Читать книгу The Who - Maximum Rock I - Christoph Geisselhart - Страница 14
Оглавление9.: Erste Anzeichen von Art & Beat: The Detours entwickeln sich zur ernsthaften R&B-Band
„Wir kriegten gar nicht mit, dass es sich um ein Altersheim handelte.“
John Entwistle über Auftritte unter Pensionären in Kent
„Als wir mit der Band anfingen, war ich ein beschissener Sänger.“
Roger Daltrey
„Die Dinge haben sich geändert, Pete, jetzt bist du an der Reihe.“
Cliff Townshend reicht den Stab an seinen Sohn weiter
Das Repertoire der Detours bot im Sommer 1962 keine Klippen, die ein versierter Sessiondrummer wie Doug Sandom, der laut John „zehnmal besser war als wir“, nicht innerhalb kürzester Zeit bewältigt hätte.
Sandom, 1932 geboren, arbeitete als Maurer und war bereits verheiratet. Für die besorgten Eltern von Roger, John und Pete war der gestandene Schlagzeuger die perfekte Ergänzung und Aufsichtsperson. Für die Band selbst bedeutete Dougs Einstieg einen enormen Zuwachs an Erfahrung, Reputation und Kontakten in der Szene von West-London. Glücklicherweise sah der zierliche, kleingewachsene Sandom weit jünger aus, als er war, und die Band vereinbarte, ihren neuen Drummer öffentlich dem Teenageralter anzupassen.
Alle fünf Detours stammten aus West-London und wurden dort bald als lokale Größen anerkannt. Roger Daltrey, der Metallarbeiter mit den harten Fäusten; Colin Dawson, Vertreter für Fertigprodukte von Danish Bacon; Doug Sandom, der bald dreißigjährige Polier; Pete Townshend, der Kunststudent; John Entwistle, den man beim Finanzamt in die Registratur versetzt hatte, weil er am Auskunftsschalter ständig unausgeschlafen und heiser erschienen war. John hatte einen sehr beachtlichen Stimmumfang und konnte gleichermaßen sicher Falsett wie Bariton singen. Für Songs wie „Twist & Shout“, die außerhalb von Rogers Tonlage lagen, war er deshalb der Leadsänger. Bei mehreren Durchgängen pro Abend konnte man dabei durchaus die Stimme verlieren – und war damit für den Schalterdienst in einer königlich-britischen Behörde natürlich nicht mehr brauchbar.
Mit ihrem erprobten Programm aus traditionellen Jazzarrangements, bei denen Daltrey gern an die Posaune wechselte, Entwistle bei Bedarf Trompete oder Waldhorn blies und Pete am Banjo klimperte; aus tanzbaren Twistnummern, aus Jive, Rockabilly-Chartbreakern, bekannten Instrumentals der Shadows und aktuellen Top-Ten-Hits eroberten sich The Detours allmählich ein festes Publikum, wobei sie den Wegfall ihres Chauffeurs und Hobby-Managers Mr. Wilson zu kompensieren hatten, der nach dem unrühmlichen Rauswurf von Sohn Harry seine Dienste eingestellt hatte.
Ein Glück, dass Betty Townshend einen kleinen gelben Ford-Transporter besaß. Sie hatte ihn gekauft, um alte Möbel für ihren Antiquitätenladen zu befördern. Und da das Equipment der Band sowieso bei den Townshends lagerte, übernahm Petes Mutter den Job und kutschierte die Jungs zu ihren Auftritten: „Ich hielt es meist nicht lange aus, sondern brachte Einkäufe nach Hause oder erledigte sonst etwas, bis ich sie mit ihrer Ausrüstung wieder abholte. Sie spielten furchtbar laut.“ So laut, dass Rogers Mutter einmal zu ihrem Mann sagte: „Meinst du tatsächlich, dass Leute dafür bezahlen?“
Trotzdem begannen sich Bettys Geschäftssinn und ihr Mutterherz bald energisch zu rühren. The Detours mochten lautstark und nicht ihrem Musikgeschmack gemäß spielen, doch es war immerhin ihr Erstgeborener, der sich anschickte, eigene Meriten im Metier der Eltern zu erwerben. Sie konnte genau beobachten, wie gut sich Petes Persönlichkeit mit jedem Auftritt entwickelte. Ihr linkischer, komplexbeladener Junge wurde sicherer und selbstbewusster durch die Musik; nun sollte er dafür alle Unterstützung erhalten. Entschlossen griff Betty zum Telefon und rief alle Leute und Klubs an, die sie aus ihrer Vergangenheit als Sängerin und durch Cliffs eigene Karriere im Musikgeschäft kannte. Sie verschaffte der Band einige Auftritte in einem Hotel in Richmond, wo das Honorar allerdings so miserabel war, dass es nicht einmal das Benzingeld deckte.
