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Kapitel 13

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Der Pub war noch nicht gut besucht, als Marius Vermeer am frühen Abend eintrat und einen doppelten Wodka orderte. Er setzte sich auf einen Hocker an der Theke. Was für ein bescheuerter Tag! Was für eine bescheuerte Woche! Ach was, ein total katastrophaler Monat!

„Wo bleibt denn der Wodka?“, knurrte er über die Theke.

Der Barmann servierte mit einem süffisanten Grinsen das Getränk und Marius schämte sich ein wenig für sein zur Schau getragenes Selbstmitleid. Allerdings entwickelte sich seine Situation zum Alptraum. Die Vasen waren zerstört. Versichert durch das Auktionshaus war nur ihr Transport. Natürlich hatte Marius diverse Versicherungen für sein Geschäft abgeschlossen, doch den Wert der Vasen würde keine dieser Summen decken. Und wann eine Versicherung zahlte, stand ebenfalls in den Sternen. Vermutlich würde man Monate lang versuchen, ihm zahlreiche Paragraphen zwischen die Beine zu werfen. Soviel Zeit hatte er nicht.

Marius leerte sein Glas. „Noch einen!“

Der Barmann sah ihn mit hochgezogenen Brauen an.

„Bitte“, ergänzte Marius matt.

Der Verlust der Vasen war ein Desaster. Aber am meisten beunruhigte ihn dieses geraubte Bild. Und er wurde den Gedanken nicht los, dass es da einen Zusammenhang gab.

„Ihr doppelter.“ Der Barmann servierte den nächsten Wodka.

Marius nickte ihm zu und griff zum Glas. Und dann dieser Auftrag. Wenn das so weiterginge, würde ihm wohl nichts anderes übrigbleiben als ihn anzunehmen.

Marius stellte das Glas auf den Tresen. Nein, auf gar keinen Fall! Er würde überhaupt keine Aufträge dieser Art mehr übernehmen. Und er würde nie wieder halbseidene Geschäfte abwickeln, wenn er nur dieses schrecklich echte Porträt los wäre.

„Hallo. Darf ich Ihnen etwas Gesellschaft leisten?“ Eine Frau nahm neben Marius Platz.

Er sah kaum zur Seite. „Wenn es Ihnen Freude macht.“

Sie lachte leise. „Das klingt aber nicht sehr begeistert.“

Marius nahm einen Schluck Wodka. „Sie erfassen Situationen offenbar recht schnell.“

„Warum so missmutig?“, fragte sie unverdrossen. „Haben Sie Liebeskummer?“

Marius lachte auf. „Nein, bestimmt nicht.“

„Aber irgendwas haben Sie doch“, bohrte sie weiter.

„Warum so neugierig?“ Marius musterte die Frau jetzt eingehend. Sie war attraktiv. Ein wenig zu blond für seinen Geschmack, und ein bisschen zu stark geschminkt. Aber sie war ansehnlich und kam bei Männern sicher gut an.

„Ich finde Sie interessant“, sagte sie unbekümmert. „Ich habe mir angewöhnt, mich interessanten Menschen sofort zu nähern und nicht etwa abzuwarten, dass sie auf mich zukommen.“

Marius trank und bestellte Nachschub. „Eine gute Einstellung. Nur in meinem Fall irren Sie sich. Ich bin nicht interessant.“ Er sah sie direkt an. „Und ich bin nicht interessiert.“

„So?“ Sie zog die Augenbrauen hoch. „Woher wollen Sie das wissen? Sie haben doch im Moment nur Augen für Ihren Wodka und Ihr Problem.“

„Genau.“ Marius nahm dem Barmann den Wodka aus der Hand und trank. Er dachte an die Frau auf dem Foto. „Und mit Verlaub, mein Problem ist viel hübscher als Sie.“ Er setzte das Glas ab und ergänzte: „Noch hübscher.“ Er musste an die zerschmetterten Vasen denken und seufzte.

„Aha, also doch eine Frau“, stellte die Blondine fest.

„Nein, zwei.“ Marius leerte sein Glas. „Noch einen“, rief er dem Barmann zu. Dann wandte er sich wieder an die Frau. „Vasen. Zwei Vasen.“

Sie kicherte. „Ist das jetzt eine Bezeichnung für sexuelle Vorlieben, die ich noch nicht kenne?“

„Nein.“ Marius stöhnte auf. Wieso hieß es eigentlich, dass Männer ständig an Sex und Eroberungen dachten? Frauen waren doch noch viel eingleisiger und schienen ein Nein erst recht nicht zu akzeptieren.

Der Barmann brachte den nächsten doppelten Wodka.

„Danke. Und zahlen bitte!“ Marius trank.

