Читать книгу The Who - Maximum Rock I - Christoph Geisselhart - Страница 11

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6.: Vereint im Zorn: Pete wird vom Schulhofkönig herausgefordert, und John, der ­Waldhornbläser, schaut ­ungerührt zu

„Den verdammt größten Triumph meiner Schulzeit feierte ich, als mich Roger fragte, ob ich Gitarre spielen könne.“

Pete Townshend

„Eine Nase auf einer Bohnenstange.“

Roger Daltrey über die optische Erscheinung seines Mitschülers Townshend

„… und ich erblickte diesen Typ, der wie Tony Curtis gestylt war.“

John Entwistle beschreibt Rogers Outfit während einer Schulversammlung

Betty und Cliff Townshend hatten es nicht leicht miteinander. Beide waren hitzköpfig und ehrgeizig, tranken gern über den Durst, gingen oft aus und wollten als Musiker erfolgreich sein. Keine geringen Ansprüche für ein junges Paar mit Kind.

Nach Petes Geburt musste Betty zwangsläufig ihre Karriere und das lieb gewonnene Künstlerleben zurückstellen, und so blieb sie zuhause in Acton in 22 White­hall Gardens. Cliff war die meiste Zeit mit seiner neu formierten Big Band unterwegs. Sie war aus dem RAF Dance Orchestra hervorgegangen und nannte sich nun The Squadronaires. In kürzester Zeit wurde die Combo in England so populär, dass in Musikfachblättern sogar mit Cliff und seinem „singenden Saxofon“ geworben wurde.

Cliffs erfolgsbedingte Abwesenheit tat der jungen Künstlerehe gar nicht gut. Betty begann Affären mit anderen Männern und bekam Probleme mit Alkohol. Pete war noch ein Kleinkind, als sich die überforderten Eltern trennten und Betty den Jungen zu ihrer Mutter nach Kent brachte. „Granny Denny“, wie Bettys ­Mutter,­ Emma Dennis, gerufen wurde, durchlief allerdings selbst unruhige ­Zeiten­ und befand sich laut Pete in einer „Midlife Crisis“. In einem Interview 1993 berichtet er: „Ich war sehr einsam, von meinem Vater hörte ich überhaupt nichts mehr.“ (In einer anderen Erinnerung schickt der Vater immerhin eine Menge Taschengeld.) „Meine Mutter kam am Wochenende für eine Stunde, um mich zu sehen, unglaublich verführerisch angezogen. Sie war sehr schön, und ich wünschte mir innig, mit ihr zusammen sein. Ich wollte immer mit meinen berühmten, aufregenden, schönen Eltern zusammen sein. Stattdessen lebte ich bei dieser bitteren, übellaunigen, klinisch verrückten Großmutter.“

In einem weiteren Interview äußerte er sich so: „Ich hatte eine merkwürdige Beziehung zu meiner Mutter. Sie war sehr schön und heiratete einen gutaus­sehenden Mann“ (Petes Vater). „Dann hatte sie dieses sehr gewöhnliche Kind.“ (Pete meint sich selbst!) „Sie war liebevoll, aber ich konnte ihre Verwirrung und Enttäuschung fühlen. Ich schaffte es nicht mehr, sie für mich zu interessieren, als ich kein Baby mehr war.“

Ungeachtet der für Pete typischen poetischen Einfärbung seiner Erinnerungen besteht kein Zweifel, dass er als Junge aus der für ihn unverständlichen Abschiebung durch die Eltern einen weitreichenden Minderwertigkeitskomplex ent­wickelte.­ Zorn, Frustration und die Sehnsucht nach Nähe und Anerkennung bestimmten früh seine Gefühlswelt.

Die Situation spitzte sich zu, als Granny Dennys reicher Liebhaber davonlief und die labile Mittvierzigerin laut Pete nackt durch die Straße rannte. Seine beiden­ Jahre im Haus der Großmutter bezeichnete er 1993 als „Hölle“ und „Trauma“, das ihn als Künstler stark beschädigen würde, wenn er sich bewusst damit aus­einandersetzte. „Ich hasste meine Großmutter“ gab er bekannt. Aber er sagte auch: „Sie war so alt wie ich heute, und ich identifiziere mich sehr mit dieser Frau, die sich um mich kümmern musste.“

Solche ambivalenten Aussagen wurden einige Jahre später spekulativ aus­gedeutet, als ihn die Vergangenheit im Zusammenhang mit dem sogenannten ­„Kinderpornografie-Skandal“ doch wieder einholte (siehe Band 2). War Pete als Kind etwa selbst missbraucht worden?

