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Kapitel 9
ОглавлениеErneut parkte Marius Vermeer am Abend seinen Sportwagen direkt in der Spiegelgracht vor seinem Geschäft. Als er die Tür öffnete, schlug prompt das Glockenspiel an. Er knurrte. Dieses Gebimmel ging ihm auf die Nerven. Er warf die Tür hinter sich zu. Diese Idioten! Erst warfen sie ihm die Millionen nur so nach für die Ersteigerung der Vasen, und nun zierten sie sich wegen läppischer Hunderttausend.
Nun ja, es war höchstens eine Frage weniger Tage, bis er die Vasen verkauft und seine Konten wieder mehr als satt gefüllt haben würde. Dann nahm er diese paar Euros für den schmierigen Südländer wieder aus der Portokasse.
Jetzt musste er sich erst einmal um dieses Ölgemälde kümmern. Er hatte den halben Tag mit Recherchen verbracht und war zu dem Ergebnis gekommen, dass es sich zweifellos um einen echten Lucian Freud handelte. Es war genau das Porträt der Frau mit den geschlossenen Augen, das man vor einigen Jahren in Rotterdam mit sechs anderen Bildern geraubt hatte. Er musste das Porträt bei Seite schaffen und in Ruhe über weitere Schritte nachdenken.
Dann würde er sich um den Deal mit den Japanern kümmern.
Als er am alten Holztresen vorbeiging, stieg ihm wieder dieser eigenartige Geruch in die Nase, den er schon am Morgen wahrgenommen hatte. Er sah hinüber zur Registrierkasse, und richtig, da lag etwas, ein großer dicker Umschlag. In diesem Moment wusste er wieder, woher er den Geruch kannte: Es war der Duft von aufdringlichem Aftershave. Flavio Montano musste hier gewesen sein.
Marius griff nach dem dicken Umschlag. Er war nicht sehr schwer und er konnte erahnen, welcher Inhalt auch diesmal den Eindruck von Polsterung hervorrief.
Marius rieb sich die Schläfe und entschied, das Geld besser nicht hier im Geschäft liegen zu lassen. Er legte das Kuvert zu dem verpackten Gemälde und verstaute den Karton auf dem Beifahrersitz seines Sportwagens. Dann lief er zurück, schaltete die Alarmanlage des Antiquitätenhauses scharf und verschloss die Tür mehrfach.
Auf der Fahrt nach Hause arbeitete Marius´ Gehirn auf Hochtouren, ohne jedoch zu wirklichen Ergebnissen zu kommen. Er konnte sich einfach nicht erklären, aus welchem Grund jemand dieses Diebesgut ausgerechnet ihm zukommen ließ. Sollte er es für einen Sammler verkaufen, dem die Ware zu heiß geworden war? Oder hatten es die Hintermänner des Raubes selbst an ihn geschickt? Gab es noch ganz andere Drahtzieher als diese Rumänen, die damals für den Raub verantwortlich gemacht worden waren? Womöglich saß morgen früh wieder jemand hinter ihm im Auto – mit einer Waffe im Anschlag und einem ganz anderen Anliegen …
Jedenfalls war es keine Lösung, das Porträt der Frau mit den geschlossenen Augen für immer verschwinden zu lassen. Das war unter den gegebenen Umständen das Dümmste, was er tun konnte.
Ein Porträt, für immer verschwinden lassen … Als er vor seiner Garage ankam, musste Marius unwillkürlich an das Foto von der unbekannten Frau denken. Was sollten die Lockrufe dieses Flavio Montano? Er hatte den Auftrag doch eindeutig abgelehnt.
Marius ließ diesmal den Wagen lieber vor der Garage stehen. Er lud den Karton aus, schloss sein Auto ab und betrat mit seinem verbotenen Gepäck das erleuchtete Haus. Er war froh, nur den Duft von Roxanas bevorzugtem Lavendel-Putzmittel zu erschnuppern und nicht etwa erneut Montanos Aftershave.
