Читать книгу Erste Hilfe für die Künstlerseele - Christina Barandun - Страница 24
Geht nicht gibt’s nicht!
Оглавление»Geht nicht gibt’s nicht« ist eines der Mantras im Theater, wenn es darum geht, die verrücktesten Regieeinfälle umzusetzen. Warum nicht auch in Bezug auf gesündere Rahmenbedingungen? Schließlich ist im Theaterbetrieb Kreativität und Um-die-Ecke-Denken Tagesgeschäft, auch wenn der Kunstbetrieb insgesamt, was Mitarbeiter-Weiterbildungen angeht, der Wirtschaft mindestens zwanzig Jahre hinterherhinkt. Hier könnte er zu einem neuen Vorreiter werden, indem er nicht nur die entwickelten Methoden aus der Wirtschaft kritisch ausprobiert, sondern mit neuen ungewöhnlichen Ideen aufwartet, wie Schichtbetrieb familienfreundlich und Kunst gesund gelebt werden kann.
Wie soll sonst ein (über die Arbeitsbedingungen im Theater) aufgeklärtes Publikum ein wirtschafts- und gesellschaftskritisches Stück ernst nehmen, in dem die Selbst- und Fremdausbeutung thematisiert wird und jeder weiß, dass es hinter dem Vorhang nicht wesentlich besser zugeht?
Um Vorbild zu sein und Kritik glaubwürdig anbringen zu können, ist es hilfreich, selbst den Anforderungen zu genügen. Und was könnte es Spannenderes geben, als für den einstigen Traumjob wieder Rahmenbedingungen zu schaffen, die ihn zu dem machen, was er einst war?
So sind nicht nur der Arbeitsschutz, auch die zunehmende Einflussnahme aus dem betrieblichen Gesundheitsmanagement, das nach und nach die Theaterbetriebe erreicht, gute äußere, gesetzliche Vorbedingungen, dass Sie sich als Sängerin oder Tänzer, als Schauspielerin oder Regisseur im Theaterbetrieb neue Rahmenbedingungen schaffen können. Wenn man so will: Das Gesetz ist auf Ihrer Seite, auch wenn dies nicht unbedingt die günstigste PR-Argumentation bei Vorgesetzten sein wird.
Doch das Gesetz allein reicht nicht: Auch jeder einzelne künstlerische Mitarbeiter ist gefordert, umzudenken und zu handeln, damit Gesundheit wirklich eine Kraftquelle und die Grundlage der eigenen künstlerischen Zukunft wird.
Anregungen, wie Sie die Inhalte dieses Kapitels für sich nutzen können:
•Erkundigen Sie sich in Ihrem Betrieb nach den Strukturen für Gesundheit, am besten bei Ihrer Fachkraft für Arbeitssicherheit, bei der Personalleitung, dem Personalrat oder dem Betriebsarzt.
•Gibt es in Ihrem Betrieb Gesundheitsförderungsmaßnahmen oder gar ein Gesundheitsmanagement?
•Wie sieht es mit der Kantine aus? Wen könnten Sie ansprechen, wenn es an der Qualität mangelt?
•Wissen die Fachkräfte für Arbeitssicherheit von Ihren Bedürfnissen als Künstler?
•Weiß die Personalleitung von Ihren Bedürfnissen und haben Sie konkrete Vorschläge? Vielleicht kennen Sie von befreundeten Künstlern aus anderen Häusern Maßnahmen, die Sie spannend finden? Haben Sie diese kommuniziert?
•Wie sieht es mit künstlerischen Weiterbildungen zu Stimme, Körperarbeit oder Präsenztraining aus? Könnte man darüber hinaus Weiterbildungen zu bspw. Stressbewältigung, Kommunikation bzw. Konfliktmanagement anbieten?
•Wenn Sie einen guten Draht zu Ihrer künstlerischen Leitung oder den kaufmännischen bzw. Verwaltungsdirektoren haben, fragen Sie dort nach. (Ein Verwaltungsdirektor berichtete mir, dass er bisher jede Weiterbildungsanfrage genehmigt habe.) Oft weiß die Leitungsebene nicht von Ihren Bedürfnissen. Kommunizieren Sie Ihr Anliegen!
Ein Zusatztipp:
•Loben Sie die technischen Mitarbeiter oder Ihre Fachkraft für Arbeitssicherheit, wenn ihnen etwas Besonderes gelungen ist oder Sie sich besonders gut betreut fühlen. Auch sie freuen sich – wie wir alle – über ein konkretes, ernst gemeintes Lob.
1Siehe Friedemann Schulz von Thun: Miteinander reden, Band 2: Stile, Werte und Persönlichkeitsentwicklung, Hamburg: Rowohlt, 2008, S. 40–43.
2Yoshi Oida: »Indem der Spieler die Bewegung bewußt einfach gestaltete und sich geistig intensiv auf diese physische Aufgabe konzentrierte, gab er den Zuschauern genügend Raum für eigene Vorstellungen. Durch die von ihm geschaffene ›Leere‹ konnten sie an seinen Bewegungen ablesen, was immer sie wollten.« (In: Yoshi Oida, Zwischen den Welten, Berlin: Alexander Verlag, 1993, S. 28.)
3Vgl. sogenannte »FuckUp Nights«, an denen gescheiterte Existenzgründer über ihr Scheitern sprechen. Das Ziel ist es, aus den Fehlern gegenseitig zu lernen und gleichzeitig ein realistisches Bewusstsein für das Risiko zu entwickeln. Da im Allgemeinen mehr und ausgiebiger von den Erfolgsgeschichten berichtet wird, entsteht eine falsche Wahrnehmung.
4Siehe Studie »Älter werden im Orchester. Eine empirische Studie zu Erfahrungen, Einstellungen, Performanz und Lebensperspektiven von professionellen Orchestermusikern« von Heiner Gembris und Andreas Heye, Universität Paderborn 2012.
5Siehe Theaterstatistik des Deutschen Bühnenvereins 2013/2014 (Köln), S. 46.
6Siehe dazu u. a. den Artikel unter www.sueddeutsche.de/kultur/bayerische-staatsoper-der-intendant-ich-bin-das-theater-1.971517.
7Siehe Simon Werther/Christian Jacobs: Organisationsentwicklung – Freude am Change, Kapitel 8: »Erfolgsfaktoren der Organisationsentwicklung«, Berlin/Heidelberg: Springer, 2014, S. 139.
8Verfassung der Weltgesundheitsorganisation, Stand 8. Mai 2014, 2. Abschnitt.
9Siehe auch Pathogenese (Pathos = Leiden[schaft], Sucht; Genesis = Entstehung) versus Salutogenese (Salus = Gesundheit).