Die endgültige Antwort auf alle Fragen und Vorwürfe aus jener Zeit hat sich Townshend für seine Autobiografie vorbehalten, an der er seit 1995 arbeitet und die nach seiner Auskunft „in Kürze“ (2009? 2010?) erscheinen soll. Auf seiner Website hatte er 2007 Auszüge veröffentlicht, die sich flüssig und interessant lasen und viele detaillierte Beobachtungen boten – allerdings fehlten verbindliche Stellungnahmen zu dieser Phase seines Lebens. Einige Äußerungen Townshends lassen auch die Vermutung zu, dass er erst später, im Alter von zehn Jahren, von jugendlichen „Seekadetten“ zu sexuellen Handlungen gezwungen wurde. Ein anderes Mal sieht es eher so aus, als habe er sich den Missbrauch nur eingebildet. Aktuelle Informationen könnte der interessierte Leser unter www.petetownshend.com finden, wobei zu bemerken ist, dass Townshend das Medium Internet gleicher­maßen begeistert wie wechselhaft benutzt. Zur Drucklegung dieses Buchs war seine eigene Webseite mit der neuen Who-Webseite gleichgeschaltet.

Sicher ist, dass sich die Eltern nach zwei Jahren der Trennung zusammen­rauften­ und ihren dreijährigen Sohn zurückholten. Die wieder vereinte Familie bezog Quartier in einem gepflegten zweistöckigen Backsteinhaus in der Woodgrange Avenue, Hausnummer 20, einer Sackgasse in Ealing, jeweils nur ein paar Kilometer von Shepherd’s Bush, Acton und Chiswick entfernt, wo ein gewisser John Entwistle vielleicht gerade singend vom Stuhl in der großväterlichen Lieblingskneipe plumpste, während Roger mit aufgebrochenem Magengeschwür im Kranken­wagen Richtung Hospital vorbeifuhr – die Welt der angehenden Rockstars Großbritanniens war überraschend klein; umso mehr, wenn man bedenkt, dass allein Entwistles anscheinend besonders fruchtbarer Londoner Stadtbezirk so namhafte­ Künstler wie Phil Collins (Genesis), Ian Gillan (Deep Purple), Jimmy Page (Led Zeppelin) oder Ian McLagan (Small Faces) hervorbrachte.

Musik spielte im Zuhause der Townshends zunächst eine überraschend hinter­gründige Rolle. Es gab kein Klavier und auch keine besondere Musikanlage, vielleicht weil Vater Cliff nicht ständig an den anstrengenden Alltag eines Berufs­musikers erinnert werden wollte, wenn er daheim war. Er übte zwar gelegentlich Klarinette oder Saxofon im Wohnzimmer, ermunterte den Sohn aber wenig, ein eigenes Instrument zu erlernen. Auch Betty gestand später, dass sie Petes musikalisches Talent lange nicht gefördert hatte. Er blies bis zum elften Lebensjahr auf der Mundharmonika – und lernte im Weiteren vor allem durch Beobachtung.

Musik bedeutete für den jungen Pete letztlich, dass er mit seinen Eltern zusammen sein konnte. Cliff war gut im Geschäft und nahm seine Familie gern mit, wenn er Engagements außerhalb Londons hatte. Vor allem in den Sommermonaten,­ während der bis zu vier Monate langen Spielzeiten in Ferienorten wie Brighton, Clacton oder auf der Isle of Man, konnte Pete jeden Tag und bis spät in die Nacht genau studieren, was das Leben eines Berufsmusikers ausmachte: „Wann immer es möglich war, nahmen wir Peter mit. Da stand er dann vorn am Podest, verfolgte­ die Proben, beobachtete die Band, hüpfte herum und trommelte auf dem Schlagzeug“, erinnerte sich Betty. „Alle unsere Freunde waren Musiker. Er hatte einen musikalischen Hintergrund von Beginn an. Nicht nur von seiner Familie. Es war die gesamte Umgebung.“

Erinnerungen an die Isle of Man findet man in Petes Who-Song „Happy Jack“, dessen Handlung dort spielt. In der Pressekonferenz zur Who-Tour 2007 erzählte­ Pete außerdem, dass er dort zeitweise zur Schule gegangen sei.