Johns Freundin Alison, die bei einer großen Entwicklungsfirma als Sekretärin arbeitete, sorgte dafür, dass The Detours bei Betriebsfesten regelmäßig gebucht wurden. Betriebsausflüge führten die Band bis nach Bognor Regis und Doncaster in Yorkshire, wo laut John „der Geschäftsführer üblicherweise einen Gemeindesaal anmietete, in dem sich alle Mitarbeiter sinnlos voll laufen ließen, bis wir einpackten und nach Haus fuhren“.
Weitere Gigs gab es im Jewish Club von Ealing, wo betuchte jüdische Sprösslinge das Tanzbein schwangen, in Boseleys Ballroom in der Faroe Road, Shepherd’s Bush, dessen Besitzer auch der örtliche Musikladen gehörte und wo Who-Edelfan Irish Jack seine erste Begegnung mit der Band hatte, oder in der Stadthalle von Acton am 1. September 1962, nach dem sogar ein Zeitungsartikel in der Acton Gazette über The Detours erschien.
Doch der Verdienst reichte nie aus, um wirklich etwas an den Auftritten zu verdienen. Meist vertranken die Musiker schon während der Pausen das magere Honorar an der Bar, oder sie mussten den Lieferwagen bezahlen, den Doug angemietet hatte, wenn Betty sie nicht zum Veranstaltungsort fahren konnte. „Sie konnten einfach nicht ausreichend anständig bezahlte Auftritte kriegen“, erinnert sich Betty, „bis ich Bob Druce kontaktierte.“
Bob Druce führte die lokale Veranstaltungsagentur Commercial Entertainments, für die Doug schon gelegentlich als Sessionmusiker gearbeitet hatte, bevor er zu den Detours gestoßen war. Die Agentur unterhielt einen festen Kreis von fünfzehn bis zwanzig Veranstaltungsorten in und um West-London, wofür sie vertraglich verpflichtete Bands nach einem rotierenden Wochenplan einsetzte. Dieser wandernde Rock’n’Roll-Zirkus bediente vorrangig die größeren Klubs und Bars mit Tanzflächen wie das White Hart Hotel in Acton, den Goldhawk Road Social Club in Rogers früherem Wohnviertel Shepherd’s Bush oder das Oldfield Hotel im West-Londoner Vorort Greenford – Namen und Adressen, die jedem rockhistorisch bewanderten Who-Fan wohlige Schauer über den Rücken jagen, gelten sie doch als Weihestätten, wo ihre Helden bedeutende Begegnungen hatten und wegweisende Schritte unternahmen.
Betty hatte mit Druce einen Vorspieltermin für Anfang November im Oldfield Hotel arrangieren können. Falls Druce, der wichtigste Promoter der Szene, die Band unter Vertrag nahm, bedeutete das den ersten wirklichen Schritt zu einer professionellen Karriere: fest zugesicherte Auftritte bei regelmäßigem Salär.
Die Gruppe erschien pünktlich im Oldfield Hotel, von Betty gefahren, wie die einen sagen, von Doug transportiert, wie dieser behauptet: „Ich mietete den Lieferwagen, weil Betty keine Zeit hatte. Ich habe noch nie jemanden gesehen, der so aufgeregt war wie Roger an diesem Abend. Und Pete war weiß wie ein Blatt Papier“, erinnert sich der ehemalige Schlagzeuger, der seine Bandkollegen zu beruhigen versuchte: „Ich sagte ihnen, wenn wir den Job kriegen, ist es gut. Wenn nicht, bekommen wir halt einen anderen.“
Im Oldfield Hotel traten an diesem Abend The Bel-Airs auf, eine der bekanntesten Bands im Portfolio von Bob Druce, die hauptsächlich Countrysongs zum besten gab. Das war keine gute Voraussetzung für die Detours, die normalerweise lieber für ein progressives Publikum spielten. Ein Glück, dass die Band so vielseitig war und auf Rogers Wunsch einige Nummern von Johnny Cash ins Programm genommen hatte.
