Читать книгу Civitas A.D. 1200. Das Geheimnis der Rose - Christof Wolf - Страница 25

KLOSTER SANKT SEVERUS

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Ignazius marschierte gerade über den Klosterhof zur Latrine, als jemand laut fordernd an die Klosterpforte klopfte. Knurrend trat er selbst zur Tür und stellte sich innerlich bereits darauf ein, wieder einmal einen armen Teufel zusammenzustauchen. Allzu oft kam es in letzter Zeit vor, dass dieses Bettlervolk, in seinen Augen nichtsnutziges Ungeziefer, sich an ihm und seiner grenzenlosen Großmütigkeit zu bereichern versuchte.

„Küchenschaben allesamt!“, brüllte er ihnen oftmals hinterher, nachdem er ihnen dann doch ein wenig Brot hingeworfen hatte. „Lasst bloß keinen von denen eintreten! Die schleppen nur Krankheiten mit sich rum!“, trichterte er stets den Klosterbewohnern ein.

Ignazius galt auf der einen Seite als unnachgiebig. Doch auf der anderen Seite, die allerdings den meisten Menschen unbekannt blieb, besaß er so etwas wie einen weichen Kern. Sollte es tatsächlich jemandem gelingen, in die Nähe des Vorhofs der Trutzburg seines Herzens vorzudringen, so konnte dieser sich einer gewissen Barmherzigkeit erfreuen; wie diese Leute von der Lexemühle.

Ihnen schien es, wie auch immer, gelungen zu sein, sich in Ignazius’ Herz einzuschleichen. Ob es an der Tatsache lag, dass Arthur der Müller ihn schon des Öfteren nach den Sonnenkanzelfeierlichkeiten volltrunken aufgelesen und ohne je ein Wort darüber zu verlieren ins Kloster gebracht hatte – eine Integrität und Diskretion, die Ignazius schätzte – oder ob es an der netten Müllerin lag, die ihn stets mit ihren Leckereien verwöhnte, wenn er auf dem Hof auftauchte. Zudem führte sie ihre Kinder an Ignazius heran, damit sie von ihm lernen sollten. Andere im Ort sperrten ihre Kleinsten weg, sobald sie den Klosterverwalter in der Ferne ankommen sahen, als habe er die Beulenpest oder sei der Leibhaftige selbst.

Mittlerweile mochte Ignazius die Kinder vom Lexehof, wenngleich er es selbst nicht unbedingt wahrhaben wollte und penibel genau darauf achtete, dass niemand diese sanfte Seite an ihm erkennen konnte. Natürlich verbot er es sich, ihnen zu zeigen, wie sehr er sich darauf freute, den kleinen wissensbegierigen Plagegeistern von der Heiligen Schrift zu erzählen. Allerdings lag sein Hauptinteresse dabei auf dem zweitgeborenen Sohn, ihn wollte er ganz besonders fördern. So kam ihm eines Tages die großartige Idee, Antonius in die Weihen des Klosterlebens einzuführen und zu einem guten Klosterschüler zu machen. Während er den Jungen in die Aufgaben einer ordnungsgemäßen Abteiverwaltung einweisen würde, könnten die Mönche von Sankt Severus sich um den größten Teil der religiösen Novizenausbildung kümmern. Doch um den jungen Mann, dessen Auffassungsgabe und Intelligenz er als außergewöhnlich einstufte, zu höheren Weihen und Ehren zu bringen, schwebte ihm eine viel weitergehende Vision im Kopf herum. Und wenn es ihm gelänge, diese zu realisieren, dann könnte aus dem einfachen Müllerjungen ein großer Kirchenmann werden, der sich ihm – seinem Förderer und Gönner – dann sein Leben lang verpflichtet fühlen würde. Doch wie kam Ignazius zu dieser Idee? Die Initialzündung erfolgte vor wenigen Wochen, als ein Zisterziensermönch namens Gregorius bei ihnen einkehrte. Bei einem gemütlichen Mahl am Abend, an dem Ignazius den Stuhl neben Johannes, dem Abt von Sankt Severus, einnehmen durfte, erzählte dieser in wunderbarer Weise von seinem klösterlichen Leben – vor allem aber von seiner Ausbildung in Heisterbach.