Unter der Woche spielten The Squadronaires vor allem in Tanzsälen, wo Pete früh lernte, was man machen musste, wenn eine Schlägerei ausbrach. Während seine Mutter mit der Band des Vaters auf der Bühne stand, ließ sie ihn meist an der Bar in trinkfreudiger Gesellschaft zurück, was er im Nachhinein treffend rekapitulierte: „Ich war eine Art Rock’n’Roll-Baby.“

Als Pete in die Schule kam, beschränkten sich die Reisen mit seinem Vater auf die Ferienzeit. Im Sommer 1956, während eines längeren Gastspiels der Squad­ronaires auf der Isle of Man, nahm Betty ihren damals elfjährigen Sohn nebst Freund ins Kino mit. Aufgeführt wurde Rock Around The Clock mit Bill Haley: „Sie wollten den Film am nächsten Tag noch einmal anschauen, und am nächsten Tag wieder, und schließlich gaben wir ihnen das Geld für ein Dauerticket – sie haben den Film praktisch jeden Tag angeschaut.“

Petes Vater brauchte keinen Film, um das angehende Phänomen Rock’n’Roll in Augenschein zu nehmen. Der Gezeitenwechsel in der Unterhaltungsmusik betraf ihn persönlich. Die Engagements von traditionellen Jazz- und Dixieland-Kapellen wie The Squadronaires gingen im gleichen Maß zurück, wie der junge Rock’n’Roll die Tanzsäle eroberte. Cliff hieß die neue Bewegung gut, weil er laut Pete „alles mochte, was swingt“, obwohl seine Karriere direkt davon betroffen wurde. Vielleicht ahnte er, dass sein Sohn das musikalische Erbe der Familie weiterführen würde, und tröstete sich damit. Jedenfalls bekam Pete, der 1957 noch den Schock verdauen musste, dass zwölf Jahre nach ihm sein erster Bruder Paul geboren wurde, ab dieser Zeit alle Unterstützung der Eltern für eine eigene Laufbahn als Musiker. „Mein Vater war zu seiner Zeit im Grund ebenfalls ein Popstar. Er war ein hervorragender Musiker und ein faszinierender Mann. Ich bewunderte ihn und wollte­ so werden wie er“, sagte Pete. „Er unterstütze mich in allem, was ich tat.“­

Cliff nahm seinen Ältesten oft mit zu Auftritten von Count Basie und anderen US-Stars und führte ihn später auch in die theoretischen Grundlagen der Musik ein – mit wenig Erfolg allerdings zunächst. Pete lernte nach eigenen Angaben erst Jahre später die Notenschrift, weil er seinem fixen Vater nicht folgen konnte.

Im Winter 1956 kamen Bill Haley & The Comets nach London. Cliff ging mit Pete und dessen Freund hin. Es war Petes erstes Rock’n’Roll-Konzert, mit elfeinhalb Jahren. Ursprünglich hatte er seinem Vater nacheifern und Saxofon lernen wollen, aber nach diesem Erlebnis war klar, dass er unbedingt eine Gitarre haben musste: „Auch mein Vater hatte Gitarre gespielt, als er jung war, und mein Onkel Jack hatte vor dem Krieg für Kalamazoo“ – ein Ableger des Gitarrenherstellers Gibson – „Tonabnehmer entwickelt. Die Gitarre war also eine Art Familien­angelegenheit, obwohl sie damals noch ein anrüchiges Image hatte.“

Zu Weihnachten bekam er die erste Gitarre geschenkt – von seiner Großmutter. Vater Cliff hatte sie ihm eigentlich zu Weihnachten kaufen wollen, aber was geschah? „Sie kaufte die Gitarre! Und zwar eins dieser unechten Dinger, die in spanischen Restaurants an der Wand hängen.“

Pete war nur kurz begeistert. Er stellte sich vor dem Spiegel in Positur – bis er herausfand, dass man mit Großmutters Geschenk nichts zuwege brachte, was auch nur entfernt wie Bill Haley klang oder aussah.

