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10.: Zwischen Fremden und Freunden: Keith Moons erste Bands

„Er war einfach einsame Klasse.“

Peter Tree alias Sänger Mark Twain über den jungen Keith Moon

„Okay, dann geh’ ich.“

Keith, vor die Wahl gestellt, sich zu entschuldigen oder den Job zu verlieren

Peter Tree und Michael Evans, zwei dem Teenageralter gerade entwachsene Freunde­ aus London-Mitte, hatten bereits in einigen Amateurbands gespielt, als sie sich 1962 entschlossen, eine ernsthafte Formation zusammenzustellen. Die beiden­ antworteten beinahe auf jede Annonce im Melody Maker, ob da nun ein ­Bassist gesucht wurde wie Mike oder ein Sänger wie Peter, immer in der Hoffnung, dadurch gute Musiker für eine professionelle Band zu finden.

Die Musiker in Wembley, bei denen sie zum Vorspielen eingeladen waren, suchten eigentlich nur einen Sänger. Trotzdem begleitete Mike seinen Freund. Wie damals üblich fand die Probe in irgendeinem Wohnzimmer statt. Mike erinnert sich daran in einem Interview mit Tony Fletcher im Dezember 2004: „Da saß ein kleiner Junge hinter dem Schlagzeug. Ich glaube, er hatte nicht mal ein vollständiges Drumkit. Auf jeden Fall war es Keith, der sehr jung aussah, und ich werde mich immer daran erinnern, dass er eine Krawatte trug.“

Informationen über Keiths Band The Strangers wurden relativ spät publik, obwohl Mike Evans schon in Interviews als Bassist von The Action berichtete, dass er einst mit Moon in einer Band gespielt habe. Andy Neill und Mark Kent veröffentlichten diese Faktum 2002 in ihrem Complete Chronicle Of The Who, woraufhin Tony Fletcher ein nachträgliches Interview mit Tree und Evans führte, das in der erweiterten Ausgabe seiner Moon-Biografie Dear Boy abgedruckt ist. (Nach meinen Recherchen waren The Strangers allerdings älter als Keith, und den zeitlichen Ablauf sehe ich ebenfalls etwas anders.) Peter Tree erzählt, dass die namentlich nicht bekannte Band aus Wembley nicht sonderlich gut war; aber der junge Drummer beeindruckte ihn mächtig: „Er war einfach einsame Klasse.“ Michael Evans bestätigt diesen Eindruck: „Er war außergewöhnlich, der jüngste Schlagzeuger, den ich je gesehen habe.“

Auf dem Heimweg fragte Tree den Freund, was der von der Band halte. Evans antwortete umgehend: „Wenn du den Schlagzeuger kriegst, bin ich dabei.“

Fletcher spekuliert, ob die namentlich nicht bekannte Band aus Wembley The Escorts ohne ihren auf dem Absprung befindlichen Sänger Lee Stuart alias Tony Marsh gewesen sein könnten. Ich halte das für unwahrscheinlich; eher kommen The Altones in Frage, über die man bis heute nicht viel mehr weiß, als dass sie aus „Schulkameraden“ von Keith bestanden. Wie auch immer: Es gelang Peter Tree und Michael Evans recht schnell, Keith abzuwerben. Seine Wembley-Band war sich anscheinend unschlüssig, ob sie überhaupt weitermachen sollte, und Keith hatte wie Peter und Mike ehrgeizige Pläne. Mit den Escorts war er nicht richtig vorangekommen, auch weil sein Freund Gerry, der Schlagzeugverkäufer, als offizieller Drummer der Band galt und Keith sich in der Rolle des heimlichen Statthalters gar nicht wohl fühlte. Gerry Evans und Mike Evans, waren übrigens nicht miteinander verwandt, sondern hatten nur zufällig den gleichen Nachnamen.

Die offensichtliche Abweichung in der Bewertung von Keiths Fähigkeiten am Schlagzeug – Gerry fällte bekanntlich ein vernichtendes Urteil, während der Rest der Escorts und nun auch Peter und Mike von Keiths Spielweise begeistert waren – spricht dafür, dass es zumindest halb verdeckte Spannungen zwischen den beiden­ Drummern gab. Mit den ersten Lehrstunden von Carlo Little im Sommer 1962, als Keith Gerry im Urlaub vertrat, war Keith auf jeden Fall eine ernsthafte Konkurrenz geworden.