„Ihr glaubt nicht, wie wichtig es ist, einen guten Novizenmeister zu haben“, sagte er. „Wenn es diesem gelingt, selbst die Begeisterung für das aufzubringen, was er den jungen Menschen beizubringen versucht, dann gehen seinen Schülern die Regeln und Lehren des Heiligen Benedikts fast von selbst in Fleisch und Blut über. Mir selbst hätte nichts Besseres geschehen können!“ Gregorius geriet fast ins Schwärmen, als er von seinem Novizenmeister erzählte. Plötzlich wusste Ignazius, wohin er Antonius schicken wollte.

Angespornt von den Geschichten, die dieser Zisterzienser von seiner Probandenzeit im Kloster Sankt Petersthal zu Heisterbach zu berichten wusste, formulierte Ignazius noch in derselben Nacht eine Nachricht. In dieser bat er den großen Meister Caesarius darum, dass Sankt Severus ihm einen Schüler schicken durfte. Gregorius, der sich auf dem Weg nach Heisterbach befand, nahm den Schrieb am nächsten Morgen an sich und versprach, dass Ignazius auf jeden Fall etwas von ihm oder gar von Caesarius selbst hören würde. Seitdem wartete Ignazius auf einen Bescheid.

Erneut klopfte es an der Klosterpforte. Ignazius brummelte bereits wieder vor sich hin und erwartete, einen dieser streunenden Nichtsnutze vorzufinden. Dann jedoch stieg in ihm der vage Gedanke auf, es könnte sich vielleicht bereits um einen Boten aus Heisterbach handeln. Doch sehr schnell sollte er eines Besseren belehrt werden.

Ignazius öffnete mit Schwung die Pforte und trat hinaus. Dabei stieß er, mit seiner langen und überaus spitzen Nase, förmlich mit den Nüstern eines schwarzen Ungeheuers zusammen. Zumindest entstand in ihm dieser Eindruck. Wegen des feinen Tuchs, welches das Halfter des Pferdes überspannte, konnte er nicht gleich erkennen, welche Kreatur vor ihm stand. Zwei nervös dreinschauende, bernsteinfarbene Augen lugten hervor sowie zwei sich fast im Winkel von einhundertachtzig Grad drehende Ohren. Aus einem sabbernden Maul entfuhr ein grauseliger Mundgeruch. Weißer Schaum, der aus Nase und Mund spritzte, als das Tier kurz scheute, schlug ihm ins Gesicht. Nachdem er sich diesen angeekelt mit einem Handrücken von der Nasenspitze gewischt hatte, folgte sein Blick einem dunklen und gezackten Lederriemen. Dieser schien an einem schwarzfarbenen Lederhandschuh zu enden, in dem wiederum die linke, zur Faust geformte Hand eines Reiters verschwand. Kerzengerade saß dieser in einem dunklen Ledersattel. Sein ebenso rabenfarbener Reitstiefel sah vollkommen neu aus. Für einen kurzen Moment beneidete Ignazius seinen Träger darum – denn anscheinend brauchte dieser sich seltener auf Schusters Rappen fortzubewegen.

Ignazius nahm sich zurück und erkannte, wie im Hintergrund zwei weitere Gäule mit ihren Reitern ungeduldig hin und her tänzelten. Anscheinend witterten die Tiere die Getreidesäcke, die er soeben auf den Ochsenkarren hatte laden lassen, die er morgen früh zur Lexemühle transportieren lassen wollte.