Das war eine weitere Enttäuschung im auch sonst frustrierenden Schuljahr 1957/1958. Erst war seine Nase um Längen stärker gewachsen als alle übrigen Körper­teile. Petes Eltern hatten beide ausgeprägte Nasen, doch im Gesicht des Sohns schienen sich ihre prominenten Zinken zu einem gewaltigen Rüssel zu vereinigen. Der sensible Junge war schon als Kind deswegen dauernd gehänselt worden,­ und jetzt musste er sich mit diesem Kainsmal an der Acton Grammar School gegen so raue Gesellen wie Roger Daltrey behaupten. Hausmeister „Mac“ erinnert sich: „Townshend war ein braver, ruhiger Junge. Er hing immer mit diesem Entwistle zusammen. Aber dieser Daltrey …“

Dieser Entwistle, der ebenso wenig wie Pete aus einer normalen intakten Familie­ stammte und im Haus der Großmutter mütterlicherseits aufwuchs, hatte es als Kind gleichwohl ruhiger getroffen. Er spielte gern mit Ritterfiguren, baute Schlösser und Burgen in Bombentrichtern oder bastelte sich eine Rüstung aus ­Karton,­ um seiner Faszination für die Helden des Mittelalters nachgehen zu ­können. Seine Kinderzeichnungen waren sehr fantasievoll, sie zeigten freilich beunruhigend düstere­ Gestalten, Waffen, Skelette oder Verliese statt Feuerwehrautos, Tiere oder Blumenwiesen.

Davon abgesehen entwickelte John mit Hilfe der Eltern sein unüberseh­bares Talent für Musik weiter. Mutter Queenie spielte Klavier, und der Vater, ein ordentlicher Trompeter, brachte John bald bei, dieses Instrument zu spielen, wenn er ihn besuchte.

Mit sieben Jahren erhielt John eine klassische Ausbildung am Klavier; mit elf spielte er im Schulorchester Trompete, und ein Jahr später trat er einem renommierten Jugendorchester bei, das Musikern als Sprungbrett für eine ­akademische Laufbahn diente: „Da es dort einen Überschuss an Trompetern gab, wechselte ich zum Waldhorn. Das durchdringende Geräusch verschaffte mir ein gutes Gefühl in der Brust.“

John Entwistle war im gleichen Jahr wie Pete an die Acton Grammar gekommen und berichtete darüber: „Pete war damals viel kleiner. Ich glaube, er ist gut zwanzig Zentimeter gewachsen, seitdem er die Schule verlassen hat. Er hatte einen guten Sinn für Humor. Also machte er bei unserer Witztruppe mit, Jungs, die den ganzen Tag zusammenhockten und Späße trieben. Im Grund wurde aus dieser Gruppe später unsere erste Band.“ Diese erste Band nannte sich The Confede­rates und war grottenschlecht, wie John abschätzig befand.

Pete und er hatten den gleichen Musikgeschmack; sie mochten den sogenannten „Trad Jazz“, jene britische Ausprägung des Swing, die Cliffs Squadronaires populär gemacht hatte. Pete hatte seine deprimierenden Versuche auf der pseudospanischen Gitarre inzwischen eingestellt und war zum Banjo gewechselt, nachdem ihm ein Freund seines Vaters 1957 ein fünfsaitiges Mandolinenbanjo geschenkt hatte. Doch auch hier musste Pete erkennen, dass aller Anfang schwer ist: „Als John und Phil“ – der Klarinettist der Confederates – „fragten, ob ich mitmachen wollte, musste ich erst losrennen und mein Akkordbuch holen.“ Mit John an der Trompete und einem vierten Mitschüler, Chris Sherwin am Schlagzeug, intonierten The Confederates rustikales Liedgut wie „When The Saints Go Marching In“, bis John, der geförderte Musiker, die hoffnungslose Formation verließ, um in der nächst besseren Gruppe die Trompete zu übernehmen.

Pete übte derweil hartnäckig weiter. Zeitweise gab es drei Banjospieler in der Band, und er wurde in seiner Position stark bedrängt. Nach einer handgreiflichen Auseinandersetzung mit dem Schlagzeuger flog er aus der Band. Der Junge trug eine Gehirnerschütterung davon, nachdem ihn Pete mit einer Tasche traktiert hatte. In der Folge wurde Pete von seiner Schulhofclique fast ein Jahr lang konsequent geschnitten.

