Читать книгу Skrupel 1.0 - Christine Sylvester - Страница 4
Kapitel 2
ОглавлениеKaum hatte Charlotte Morgenrot das Loft betreten, meldete sich ihr Smartphone. Sie fischte es aus der Handtasche und nahm den Anruf entgegen. „Hallo Bettina!“
„Charlotte, wie gut, dass ich dich erreiche.“ Bettina sprach leise. „Bist du noch in der Kanzlei?“
„Nein, gerade zuhause angekommen.“ Charlotte begutachtete die Fingernägel ihrer linken Hand. Sie musste dringend einen Termin zur Maniküre machen. Der lachsrote Lack wurde spröde, und sie war der Farbe inzwischen überdrüssig.
„Ist Gerd noch … Ist er noch in der Kanzlei?“, fragte Bettina.
„Ja, dein Gatte hat noch ein Mandanten-Gespräch.“ Charlotte seufzte. „Und nein, es ist keine Frau. Er wollte mich allerdings nicht dabeihaben.“ Charlotte ließ sich aufs Ledersofa fallen. ‚Wenn du mich fragst, ist der Mandant wiedermal einer von der Russenmafia’, hätte sie am liebsten hinzugesetzt. Aber sie wollte ihre Freundin nicht unnötig beunruhigen. Sie würde sich selbst darum kümmern, dass ihr Chef Gerd Kogelmann nicht unter die Räder geriet.
„Pfft!“, machte Bettina. „Sei froh, dass du Feierabend hast.“
„Ja, bin ich.“ Charlotte dachte an den neuen Mandanten.
„Hast du eine Ahnung, wie lange das heute Abend bei Gerd noch dauert?“, fragte Bettina.
„Nein, das kann ich wirklich nicht sagen“, gab Charlotte zu.
„Dann brauche ich deine Hilfe.“ Bettina lachte. „Genauer gesagt, dein Loft. Ich treffe Frederick.“
„Ah so.“ Charlotte schoss die Pumps von den Füßen. „Ist das der Barkeeper oder der Gärtner?“
„Das ist dieser schnuckelige Tänzer, du weißt schon“, sagte Bettina gedehnt.
„Ok.“ Charlotte legte die Beine hoch. „Na gut, in einer Stunde könnt ihr es euch hier gemütlich machen. Aber Bettina …“
„Du bist ein Schatz!“, freute sich die Freundin.
„Ihr vögelt nicht wieder in der Küche herum“, verlangte Charlotte. „Das ist äußerst unappetitlich.“
„Versprochen.“ Bettina kicherte albern. „Frederick hat einfach so viel Temperament.“
Charlotte stand auf. „Und um Mitternacht seid ihr verschwunden.“ Sie ging hinüber zur Küche und öffnete den Kühlschrank.
„Natürlich, wie immer“, sagte Bettina. „Und Charlotte?“
„Ja?“ Charlotte nahm eine angebrochene Flasche Weißwein aus dem Kühlschrank.
„Du hast was gut bei mir!“
„Ich weiß.“ Charlotte grinste. „Dann viel Spaß mit deinem Tanzknaben.“ Sie drückte Bettinas Nummer weg und schenkte sich Wein ein.
Dass Bettina immer diese Vorliebe für irgendwelche Barkeeper, Kellner, Gärtner und Tänzer hatte. Charlotte trank kopfschüttelnd. Bettina vögelte dermaßen unter Niveau, dass kaum etwas dabei herauszuholen war.
Das Weinglas in der Hand, stieg Charlotte auf den Stuhl und überprüfte den Sitz der Kamera. Perfekt. Sie war auf Küchentresen und Arbeitsfläche gerichtet.
Dann prostete sie der Kamera zu, stieg vom Stuhl und kontrollierte die Kameras rund um das Bett. Auch hier war alles in Ordnung. Charlotte nahm einen weiteren Schluck. Bettina hatte vor lauter Eifer bisher noch nie eine der Kameras bemerkt. Sie waren allerdings durch Bilder, Lampen und Pflanzen alle gut getarnt.
Charlotte ging ins Bad, stellte das Glas neben dem Waschbecken ab und schlüpfte aus ihrem Business-Kostüm. Dann schielte sie hinauf zur Kamera, die im Lüftungsschacht angebracht war. Mit der Aufzeichnung im Bad musste sie sich noch etwas einfallen lassen. Die Kamera lieferte schlechte Bilder, weil bei Betrieb von Dusche oder Whirlpool die Linse beschlug. Nun ja, mit den Bildern von solch unbedeutenden Liebhabern war ohnehin nicht viel anzufangen. Sie musste Bettina unbedingt mal mit diesem neuen Staatsanwalt bekannt machen. Das wäre eine lohnenswerte Affäre …
Charlotte überprüfte ihr Makeup, leerte das Glas und angelte sich einen Hosenanzug aus dem begehbaren Schrank nebenan. Binnen weniger Minuten war sie ausgehfertig, räumte Schuhe, Glas und Flasche auf und aktivierte über den Laptop auf dem Schreibtisch die Kameras. Sie schnappte sich ihre Tasche, ließ den Blick noch einmal prüfend durch das Loft wandern, zog die Tür hinter sich zu und rief den Lift.
Charlotte verspürte Lust auf indisches Essen, danach vielleicht ein Kinobesuch oder ein Abstecher in eine Bar. Nein, sie würde Kogelmanns neuen Mandanten vor der Kanzlei abfangen und diesem Burschen mal auf den Zahn fühlen.