„Los, gewähre uns Zutritt, aber flott!“, herrschte ihn eine unsympathische Stimme spitz an. Ignazius erschrak, da er einen solchen Ton nicht gewohnt war. Vielmehr pflegte er in ähnlicher Art mit seinen Bediensteten und Untergebenen umzugehen. Dass ihn jemand so anging, das war erstmalig der Fall. Gleichwohl ließ er sich nicht einschüchtern und fragte erhobenen Hauptes: „Wer seid Ihr? Vor allem, was wollt Ihr?“ Doch dies schien wiederum der Reiter nicht gewöhnt zu sein, denn dessen Ton wurde sofort eine Stufe rauer: „Halt dein Maul! Wer denkst du, wer du bist? Verschwinde aus der Tür, sonst zermalmen dich die Hufe meines Gauls wie einen Wurm im Dreck!“ Geschockt ob der harschen Worte und nicht riskieren wollend, dass ihm etwas passierte, trat Ignazius beiseite. Drinnen angekommen sprangen die drei Reiter vom Pferd und banden diese an der hölzernen Stange fest, an der normalerweise das Geschirr der Ochsen während des Anhängens des Karrens befestigt wurde.

„Hole mir deinen Abt oder sonst einen Nichtsnutz aus der Klosterleitung!“

„Herr, ich bin Ignazius, der Klosterverwalter. Zurzeit stehe ich diesem Konvent vor. Gerne stehe ich Euch zur Verfügung!“ Ignazius konnte zwar sehen, dass der Reiter die linke Augenbraue zum Zeichen seiner Verwunderung anhob, doch seinem weiteren Verhalten tat dies keinen Abbruch.

„So, so, Ihr seid also der Herr dieses Fuchsbaus. Nun, Eure Reputation kann ja nicht allzu groß sein, wenn Ihr selbst an der Pforte Dienst schieben müsst!“ Die beiden anderen verfielen in Gelächter und hielten sich die Bäuche.

„Unser Abt Johannes ist zu einer Synode nach Lintpurc aufgebrochen, wo der Erzbischof von Treveris über die Errichtung eines Doms beraten lässt. Deshalb obliegt mir die Leitung dieses Gotteshauses und Ihr müsst mit mir vorlieb nehmen. Herr, mit Verlaub, wer seid Ihr und was kann ich für Euch tun?“

Der Wortführer sah Ignazius mit verachtendem Blick an, doch diesmal hielt dieser dessen eindringlich dreinschauenden Augen stand. Immerhin war es gewöhnlich er, der ähnliche Blicke auszusenden in der Lage war. Schwungvoll warf der finstere Fremde seinen in schwarz gehaltenen Umhang über die Schulter, wodurch auf der Herzseite ein Symbol erschien. Dieses war Ignazius durchaus bekannt und signalisierte ihm, dass die Männer mit dem Vatikan zusammenarbeiteten. Das Emblem zeigte zwei gekreuzte Schlüssel. Aber anstatt eines silbernen und goldenen Schlüssels sowie des gelb-schwarz markierten Adlers und der Papsttiara, die das Wappen Innozenz III. zierten, prangte über den beiden goldfarbenen Schlüsseln lediglich ein aufgerichtetes Dreieck. Aus diesem starrten zwei weiße Augen mit purpurfarbenen Pupillen hervor. Sie strahlten ob ihres blutunterlaufenen Aussehens etwas Mystisches, aber gleichsam auch Bedrohliches aus.

Langsam streiften alle ihre Handschuhe ab. Mit gesenktem Kopf schnaubte einer der anderen Reiter: „Gebietet es nicht der Anstand, dass man einem Gast im Hause des Herrn etwas zu essen und zu trinken anbietet?“

Wissend, dass die Herrschaften vor ihm von ganz oben beordert waren, sparte Ignazius sich jede weitere Frage und übernahm die Rolle des Untergebenen. Mit gezwungener Verbeugung bat er die drei hinein und orderte schnell etwas zu essen sowie große Krüge ihres Klostergebräus. In demütiger Haltung lotste er die Besucher in den einfachen Empfangsraum. Zum Glück hatte er, als hätte er eine Vorahnung gehabt, die Abwesenheit des Abtes dazu genutzt, diesen Raum mit neuen Farben tünchen und das massive Holzmobiliar mit Wallnussöl lasieren lassen. Auch den verschlissenen Holzboden hatte der Schreinermeister Wengen wieder wunderbar glatt bekommen und mit einer sonderbaren Lösung, deren Rezeptur neben Bienenwachs und Leinöl sogar ein wenig Ochsenblut vorsah, eingerieben. Dadurch wirkte das Holz frisch und schimmerte ein wenig Purpur. Auch den abgetretenen Vorleger vor der Feuerstelle hatte er gegen einen ordentlichen Wollteppich austauschen und die zugige Fensteröffnung mit neuem, weinroten Damast behängen lassen. An der großen Wand hing ein mehrfarbig gestaltetes Bildnis des gekreuzigten Jesu und die kleine Natursteinmauer mit dem offenen Kamin zierte ein schlichtes, geschmiedetes Kreuz.