Pete reagierte auf seine Verbannung mit bitterer Emigration und neuem Ehrgeiz. Seine Mutter betrieb inzwischen einen kleinen Antiquitätenladen, wo er eine brauchbare tschechoslowakische Gitarre mit eingebauten Tonabnehmern erstand – für drei alte englische Pfund. Er kam zur festen Überzeugung, dass seine Rückkehr in die Gemeinschaft nur mit Hilfe der Gitarre möglich war, und übte geradezu besessen: „Ich sagte mir, ich werde mich in mein Zimmer einschließen und Gitarre lernen. Und wenn ich wieder rauskomme, lieben mich alle!“

Weitere Motivation bezog der pubertierende Pete aus der Hoffnung, mit der Gitarre um den Hals von der weiter aufblühenden Nase abzulenken und beim anderen Geschlecht Eindruck zu machen. Er träumte davon, „dass sich ein ­Mädchen wegen meines genialen Gitarrenspiels in mich verlieben würde“. Er beschloss, es allen zu zeigen, die ihn wegen seiner Nase von Kind auf ver­spottet­ hatten, und schwor sich: Aus jeder englischen Zeitung soll dieser Zinken starren,­ bis keiner mehr lacht!

Die Ausdauer, mit der Pete zwei Jahre auf dem großmütterlichen Weihnachtsgeschenk dilettiert hatte, sowie seine Versuche auf dem fünfsaitigen Banjo wirkten sich plötzlich vorteilhaft aus. Pete stellte überrascht fest, wie gut sich sein Geklimper auf einer anständigen Gitarre anhörte. Wie alle Freunde hatte er Elvis Presley gehört, aber der Sound hatte ihm nie besonders gefallen. Er liebte den hellen­ Klang scharf angespielter Saiten, wie ihn die Banjospieler um Skifflekönig Lonnie Donegan praktizierten (Acker Bilk war wohl Petes erstes echtes Vorbild am Banjo). Als dann noch Chuck Berry mit seinen harten, prägnanten Riffs die Charts eroberte, wusste Pete, wohin er wollte. Er übertrug die Technik von Banjo und Mandoline auf seine Gitarre und versuchte, Berry dabei so nahe wie möglich zu kommen. Mit Hilfe eines kleinen Selmer-Gitarrenverstärkers, den er sich als Zeitungsausträger verdient hatte, entwickelte er im Jahr seiner Ächtung einen eigenständigen, toll klingenden Stil, der sogar Kumpel John beeindruckte.

Seine im Haus lebende Großmutter zeigte sich allerdings nicht beeindruckt, wie Pete erzählt: „John und ich übten im Wohnzimmer, nicht sehr laut, als sie reinkam und verlangte: ‚Dreh den verdammten, abscheulichen Lärm leiser!‘ Ich sagte: ‚Raus hier, oder ich bringe dich um, verfluchte alte Schachtel.‘ – ,Wie redest du mit mir?‘ schrie sie. Da packte ich den Verstärker und schmiss ihn nach ihr. Sie rannte schnell aus der Tür, und der Verstärker landete dort in Trümmern, zischelte und ging aus. John schaute mich an und sagte mit seiner tiefen Stimme: ‚Gratu­liere. Du hast ihn erledigt.‘ Aber ich kriegte ihn wieder hin.“

Das war wohl Petes erster Versuch, sich in der später so hingebungsvoll ritualisierten Instrumentenvernichtung zu üben.

John hatte den Kontakt zu Pete immer gehalten. Loyal wie der etwas ältere, ritterliche Musikus war, hatte er sich nie über Petes langen Riecher lustig gemacht. John galt als vielversprechendes Talent und wurde öffentlich gefördert. Das Waldhorn, mit dem er 1958 seinen ersten kammermusikalischen Auftritt in der Stadthalle feierte, wurde aus Schulmitteln finanziert, weil sich seine Mutter eine solche­ Anschaffung nicht leisten konnte. Er spielte in mehreren Amateurbands gleich­zeitig,­ und als er einmal am Neujahrstag in Hammersmith mit einer namenlosen Truppe von Pub zu Pub zog, um ein bisschen Geld zu verdienen, traf er Pete, der spontan mitmachte und acht Pfund einnahm, nicht wenig für einen damals Vierzehnjährigen: „Ich kriegte die Hälfte dessen, was die regulären Bandmitglieder erhielten. Das heißt, sie müssen an diesem Abend viel Geld eingesteckt haben.“ Trotzdem war John mit seinem Blasinstrument nicht zufrieden. Er fühlte, dass ­Traditional Jazz einer vergangenen Epoche angehörte und dass ein Vollblutmusiker, wie er es werden wollte, sich mit den aufregenden neuen Stilrichtungen auseinandersetzen sollte: „Es irritierte mich zunehmend, dass Leute ihre Verstärker aufdrehten und mühelos lauter als ich spielen konnten. Ich wollte auch lauter ­werden. Da hörte ich Duane Eddy.“