In einer Pause kletterten die Detours auf die Bühne. Sie benutzten nach einhelliger Meinung das Equipment der Bel-Airs, womit zumindest fraglich wäre, wozu Doug einen Transporter gemietet haben will. Jedenfalls spielten sie die vereinbarten drei oder vier Songs, und am Ende rief der Anheizer – vermutlich war es Lou Hunt, der für die Geschichte der Who noch eine wichtige Rolle spielen sollte – ins klatschende Publikum: „Was haltet ihr von den Jungs? Wollt ihr sie noch mal hören?“
Der Applaus nahm hörbar zu, woraufhin Druce einwilligte, die Gruppe unter Vertrag zu nehmen – ein großer Erfolg für die jungen Bandmitglieder und ein erfreulicher Ausblick für den alten Hasen Doug, der Musik zwar nicht als berufliche Perspektive betrachtete, aber als interessantes bezahltes Hobby, mit dem man durchaus dem Alltag eines Handwerkers entfliehen konnte. „Wir waren schon richtig bekannt im Viertel und hatten unsere Fans. Die Mädchen legten uns gern Geschenke in den Transporter, kleine Puppen und solche Sachen“, erzählt Doug. „Meine Frau weigerte sich schließlich, mit mir einkaufen zu gehen, weil ich überall angesprochen wurde.“ Eines der ersten Engagements für Druce führte The Detours nach Kent in das Seniorenkurbad Broadstairs. Schon die Fahrt dorthin war recht beschwerlich, wie Roger erzählt: „Es war ein verfluchter Alptraum. John, Pete und ich fuhren mit Betty. Pete saß vorn neben ihr, und wir anderen lagen hinten auf unseren Verstärkern, die Decke kaum zehn Zentimeter über unseren Köpfen, den ganzen langen Weg nach Broadstairs.“
Am Auftrittsort selbst erwartete die Band ein kaum adäquates Publikum. John berichtet: „Es gab dort vielleicht gerade mal sechzehn Kids unter fünfundzwanzig. Ich erinnere mich gut an unseren ersten Auftritt. Wir kamen spät an, und niemand war da. Als wir die Ausrüstung ausluden, tauchte endlich ein Animateur auf, und wir dachten, toll, der bringt unser Publikum. Aber dann ging er raus und begann, Rollstühle auszuladen. Druce schickte uns Ewigkeiten jede Woche dorthin.“ Der Touragent Bob Druce galt neben seiner erfolgreichen Vermittlungstätigkeit auch als „Mister-Ten-Percent“, der sich nicht scheute, von der Band ein zweites Mal für nicht näher definierte Manageraufgaben zu kassieren, indem er einen „Exklusivvertrag“ vorlegte. Damit wären die Detours in jedem Fall an Commercial Entertainment gebunden und zu Provisionszahlungen verpflichtet gewesen, gleich ob sie an einem von der Agentur vermittelten Ort spielten oder nicht. Als Touragent legte Druce der Band auch das Geld für ihren ersten eigenen Transporter aus, den Roger für hundertfünfzehn Pfund aufgetrieben hatte. Druce zog den Detours dafür jede Woche zehn Pfund vom eingespielten Honorar ab. Die Eltern der noch nicht volljährigen Musiker Pete, John und Roger verweigerten ihre Unterschrift unter diesen Knebelvertrag. Das hieß, dass The Detours auch weiterhin eigene Auftritte annehmen konnten, ohne Provisionen an die Agentur abführen zu müssen.
Diese Regelung zahlte sich aus. Betty hatte einen weiteren Bekannten, Lesley Douglas, der sie und Cliff einst zusammengeführt hatte und in dessen Band beide aufgetreten waren. Douglas betrieb mittlerweile einen exklusiven Klub für amerikanische GIs; Cliff spielte gelegentlich dort, und nun brachte Betty auch die Band ihres Sohns dort unter, im Douglas House, am Lancaster Gate am Hyde Park. Douglas bezahlte für einen zweistündigen Auftritt der Detours jeden Sonntag von 13 bis 15 Uhr die damals sagenhafte Summe von zwanzig Pfund.
Zusammen mit diesem Sahnehäubchen, mit den weiterhin stattfindenden Auftritten bei Partys, Hochzeiten oder Bar Mizwahs, und natürlich dank der regelmäßigen Tanzabende für Druces Agentur, schaffte es die Gruppe, nach Abzug aller Unkosten rund zwölf Pfund pro Mann und Woche einzunehmen – etwa das Doppelte bis Dreifache, was ein Lehrling oder einfacher Arbeiter um diese Zeit als Wochenlohn erhielt.
