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6 Nick – 13. Dezember 1863

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E ndlich erwachte ich aus meiner Erstarrung; sprang auf; rannte den Hügel hinunter. Meine Tränen ließen den Hang vor mir verschwimmen. Ich strauchelte; fing mich im letzten Moment; rieb mir unwirsch über die Augen; hastete weiter. Als ich den Stall erreicht hatte, leckten Flammen aus dem Dach; der schwarze Rauch türmte sich darüber. Die erstickten Hilfeschreie meiner Schwester waren in Husten und Keuchen übergegangen. Aber sie lebte! Wie stand es um Ma und Ben?

Es dauerte eine Ewigkeit, bis ich mit zitternden Fingern den Riegel zurückgeschoben hatte. Gerade noch konnte ich zur Seite springen, als eine Kuh nach draußen stürmte, die Augen in Panik verdreht. Das Feuer war im vorderen Teil gelegt worden, in den Boxen mit Heu und Werkzeugen. Die Luft war zum Schneiden dick. Ich zog mein Hemd nach oben über Mund und Nase und trat in das Flammenmeer.

Sofort spürte ich die sengende Hitze auf der Haut. Meine Augen brannten und tränten. Ich musste den Drang, sie fest zuzukneifen, mit Gewalt unterdrücken und stolperte halb blind vorwärts. Meine Lippen wurden trocken und rissig und ich hustete unkontrolliert. Trotzdem drang ich weiter vor.

»Wo seid ihr?«, rief ich erstickt und musste erneut husten.

Zum Glück waren die Pferde nicht im Stall! Ich schüttelte mechanisch die Funken von meinem Hemdsärmel; ignorierte den brennenden Schmerz. Einer Eingebung folgend, stieß ich die Tür zu Delilahs Krankenlager auf. Tatsächlich stand der Eimer mit Milch noch fast voll mitten im Raum. Ich packte ihn und kehrte auf dem Absatz um. In einem Funkenregen krachte ein Balken vom Dachstuhl neben mir zu Boden, verfehlte mich nur knapp. Nur weiter. Weiter. Ein beißender Geruch nach verbrannten Haaren und angesengter Haut ließ mich keuchen. Langsam sickerte ein Gedanke in mein Bewusstsein: An einem einzigen Tag hatte ich meine halbe Familie getötet. Hoffnungslos schluchzte ich auf. Aber es kamen keine Tränen mehr. Meine Augen waren ausgetrocknet.

Nach endlosen Minuten hörte ich wieder Husten. Mindestens einer von ihnen lebte noch! Was war mit den anderen? Ein neuer Schluchzer entrang sich meiner schmerzenden Kehle. Mit wackligen Beinen hastete ich weiter. Es kam von der Kutsche, die in der letzten Ecke des Stalls noch nicht von den Flammen erfasst worden war. Sie wurde fast verhüllt von schwarzem Qualm. Nur noch wenige Minuten, dann würde auch sie ein Opfer des Feuers werden. Meine Haut brannte und spannte unerträglich. Ich taumelte auf die Kutsche zu; erklomm über ein Wagenrad die Ladefläche; zerrte den Eimer hinter mir her.

»Nicky?« Ma starrte mir mit rußgeschwärztem Gesicht entgegen.

Sie waren alle drei da. Die beiden Frauen hatten Ben in ihre Mitte genommen. Mit einer Decke schützten sie sich vor herabregnenden Funken, wagten es aber nicht, ihre Zuflucht zu verlassen. Warum auch? Sie wussten, dass das Tor von außen verrammelt war. Es gab keinen Weg nach draußen.

»Wir …« Meine Stimme versagte. Vermutlich hätten sie mich im Getöse und Poltern eh nicht gehört. So tauchte ich wortlos die Decke in den Milcheimer und wickelte sie fest um Ben.

Der kleine Junge hielt still, erstarrt angesichts der Hölle, in die er geraten war. Danach tränkte ich die Schultertücher der beiden Frauen. Sie verstanden, was ich vorhatte, und schlangen sich jede ihr Tuch über Kopf und Schultern. Am Ende blieb gerade genug Flüssigkeit übrig, um mein Hemd vorne anzufeuchten. Hoffentlich konnte ich so wenigstens besser atmen. Wir durften keine Zeit verlieren! An den Vorderrädern züngelten Flammen empor. Wir mussten hier raus! Bevor die Tücher getrocknet waren und die Dachkonstruktion so angenagt war, dass sie in sich zusammenfiel.

Wir halfen uns gegenseitig beim Hinunterklettern und stürzten uns in den Glutofen. Charlotte setzte sich an die Spitze. Sie hielt sich einen Arm vor das Gesicht; suchte uns einen Weg über qualmende Balken in Richtung Tor. Ma folgte mit Ben an der Hand. Ich bildete die Nachhut.

›Wir müssen es schaffen. Wir müssen es schaffen.‹ Mein Kopf fühlte sich seltsam leicht an. Das Inferno um mich herum wie ein Traum. Ein Funke setzte sich auf meinen Handrücken; fraß ein Loch hinein. Ich brauchte unendlich lang, bis ich ihn fortwischte. Warum legte ich mich nicht einfach hin und ruhte mich aus? Nur für einen Moment.

Ein ohrenbetäubendes Quietschen und Knacken ertönte. Der Stall stürzte ein! Entsetzen packte mich und ich schob Ma weiter. Nur noch ein paar Schritte bis zum Ausgang. Charlotte erreichte das Tor und schlüpfte nach draußen. ›Wir müssen es schaffen!‹ Mit letzter Kraft packte ich Ma am Arm und zog sie und Ben ins Freie.

Als ich mich umsah, war der Stall verschwunden. Stattdessen schickte ein riesiger Scheiterhaufen seine Flammen in den grauen Nachmittagshimmel. Es hatte wieder begonnen zu schneien. Erschöpft ließ ich mich zu Boden fallen und schloss die Augen. Was habe ich getan, war mein letzter Gedanke, bevor ich das Bewusstsein verlor.

Die Brücken zur Freiheit - 1864

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