Duane Eddy hatte mit satt klingenden, fetzigen Instrumentalstücken wie „Rebel Rouser“ oder „The Peter Gunn Theme“, das ein Welthit wurde, einen neuen elektrischen Sound nach vorn gebracht, der nicht nur John faszinierte. Duane Eddy spielte vorwiegend die Bass-Saiten seiner E-Gitarre an und erzeugte mittels ­Tremolo und entsprechender Klangaussteuerung einen dunklen, aber klaren, ­vollen Sound, der John, den Waldhornbläser, auf ein völlig neues Feld führte: Er beschloss, wie Duane Eddy E-Gitarre zu spielen.

Doch John hatte zu dicke Finger und kam mit den dünnen Saiten auf dem schmalen Griffbrett der E-Gitarre nicht gut zurecht. Inspiriert von Eddy versuchte­ er sich am viersaitigen E-Bass – und das passte.

Der E-Bass war damals ein recht neues Instrument, dessen gesamtes Spektrum von Möglichkeiten man noch gar nicht erfasst hatte. Entwickelt als Antwort auf die elektrische Gitarre, mit deren Volumen der herkömmliche akustische Kontrabass nicht mithalten konnte, war der E-Bass eigentlich eine Bassgitarre; doch die meisten Bassisten begnügten sich damit, ihre Band „mit etwas Dum-dum zu begleiten“, wie John schnell erkannte: „Ursprünglich wollte ich Leadgitarrist werden, das erschien mir die glanzvollste Rolle in einer Band. Aber mir hat der Bass-Sound stets besser gefallen. Und am Anfang lässt sich Bass auch schneller lernen. Nur wenn du ihn wirklich gut spielen willst, ist es viel schwieriger.“

Am schwierigsten sollte es für John werden, überhaupt ein solches Instrument zu bekommen. Den ersten in Serie gebauten Elektrobass hatte Leo Fender ein paar Jahre zuvor, 1951, auf den US-Markt gebracht. Fender, der mit einigen anderen unerschrockenen Radiobastlern und Instrumentenbauern in der Geschichte des Rock’n’Roll eine ähnlich wichtige Rolle spielte wie die NASA-Ingenieure bei der Eroberung des Monds, hatte von arbeitslosen Gitarristen gehört, dass sie als ­Bassist problemlos einen Job finden könnten. Bassisten waren von jeher gefragt, nicht zuletzt deshalb, weil der Kontrabass mit seinem langen, bundlosen Hals ein umständlich zu spielendes Instrument war. Fender entwickelte auf der Basis seiner­ revolutionären E-Gitarre, der Telecaster, ein viersaitiges Pendant in der gleichen Grundstimmung wie der Kontrabass. Dieser Fender Precision Bass hatte Bundstäbchen wie eine Gitarre, womit der Spieler den Ton, anders als beim Kontrabass, auch ohne große Erfahrung genau treffen konnte. Für den vierzehnjährigen­ John war dieses neu entwickelte Importinstrument aus den USA ein unerfüll­­­­-ba­rer­ Traum: „Als ich auf dem Bass begann, gab es in England nur vier Bass­­gitarren auf dem Markt, alles billige Dinger. Man kriegte einfach keinen Fender- oder Gibson-Bass zu kaufen.“ Doch John war zielstrebig und hartnäckig wie Roger ­Daltrey, wenn es um die Musik ging: „Ich hatte ein paar Fotos von Fender-Bässen, die ich mir genau anschaute, und dann versuchte ich, einen nachzubauen.“

Er besorgte sich einen flachen Mahagoniblock und ließ diesen von einem Schreiner in die Form des Fender-Basses bringen. Mit dem Hals ergab sich allerdings ein Problem: John hatte die Halslänge vom Fender-Bass abgekupfert, die Abstände der Bundstäbchen aber nach der Mensur der kürzeren Höfner-Violin-Bassgitarre festgelegt, die später als „Beatles-Bass“ berühmt wurde. Auf dem Wohnzimmertisch seiner Großmutter wurde dieses Problem kunstvoll gelöst – auf Kosten­ des dadurch beschädigten Essmöbels.

