Читать книгу Der Herzensdieb 3 - Christina Schwarzfischer - Страница 10

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Kapitel 8

Dann aßen wir in der Diebesgilde zu Mittag. In Gedanken versunken stocherte ich mit dem Piekser in meinem Essen herum, ohne davon zu kosten. „Stimmt was nicht mit dem Essen?“, fragte mich schließlich Maya, die es gekocht und mich anscheinend schon eine Weile beobachtet hatte, worauf ich so erschrak, dass ich den Esspiekser wegwarf, der dicht neben Heikos Haupt vorbei flog, der mir gegenüber saß.

„Habe ich dir was getan?“, wollte dieser etwas erschrocken wissen.

„Tschuldigung“, stammelte ich. „Nein, mit dem Essen ist nichts.“

„Ist alles in Ordnung mit dir, Leander?“, fragte Raven besorgt.

„Natürlich“, log ich. „Ich habe nur keinen Appetit, das ist alles.“

Für mich stand fest, ich brauchte dringend einen Zufluchtsort, in dem ich in Ruhe über alles nachdenken und wieder zur Besinnung kommen könnte. Dazu fiel mir nur die Schatzkammer im Tunnelsystem ein. Gleich nach dem Essen verzog ich mich ungesehen dorthin, um mich wieder zu sammeln und einen klaren Kopf zu bekommen. Ich setzte mich auf den Boden, dachte über alles noch einmal ganz genau nach und überlegte, was ich jetzt nur tun sollte und wie ich die letzten Monate meines Lebens am besten verbringen könnte. Natürlich mit Raven und Alexa, das stand schon mal fest. Aber was könnte ich mit ihnen schon noch besonderes unternehmen? Wie könnte ich ihre Zukunft ohne mich sichern? Was war noch zu erledigen? Was wollte ich in meinem Leben noch alles tun, erleben und erreichen? Was möchte ich noch verändern? Was wieder gut machen? Wie sollte ich mich von meinen Freunden verabschieden? Wie meiner Familie klar machen, dass ich bald nicht mehr bei ihnen sein könnte?

All diese Fragen stellten sich mir. Sie terrorisierten mich regelrecht und ich wusste nicht mehr, welcher ich mich zuerst stellen sollte. Es war zum Verrücktwerden! Ich stand auf. Am liebsten hätte ich geschrien, doch selbst wenn ich gewollt hätte, es wäre nicht gegangen. Für diesen Moment setzte meine Stimme aus. Stattdessen sank ich kraftlos am Boden zusammen, so als würde mich eine höhere Macht niederdrücken. Ich war am tiefsten Punkt meiner Verzweiflung angekommen und hielt es nicht mehr aus. Ich weinte. Einsam, allein, still und leise.

Warum musste mir des Lebens genau jetzt entsagt werden? – Jetzt, wo ich doch endlich alles hätte, was ich mir je erträumt habe? Freilich, mein Leben war nicht perfekt, aber ich war zufrieden damit. - Ach was, ich liebte es! Erst jetzt wurde mir klar, wie wertvoll mein Leben doch war und wie wenig ich es bisher gewürdigt hatte! Erst jetzt, als es zu Ende zu gehen drohte, merkte ich, wie wundervoll es eigentlich war! Es war für mich furchtbar, mir eingestehen zu müssen, dass ich doch nur ein einziges Leben besaß! Ich wollte es nicht verlieren! Ich wollte Raven und Alexa nicht verlieren! Ich wollte meine Familie nicht verlieren! Meinen Vater, meine Mutter, meine Freunde...

Ich konnte das Geräusch der Tür zur Schatzkammer vernehmen. „Leander, was hast du?!“, fragte mich Vater hoch besorgt, kniete sich zu mir auf den Boden und richtete mich halbwegs wieder auf. Er sah mich an und erkannte meinen Schmerz.