Wegen des von außen nicht vermuteten gepflegten Eindrucks sahen sich die Besucher positiv überrascht um. Das kleine Kreuz, es stammte vom Lexen-Albert, schien die Aufmerksamkeit des Anführers auf sich zu ziehen. Stumm und regungslos blieb er davor stehen, drehte sich dann jedoch unvermittelt um und stellte sich vor: „Man nennt mich Arktos de Milano!“ Ignazius musste ein Grinsen unterdrücken, als er den Namen des dunkel gekleideten und finster dreinschauenden Menschen vernahm. Dieser stand ihm mit dunkelbraunem, halblangem Haar gegenüber. Er trug einen gleichfarbigen Moustache, der links und rechts gut eine halbe Elle maß und mit Spucke und Wachs spitz zusammengedreht war. Sein Gesicht hatte eine leichte Bräune, wie sie zu dieser Jahreszeit in dieser Region nicht üblich war.

Arktos! Unpassender kann ein Name nicht sein!, dachte Ignazius. In den letzten Jahren hatte er sich, unterstützt von den Brüdern und zahlreichen Livrets im Konvent, die griechische Sprache angeeignet. Er war zwar nicht perfekt, doch es gelang ihm durchaus, den Sinn ausführlicher Texte zu entschlüsseln. Heute zweifelte er jedoch an seinen Kenntnissen, da der Name ‚Arktos‘ mit Sicherheit nicht zu der Kreatur passte, die da vor ihm stand. Alle anderen Bezeichnungen in Richtung Rabenmensch, Dämon oder gar Teufel hätten auf Anhieb seine Akzeptanz gefunden. Aber Arktos, im Griechischen ‚der Eisbär‘? Auch wenn Ignazius noch nie ein solches Geschöpf gesehen hatte, so wusste er von dessen Existenz, vor allem war ihm bekannt, dass dieses schneeweiß war. Allerdings sollte der Cellerar alsbald feststellen, dass dieser Arktos, der kalt und abweisend auftrat, vor allem etwas Kaltblütiges und Gefährliches in sich barg und somit bestens zum Charakter des Bären passte.

„Ich arbeite im Auftrag des ehrwürdigen Zacharias von Homburg, der wiederum seine Instruktionen direkt von Vinzenzo Santos aus Rom erhält!“, schob Arktos mit einer gewissen Arroganz in seiner Stimme nach und Ignazius’ innerliches Grinsen erstarb auf Anhieb. Vernahm man den Namen von Homburg, so war höchste Vorsicht angesagt. Einem jeden, ob bescholten oder unbescholten, konnte auf Anhieb das Lachen vergehen. Von Homburgs’ Ruf eilte ihm voraus und besagte, dass dieser ein knallharter Reliquienjäger war und sich gerne als ‚die rechte Hand Roms‘ ausgab. „Die Hand, die es getan hat!“, diesen Schiedsspruch fällte er nur allzu oft und ließ Dieben, die sich am Eigentum der Kirche bereicherten, die selbige abschlagen. So gab es selbst in dieser Zeit in der kleinsten Provinz kaum einen Menschen, dem dieser Name kein Begriff war – zumindest keinen Kirchenmann.

„Es ist mir eine Ehre, Euch und Eure Gefolgschaft in unserem bescheidenen Hause willkommen zu heißen, ehrwürdiger Arktos de Milano!“ Ignazius verbeugte sich, wie es sich gehörte, vermied es aber bewusst, in die Knie zu gehen und den rubinfarbenen Ring seines Gegenübers zu küssen, den dieser demonstrativ präsentierte. Zum Glück wurde die Situation gerettet, als sich im selben Moment die Tür öffnete und drei Klosterbedienstete eintraten. Geschickt balancierten zwei von ihnen voll beladene Tabletts, während der dritte drei große Tonkrüge voller Bier herbeischaffte. Ignazius nutzte diese Ablenkung und gab arrogant seine Anweisung. Nachdem alles auf dem massiven Eichentisch in der Mitte des Raumes abgestellt war, zogen sich zwei der Diener diskret rückwärtsgehend zurück. Der Dritte trat in die Ecke des Raums, wo er auf weitere Befehle zu warten hatte.