Auch die Platzierung der selbst gewickelten Tonabnehmer und eine dem Precision Bass täuschend ähnliche Lackierung übernahm der hoffnungsvolle Nachwuchsbassist selbst. Das Ergebnis konnte einen Perfektionisten wie John allerdings nicht lange befriedigen. Sein Bass klang erstens nicht sonderlich gut, und er konnte­ zweitens auch nicht sauber gespielt werden. John überredete deshalb einen Arbeiter­ beim Gitarrenhersteller Fenton-Weill, dessen Fabrik in Chiswick sich nur einige­ Straßen weiter befand, einen soliden Rohling herauszuschmuggeln. Ein zweiter Arbeiter erklärte sich bereit, den Korpus fachmännisch zu besaiten, und so erhielt John für insgesamt acht Pfund ein fast professionelles Instrument. Dazu baute er sich eine mächtige Lautsprecherbox, die so schwer war, dass er sie kaum schleppen konnte, und verband alles mit einem damals recht beachtlichen Fünfzig­-Watt-Vortexian-Verstärker, der keinen Tonregler hatte. Das ganze Ensemble klang nach seinen eigenen Worten „diabolisch“, und er war damit lange Zeit sehr zufrieden, vor allem, was die Lautstärke betraf.

John und Pete übten nun häufig gemeinsam im Haus der Townshends. Bass und Gitarre bildeten ein interessantes musikalisches Gerüst, das John auch für seine neue Schulband The Aristocats nutzen wollte. Er überzeugte den Rest der Gruppe davon, Pete aufzunehmen und die Verbannung des linkischen, unsicheren Jungen mit der großen Nase endlich aufzuheben.

Aus den bald überholten Aristokraten bildete sich schließlich eine Formation,­ die sich The Scorpions nannte und ihren ersten – und wohl auch einzigen – Auftritt am 5. Dezember 1958 im Congo Club hatte. Hinter diesem anarchisch klingenden Namen verbarg sich zwar lediglich der Jugendraum der Congregational Church in Acton, aber Pete war trotzdem glücklich. Ein zweites Mal hatte sich die Musik für ihn als Schlüssel zur Rückkehr in die Gemeinschaft erwiesen. Unter den beschwingten Klängen der Squadronaires war er einst in den Schoß der Familie zurückgekehrt. Und jetzt erlebte er, wie es war, „so etwas wie Teil einer Gang zu sein.“

Der Congo Club war jedoch nicht bloß ein Ort, wo Pete und John musizierten. Hinter den bürgerlichen Kulissen der Fünfziger brodelte bereits „eine Menge Gewalt und Sex“, wie Pete erzählt: „Während vorn der Geistliche nach dem Rechten schaute, wurden im Nebenraum auf den Pool-Tischen fünfzehnjährige Mädels umgelegt.“ Allerdings nicht von Pete. Der tauchte brav mit Anzug und Krawatte auf und hielt sich dezent im Hintergrund, um ja keinem weiblichen Wesen Anlass zu geben, sich über seinen Rüssel lustig zu machen: „Ich hatte es mit den Mädchen bis dahin nicht weit gebracht.“ In seiner Not schloss er sich sogar einem Friedensmarsch an, wie er 1990 gestand: „Wir waren alle sehr links, oder die anderen waren es – ich wusste damals nichts von Politik. Ich ging beim Aldermaston-Friedensmarsch 1958 nur mit, weil ich beobachtet hatte, wie die Jungs dauernd mit Mädchen in Schlafsäcken verschwanden.“

Wenn es nach Pete ging, ließ sich das letzte Hindernis zum Glück eh nur mit Hilfe seiner Gitarre beseitigen. Musik musste ein Allheilmittel sein, himmlischer Segen für alle, die sich nach Erfüllung und Harmonie im Universum sehnten. Vor dieser Macht sollte selbst die wegen seiner Nase kichernde ­Mädchenschar ­kapitulieren. Er übte ohne Unterlass, während Kameraden wie John die Dinge pragmatisch angingen und sich mit einem Mädchen aus der Nachbarschaft ­verab­redeten.­

In Johns Fall hieß dieses Mädchen Alison Wise. Sie war vierzehn, er fast sechzehn. Beide kamen aus Chiswick. Warum sollte man da nicht ein halbes Leben lang zusammen bleiben? Tatsächlich ging diese einfache Rechnung auf, denn John und Alison bildeten viele Jahre eine harmonische Einheit, was im kurzlebigen Rock’n’Roll-Geschäft alles andere als gewöhnlich ist.

