Читать книгу EIN FRANKFURTER AUS AFRIKA - Christoph Busch - Страница 10
Wie konnte er nur?!
ОглавлениеDas ist der Satz, der mir immer einfällt, wenn ich mit dir reden möchte und feststelle, dass du nicht mehr da bist! Über die Jahre habe ich sehr viele enge Freunde verloren. Freunde, mit denen ich längere Abschnitte meines Lebens verbracht habe. Sie sind jung gestorben. Das tat und tut weh. Sie taten mir sehr leid. Ich war jedes Mal sehr traurig. Bei dir, Jean Claude, war und bin ich immer wütend. Ich fühle mich verlassen. Und ich weiß, nicht nur mir geht es so! Wie konntest du nur?
Nicht nur mir … Dass andere dich auch als besten Freund haben, wurde mir erst bei der Feier zu deinem 60. Geburtstag bewusst! Bis dahin dachte ich in meiner Naivität, ich wäre die einzige Nummer Eins! Jetzt wusste ich, dass doch sehr viele die Nummer Eins waren. Es kamen noch mehr hinzu. Wie hast du es nur geschafft?
Ich weiß nicht mehr, wann wir uns kennengelernt haben. Wenn ich zurückdenke – du warst immer da! Ich kann auch nicht sagen, dass uns nur eine Sache verbunden hat. Politik? Exilerfahrung? Arbeit? Gesellschaft? Du warst einfach mein Freund! Bei dir hatte ich keine Bedenken, Falsches laut auszusprechen. Ich konnte mich fallen lassen. Ich war weder Afrikanerin noch Flüchtling noch Irgendwas. Ich war einfach Weini!
Du konntest laut und engagiert diskutieren. Ja, laut warst du! Weißt du, hier in Deutschland ist es mir nicht so aufgefallen, dass du laut bist – weil für mich die meisten hier laut sind. Und groß! Aber in Asmara! Asmara – bei meiner Mutter: Fischgericht! »Das Beste, was ich je gegessen habe« – hast du immer wieder gesagt. Und dann nimmst du dir sogar Zeit, dich wie ein Kolonialherr beim Barbier rasieren zu lassen. Mir warst du immer gut für Überraschungen.
Mein Freund, mein Mentor, mein Spiegel, Patenonkel meines Sohnes. – Ach, wie schade, viele Einzelheiten unserer gemeinsamen Zeit verblassen. Aber das Gefühl zu dir und mit dir ist immer noch stark. Ich glaube, ich habe nicht mehr so laut und herzlich auf Deutsch gelacht wie mit dir! Das gelingt mir eher auf Tigrinia1. Sogar über deine direkte Kritik konnte ich lachen! Lob – naja, das war nicht so dein Ding!
Dein Lieblingsthema – Vodoo – wir Eritreer kennen das nicht. Was für viele Europäer nicht nachvollziehbar ist. Durch dich bin ich ein Stück näher zu Afrika gekommen. Durch deine Geschichten konnte ich oft die Klischees verstehen und gleichzeitig durch deine Biografie, die in keine Schublade passt – widerlegen.
Das Hier und Jetzt voll erleben und leben… das hast du vollkommen beherrscht. Bis heute – wenn ich mich hetze und merke, dass ich am Rande eines Stuhls sitze, muss ich sofort an dich denken und in die Mitte rutschen. Ja, die Mitte! Ist es dir bis zum Schluss gelungen, in der Mitte zu sein? Ich habe dich ja in den letzten Jahren nicht so oft gesehen. Du hattest mir versprochen, mich nach Frankfurt zu holen … dazu sollte es wohl nicht kommen. Aber mir geht es gut, Jean Claude! Wie hast du immer zu mir gesagt: »Bei dir wird es wohl nie langweilig.« Bei dir auch nicht, Jean Claude.
Ich stelle mir dich vor – wie du irgendwo sitzt, ganz bequem, du hörst und siehst mein Verzweifeln, was ich hier schreiben soll – und sagst: »Oh Weini, jetzt musst du alleine durch, ich will mich entspannen und meine Ruhe haben.« So kenne ich dich nicht, Jean Claude. Wie kannst du nur?!