Die „Promotionfotos“, die Peter Trees Vater im Garten seines Hauses in Sussex­ von der Gruppe machte, beweisen, dass Keith damals in beiden Formationen aktiv war – offenbar ohne dass die eine Band von der anderen wussten; weder Escorts noch Strangers erwähnten je in Interviews eine Doppelbeschäftigung von Keith.

Mike und Peter fanden im Gitarristen Barry Foskett bald den vierten Mann für ihr Quartett. Sie nannten sich ganz literarisch Mark Twain & The Strangers, was vermuten lässt, dass die älteren drei Bandmitglieder eine etwas umfassendere­ Bildung genossen hatten als der zwar vor Ehrgeiz, nicht aber vor bibliophilem Wissen sprühende Marvel Comic-Leser Keith Moon.

Wieder war er der jüngste in der Gruppe, ihr Mittelpunkt und ihr heimlicher Antreiber. Seine Fähigkeit, andere Menschen mit Witz, Mut und Tatkraft zu erobern und sie im Hinblick auf ein gemeinsames Ziel über trennende Unter­schiede­ wie Alter, Status oder Bildung hinweg zusammenzuhalten, zeigte sich auch im Fall der Strangers.

Keith gab den Takt vor, im Leben wie im Spiel, schwankend, oft ungenau und unreif zwar, aber unbestreitbar vital; er zeigte den anderen, wo es seiner Meinung nach lang ging, zum Beispiel indem er in seinem Goldlamé-Anzug auftauchte, den er inzwischen erworben hatte – für weit mehr Geld, als er verdiente, weswegen Vater Moon sicher mal wieder eingesprungen war. Gerry jedenfalls erzählt, dass allein die Anzahlung für den Anzug weit höher war als der gesamte Kaufpreis des Schlagzeugs, das er Keith vermittelt hatte. Innerhalb kurzer Zeit waren Peter, Mike und Barry bereit, sich ebenfalls solche­ glitzernden Anzüge schneidern zu lassen. The Strangers dürften damit ihrem Gruppennamen optisch ziemlich gerecht geworden­ sein; jedenfalls berichtet Keiths Schwester Linda, dass ihr Bruder den Verkehr in der Chaplin Road zum Erliegen brachte, als er ­seinen Bühnendress einem Freund aus der Nachbarschaft vorführte.

Während Keith im Norden von London lebte, wohnten Peter und Mike im Zentrum; Barry hingegen lebte im Südwesten, in East Hill, wo auch der Proberaum zu finden war, in dem sich alle zweimal in der Woche zum Üben trafen. Als Drummer naturgemäß mit dem größten Gepäck bestraft, ließ Keith sein Schlagzeug oft bei einem seiner Kollegen und übernachtete dort auch gleich. Manchmal half Mike, das Schlagzeug mit der U-Bahn nach Wembley zu transportieren und blieb dann seinerseits die Nacht über bei Keith; oder Alf Moon fuhr die Musiker mit seinem Transporter nach Hause.

Keith, der furchtlose Witzbold und enthusiastische Kumpel, schweißte die Strangers zu einer verschworenen Truppe zusammen, die auch abseits der Musik vieles gemeinsam erlebte. Nach wie vor führte Keith seine Possen gern im öffentlichen Raum auf – vor allem in der U-Bahn, wo er einmal zwischen zeitungslesenden Geschäftsleuten krähend wie eine Elster ins Gepäcknetz kletterte, um eine Reaktion zu provozieren. Oder er täuschte einen Ohnmachtsanfall mitten auf der überfüllten Oxford Street vor, bis besorgte Passanten den Notarzt riefen, woraufhin der Scherzbold blitzartig aufsprang und in der Menge verschwand.