„Wollen Sie nicht doch über Ihr Problem reden?“, insistierte die Frau. „Das hilft. Immer. Glauben Sie mir.“

„Nein“, knurrte Marius und nahm die Rechnung entgegen.

„Warum setzen Sie sich dann in einen Pub?“ Sie schlürfte an ihrem Drink. „Nur, um sich zu betrinken?“

Marius reichte dem Barmann einen Geldschein. „Stimmt so. Rufen Sie mir bitte ein Taxi.“

Die Frau sah ihn durchdringend an. „Schweigend saufen können Sie doch auch zuhause.“

Er knurrte leise. „Woher wollen Sie das denn wissen?“, entgegnete Marius und trank.

„Nur eine Vermutung.“ Ihre Lippen spielten lasziv mit dem Trinkhalm. „Sie können doch bestimmt etwas Abwechslung gebrauchen.“

Marius leerte sein Glas und schloss kurz die Augen. „Nur, weil Sie eine bestimmte Abwechslung suchen, müssen Sie mir nicht unterstellen, dass ich das ebenfalls tue. Guten Abend!“ Er schob sich vom Hocker und verließ den Pub.

Als das Taxi Marius zuhause absetzte, fühlte er sich wie ausgespuckt. Der Wodka war ihm längst zu Kopf gestiegen, doch er verursachte nicht wie sonst ein angenehm leichtes Kribbeln unter der Schädeldecke, sondern drückte dumpf gegen seine Schläfen. Immerhin tat der Alkohol jetzt seine Wirkung und ließ die Erinnerung an den Tag verblassen. Marius wollte nur noch ins Bett.

Komisch, die übliche Lichtautomatik war nicht eingeschaltet. Das Haus lag im Dunkeln. Als er nun die Haustür aufschloss, stutzte er. Er hatte sie doch mehrfach abgeschlossen. Hatte ausgerechnet seine sonst so vorsichtige Haushaltshilfe heute nur die Tür zugezogen? Nun ja, vielleicht war sie in Eile gewesen.

Marius taumelte ins Haus. Ein doppelter Wodka weniger hätte es auch getan. Aber diese aufdringliche Blondine hatte ihn so genervt, dass er noch ein Glas mehr gekippt hatte.

„Mhhmpfhmmmrr“, tönte es leise aus dem dunklen Wohnzimmer.

Marius lauschte. Da, wieder dieses seltsame Gegrummel. Was war das nur. Er betätigte den Lichtschalter und erstarrte.

„Roxana!“ Marius stürzte auf seine Haushaltshilfe zu, die an einen seiner Ledersessel gefesselt war. Er nahm ihr zunächst Tuch und Knebel ab. „Um Gottes Willen! Roxana!“

Die Frau keuchte. „Zum Glück, endlich, Herr Vermeer.“

„Warten Sie, ich hole Ihnen ein Wasser.“ Marius eilte in die Küche. Die Wirkung des Wodkas war wie weggeblasen. Seine Gehirnzellen arbeiteten wieder im üblichen Modus.

Schnell kehrte er mit einem Becher Wasser zu Roxana zurück, gab ihr etwas zu trinken und begann dann, die Fesseln zu lösen. Man hatte der armen Frau die Arme mit Klebeband an die Lehne gefesselt. Dann riss er kraftvoll die Klebebänder ab, die ihre Beine am Sessel fixierten.

Roxana keuchte, trank, schnaufte und setzte zu einer wahren Schimpftirade an. „Diese Verbrecher! Sie wollten die Nummer von Ihrem Safe! Sie wollten alles ausrauben! Sie wollten mich zwingen! Sie haben mir nichts geglaubt! Sie haben nicht gesagt, was sie suchen! Sie sind ganz große … Schweine!“

„Beruhigen Sie sich, Roxana.“ Marius tätschelte ihren Arm. „Stehen Sie mal auf! Können Sie sich bewegen?“

Sie erhob sich vorsichtig, von Marius gestützt, und machte ein paar wacklige Schritte.

„Wird es gehen?“, fragte er besorgt. „Soll ich einen Arzt rufen?“

„Ach was“, winkte sie ab. „Rufen Sie die Polizei! Diese Verbrecher, diese elenden!“

„Wie lange mussten Sie denn so ausharren?“ Marius hoffte, dass sie zumindest nicht schon seit dem Vormittag hier so gefesselt und geknebelt hatte hängen müssen.

„Sie kamen …“ Roxana schnappte nach Atem. „Sie kamen als ich gerade gehen wollte. Zwei Männer, hässlich wie die Nacht.“

Marius räusperte sich. „Haben sie gesagt, was sie hier wollten?“

„Sie“, sagte Roxana. „Sie wollten irgendetwas von Ihnen, aus Ihrem Safe.“

„Aber ich habe gar keinen Safe.“

Roxana nickte. „Das habe ich mir gedacht, denn sie haben im ganzen Haus nichts gefunden.“

Marius reichte ihr noch einmal den Wasserbecher. Seine Gedanken zuckten auf. Natürlich hatten die Einbrecher das Bild gesucht. Die Frau mit den geschlossenen Augen.

