Читать книгу Civitas A.D. 1200. Das Geheimnis der Rose - Christof Wolf - Страница 7
ОглавлениеPROLOG
ROM
Er konnte es kaum fassen, doch die von ihm beauftragten Experten bestätigten uneingeschränkt, dass es wahr sein könnte. Wie ein eingesperrter Löwe im Käfig lief Kardinal Giovanni Sottobosco in seiner Kammer auf und ab. Seine ansonsten wenig auffälligen Wangen leuchteten wie das Purpur seiner Robe. Die pergamentene Haut, die seinem fahlen, schmalen Gesicht nur selten eine Regung entlockte, zeigte heute durchaus einige knittrige Falten.
„Wenn es sich nun tatsächlich bewahrheitet, was Lucca behauptet“, murmelte er unentwegt vor sich hin – und anscheinend konnte er im Lichte neuerer Erkenntnisse tatsächlich fast davon ausgehen, dass es stimmte –, „dann ist dies eine Sensation!“
Sein Vertrauter, Lucca di Locedio, der dem gleichnamigen und direkt am Po liegenden norditalienischen Konvent des Zisterzienserordens vorstand, hatte ihm vor einigen Tagen eine Geschichte zugetragen, die ihn schleunigst hatte handeln lassen.
„Dies könnte Euch die Chance bieten“, flüsterte Lucca ihm konspirativ ins Ohr, als sie sich im Rahmen einer Audienz nicht ganz zufällig in einem der ruhigen Gänge trafen, „auf die Ihr schon Euer Leben lang gewartet habt!“ Sottobosco wurde nervös, was sonst überhaupt nicht seinem Naturell entsprach. Aufgeregt rieb er mit Daumen und Zeigefinger seinen Nasenrücken. Sollte es tatsächlich soweit sein? Wird die göttliche Vorsehung mich alsbald für die höchste Stufe des irdischen Daseins qualifizieren?
Als eine erste Maßnahme ließ er vor wenigen Tagen im Geheimen ein paar Männer in das unweit vom Lateran gelegene Sessorianum entsenden. Hierbei handelte es sich um den ehemaligen Palast der Helena. Nach deren Tod, hatte ihr Sohn, Kaiser Konstantin, diesen der Kirche zum Geschenk gemacht. Fast besessen von dem Drang, möglichst viele Reliquien zu besitzen, hatte Helena dort alles Mögliche und Unmögliche zusammengetragen. Selbst Teile des Kreuzes Christi und sogar Erde aus Jerusalem, die sie mit Ochsenkarren hatte heranschaffen lassen, gehörten zu ihren Schätzen. Natürlich konnte und wollte die Kurie das Geschenk damals nicht ablehnen. So konnte der Vatikan, nach der Segnung des Hauses durch den Pontifex, ein durchaus pompöses Domizil an der Aurelianischen Mauer sein Eigen nennen. Rom wurde somit um die Basilika Santa Croce in Gerusalemme reicher. Die Pflege und den Erhalt des sakralen Baus übertrug die Kurie dem Orden der Kartäuser.
Die Entsandten Sottoboscos mussten sämtliche Überredungskünste aufbieten, um den Kartäuser-Abt Rochus davon zu überzeugen, sein Gotteshaus für die nächsten zwei Tage zu schließen. Weder zum Gottesdienst noch für die zahlreichen Besucher, die tagtäglich in die Kirche pilgerten, sollte das Haus begehbar sein. Und dies bedeutete natürlich – auch wenn es sich lediglich um zwei Tage handelte – einen enormen Spendenausfall. Selbst die regelmäßigen Gebete seiner Mönche durften nicht im Chorgestühl des Altarraums stattfinden. Obgleich Rochus deswegen heftig insistierte, beharrten die energisch agierenden Männer darauf, dass die Tore geschlossen bleiben sollten. Somit gestalteten sich die Verhandlungen von Anfang an schwierig. Hierbei kam erschwerend hinzu, dass es den Beauftragten bei Strafe verboten war, den Namen ihres Auftraggebers zu erwähnen, geschweige denn ein Wort über den Grund der ganzen Aktion zu verlieren. Wäre Abt Rochus bewusst gewesen, in wessen Auftrag die Leute handelten, so wäre die ganze Angelegenheit nie zu einem Problem geworden.
Zähneknirschend ließ der Abt die massiven Eichentüren mit den Querriegeln sperren, die sonst nur des Nachts vorgeschoben wurden, und ließ die Männer ohne jegliche Aufsicht in seinem Haus gewähren. Allerdings sollte die Schließung nur einen Tag dauern. Schon gegen Abend wurde der Corpus Delicti aufgespürt. Wie ein ins Vertrauen gezogener Experte vermutete, fanden sie den gesuchten Gegenstand hinter dem Schlussstein eines markanten Mauerbogens.
Vorsichtig entnahmen die Männer eine wurmstichige und moderige Holzkiste, die einst sicher kunstvoll gearbeitet gewesen war, und betteten sie sanft in einem mit purpurnem Samt ausstaffierten Reliquiar.