Ohne auf die Aufforderung des Gastgebers zu warten, setzten sich die Fremden in die Sessel und stürzten sich sogleich auf das Bier. Gierig schluckten sie, was das Zeug hielt. Der Gerstensaft trat aus den Mundwinkeln heraus und rann ihnen über Kinn und Kehle, bevor er auf den frisch geölten Holzboden traf. Ignazius fiel es schwer, seiner Missbilligung keinen Ausdruck verleihen zu dürfen. Laut krakeelend prosteten sie erneut einander zu, ohne ihrem Gastgeber dabei Beachtung zu schenken. Nachdem aus allen drei Leibern kräftige Rülpser ausgestoßen waren, schütteten sie erneut nach. Dann machten sie sich über die Speisen her und leerten eine Platte nach der anderen. Mit lautem Schmatzen und erneuten Rülpsern verschwanden im Nu eine große Portion sautiertes Schweinefleisch und ein Dutzend knusprig gebratener Hühnerschenkelchen, weißliches Wurzelgemüse und grüner Kohl, mehrere gekochte und rohe Gänseeier, ein kleiner runder Laib Ziegenkäse, ein halber Topf Griebenschmalz und unzählige Scheiben des guten Sauerteigbrots. Ein weiterer Schluck aus den Krügen, die eigentlich dafür gedacht waren, das Bier in Becher einzuschenken, schien gerade gut genug, um die Lücken in den Mägen zu schließen, die ihrerseits mit jedem Schluck dem Bersten näher kamen. Sowohl Ignazius als auch dessen ehrfürchtig dreinschauender Diener hätten sich beinahe übergeben müssen, während die drei Haudegen in ein grölendes Gelächter ausbrachen. Nachdem nahezu alles verputzt war, stießen die drei ein Stöhnen aus, als hätten sie Schwerstarbeit verrichtet.

„So, nun zum eigentlichen Grund unseres Besuchs.“ Der angeschlagene Ton schien plötzlich wie verwandelt und schon fast versöhnlich. „Setzt Euch zu uns und lasst uns noch einen Krug dieses köstlichen Gesöffs bringen!“ Ignazius gab seinem Diener mit einem stummen Kopfnicken ein Zeichen und nahm auf einem der Stühle in der Nähe von Arktos Platz. „Also“, setzte dieser fort, „Ihr wisst ja, für wen wir arbeiten.“ Ihm schien der mehr oder weniger entsetzte Ausdruck, der sich im Gesicht von Ignazius breitgemacht hatte, als er bewusst seinen Umhang gelüftet hatte, nicht entgangen zu sein.

„Ja, Herr, mir war dies bewusst, nachdem ich die gekreuzten Schlüssel gesehen habe. Verzeiht mein Misstrauen, welches ich Euch entgegengebracht habe, als Ihr und Eure edlen Begleiter an der Pforte klopftet. Mir wäre nie in den Sinn gekommen, dass wir jemals solch hohen Besuch in unseren Mauern begrüßen dürften. Als Gesandte des Vatikans, als Vertreter unseres Papstes Innozenz, steht es mir ja eigentlich nicht zu, Euch willkommen zu heißen, da dies nur der Hausherr kann. Gott sei Euch gnädig …“

„Amen!“, riefen die drei und belachten sich über ihre synchrone Reaktion.

„Nun, als Gesandter des Vatikans“, nahm Ignazius den Faden wieder auf, „ist mein Haus Euer Haus, weshalb Ihr hier das Sagen habt! Gleichwohl seid Ihr uns willkommen!“

„Nun, lieber Bruder – Ignazius, nicht wahr? –, genug mit dem Geplänkel!“

„Seht die Schleimspur!“, rief einer der Reiter.