An die Wand der Schatzkammer gelehnt saßen wir nebeneinander am Boden und starrten nur stumm und ziellos an die uns gegenüberliegende Wand. Er sah nicht zu mir und stellte keine Fragen, denn er wusste, dass mich das nur unter Druck setzten würde, sondern saß einfach nur neben mir, hatte die Hand auf meine Schulter gelegt und wartete ab. Ich wusste nicht was ich sagen sollte oder ob ich überhaupt sprechen konnte. Und plötzlich sammelte sich Mut in mir an und ich redete ganz ruhig, jedoch mit zittriger Stimme. „Kennst du Olga, die Wahrsagerin?“

Er bejahte. „Ihre Voraussagen sind immer sehr zuverlässig. Ich selbst war mal bei ihr. Eine alte Freundin hatte mich dazu überredet. Olga sagte mir damals voraus, meine wahre Liebe würde mir 18 Jahre Gefangenschaft ersparen. Und einige Monate später hat mich deine Mutter beim Stehlen beobachtet und mich nicht verraten.“ Sein Gesicht hatte ein verliebtes Grinsen angenommen. Dieses verschwand jedoch sogleich wieder. „Oh, tut mir leid. Ich weiche vom Thema ab“, entschuldigte er sich. „Also, warum wolltest du das von Olga wissen?“ Noch bevor ich überhaupt Luft holen konnte, um mich herauszureden, ergriff er auch schon erneut das Wort. „- Moment! Olga hat dir doch wohl keine schlimme Voraussage gemacht?!“ Erst hatte ich das Gefühl, ich würde es nicht schaffen, ihm auf diese Frage zu antworten. „Natürlich hat sie das“, sprach er entschlossen. „Sonst wärst du ja nicht so verzweifelt. Dass ich da erst jetzt drauf komme... Oh Gott! Ist es was mit Alexa?!“, begann er ganz entgeistert zu raten. Ich schüttelte nur stumm den Kopf. „Mit Raven?!“, fragte er erneut. Wieder dieselbe Reaktion von mir.

Ich fühlte mich, als könnte ich diese schwere Bürde der Last nicht mehr länger allein auf meinen Schultern tragen, so als würde sie mich erdrücken, wenn ich es nicht sofort jemanden sagen könnte und da kam es einfach so aus mir heraus: „Olga hat mir meinen Tod vorausgesagt. Noch in diesem Jahr werde ich sterben und ich kann nichts dagegen tun!“

Das Gesicht meines Vaters veränderte sich drastisch. Mit weit aufgerissenen Augen sah er mich fassungslos an. „Nein. Nein! Das kann doch nicht wahr sein!“, rief er vollkommen entgeistert. Er fiel aus allen Wolken, wollte diesen schrecklichen Gedanken nicht wahr haben, ihn nicht die Oberhand über sich gewinnen lassen! „Oh mein Gott, Leander, mein Sohn, mein einziges Kind. Warum nur er?“, jammerte er flüsternd. Jetzt war ich eher daran, ihm Mut zu machen und legte darum auch meine Hand auf seine Schulter.

Nach einer Weile Schweigen von beiden Seiten begann er auf einmal wieder ganz ruhig zu reden. Seine Stimme hörte sich etwas heiser dabei an. „Du bist einfach so verschwunden. Raven hat nach dir gesucht. Ich dachte mir, dass du hier bist. Ich kam auch immer hierher, wenn ich allein sein wollte. Beim Essen hatte ich ganz deutlich erkannt, dass dich etwas beschäftigt, auch wenn du es vor Raven verleugnet hast. Aber dass es gleich so etwas Schlimmes ist... Ich hatte geglaubt, es ginge noch immer um Johannes.“

Johannes... den hatte ich doch glatt vergessen. Was war das Problem Johannes schon gegen sowas? – Ein klitzekleines Problemchen irgendwo in meiner Lebensgeschichte. - Das hingegen, war ein riesengroßes Oberproblem! Im Moment fragte ich mich nur eines: Wie sollte es jetzt weiter gehen? Oder: Geht es denn noch weiter?

„Das bleibt unser Geheimnis“, entschied ich nach einem weiteren Moment des Schweigens. „Ich möchte nicht, dass Raven davon erfährt. Ich will, dass sie glücklich ist, solange sie es noch sein kann.“

„Verstehe“, antwortete mein Vater. „Bin ganz deiner Meinung. Ich werde dich unterstützen, Leander. Aber wer wird dann die Diebesgilde leiten, wenn ich nicht mehr bin?“

„Peter, würde ich sagen. Er ist mein bester Freund, ist gerecht und versteht sich gut mit Rainer. Er ist perfekt für den Posten“, fand ich.