John betrachtete auch die musikalische Seite nüchterner. Für ihn war der Auftritt im Congo Club alles andere als eine musikalische Offenbarung gewesen. Mit ihm am Bass, Pete an der Rhythmusgitarre und den Mitschülern Mick Brown und Peter Wilson an Schlagzeug und Leadgitarre spielte die Band vor allem Stücke von Cliff Richard & The Shadows (vormals The Drifters), die sich ab 1958 als ­britische Popabziehbilder von King Elvis auf dem Vormarsch in die Hitparaden befanden. Der Shadows-Bassist Jet Harris war ebenso Johns Idols, wie Pete den Gitarristen der Shadows, Hank Marvin, verehrte. Neben den Instrumentalstücken dieser Vorbilder versuchten sich The Scorpions auch an den Hits US-amerikanischer Rocker wie Jerry Lee Lewis, Eddie Cochran oder Little Richard, wobei sie allerdings rasch an ihre Grenzen stießen.

Eine andere Schulband namens The Detours beherrschte dieses Material weit besser. Sie wurde auch von einem wirklichen Schulrebellen geführt, dem ein Jahr älteren Draufgänger und Teddyboy Roger Daltrey, der Rock’n’Roll anscheinend wirklich lebte und mit regelmäßigen Auftritten sogar Geld verdiente. So urteilt selbst der spätere Gitarrenheld Townshend über seinen langjährigen Rivalen im Kampf um die Vorherrschaft bei The Who: „Rogers Band war mit Abstand die beste an der Schule. Er war der beste Gitarrist, ein sehr gründlicher, sicherer ­Spieler, sehr flüssig auf seine Weise. Er lernte alles, wie ein Papagei, und machte es dann sehr flüssig.“

Pete begegnete dem unumstrittenen König des Schulhofs bereits 1957: „Er bedrohte mich mit einer Gürtelschnalle, nachdem er einen Freund von mir auf dem Schulhof besiegt hatte. Ich hatte ihn lauthals als dreckigen Kämpfer beschimpft, weil er den Jungen noch getreten hatte, als der schon auf dem Boden lag. Roger kam zu mir rüber und meinte: ‚Wer hat mich einen dreckigen Kämpfer­ genannt?‘ – ,Ich nicht.‘ Aber er sagte: ‚Doch, das hast du‘, nahm seinen Gürtel und fuchtelte damit vor meinem Gesicht herum. Ich hätte das als Wink des Schicksals nehmen sollen.“ Auch Roger erinnert sich an eine Rauferei auf dem Schulhof, wobei aber plötzlich eine erstaunliche Gemeinsamkeit zu Tage trat. Pete nämlich­ schrie in seiner Not: „Pass auf meine Finger auf, ich spiele Gitarre!“ Woraufhin Roger verblüfft abließ: „Ich auch.“

Pete, der dünne, komplexbeladene Junge, für alle an der Acton Grammar School „eine Nase auf einer Bohnenstange“ (Daltrey), erwarb sich durch seinen Jähzorn, seinen Ehrgeiz und seine zunehmende Spielfertigkeit auf der Gitarre allmählich Respekt. „Ich erinnere mich gut an Townshend, obwohl ich ein Jahr über ihm war“, sagt Daltrey. „Ich wusste, dass er schwere Zeiten hatte, aber daran waren nicht wir schuld. Wir waren Flegel, aber keine Schlägertypen.“

Dieser Einschätzung stimmte der Schuldirektor im Wesentlichen zu; aber Rogers vorzeitige Entlassung aus dem staatlichen Bildungswesen löste im Lehrkörper der Acton Grammar School gleichwohl eine gewisse Erleichterung aus.

Bei seinen ehemaligen Mitschülern freilich hatte Roger seinen Nimbus als Rebell und echter Rock’n’Roller dadurch um so mehr gestärkt. „Er war ‚Big Bad Roger‘, der Leader der Teddyboys“, erinnerte sich John.

Nicht mehr lange, und Roger sollte auch sein Bandleader sein.

The Who - Maximum Rock I

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