„Er scheint der Sohn einer Nacktschnecke zu sein!“, antwortete der andere, worauf alle drei wieder in Gelächter ausbrachen. Doch dann gab Arktos ein Zeichen und es wurde schlagartig still.

„Ich komme sogleich zur Sache. Seit geraumer Zeit verfolgen wir die Spur eines Mitbruders, der etwas in Besitz hält, das unserem Vater in Rom gehört. Irgendwie gelangte es in die vermaledeite Hand dieses Burschen, und dieser hielt es nicht für notwendig, den Gegenstand zurückzugeben. Und das, obwohl ein Dekret des Papstes ausgegangen ist, wonach alle Reliquien aus dem Heiligen Land, dem Vatikan zu übergeben oder zumindest anzuzeigen sind. Nur der Vertreter Gottes kann deren von Gott bestimmter Eigentümer sein. Zumindest sind die Artefakte der Kurie oder bei offiziellen Repräsentanzen vorzuzeigen. Erst mit der Zustimmung eines autorisierten Vertreters der Kirche darf ein Gegenstand mitgeführt oder einem Konvent übergeben werden. Aber niemand kann zu keiner Zeit für sich selbst das Eigentum beanspruchen.“

„Und Ihr habt nun diesen Kerl in Verdacht, dass er sich etwas unter den Nagel gerissen hat und dieses Etwas gegebenenfalls verscherbeln wird?“

„So ist es. Deshalb meine Frage an Euch: Ist Euch in den letzten Tagen irgendwo ein fremder Kerl, mit oder ohne Pferd, begegnet? Überlegt gut, er sah zuletzt ziemlich abgerissen aus. Allerdings besaß er beim letzten Mal, als wir ihm auf die Fersen rücken konnten, ein sehr edles Pferd. Wir können zwar nicht mit Gewissheit sagen, woher dieses stammt, doch wir gehen davon aus, dass er es aus irgendeinem Stall entwendet hat. Also ist er obendrein ein Pferdedieb!“ Ignazius hörte gespannt zu, doch so sehr er auch überlegte, ihm war kein Fremder aufgefallen. Und da das Leben in dem kleinen Dorf Severus sehr übersichtlich war, hätte ein auffälliger Reiter mit Sicherheit für Aufsehen gesorgt. Und das wiederum, so gut kannte er seine geschwätzigen Bediensteten, wäre ihm auf jeden Fall zugetragen worden. Also schien der Fremde das Severus-Tal ganz bewusst umgangen zu haben.

„Vielleicht hat er in Westerborg einen Unterschlupf gesucht“, gab Ignazius zu bedenken und erklärte den Anwesenden, wo dieser Ort lag. Auch dass dort derzeit alles Kopf stand, da die Hochzeit der Gräfin Katharina von Leiningen mit dem – er drückte es vorsichtig aus – nicht ganz so einfach zu handhabenden Siegfried III. von Runkel bevorstand. Der Ort würde zurzeit auf Vordermann gebracht, die Burganlage auf dem Berg um einen weiteren Flügel ergänzt, und überhaupt habe sich dort mittlerweile viel dubioses Volk eingefunden.

„Aber Ihr seid Euch sicher, dass dieser Kerl auf keinen Fall hier durchgekommen ist?“ Ignazius überlegte erneut und hob seine Schultern. Doch dann kam ihm plötzlich ein Gedanke. Am liebsten hätte er ihn sofort wieder verworfen und seine Worte, die sich zwischen seinen Lippen hervorquetschten, runtergeschluckt, doch es war zu spät. „Hier ist er nicht durch, aber vielleicht ist er ja irgendwo hängengeblieben!“ Arktos setzte ruckartig den Becher ab und knallte ihn förmlich auf den Tisch.

„Los, rückt raus! Welchen Verdacht habt Ihr?“ Sein Blick hätte die Wand samt Kreuzigungsgemälde durchbohren können. Seine Stimme erhielt den bedrohlichen Unterton von vorhin zurück. Nun gab es keinen Weg zurück. Ignazius hatte in unbeabsichtigter Weise dem hungrigen Wolf einen Happen hingeworfen. Jeder Versuch, sich herauszureden und den angedeuteten Hinweis als Lappalie abzutun, war gefährlich – und konnte vor allem sein Wohl und Leben in Gefahr bringen.