Nein, hier schien alles in Ordnung zu sein. Dennoch verschloss er auch die Haustür sorgfältig und ließ den Schlüssel von innen stecken.
Marius schälte vorsichtig das Gemälde aus der Verpackung und legte es auf den Tisch. Dann öffnete er das Kuvert und zählte … Es mussten an die vierhundert Scheine im Wert von fünfhundert Euro sein. Er brach im Zählen ab und betrachtete seufzend den Haufen von etwa zweihunderttausend Euro. Flavio Montano meinte es offenbar ernst, und sein Hintermann war liquide – und vermutlich höchst kriminell organisiert, denn so viel Geld in bar konnte gar nicht sauber sein. Marius vermutete, dass auch der Rest der 1,5 Millionen in großen Scheinen geliefert werden sollte. Und wenn er Montano nicht bald stoppte, würden diese Geldlieferungen weitergehen. Das durfte er nicht riskieren. Allerdings hätte Marius zu gern gewusst, wer hinter dem Auftrag tatsächlich steckte und warum er diese Frau mit so viel Aufwand loswerden wollte.
Er nahm das Foto aus dem Sekretär. Bei dieser Gelegenheit kontrollierte er sogleich, ob seine Walther P99 noch an ihrem Platz war. Jungfräulich und gefährlich ruhte sie in ihrem Samttuch.
Marius schloss schnell die Schublade und blickte auf das Foto der Fremden in seiner Hand. Ein faszinierender Blick. Die Frau wirkte ebenfalls … gefährlich. Wem hatte sie so zugesetzt, dass er ihren Tod sosehr wollte? Sie musste ihm gründlich das Leben versaut haben. Ihm? Oder ihr? Vielleicht war es ja gar kein Mann, der hinter diesem Auftrag steckte, sondern eine Frau. Frauen waren schließlich besonders nachtragend, gerissen und radikal. Vielleicht war der von Flavio Montano als „Konsul“ Bezeichnete eine Konsulin.
Marius legte das Foto neben das Gemälde auf den Tisch. Das Ölbild war nur wenig größer als ein herkömmlicher Briefbogen. Das Foto war etwa halb so groß. Zwei Frauengesichter: eins in Öl, mit geschlossenen Augen, zu hoher Stirn, harten Zügen und langen dunklen Haaren, das andere mit einem kühlen blauen Blick unter dichten Wimpern, sanften Zügen und langen dunklen Haaren. Die eine Frau verewigt in Öl und unbekannt, die andere zum Sterben verurteilt und unbekannt. Zwei namenlose Frauenbilder.
Marius schenkte sich einen Wodka ein und trank. Auf sein abendliches Training würde er heute verzichten, nicht aber auf Musik. Mit der Fernbedienung wählte er im Player eine beliebige Zahlenkombination. Kurz darauf erklangen die ersten Takte eines Songs von den Dire Straits. „Brothers in Arms“.
Marius betrachtete erneut die Frau auf dem Foto und bekam eine Gänsehaut. Er schaute sie an und sie schien zurück zu schauen, als ob sie sagen wollte: „Komm nur!“
Dann blickte er wieder auf das Gesicht in Öl, die Frau mit den geschlossenen Augen. Sie wirkte wie … tot.
Schnell wanderte sein Blick zurück zum Foto. Er versuchte sich die Unbekannte mit geschlossenen Augen vorzustellen. Es wollte ihm nicht gelingen, und gleichzeitig wurde er neugierig. Neugierig, wie sie wirklich schaute und wie sie mit geschlossenen Augen aussah.
Er trank und schenkte sich nach. Dann wechselte die Musik und ein weiterer Titel der Dire Straits ertönte: „Money for Nothing“.
Marius leerte sein Glas, atmete tief durch und stopfte Montanos Euro-Scheine zurück in den großen Umschlag. Das musste aufhören. Er musste diesen Auftrag absagen, bevor der schmierige Südländer ihm das Geld in Koffern vor die Tür stellte.