Nicht nur Doug und Roger waren von diesen finanziellen Möglichkeiten begeistert, sondern vor allem auch Pete, der sein Studium bis dahin mit Nebenjobs finanziert hatte, indem er Milch und Wurst auslieferte. Sein Leben hatte sich in den vergangenen fünfzehn Monaten radikal verändert: „Ich konnte es kaum fassen“, erzählt er in der Biografie von Richard Barnes. „Es war so eine großartige Zeit für mich. Die Kunst setzte meine Kreativität in Gang und half mir, bewusst nachzudenken. Die Kunsthochschule war wie eine Offenbarung für mich nach dem letzten Schuljahr an der Grammar School, wo ich ausgestoßen war. Ich erkannte, dass ich nirgendwohin kommen würde mit meiner Introvertiertheit, sondern dass ich extrovertiert werden musste – und genau das tat ich.“
Richard Barnes, der ebenfalls an der Ealing Art School studierte und Pete dort kennenlernte, beschreibt, wie sein Kommilitone, anfangs noch zögerlich und voller Komplexe wegen seiner großen Nase, die ersten Kontakte knüpft und sich immer gekonnter im neuen Milieu in Szene setzt:
„Die Ealing Art School war eine sehr ungewöhnliche Kunsthochschule. Diese normalerweise eher gesetzte und konservative Institution hatte im selben Jahr einen neuen Rektor bekommen, in dem Pete sich dort einschrieb. Die meisten Dozenten waren durch junge Sechzigerjahredesigner und -künstler ersetzt worden, und man war gerade dabei, ein neues Experiment in der Kunsterziehung zu beginnen, das auf Kybernetik basieren sollte. Kybernetik als Studium von Kontrollsystemen und Kommunikation in so unterschiedlichen Dingen wie Tieren, Rechenmaschinen oder Ökonomie – es war ein kleines Rätsel, was diese obskure Wissenschaft mit Kunst und Design zu tun haben sollte. Aber der Rektor beharrte darauf, dass Kunst mehr sei als nur ein ‚paar alte Äpfel auf Tischen‘“.
Tatsächlich mussten die Studenten allerlei seltsame Projekte in Angriff nehmen. Eines zeigte den davon offenbar höchst inspirierten Pete Townshend einige Wochen lang in einem Wägelchen aus Orangenkisten durch die Flure rollen und dabei rätselhafte Töne ausstoßen, womit die physische Behinderung eines Menschen ohne Beine simuliert werden sollte, der sich in einem fremden Alphabet verständigen musste: „Die Dozenten erwarteten so etwas von uns, und sie wollten Erklärungen für alles. Sie waren sehr akademisch“, erzählt Pete.
Die englischen Kunstschulen scheinen damals eine Brutstätte für angehende Rockstars gewesen zu sein. An Petes Ealing Art School studierten unter anderem Ron Wood und Freddy Mercury; aber auch John Lennon, Eric Clapton, Ray Davies, David Bowie und Keith Richard waren an englischen Kunstschulen eingeschrieben, ehe sie sich vollständig der Musik zuwandten.
Keith Richard meinte einmal: „Ich lernte an der Kunsthochschule nicht viel über Kunst, aber ich lernte viel übers Gitarrespielen.“
Kunst war im Aufbruch wie selten zuvor, und die größte Revolution fand in der elektrischen Musik statt. War es da ein Wunder, dass sich die kreativsten Talente lieber mit einer E-Gitarre um den Hals oder mit dem Mikrofon in der Hand an die Hochspannung des gesellschaftlichen, technischen und kulturellen Aufbruchs anschlossen, statt einsam im Atelier oder in muffigen Schreibstuben über die Phänomene ihres Zeitalters zu grübeln?
Für Pete jedenfalls lieferte die brodelnde, quicklebendige Atmosphäre an der Kunstakademie ganz sicher das fehlende Element in seiner Entwicklung. Sein wacher, vielseitiger Intellekt erhielt jede Menge Nahrung, endlich schien er unter Gleichgesinnten angekommen, die seine Originalität schätzten, und seiner oft etwas überinspirierten, kuriosen Denkweise kam das experimentelle Ausbildungskonzept des neuen Rektors entgegen. Pete genoss es, sich für diese mannigfaltigen Einflüsse zu öffnen.