Als Charlotte ihr Tandoori-Hähnchen bezahlte, fügte sie der Rechnung gleich noch ein paar deftige Snacks hinzu, mit der Bitte, sie in etwa einer Stunde in ihr Loft zu liefern. Dann schickte sie Bettina eine SMS, sie möge nicht erschrecken, wenn es an der Tür klingele, sondern die Bestellung genießen. Charlotte lächelte. Sie war eben eine wirklich gute Freundin.
Sie verließ das Restaurant und winkte ein Taxi heran. Der Fahrer grummelte zunächst, als er hörte, dass das Fahrziel nur wenige Straßenecken entfernt lag, ließ sich jedoch schnell überzeugen, als Charlotte ihm erklärte, dass sie dort mit laufendem Taxameter auf die Weiterfahrt warten würden.
Der Wagen hielt vor der angegebenen Adresse, und Charlotte gewahrte, dass die Bürofenster ihres Chefs noch erleuchtet waren. Er hatte also noch immer Mandantenbesuch.
„Wir warten“, ordnete sie an und hoffte, dass es nicht allzu lange dauern würde, bis sich etwas tat.
„Stört es Sie, wenn ich das Radio anmache?“ Der Taxifahrer wandte sich zu ihr um.
„Kein Problem“, erwiderte Charlotte, „solange Sie nicht Blasmusik hören.“
Der Fahrer stellte einen Regionalsender ein, auf dem ein Bericht über einen Immobilienskandal gesendet wurde. Charlotte hörte nur mit halbem Ohr zu und behielt den Eingang zur Kanzlei im Auge.
„Das ist doch mal wieder eine Sauerei“, echauffierte sich der Chauffeur. „Typisch für deutsche Gerichte. So ein Gangster kommt mit einer Geldstrafe davon, und die armen Leute, denen er all ihr Geld abgenommen hat?“
Charlotte sah auf. „Wie? Was?“
„Dieser Immobilienhai, der diese Eigenheime verkauft hat, mit diesem Bauträger, der längst auf und davon ist“, schimpfte der Taxifahrer. „Und jetzt kam während des Prozesses auch noch heraus, dass es gar keine Baugenehmigung gab. Wie schafft es so ein Typ, den Kopf einfach aus der Schlinge zu ziehen?“
Charlotte erinnerte sich. Man hatte die Grundstücke für viel Geld verkauft. Wenige Wochen nach Baubeginn hatte sich der Bauträger ins Ausland abgesetzt. Und nun mussten aufgrund der nachweislich gefälschten Baugenehmigungen die Ruinen wieder abgerissen werden, und das auf Kosten der Grundstückseigentümer.
„Das ist doch unglaublich!“ Der Fahrer drehte das Radio ab. „Ich will das gar nicht so genau wissen. Ich rege mich nur auf!“
Charlotte verzog das Gesicht. Den Immobilienmann hatten Kogelmann, Breuer & Kollegen vor dem Knast bewahrt, indem sie sich darauf berufen hatten, man könne dem Mann keine konkrete Verbindung mit dem verschwundenen Bauträger und den gefälschten Genehmigungen nachweisen.
Das stimmte natürlich nicht. Es war ein komplett durchkalkuliertes Unterfangen, das hatte Charlotte längst herausgefunden. Der Immobilienhai würde dem Bauträger in wenigen Wochen in die Karibik folgen, um von dort aus vermutlich Inseln zu verkaufen, die ihnen nicht gehörten. Dass Kogelmann ihn vor Gericht rausgehauen hatte, war typisch. Schließlich war er Jurist. Aber die Tour in der Karibik würde Charlotte diesen Idioten gehörig vermasseln.
Oh, da tat sich etwas! Charlotte ließ sich tiefer in den Sitz sinken und beobachtete, wie Kogelmann mit einem großen kräftigen Kerl im schwarzen Anzug aus dem Gebäude kam. Die beiden Herren wirkten vertraut und schienen bester Laune zu sein.
Mit der für Kogelmann typischen Geste verabschiedete er seinen neuen Mandanten: Er legte seine Linke auf die im Schütteln begriffenen Hände. Charlotte verabscheute diese vereinnahmende und überhebliche Art des Händeschüttelns. Kogelmann wandte sich zum Gehen, denn der Fremde stieg in einen schwarzen Geländewagen.
„Folgen Sie dem Fahrzeug“, verlangte Charlotte.
„Wie cool. Das ist einer von den Sätzen, auf die ich schon lange warte.“ Der Taxifahrer lachte und fuhr los.
Sie verfolgten den Geländewagen bis zu einem großen Hotel in der Nähe des Kurfürstendamms. Dort verschwand der große schwarze Wagen in einer Tiefgarage.
„Soll ich hinterherfahren?“ Der Taxifahrer schien zu zögern.
„Nein, nein.“ Charlotte zückte das Fahrgeld und legte ein üppiges Trinkgeld obendrauf. „Schönen Abend noch.“ Dann stieg sie aus, lief langsam auf den Eingang zu und betrat die Hotelhalle. Der Blick auf die Uhr sagte ihr, dass Bettina und ihr Tanzknabe gerade die indischen Snacks geliefert bekamen.
Charlotte betrat die Hotelbar, in der nur wenige Gäste saßen. Aus den Augenwinkeln erkannte sie, dass sie den richtigen Instinkt gehabt hatte. Der Fremde im dunklen Anzug hatte ebenfalls die Bar aufgesucht und nahm gerade an der Theke Platz. Sie straffte den Rücken. Nun, der Mann suchte sicherlich ein wenig Gesellschaft.