Ignazius schaute wortlos in die Runde und die zuvor noch herausgekitzelte Gelassenheit und das kumpelhafte Getue waren wie von Geisterhand verschwunden. Er hatte keine Wahl und musste den Jägern eine Fährte liefern. Seine Stimmbänder schienen jedes Wort verhindern zu wollen, sein Kehlkopf stellte sich gelähmt.

„Mach schon!“, trieb einer der Kerle ihn an.

„Nun“, sagte Ignazius, nachdem er erneut schlucken musste, „ich bringe fast täglich mit unserem Ochsenkarren Getreidesäcke aus unserem Kornspeicher zu einer Mühle am Ende der Schlucht. Der Müller und seine Familie sind äußerst fleißige und vor allem zuverlässige Leute. Sie besitzen nette Kinder, wobei die beiden Jungs eigentlich nicht mehr als Kinder zu bezeichnen sind, aber …“

„Los, kommt zur Sache“, unterbrach Arktos, „wir wollen nicht die Patenschaft der Blagen übernehmen, sondern einen Verbrecher fangen!“ Drei finstere Augenpaare richteten sich auf den Cellerar und dieser wusste jetzt, weshalb die Gesandten Zacharias von Homburgs unter dem Synonym Die Strengen Augen Gottes ihren Auftrag wahr nahmen.

„Nun, als ich gestern wieder einmal einige Säcke mit dem Ochsengespann zur Mühle brachte und kurz vor meiner Abreise mit Arthur dem Müller den Malter festlegte, hörte ich aus dessen Stall, in dem in der Regel schwere Kaltblüter stehen und aus dem sonst lediglich das Muhen von Kühen und Quieken von Schweinen …“

„Das Gackern von Hühnern, das Stöhnen der Müllerin und so weiter!“, warf einer der Reiter ein, worauf der andere ihm zustimmend auf die Schulter klopfte. Arktos blickt indes düster drein.

„Plötzlich vernahm ich das Wiehern eines Pferdes. Ich konnte sogleich den Unterschied zu den anderen Rössern hören und schritt zum Stall. Dort stand ein edles Geschöpf, groß und schlank. Sein Stockmaß tat sich nichts mit meiner Größe. Der Kopf des Tieres war relativ klein, weshalb ich schloss, dass es sich um einen Araberhengst handelte!“

„Ach, den Schwanz des Tieres konntet Ihr auch sehen!“ Wieder grölte der andere Kerl beipflichtend los, wurde aber jäh von Arktos gestoppt: „Haltet endlich die Schnauze!“

Stille.

„Ich fragte sogleich den Müller, wieso dieses Ross da in seinem Stall stünde, worauf dessen Sohn Albert, wohlgemerkt ein sehr talentierter Schmied, das Kruzifix da an der Wand stammt auch von ihm …“ Die Köpfe wandten sich synchron dem Kreuz und ebenso simultan wieder Ignazius zu. „… nun, Albert sagte, sein Bruder Antonius hätte dieses Pferd vom Näherschen Hof mitgebracht. Sein Eigentümer, ein reicher Kaufmann, würde derweil bei Dagoberth Näher auf dem Hof rasten. Das Tier habe Probleme mit dem Huf und die Schnalle des Sattels sei gerissen. Albert beabsichtigte, beides wieder in Schuss zu bringen, bevor Antonius es wieder zurückbringen wollte.“

„Und habt Ihr Euch den Gaul angeschaut? Hatte es wirklich Hufprobleme?“, wollte einer der strengen Augenträger wissen.