Und wieder einmal bahnte er sich die Zugehörigkeit zu einer Gruppe durch Musik – ein Schema, das sich in Petes Leben und seinem musikalischen Werk wiederholt. In den Gemeinschaftsräumen der Kunstakademie spielte immer irgendwer Gitarre, und als Pete in einer Pause nach der Klampfe griff und seine mittlerweile recht beachtlichen Fähigkeiten demonstrierte, sprach sich das schnell herum. Ein amerikanischer Student namens Tom Wright näherte sich dem Neuling und bat Pete, ihm einige der abgefahrenen Licks zu zeigen, von denen man ihm berichtet hatte.
Pete erzählte Jahre später, Tom sei der erste Mensch gewesen, mit dem er an der Kunsthochschule gesprochen habe. Die beiden mussten nur über die Straße gehen, um in Toms kleiner Wohnung neue Gitarrengriffe einzustudieren. Was Pete dort im Gegenzug erhielt, sollte sich für ihn und seine Band bald als wahrer Schatz erweisen.
Tom war ein begeisterter Musikfan und besaß eine fantastische Plattensammlung, sowohl vom Umfang her wie von der Stilrichtung. Viele Titel und Interpreten von Jazz bis Blues und R&B waren in England seinerzeit kaum oder gar nicht erhältlich. Tom hatte viele Platten aus den USA mitgebracht und sich die neuesten nachsenden lassen, weswegen er als Trendsetter galt. Sein Apartment, das er mit Campbell McLester teilte, einem weiteren Auslandsstudenten aus Oklahoma, wurde zum Anlaufpunkt für alle an neuer Musik interessierten Kunststudenten. Chronist Richard „Barney“ Barnes, der oft zugegen war, wenn Pete seinem amerikanischen Freund in der Sunnyside Road Gitarrenstücke beibrachte oder dessen Schallplatten lauschte, listet die Zuckerstücke in Toms beeindruckender Sammlung auf:
„Alles von Jimmy Reed, alles von James Brown, Chuck Berry, Bo Diddley, John Lee Hooker, Mose Allison, Jimmy Smith, Muddy Waters, Howlin’ Wolf, Slim Harpo, Buddy Guy, Sonny Terry & Brownie McGhee, Joe Turner, Booker T, Little Richard, Jerry Lee Lewis, Carl Perkins, Fats Domino, The Coasters, Ray Charles, John Patton, The Drifters – eine komplette Werkschau der damals heiß diskutierten US-amerikanischen Bluesmusik und R&B-Szene. Ergänzend dazu hortete Tom zahlreiche Jazzalben progressiver Musiker wie Charlie Parker, John Coltrane, Miles Davies, Wes Montgomery oder Dave Brubeck und gut dreißig Klassikschallplatten.“
Diesen Schatz „erbten“ Pete und Barney, als ihr Freund Tom wegen Marihuanabesitzes angezeigt wurde und das Land verlassen musste. Er fragte die beiden, ob sie das verwaiste Apartment in der Sunnyside Road Nummer 35 beziehen und auf seine Sammlung aufpassen wollten – keine Frage, dass sie wollten. Pete musste dringend von zu Hause ausziehen. Die Beziehung zu seiner Mutter war trotz ihrer Unterstützung für die Detours nicht zuletzt deshalb nie frei von Spannung, weil sich Mutter und Sohn in ihrem Temperament sehr ähnelten. Hinzu kamen die um viele Jahre jüngeren Brüder Paul und Simon sowie Bettys Antiquitätenladen, womit ihre ganze Aufmerksamkeit eigentlich beansprucht war.
„Es war Zeit für ihn, selbstständig zu werden“, befand Betty, die Petes Faulenzerdasein und zunehmende Künstlerattitüde gar nicht guthieß, sondern einen ernsthaft an seiner Musikerkarriere arbeitenden Sohn sehen wollte.
Petes Vater hielt sich dagegen weitgehend aus allem heraus. „Er war immer sehr beschäftigt“, erzählt Pete, „sehr einfach, sehr liebevoll, sehr gradlinig und ungeheuer stolz, wenn ich mit irgendwas Erfolg hatte. Ich erinnere mich an den Tag, als er mir sein musikalisches Erbe übertrug. Er sagte: ‚Die Dinge haben sich verändert, Pete. Jetzt bist du an der Reihe.‘“
Laut Pete soll dieses Gespräch am gleichen Tag stattgefunden haben, an dem The Detours das Engagement im Douglas House antraten – und dort „die Band meines Vaters vom Spielplan verdrängten“. Nach den Recherchen von Christian Suchatzki war diese abgelöste Formation aber nicht Cliffs Squadronaires, sondern die Lesley Douglas Dance Band, in der sowohl Betty als auch Cliff mitwirkten.