Bei seinen Bandkollegen, die allesamt wenigstens drei Jahre älter waren, erntete­ der Fünfzehnjährige für solche unerschrockene Einlagen, bei denen sie staunende­ Beobachter waren, Respekt – und vor allem Aufmerksamkeit. Immer und überall der Mittelpunkt zu sein, gleich wo, wofür oder wogegen, das blieb Keiths Lebenselixier, sein Treibstoff für den unerhörten Aktionismus, den er seit seiner Kindheit an den Tag legte.

Peter arbeitete in der Druckerei von einer dem Erziehungsministerium unterstellten Behörde am Bedford Square. Als Keith wieder einmal ohne Job dastand, vermittelte ihm Peter eine Stelle in der gleichen Abteilung, und somit wurden sie sogar noch Arbeitskollegen. Mike und Barry jobbten ebenfalls in der Nähe. Die Werbeagentur, in der Barry beschäftigt war, hatte eine eigene Kantine. Keith wusste­ das bald zu nutzen und zeigte den anderen, dass man sich einfach nur einreihen musste, um zu einem kostenlosen Mittagessen zu kommen: „Macht’s wie beim Militär: Mitmarschieren und in Reih und Glied bleiben.“ Das war seine Devise für die zunächst verunsicherten Freunde, die ihrem Spaßmacher dann aber folgten und ungestraft satt wurden.

Drogen, Alkohol oder Sex, die klassischen Zutaten des Rockmusikerlebens, waren für Keith dagegen noch vollkommen unwichtig. Keiner seiner Gefährten, weder von den Escorts noch von den Strangers, hatte ihn je mit einem Glas Bier in der Hand gesehen, geschweige denn mit etwas Hochprozentigem, und über Mädchen wurde höchstens gesprochen. Alles, was Keith zu jener Zeit inter­essierte,­­ hing mit dem Schlagzeugspielen zusammen, mit der Band oder mit einem ­Practical­ Joke.

Depressive, traurige Momente will keiner seiner damaligen Freunde bemerkt haben, und das klingt auch durchaus plausibel. Denn Keith hatte ja noch alles vor sich und anscheinend niemals Zweifel daran, dass er Erfolg haben würde, nachdem er alles andere diesem Ziel untergeordnet hatte. Er übte wie ein Verrückter – allein in seinem Zimmer, womit er Nachbarn und Familie fast zum Wahnsinn brachte; bei Carlo, der ihm jede Woche neue Aufgaben stellte; mit Peter, Mike und Barry, wo er das Erlernte sofort in der Praxis erproben konnte. In seiner ­Mittagspause besuchte er Gerry. In dessen Schlagzeuggeschäft gingen erfahrene Drummer ein und aus, die Keith augenblicklich mit Fragen, Späßen und einem nie endenden Redefluss in Beschlag nahm. So kam er der großen professionellen Szene mit jedem Schritt ein Stückchen näher.

Nach Feierabend, selbst nach einer Probe, zog Keith auf der Suche nach ­Kontakten und Anregungen durch die Klubs – sofern man ihn einließ. Erste Adresse­ war für ihn das Oldfield Hotel in der Greenford Road, das keine zwei Kilometer Luft­linie vom Haus der Moons entfernt lag. Fast jede Nacht gab es dort Live­musik. Das Oldfield galt sogar als ein ausgewiesener „Music Club“ mit eigener­ Mitgliedskarte und strenger Alterskontrolle. Wer noch keine achtzehn war, musste ­draußen bleiben.

Keith war fünfzehn, als er das erste Mal dort aufkreuzte. Lou Hunt, so ziemlich für alles im Oldfield Hotel verantwortlich, einem Klub, der zum Tourzirkus des Promoters Bob Druce gehörte, war sozusagen Barkeeper, Anheizer und Manager­ in Personalunion. Er war Ende dreißig, hatte stets eine Krawatte umgebunden und erzählt bis heute voller Erstaunen, wie Keith es ­schaffte,­ am Tür­steher­ vorbei bis zu ihm vorzudringen und seinen Wunsch nach einer vorzeitigen ­Mitgliedschaft persönlich vorzutragen.