„Peter sagst du?...“, hauchte er. Eine ganze Zeit lang dachten wir still nebeneinander nach.

„Wir können nicht ewig hier sitzen bleiben“, meinte Vater schließlich. „Raven vermisst dich sicherlich schon sehr. Sie macht sich bestimmt große Sorgen um dich.“

„Ja, ich weiß, aber in dem Zustand kann ich ihr doch nicht unter die Augen treten. Sogar ein Blinder würde sehen, dass mit mir etwas nicht stimmt“, bedachte ich.

Doch Vater hatte eine Idee: „Wir behaupten einfach, du wärst krank und bräuchtest viel Ruhe. Ich denke mir schon ne schöne Geschichte aus, keine Sorge. So hast du genügend Zeit, über alles nachzudenken, dich zu sammeln und wieder einen klaren Kopf zu bekommen. Und wenn Maya dir Medizin anbietet, dann nimm sie einfach. Pflanzen können einem doch wohl nicht schaden, oder etwa doch?“

Das war ein wirklich guter Einfall. So wurde es gemacht. Ich kam mit meinem Vater aus dem Labyrinth, er erzählte, dass er mich darin vorfand, wie ich bewusstlos am Boden lag (Das entsprach beinahe schon wieder der Wahrheit.) und dass ich wegen meiner Krankheit mittags keinen Appetit hatte. Raven machte sich zwar Sorgen um meinen Gesundheitszustand, war aber beruhigt, dass ich wieder hier war. So lag ich den Rest des Tages krank in einem der unteren Betten, da man mich so besser im Auge behalten konnte, sollte etwas sein. Raven saß mit Alexa still bei mir und sah mir beim Schlafen zu, während ich mich nur schlafend stellte. Denn in Wirklichkeit machte ich mir über mein Schicksal Gedanken. Im weichen Bett war es nur so viel angenehmer, als auf dem Fußboden der Schatzkammer und ich konnte mich von meinem Nervenzusammenbruch besser erholen. Es tat wirklich gut, einfach nur zu wissen, dass Raven und Alexa bei mir waren.

Der darauf folgende Tag verlief genauso. In einem Moment, in dem Raven gerade nicht im Zimmer war, erkundigte sich mein Vater über meinen Zustand, den ich noch immer als schlecht bewertete. Etwas enttäuscht verließ er den Raum wieder und Johannes kam herein. Schnell stellte ich mich schlafend.

„Leander?“, fragte er, doch ich hatte keine Lust, ihm zu antworten.

„Leander“, versuchte er es von Neuem, „ich weiß, dass du nicht schläfst.“

„Jetzt nicht mehr“, beschwerte ich mich bei ihm.

„Du weißt, was ich meine, Leander. Versuche nicht, mich zu belügen. Ich bemerke das sofort. Du warst wach, noch bevor ich das Zimmer betrat. Du warst die ganze Zeit über wach“, erklärte er entschlossen. „Und du bist auch nicht wirklich krank, so wie alle glauben. Zumindest nicht körperlich. Aber keine Angst, ich werde niemandem davon erzählen. Selbst wenn ich es täte, mir würde ja sowieso keiner glauben... Dein Geheimnis ist bei mir also gut aufgehoben. Aber sag, warum machst du das? Warum stellst du dich krank?“

„So ein Unsinn! Ich bin sehr wohl krank!“, log ich.

„Nein, Leander, bist du nicht, auch wenn du dich so fühlst“, widersprach er mir. „Mir kannst du nichts vormachen. Ich weiß ganz genau, wann ein Tier krank ist.“

„Ich bin aber kein Tier! Und jetzt lass mich in Ruhe!“, schimpfte ich.

„Ich muss dir nicht erklären, dass der Krankheitsverlauf bei Tieren ähnlich wie bei Menschen ist, das weiß ich und das weißt du. Warum sonst hättest du Raven zu mir gebracht, als du glaubtest sie wäre krank? Du weißt, die Katze hatte die gleichen Symptome wie sie. Aber wenn du mir dein Geheimnis nicht anvertrauen willst, welches dich zu dieser Lüge verleitet...“ Mit diesen Worten verließ er den Raum und ich war froh darüber, wieder meine Ruhe von ihm zu haben.

Der Herzensdieb 3

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