Jedenfalls musste Cliff Townshend bald erkennen, dass sein Sohn in einer Hinsicht kein gleichgesinnter Nachfolger war: „Mein Vater hatte nichts gegen Rockmusik. Er mochte nur nicht, dass die Szene nach seiner Ansicht nicht besonders ehrbar war; er hasste die Drogen“, erzählt Pete. Diese Abneigung teilte Pete nicht. Durch Tom, den Musikfreak aus Alabama, war er auch auf Pot – Marihuana – gestoßen und konsumierte das weiche Rauschmittel im Kreis der Kommilitonen in der Sunnyside Road gern und reichlich.
„Es war weniger Pot selbst, was mich anzog, als das ganze Drumherum“, erzählt er später. „Da war das Neue um die Kunstakademie, hübsche Mädchen, das erste Mal in meinem Leben, die ganze Musik um mich herum … alles war sehr aufregend. Obwohl mir Pot wichtig war, war es doch längst nicht am wichtigsten: Es war nur wegen der Tatsache wichtig, dass all die unglaublichen Dinge um mich herum noch unglaublicher wurden.“
Keiner seiner Bandkollegen interessierte sich zunächst für Marihuana; Pot war allein Teil von Petes Erfahrungen als Kunststudent und Famulus der neuen Musik, die er, sich lümmelnd auf dem Bettsofa und nach allen Seiten hin offen, aufnahm. Pete, der abgehobene Musikhörer haschte gern; aber als Gitarrist der Detours, mit denen er fünf- bis sechsmal pro Woche im Einsatz war, konnte er sich larmoyantes Schweben und Träumen nicht erlauben. Sein Mitbewohner Richard Barnes erinnert sich:
„Die Arbeit mit der Band hatte immer Priorität, vor Freundinnen, vor Geburtstagen, vor Pokalendspielen im Fernsehen oder Hochzeiten von Freunden. Wenn Pete von einem Auftritt gegen Mitternacht zurückkam, war es nicht ungewöhnlich, dass die gleichen Freunde immer noch da saßen, Männchen kritzelten oder Platten hörten, und er machte dort weiter, wo er aufgehört hatte.“
Die Tatsache, dass Pete und The Detours praktisch jede Nacht unterwegs waren, sorgte ironischerweise dafür, dass sie von den revolutionären Entwicklungen in der englischen Musikszene zunächst nicht viel mitbekamen, sondern auf Berichte lebensfroher Nachtkundschafter wie Barnes angewiesen waren. Die aufstrebenden Londoner R&B-Bands wollten zu der aus Liverpool einsickernden Beatlemania einen rauen, hauptstädtischen Kontrapunkt setzen, wilde, laute, unkonventionelle Gruppen als Gegenbewegung zum allgemeinverträglichen Merseybeat. Zumeist waren diese Bands Ableger der stilprägenden Keimzelle um Alexis Korner wie The Rolling Stones, The Yardbirds oder Cyril Davies Allstars mit Long John Baldrey am Mikrofon. Diese Szeneattraktionen des Londoner Nachtlebens blieben für The Detours unbekannte Größen, bis Rogers Truppe sich ab 1963 in Bob Druces Tourzirkus durchsetzen und als Vorgruppe oder Pausenfüller für Hauptattraktionen wie Rolling Stones oder Kinks leibhaftig von der neuen Bewegung Kenntnis nehmen konnte.
Die Detours galten zwar schon kurz nach ihrer Verpflichtung als die beste und begabteste der West-Londoner Hausbands, vor den Bel-Airs, den Riversides, den Corvettes oder den Beachcombers; doch an das Format der neuen Wilden aus der Schule von Blues Incorporated im Ealing Club, die längst auch die führende Musikkneipe, den einstmals streng jazzorientierten Marquee Club, erobert hatten, reichten sie nicht heran.