Hunt hielt das Bürschlein für dreizehn, aber Keith trat dergestalt höflich, ­respektvoll und wohlerzogen auf, dass der Manager ihn nicht gleich wieder rauswarf, sondern fragte, weswegen er unbedingt dem Klub beitreten wollte. Keith erklärte, dass ihm seine Eltern ein Schlagzeug gekauft hätten und er den Profis auf der Bühne zuschauen und von ihnen lernen wollte. „Was sollte ich machen?“ sagt Hunt, der nach all den Jahren immer noch verblüfft wirkt über die eigene Großzügigkeit. „Er war so ein netter Junge. Ich erlaubte es ihm.“

Keith, eigentlich drei Jahre zu jung für das Oldfield, erhielt also die gewünschte­ Mitgliedschaft – unter der strengen Auflage, dass er sich nicht vom Bühnenrand entfernen dürfe. Er durfte sogar, wann immer er wollte, bei freiem Eintritt wieder­kommen. So war Keith oft im Oldfield zu Gast, studierte die Bands aus dem Stall von Bob Druce: die Bel-Airs, Federals, Corvettes, Beachcombers und später natürlich auch The Detours. Einige Musiker erinnern sich noch an den neugierigen mondgesichtigen Knaben am Bühnenrand. Sänger Dave Langston zum Beispiel hatte ein „putzmunteres Kerlchen, strotzend vor Zuversicht und sprudelnd vor Begeisterung“ anlässlich seines Auftritts im Oldfield Hotel gesehen, und vor allem die Schlagzeuger aller gastierenden Gruppen machten bald Keiths Bekanntschaft, der so etwas wie ein Klubmaskottchen wurde.

Was er in den langen Nächten im Klub sah und hörte, probierte er umgehend auf dem eigenen Schlagzeug aus, allein oder mit den Strangers, die sich ­allmählich zu einer homogenen Gruppe entwickelten.

Auftritte blieben allerdings selten, da keiner der Musiker auch nur ansatzweise­ über den erforderlichen guten Ruf oder gar über geschäftliche Beziehungen zum Musikbusiness verfügte. Gigs in richtigen Klubs wie etwa dem Oldfield, wo die Detours etwa um die gleiche Zeit Fuß fassten, waren für Keith und seine szenefernen Kollegen nahezu unerreichbar. Sie hatten zwar ein recht anspruchsvolles Liveprogramm einstudiert, vor allem mit Rock’n’Roll aus den USA, aber öffentlich kamen sie damit nicht recht weiter.

Vermutlich engagierten sie aus diesem Grund einen „Manager“, von dem wir allerdings nur aus einem Zeitungsartikel wissen, der in The Complete Chronicle Of The Who abgedruckt ist. Er hieß Brian und war laut eigenem Bekunden zufällig an die Strangers geraten, als er auf einem Spaziergang durch East Hill eine ihrer halb öffentlichen Proben mitgehört hatte. Man kam ins Gespräch und dann zum Schluss, dass vor allem eigene Songs fehlten, wenn man den musikalischen Durchbruch schaffen wollte. Brian setzte sich also flugs hin und schrieb die ersten vier Kompositionen seines Lebens, die dann die Gruppe allesamt übernahm. Daraufhin machte er sich im Eiltempo daran, The Strangers zu künftigen Hitparadenstürmern zu formen. Das suggeriert zumindest besagter Artikel. Demobänder wurden­ aufgenommen, die leider bis heute verschollen sind, und angeblich kam nun auch immer mehr zahlendes Publikum in den Genuss der in Gold gewan­deten­ Newcomer.

Dokumentiert ist immerhin eine BBC-Session vom 9. September 1962. Das Unterhaltungsprogramm des öffentlich-rechtlichen Radiosenders suchte ständig neue Bands, und so erhielten auch The Strangers eine Einladung zum Vorspielen. Sie schrammten nur knapp an einem Überraschungserfolg vorbei, denn sie unterlagen gegen The Dave Clark Five, eine Formation mit weitaus mehr Erfahrung, die später im Gefolge der Beatles die USA eroberte und mit Hits wie „Glad All Over“ (1964) und „Over And Over“ (1965) auch in Deutschland leidlich erfolgreich war. Angeführt wurde die Gruppe von ihrem energischen, singenden Drummer Dave Clark, und es ist anzunehmen, dass Keith aus dieser Begegnung weitere­ Inspiration für sein künftiges Bühnenleben bezog.

