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Kapitel 3

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Marius Vermeer stieg aus seinen Schuhen und warf sein Sakko über den Ledersessel. Das Sakko rutschte von der glatten Rücklehne zu Boden, und als er es aufhob, glitt etwas aus der Jackentasche. Er bückte sich. Es war das Foto einer Frau. Erst als er die Telefonnummer auf der Rückseite sah, fiel ihm der seltsame Südländer mit dem Auftrag wieder ein.

Marius betrachtete das Bild. Diese Frau hatte ein interessantes Gesicht. Sie war nicht schön, aber ihre Züge machten neugierig. Das Gesicht hatte etwas Geheimnisvolles, versprach etwas, ohne zu verraten, was.

Er legte das Bild auf den Tisch, ging ins Schlafzimmer und schlüpfte in seine Trainingskleidung. Doch kaum hatte er seine Schnürsenkel gebunden, stand er erneut am Tisch und betrachtete das Foto. Marius tänzelte. Der Blick dieser Frau machte ihn nervös.

Er nahm das Bild mit in den Fitnessraum im Keller, schwang sich auf seinen Heimtrainer und radelte sich warm. Dann schaute er erneut auf das Bild. Dieser Blick war unheimlich.

Das Foto in der Hand trat er auf das Laufband und lief los. Schneller. Er stellte das Laufband auf höhere Geschwindigkeit und lief schneller. Immer wieder schielte er auf das Bild, rannte, schnaufte, schwitzte, schielte und rannte weiter, als ob er so dem unheimlichen Blick entkommen konnte.

Er warf das Foto zur Seite und erhöhte das Tempo des Laufbandes um eine weitere Stufe. Seine Beine flogen über das Band, er hatte das Gefühl, kaum die Füße aufzusetzen.

Nach wenigen Minuten regulierte er die Geschwindigkeit wieder nach unten und lief sich locker aus. Er sprang er vom Band und stoppte das Gerät.

Marius setzte sich an den Armmuskeltrainer und stemmte die Bügel immer schneller vor der Brust zusammen. Er sollte die Gewichte verstärken. Nein, er wollte nicht aufhören. Immer wieder führte er die Arme nach vorn, schwitzte, keuchte und ließ irgendwann die Bügel zurückschnappen. Dann stand er auf.

Es hatte keinen Sinn. Er war zu verkrampft, um seinen Körper zu trainieren. Was er hier aufwendete, war nicht Kraft, sondern Unruhe.

Marius hob das Foto der Fremden vom Boden auf, ging nach oben und legte es wieder auf den Tisch. Dann verschwand er im Bad und duschte abwechselnd heiß und kalt.

Im Bademantel, ein Handtuch um die Schultern, fand er sich kurz darauf, erneut auf das Frauengesicht starrend, vor dem Tisch wieder. Wollte jemand diese Frau verschwinden lassen, weil ihr realer Blick noch unheimlicher war? Einskommafünf Millionen …

Marius schenkte sich ein Glas Wodka ein und trank. Er griff zur Fernbedienung und schaltete die Anlage ein. Langsam brandeten die Klänge von Pink Floyds „Atom Heart Mother“ auf.

Er nahm noch einen Schluck Wodka. Sein Puls schien sich zu beruhigen. Bis sein Blick wieder auf das Foto fiel.

Wem war der Tod dieser Frau so viel Geld wert? Und, was ihn viel mehr interessierte: Warum?

Als er zur Flasche griff, um das Glas noch einmal zu füllen, klingelte es an der Haustür. Marius hielt in der Bewegung inne. Sein Puls wurde noch schneller. Seine Nackenhaare signalisierten ihm, dass etwas nicht stimmte. Hier lauerte Gefahr, das konnte er körperlich spüren.

Er ging zu seinem alten Sekretär, dem einzigen antiken Stück in seinem Haus. Er war beruflich zu viel mit Kunst und Antiquitäten beschäftigt, um sich sein privates Reich damit vollzustopfen. Auch seine Geschäftspartner empfing er niemals zuhause, deshalb kannte auch niemand seine Privatadresse. Niemand außer Roxana, seiner Reinigungskraft, die das Haus einmal am Tag betrat, um für Ordnung zu sorgen. Kein schwerer Job, denn es war modern und karg möbliert und Marius selbst war ausgesprochen ordentlich.

Er zog eine der verspielt wirkenden kleinen Schubladen heraus, ein Samttuch zur Seite und …

Es klingelte erneut. Marius spürte eine Gänsehaut und griff schnell nach seiner Walther P99. Dann löschte er das Licht, stellte die Musik ab und schlich barfuß über den Steinboden zur Haustür. Der Eingang war von außen erleuchtet. Das Außenlicht brannte immer, ob er zuhause war oder nicht. Zeitschaltuhr und Alarmsystem sorgten dafür, dass das Haus jederzeit bewohnt wirkte, auch, wenn Marius tagelang auf Reisen war.

Ob Roxana vielleicht etwas vergessen hatte, deshalb noch einmal vorbeischaute und nicht wagte, den Schlüssel zu benutzen? Nicht auszudenken, wenn er die gute Seele mit vorgehaltener Waffe empfing. Er steckte die P99 in die Tasche seines Bademantels und öffnete vorsichtig die Tür. Durch den Lichtkegel der Außenbeleuchtung konnte er gerade noch zwischen den Kugelbüschen hindurch eine dunkle Gestalt in Richtung Straße verschwinden sehen. Der Duft von aufdringlichem Aftershave kitzelte seine Nase.

Dann bemerkte Marius, dass ein Stück Papier aus dem Briefkasten hervorlugte. Er wollte schon zugreifen, als er sich eines Besseren besann, zunächst einen Zipfel seines Handtuchs um die Finger legte und so spurenarm nach dem Papier griff.

Was er aus dem Briefkasten zog, war ein Kuvert mittleren Formats, das ziemlich dick und vermutlich wattiert war. Statt eines Absenders standen dort nur Initialen: F.M. Vermutlich dieser Kerl, der ihn heute im Geschäft aufgesucht hatte ... Flavio Montano.

Marius warf noch einen prüfenden Blick in den Vorgarten und verzog sich mit seiner Fracht nach drinnen.

Das Kuvert warf er auf den Tisch zu dem Foto und verstaute zunächst die Waffe wieder in der Schublade. Er sollte diese Pistole verschwinden lassen. Wieder einmal beschlich ihn die Furcht, sie eines Tages tatsächlich mal zu benutzen. Und diese Furcht war größer als die um sein eigenes Leben.

Er startete die Musik erneut, schenkte sich endlich sein zweites Glas Wodka ein, zog ein paar Lederhandschuhe aus dem Sekretär und öffnete mit wenigen Griffen das Kuvert. Es war nicht wattiert, sondern durch zahlreiche Geldscheine gepolstert, allesamt Fünfhundert-Euro-Scheine.

Marius nahm einen kräftigen Schluck und zählte. Es waren zweihundert Geldscheine, hunderttausend Euro. Schnell stopfte er die Scheine zurück und verstaute den Geldumschlag in einer weiteren Schublade neben der mit der Pistole.

Dann betrachtete er noch einmal die Frau auf dem Foto, schüttelte den Kopf und legte das Foto dazu. Nein, er würde diesen Auftrag auf keinen Fall annehmen.

Skrupel 1.0

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