Bis Anfang 1963 waren The Detours kaum mehr als eine sehr flüssig und kraftvoll aufspielende Tanzkapelle, ohne Bühnenshow und ohne eigenes Repertoire. Sie boten ein fast beliebig zu nennendes Programm aus Jazz, Pop, Blues und Rock’n’Roll und hoben sich auch äußerlich kaum von anderen Combos der Gegend ab. Druce hatte als erstes ihren unordentlichen Aufzug bemängelt und ein smartes Äußeres zur Voraussetzung für ihre Verpflichtung gemacht, worauf Pete modische kastanienbraune Bühnenanzüge entwarf, die Roger nur unter Druck anzog – er war schließlich nicht von der Schule geflogen, um als Konformist auf der Bühne zu stehen. Mit weißen Hemden, schmalen Krawatten und gewienerten Halbschuhen passten sich die Detours sehr deutlich an das zeitgemäße Beatles-Image an. Ihr ganzer Auftritt war so glatt und professionell, dass ein kritischer und szeneerprobter Zuhörer wie Barnes feststellte:
„Ein dreieinhalb Minuten langer Song dauerte bei ihnen genau dreieinhalb Minuten. Sie spielten ihn sehr gut und kompetent und waren insofern viel besser als die meisten Bands, aber sie machten nichts daraus. Wenn The Yardbirds zum Beispiel ‚Smokestack Lightning‘ spielten, dauerte das fünfzehn Minuten. Ich schlug Pete vor, sie sollten ihre Nummern auch ausdehnen und Gitarrenriffs einbauen, um sie vom Original unterscheidbar zu machen.“
Barnes widerspricht damit der offiziellen Einschätzung der Band, die sich als frühe Trendsetter in Sachen R&B verstanden hatte, noch bevor die Konkurrenz darauf ansprang.
John zum Beispiel sagt: „Wir haben Beatles-Songs und all diese Sachen gespielt, bis wir R&B entdeckten. Pete ging auf die Kunstschule und lernte John Lee Hooker und so weiter kennen. Wir wussten, dass wir mit dem alten Material nirgendwohin kommen würden, also wechselten wir zu R&B, bevor alle anderen Gruppen, The Yardbirds und The Downliners Sect, darauf kamen.“ Roger erklärt noch eindeutiger: „Wir waren die erste Gruppe, die es satt hatte, das Top-Zwanzig-Zeug rauf und runter zu spielen, und die zu wirklich hartem R&B überging.“
Bei Pete jedenfalls, der durch die ererbte Plattensammlung und sein Kunststudium für Neuerungen in höchstem Maß sensibilisiert war, stieß Barnes’ Vorschlag auf offene Ohren. Roger erkannte die Zukunft des Rock’n’Roll sowieso in der neuen Stilrichtung, Doug, der gelernte Session-Drummer, spielte alles, was man ihm vorsetzte, und John gefielen die musikalischen Freiheiten, die ein offeneres Konzept gestattete.
Blieb noch Colin, der angestammte Sänger und das Gründungsmitglied der Detours. Der hatte es sich angewöhnt, seine Bandkollegen als Begleitmusiker zu betrachten, die ihm gehörig zuspielen sollten wie The Shadows ihrem Frontmann Cliff Richard. Nicht nur Roger, der heimliche und echte Anführer der Detours, störte sich daran. Auch Pete lästerte immer unverhohlener über den „arschwackelnden“ Elvis-Verschnitt, der vor allem bei langsamen Nummern zu großer Form auflief und sich gern im schnittigen Marine-Blazer zu hellgrauen Hosen vor der Band präsentierte. Für seinen unvermeidlichen Rauswurf wollte sich im Nachhinein aber keiner so recht verantwortlich zeigen. Pete behauptet, dass Dawson vor allem „zu Roger in Gegensatz stand, der damals die Hosen anhatte und der die Dinge so hindrehte, wie er sie haben wollte. Wer sich mit ihm anlegte, kriegte üblicherweise ein paar übergezogen.“
Doug, der nach eigenem Bekunden mit Colin nie ein Problem hatte (sondern mit Pete, wie sich später herausstellte), schob die Ursachen mehr ins Allgemeine: „Es war immer das gleiche in Bands: Man fiel über jemanden her, wenn er nicht da war, nörgelte und krittelte solange an ihm herum, bis er ging. Pete sagte: ‚Seht bloß, wie er da steht und mit dem Arsch wackelt.‘ Sie lachten auf der Bühne hinter seinem Rücken über ihn. Pete hätte es lieber gesehen, wenn der Sänger umherhüpfte oder Gitarre spielte.“
John meint, Colin sei einfach nur ein wenig zu adrett gewesen, und von Roger, der in solchen Fällen lieber handelt als redet, sind keine Aussagen überliefert. Sicher ist, dass Colin jener Typus des schmalzigen Schlagersängers war, der ins neue musikalische Konzept, das die Detours unter Rogers Führung und mit Petes wachsender Einflussnahme anstrebten, nicht mehr passte. Als Druce die Band einmal kurzfristig als Ersatz für eine verhinderte Gruppe buchte, nutzten die Detours die Chance, um den ganzen Abend lang schwarze Musik zu spielen. Der Auftritt wurde ein solcher Erfolg, dass Roger und Pete sich in ihrer Auffassung bestärkt fühlten und weitere Stücke aus ihrer R&B-Sammlung einstudierten.