Brians organisatorische Meisterleistung für The Strangers war eine sechs­monatige Deutschlandtournee. Er hatte eine Reihe von vertraglich zugesicherten Engagements in Militärstützpunkten der USA aushandeln können und wollte dies als Sprungbrett für eine internationale Karriere nutzen.

Leider kam die groß angekündigte Tournee nie zustande, weil Keiths Eltern ihre Erlaubnis verweigerten. Keith war gerade erst sechzehn geworden und hatte einen sicheren Job. Noch – denn wer ihn kennt, ahnt schon, dass Keith im geordneten Gefüge einer behördlichen Druckerei keine große Zukunft beschieden war. Tatsächlich nahte das Ende seiner Anstellung, als Keiths anarchistische Seele zielsicher die Möglichkeit zum größtmöglichen Skandal in Form einer militärischen Ehrenbeleidigung ausgemacht hatte.

In der Druckerei gab es einige verdiente Ladies und Kriegsveteranen, die sich jeden Nachmittag Punkt vier Uhr zum Tee trafen, um gepflegte britische Konversation zu betreiben. Keith gesellte sich eines Tages dazu, wobei er auf seinem khakifarbenen Arbeitskittel das soeben gefertigte Namenschild „Lance Bombardier Tripe“ präsentierte, zu Deutsch etwa „Gefreiter Bombardier Kutteln“. Dieser an sich harmlose Spaß löste einen solchen Tumult in der Behörde aus, dass Keith vor die Wahl gestellt wurde, sich bei den in ihrer Gesinnung und leidvollen Kriegserfahrung tief Getroffenen zu entschuldigen oder aber seinen Arbeitsplatz zu ­räumen. „Gut“, sagte Keith, „dann gehe ich.“

In der intellektuellen Nachbetrachtung ist man natürlich geneigt, Keiths Affront, wie alle seine späteren öffentlichen Practical Jokes, als gezielte, bewusste Aktion gegen das verkrustete britische Establishment zu bewerten; aber das wäre sicherlich falsch. Keith provozierte, um sich zum Mittelpunkt des Geschehens zu machen, nicht um zu verändern oder um eine gesellschaftliche Konvention aufzubrechen. Institutionen, Autoritäten, Traditionen boten ihm einfach nur die beste Angriffsfläche, vor allem dank der aufgeladenen Atmosphäre der sechziger Jahre, die den wohl schärfsten und dank der Rockmusik auch lautesten Generationskonflikt seit langem zeitigte.­

Mit Keiths Entlassung und der gescheiterten Deutschlandtournee bröckelte auch der Zusammenhalt der Strangers. Barry und Mike suchten nach Ersatz, um den Sprung über den Ärmelkanal doch noch zu schaffen, während Peter sich zunehmend für die Arbeit hinter den Kulissen zu interessieren begann. Er wurde später Konzertveranstalter und konnte dank seiner Beziehung zu Keith sogar ­einmal The Who in Sussex präsentieren. Mike schloss sich nach dem endgültigen Ende der Strangers der Band eines Freundes an, Sänger Reg King und The Boys, die sich bald in The Action umbenannten­ und die legendären Auftritte der Who im Marquee als Vor­gruppe­ begleiteten.

Und Keith? Wieder einmal ohne Job, ohne Band, ohne Freunde? Hatte er nichts in der Hinterhand? Er hatte. Zuerst fand er eine Anstellung im Bauhof von Wembley Park, was zwar nicht als Aufstieg zu bewerten war und seinen Eltern sicherlich Sorgen bereitete, was ihm aber wenigstens etwas Geld einbrachte und ihn nicht vom eigentlichen Ziel ablenkte, als Schlagzeuger berühmt zu werden.

