte: In den Kampfkünsten, in denen es ebenso zentral um den Umgang mit Emotionen geht – allerdings ausschließlich den negativen wie Ängsten, Unsicherheiten und Aggressionen –, wird im Training dieser Umgang mit der Psyche immer wieder thematisiert. Auch in meinem Unterricht lege ich großen Wert auf eine klare Selbsteinschätzung und Wahrnehmung der eigenen psychischen Verfassung und dem Umgang mit ihr. Denn es kann hochgefährlich werden, die eigene Psyche nicht im Griff zu haben. Wie schnell ist eine Schulter gebrochen, ein Arm ausgerenkt, der Hals verdreht. Das Training des Aikido hat mir in seiner Extremsituation vor Augen geführt, wie sehr wir uns selbst und andere durch einen unbewussten Umgang mit unseren Emotionen schädigen können, gleichzeitig hat es mir aber auch gezeigt, welch enormes Energiepotenzial sich eröffnet, wenn wir unsere Emotionen im Griff haben, oder zumindest gut mit ihnen umgehen können.

Während es in den Kampfkünsten um das Trainieren der eigenen Psyche geht, ist die Herausforderung eines Schauspielers noch größer: Er muss seine Psyche und die von ihm gekoppelte Rollenpsyche trennen und sie dennoch als gegenseitige Befruchtung durchlässig halten. Ist diese enorme geistige Leistung nicht trainiert oder über die Jahre mit den sich wandelnden Herausforderungen und den Erfahrungen nicht weiter ausgebildet worden, ist es nicht verwunderlich, wenn sich ein schwankendes Selbstwertgefühl einstellt. Mache ich mir die Rolle zu eigen und zieht sie mich runter, nehme ich diese negative Stimmung mit in meinen Alltag. Ist die Rolle an einem Abend erfolgreich, bin ich in Höchststimmung. Floppt sie, deprimiert mich dies ebenso, auch wenn es möglicherweise nicht an der Rolle, sondern an einer subjektiven Haltung des Publikums lag. Wenn ich mich mit meiner Rolle komplett identifiziere, fühle ich mich auch als Privatperson in meinem Selbstwert getroffen.

Das Arbeitsinstrument von der Person zu trennen, ist im künstlerischen Bereich schwer, da das Arbeitsinstrument die Person selbst ist. Umso mehr – gerade unter den derzeit wenig förderlichen Rahmenbedingungen eines Theateralltags – müssen die Künstlerinnen und Künstler täglich auf den gekonnten Umgang mit ihrer Psyche achten.

Erste Hilfe für die Künstlerseele

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