„Einer hat mich beschimpft, gefesselt, bedroht“, fuhr Roxana fort. „Und der andere hat wohl das Haus durchsucht.“ Sie schnaufte. „Wir müssen die Polizei alarmieren!“

Marius atmete tief durch. „Konnten Sie sehen, ob die Kerle etwas mitgenommen haben?“

Roxana schüttelte den Kopf. „Ich saß doch mit dem Gesicht zum Fenster.“

„Gut.“ Marius überlegte. „Roxana, darf ich Sie um etwas bitten?“

„Phantombilder? Ich weiß nicht. Es ging alles so schnell.“

„Nein, nein.“ Marius sah sie eindringlich an. „Bitte, sprechen Sie mit niemandem über den Vorfall.“ Er ging zum Sekretär und kramte das letzte Kuvert von Flavio Montano hervor. Zum Glück hatten sie hier nicht gesucht. „Ich bitte Sie. Die Polizei hat schon den ganzen Tag meinen Laden auf den Kopf gestellt. Dort wurde eingebrochen, und ich nehme an, die Diebe sollten … Ich weiß es nicht wirklich.“ Er zog Geld aus dem Umschlag und zählte erst zehn, dann zwanzig Scheine auf den Tisch.

Roxana sah ihm mit größer werdenden Augen zu.

„Nehmen Sie! Sie bekommen hunderttausend, wenn Sie wollen, aber nehmen Sie das Geld und schweigen Sie“, flehte Marius. „Bitte!“

„Was geht denn hier vor?“ Roxana sah ihn skeptisch an. „Wieso haben die Diebe denn das Geld nicht mitgenommen?“

Marius fühlte, dass er errötete. „Ich, ich weiß es nicht. Sie werden nicht in den Sekretär geschaut haben, nehme ich an.“ Zum Glück! Hoffentlich waren die Waffe und das Foto noch da. Er schwitzte und wollte Roxana nur noch so schnell wie möglich loswerden. Er drückte ihr die Scheine in die Hand. „Nehmen Sie das Geld, bitte, als kleine Entschädigung!“

Roxana zögerte. „Aber Herr Vermeer, sind Sie sicher?“

„Ja, ganz sicher.“ Marius schob sie sanft in Richtung Haustür. „Und entschuldigen Sie bitte, dass ich Sie nicht nach Hause fahren kann. Warten Sie, ich rufe Ihnen ein Taxi!“

Er griff zum Telefon und orderte einen Wagen an seine Adresse.

„Ich habe mein Auto in der Stadt stehen lassen.“ Er wollte den Wodka-Konsum lieber nicht erwähnen, um Roxana nicht weiter zu beunruhigen. Hoffentlich kam das Taxi schnell.

„Herr Vermeer, ich mache mir Sorgen“, sagte Roxana.

„Erholen Sie sich von dem Schrecken“, sagte Marius so ruhig wie möglich. „Machen Sie eine Woche Urlaub mit Ihrem Mann und den Kindern. Ich verspreche Ihnen, dass so etwas nie wieder vorkommt.“

„Aber, Herr Vermeer, ich kann doch nicht einfach so viel Geld … und dann Urlaub?“ Roxana wirkte noch verwirrter als zuvor.

„Doch, doch.“ Marius tätschelte ihren Arm. „Gönnen Sie sich etwas Schönes. Es tut mir leid, dass Sie das erleben mussten.“

„Nie wieder öffne ich die Tür, wenn es klingelt. Das können Sie mir glauben!“

„Das ist gut. Genau. Sie öffnen einfach nicht mehr“, bestätigte Marius, als ein Taxi in der Einfahrt hielt. „Versuchen Sie einfach, das Ganze zu vergessen.“

„Gute Nacht, Herr Vermeer.“ Roxana lief zum Taxi und wandte sich noch einmal um. „Und passen Sie auf sich auf!“

Marius winkte. „.Gute Nacht, Roxana!“

Er wartete, bis das Taxi in der Dunkelheit verschwunden war, verschloss sorgfältig die Tür und eilte zum Sekretär. Gott sei Dank! Revolver und Foto war noch da.

Marius atmete auf. Dann lief er hinunter zum Fitnessraum im Keller. Die Tür war verschlossen. Dennoch schloss er auf, um nachzusehen, ob die Kiste mit dem Bild tatsächlich noch da war. Ja, sie stand unversehrt in der Ecke hinter den Trainingsgeräten.

Skrupel 1.0

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