Denn da gab es im November 1962 wieder einmal eine Anzeige im Melody Maker: Shane Fenton & The Fentones, die schon ein paar Nummern in den Top 50 platziert hatten, suchten einen neuen Drummer. Keith kannte die Band. Sie war im Fern­sehen aufgetreten, in schrillen pinkfarbenen Anzügen, wozu die drei Gitarristen auf schneeweißen Fender-Gitarren spielten; sie hatten einen Plattenvertrag, und ihre Songs wurden im Radio gespielt. Er war fest entschlossen, diesen Job zu kriegen, bedeutete er doch einen gut dotierten Platz auf einem der begehrtesten Schlagzeugschemel, der zu dieser Zeit in England frei war. Als Bandmitglied der Fentones verdiente man, so der Autor Alan Clayson, mindestens zwanzig Pfund pro Woche, damals etwa das doppelte Gehalt eines jungen Angestellten. Dem ursprünglichen Drummer der Band, Tony Hinchcliffe, war das offenbar nicht genug gewesen, oder ihm war zu langweilig geworden, denn er wollte lieber nach Südafrika auswandern.

Shane Fenton, der zwanzigjährige Bandleader, hieß mit bürgerlichem Namen Bernard William Jewry und wurde nach dem Ende der Fentones nach einer mehrjährigen schöpferischen Pause als Alvin Stardust bekannt. Er war ein wasch­echter­ Nord-Londoner und mietete ein Kellerstudio vor Ort, um alle Aspiranten einer offenen Probe zu unterziehen.

Keith erschien mit nichts weiter als einem Paar Trommelstöcken bewaffnet. Unter den fünf oder sechs Bewerbern waren auch einige Hochkaräter. Lloyd Ryan zum Beispiel, der in Fernsehshows, bei Musicals und für Filmmusik getrommelt hatte und direkt von einer Europatournee mit Gene Vincent zurückkam. Oder Mick Fleetwood, der in den Siebzigern mit seiner eigenen Band berühmt werden sollte. Und natürlich Bobby Elliott, der einige Jahre später mit den Hollies ein häufiger Gast in den Charts war, ein Könner mit Jazz im Blut, der eigens zweihundertfünfzig Kilometer von Lancashire nach London gefahren war, um den Job bei den Fentones zu bekommen. Für ihn lohnte sich der weite Weg am Ende tatsächlich, denn er setzte sich durch, wurde ange­heuert­ und hatte mit dieser Band noch viel Spaß.

Für Keith hingegen war der Frust groß. Fenton hielt ihn für zu jung und fand ihn zu hastig, zu ungenau in seinem Spiel. Immerhin konnte er einige neue Kontakte zu den Profis schließen; er näherte sich dem inneren Kreis seiner Zunft. Und als er seinem väterlichen Freund Lou Hunt von seinen Erlebnissen berichtete, sorgte der dafür, dass Keith im Oldfield auf die Bühne klettern durfte, wenn ein großzügiger Kollege damit einverstanden war, dem sechzehnjährigen Nachwuchsdrummer für ein paar Rock’n’Roll-Standards eine Chance zu geben.

Theoretisch hätte Keith bei einer solchen Gelegenheit auch das erste öffent­liche Vorspielen der Detours beobachten können, das etwa um die gleiche Zeit, im November 1962, im Oldfield Hotel vor dem Promoter Bob Druce stattfand. Sicher ist, dass er die Detours danach oft sah, wenn sie im Oldfield auftraten, und dass sie ihm zunehmend imponierten, je weiter sie sich entwickelten, je rauer, ­lauter,­ härter, wilder und kompromissloser als alle anderen Gruppen in Druces Tourzirkus sie wurden.­

Eine urtümliche Aura von rüder Prominenz, von Eigensinn und Unnahbarkeit umgab diese Truppe, obwohl sie noch so neu im Geschäft war. Keith behielt sie im Auge, traute sich aber nicht, den schlagkräftigen Roger oder gar Pete, den arroganten Kunststudenten an der Gitarre, anzusprechen. Er übte eifrig weiter, spielte mal hier mit, mal dort und wartete auf seine nächste Chance.

Sie kam schon wenig später. Am 25. April 1963 erschien im Harrow Observer eine Anzeige, die Keith aufmerken ließ: „Beachcombers brauchen guten, zuverlässigen Rockschlagzeuger, regelmäßige Arbeit, Tel. Wembley 7185.“ Die Beachcombers waren Keith ein Begriff. Er hatte sie im Oldfield Hotel ­gesehen, und ihr Name hatte ihm etwas versprochen, das ihm, so absurd es klingt, fast heilig geworden war: Surfmusik.

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