Ohne den Mauerstein wieder einzusetzen oder das Leitergerüst abzubauen, waren die Männer wieder aus der Kirche verschwunden. Eiligen Fußes marschierten sie durch die dunklen Gassen Roms und präsentierten dem Kardinal triumphierend ihren Fund. Dieser zahlte ihnen die vereinbarte Summe an Dukaten und entließ sie ins dunkle Labyrinth der vatikanischen Gemäuer.
Sottoboscos Aufregung stieg ins Unermessliche. Er hörte den rhythmischen Klang seines Herzen. Es schlug so laut wie eine Totenglocke, die einsam und allein im Kirchturm ihr Klagelied in die Welt hinausschreit. Während er zunächst davon ausgegangen war, dass Lucca ihm wieder einmal eine Mär aufgebunden hatte, kamen ihm nun berechtigte Zweifel. Seine ansonsten so routinemäßig nach außen zur Schau gestellte Gelassenheit verzog sich wie der weiße Rauch aus den zahlreichen Schornsteinen der Heiligen Stadt in einem Windhauch. Wenn sich diese Sache bewahrheitet und es mir gelingt, den komplementären Gegenstand tatsächlich wieder nach Rom zu holen, um ihn hier mit dem zweiten Original zu vereinen, dann steht meiner Karriere nichts mehr im Weg! Bei nächstbester Gelegenheit, also sobald Innozenz III. seinen letzten Atem getan hätte und das Amt des Stellvertreter Gottes auf Erden vakant wäre, würden sich seine Kardinalskollegen mit Sicherheit an seine große Tat erinnern. Es müsste schon mit dem Teufel zugehen, wenn das Konklave sich gegen mich entscheiden würde!
Auf der anderen Seite lief er natürlich auch Gefahr, sich zu blamieren, sobald sich alles als Fälschung herausstellen würde. Tagtäglich tauchten Heimkehrer aus dem Heiligen Land in Rom auf und versuchten, ihre Mitbringsel der Kurie anzudrehen – wenngleich der Vatikan für sich in Anspruch nahm, per se das Eigentum an sämtlichen Reliquien zu besitzen. Gleichwohl ließ sich die vatikanische Administration hier und da erweichen und zahlte einen Obolus – gewissermaßen als Finderlohn –, sofern die Echtheit des guten Stücks tatsächlich vermutet werden konnte. Aber selbst dann, wenn es sich um nachgemachten Plunder handelte, bei dem es sich eigentlich nicht lohnte, ihn in Augenschein zu nehmen, ließ die Kurie sich manchmal nicht lumpen. Denn oftmals reichte es aus, wenn man dem gemeinen Volk auf dem Lande ab und zu einfach einen dieser Gegenstände präsentierte. Ließ sich somit doch gut und günstig ein vager Beweis für die fantastischen Geschichten, die in der Bibel standen, erbringen. „Zwar ist der Pöbel nicht des Lesens mächtig, doch blind sind sie nicht!“, lautete eine zuletzt von Innozenz III. ausgegebene Devise.
Der Gegenstand, der nun vor Sottobosco auf dem Tisch lag, brachte ihn ordentlich in Wallung. Wie schon so oft, schien auch heute an der Glaubwürdigkeit seines alten Freundes und jahrelangen Wegbegleiters Lucca kein Zweifel. Seine Ausgesandten hatten den Beweis erbracht, als sie ihm das Fragment eines überaus interessanten heiligen Gegenstands aus der Basilika Santa Croce übergaben. Ihm war mulmig zumute. Die Schläfe unter seiner dünnen weißen Haut pulsierte und trat in Form einer purpurnen Ader deutlich hervor. Die Hitze eines Flammenmeeres schien sich in seinem Kopf auszubreiten.
Er spürte ein unsagbares Verlangen, den fehlenden Gegenstand zu besitzen. Ich muss alles daran setzen und das Gegenstück so schnell es geht nach Rom zurückholen, um es hier anhand der zweiten Hälfte einer Verifizierung zu unterziehen! Und er wusste auch schon, wie er es anstellen konnte: Schon des Öfteren hatte auch er sich einer mittlerweile in der Organisation des Vatikans breit aufgestellten Einheit bedient. Längst wusste diese sich solch … delikater Angelegenheiten anzunehmen, ohne dem ganzen eine allzu große Öffentlichkeit zu bescheren.
Mittlerweile entsprach der Strom derer, die aus dem Heiligen Land zurückkehrten, fast der Zahl derer, die dorthin pilgerten. Deshalb war auch diese Sondertruppe stetig angewachsen und unterhielt in nahezu allen größeren Städten Niederlassungen. Sottobosco wusste, dass er handeln musste. Unter allen Umständen wollte er das Objekt seiner Begierde alsbald in den Händen halten. Ihm wäre alles Recht und er würde alles in Kauf nehmen: Ob Leben! Ob Tod!