„Mit Verlaub, mein Herr, ich erkannte meinerseits keinen Anlass, die Aussagen des Schmieds infrage zu stellen. Es kommt nicht selten vor, dass Antonius, der jüngere, der mehrmals in der Woche zum Hof aufbricht, ein Pferd oder Maultier mit zur Schmiede bei der Mühle bringt. Allerdings war bisher noch nie so ein prachtvolles Tier dabei!“

Arktos kratzte sich an der Stirn. „Aber zutrauen würdet Ihr dem Müllervolk schon, dass sie einen Fremden aufnehmen. Und sofern dieser genügend zahlt, dann würden die auch das Maul halten oder Euch anlügen, oder?“

„Ich kann es Euch nicht sagen. Bisher waren sie immer korrekt und integer. Mich anlügen, ich weiß nicht. Aber vielleicht wurden sie dazu gezwungen? Vielleicht hat der Fremde – sofern er auf dem Hof eingekehrt ist – eines der Kinder in seiner Gewalt gehalten und sie konnten nicht anders handeln!“

„Das könnte durchaus sein. Zuzutrauen ist dem Kerl alles. Unserem Kenntnisstand nach kommt er direkt aus dem Heiligen Land. Dort hat er für unsere Ideale gekämpft, also eigentlich eine tugendhafte und vor allem ehrenhafte Tätigkeit. Allerdings sind schon viele aus dem Krieg zurückgekehrt und haben einen geistigen Schaden zurückbehalten. Und dieser Defekt macht diese Menschen so gefährlich. Sie können oftmals nicht mehr zwischen Gut und Böse unterscheiden, nicht mehr zwischen Mein und Dein. So habe ich selbst schon erlebt, dass einer dieser Kerle, nachdem er es bis nach Hause geschafft hat, ohne Vorwarnung und tiefsinnigem Grund seine eigene Familie abgeschlachtet hat!“

Geschockt beorderte Ignazius den Diener, der noch immer in der Ecke stand, zu sich und trug ihm auf, ihnen einen neuen Krug Bier und von dem Honigbrannt zu holen, den der Abt stets für besondere Anlässe reservierte. Als dieser kurz darauf zurückkehrte, vergaß Ignazius seine Gastgeberrolle für einen Moment und ließ sich zuerst einschenken. Mit einem Zug leerte er den Becher und forderte seinen Bediensteten auf, sofort nachzuschenken. Nun fürchtete Ignazius tatsächlich um das Leben der Müllerfamilie. Nie hätte er gedacht, dass in ihm, der ein Raubein und Eisblock sondergleichen war, tatsächlich solche Gefühle aufkeimen konnten. Deshalb schlug er vor, gleich am nächsten Morgen, unauffällig im Rahmen seiner Getreidelieferung, auf der Lexemühle nachzusehen. Unter dem Schutz der Strengen Augen Gottes könnte es vielleicht gelingen, den vermeintlich gemeingefährlichen Räuber, listigen Pferdedieb, unberechenbaren Verbrecher und wahrscheinlich auch heimtückischen Mörder unschädlich zu machen.

„Wenn Ihr uns helft, diesen Kerl dingfest zu machen und wir dadurch das zurückbekommen, wonach wir suchen, dann soll das Euer Schaden nicht sein. Vielleicht kann dies für Euch der Auftakt zu einer großen Karriere im Hause Gottes sein!“ Ignazius schaute Arktos mit weit aufgerissenen Augen an. Er konnte es kaum glauben, dass dieser Stinkstiefel vor ihm, der ihn vorhin noch schlechter als eine Küchenschabe behandelt hatte und wie einen Wurm im Dreck zerquetschen wollte, dass gerade dieser Kerl ihm die Hand hinhielt und zum Förderer seiner beruflichen Zukunft avancierte. Er zögerte und dachte an die Müllerfamilie. Was würde mit ihr geschehen, wenn sich herausstellte, dass sie dem Fremden freiwillig und ohne Bedrohung Unterschlupf gewährt hatten? Er traute Arktos alles zu. Aber dann hätten sie Ignazius belogen und von daher per se eine gerechte Strafe zu erwarten.

Ignazius entschied sich für seine Karriere und schlug ein. Beide Hände drückten einander fest. Anschließend stürzte noch so mancher Krug voll Gerstensaft und Honigbrannt die laut herumkrakeelenden Kehlen hinab.

Civitas A.D. 1200. Das Geheimnis der Rose

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