„Wir verloren damit zwar unsere alten Fans, aber wir gewannen ein neues Publikum, das viel größer und enthusiastischer war, und nach sechs Monaten kamen alle früheren Fans zurück, und wir hatten dreimal so viele Anhänger wie zuvor“, erzählt Roger. „Blues gab uns die Freiheit, zu improvisieren und uns zu entwickeln. Pop zu spielen, bedeutete, eine Aufnahme zu kopieren, und das war’s. Wir waren schon glücklich, wenn wir möglichst nah ans Original rankamen. Blues war eine völlig andere Sache.“
Die Band experimentierte mit dem neuen R&B-Repertoire zunächst in wechselnden Besetzungen. „Eine Zeitlang hatten wir einen Typ namens Peter Vernon-Kell. Er spielte sehr schlecht Leadgitarre“, erinnert sich Pete. Der angeblich so untalentierte Gitarrist Vernon-Kell gründete übrigens bald in Druces Tourzirkus eine eigene Band, The Macabre, die später von den Who gern als Vorgruppe gebucht wurde. In den siebziger Jahren wurde er Plattenproduzent und war besonders erfolgreich mit Peter Green – soviel zu dieser flotten Bewertung von Pete.
Auch Phil Rhodes, der mit Pete und John in der Schulband The Confederates Klarinette gespielt hatte, wurde wieder angeheuert. Man einigte sich aber schließlich auf Gabby Connolly als neues Bandmitglied. Gabby hatte bei The Bel-Airs den Bass gezupft und sang speziell jene Countrysongs, die sonntags im Douglas House vor den GIs unerlässlich waren. Bei den neuen bluesigen Stücken von John Lee Hooker oder Jimmy Reed übernahm meist Roger das Mikro. Seine raue, etwas unfertig klingende Stimme passte eigentlich hervorragend zum neuen Material; doch noch war Roger alles andere als ein guter Sänger.
„Als wir mit der Band anfingen, war ich ein beschissener Sänger“, urteilt er selbstkritisch. „Man brauchte damals eigentlich auch gar keinen Sänger, man brauchte jemand, der sich prügeln konnte, und das war ich.“ Und da sich Roger gern prügelte und mit Begeisterung von der Bühne sprang, wenn in einer Ecke des Saals ein Tumult ausbrach, war das ausbaufähige Bluesschema auch in dieser Hinsicht hilfreich. Es dauerte zwar nie sehr lange, bis Roger, von seiner Gitarre befreit, schlagkräftig für Ruhe gesorgt hatte, aber ein wenig improvisieren lernen konnte man in der Zwischenzeit durchaus.
Als das Engagement im Douglas House auslief und kein Countryinterpret mehr notwendig war, wackelte Gabbys Stellung als Leadsänger bereits bedenklich. Die endgültige Trennung wurde aber erst vollzogen, nachdem Roger ein lebendiges Vorbild neben sich entdeckte, das ganz ohne zweites Melodieinstrument auskam und in knapper, kerniger Vier-Mann-Besetzung von Gesang, Gitarre, Bass und Schlagzeug authentischen Powerrock lieferte.
Die Rede ist von Johnny Kidd & The Pirates, mit denen die Detours schon einmal Ende 1962 gemeinsam auf der Bühne gestanden hatten. Im Mai 1963 buchte Druce die Detours abermals als Vorgruppe für die energetischen Rock’n’Roll-Freibeuter. Das instrumentale Powertrio um Leadsänger Johnny Kidd überzeugte Roger so sehr, dass er endgültig ans Mikro wechselte und die Gitarre aufgab, auf der er sich im Vergleich mit Pete ohnehin nicht recht weiter entwickelte.
Für seinen klugen Übertritt in die zentrale Position des Vokalisten konnte er auch die tägliche Maloche in der Fabrik verantwortlich machen. Seine Finger waren durch die handwerkliche Tätigkeit nämlich ständig wund, und mit offenen Fingerkuppen übers Griffbrett zu rutschen, musste selbst dem hartgesottenen Roger große Pein verursachen. Schließlich überließ er das Saitenspiel der Detours vollständig den beiden Spezis Pete und John. Deren Interaktion von Bass und Gitarre war immerhin schon aus Schultagen und vielen gemeinsamen Übungsstunden in Petes Jugendzimmer erprobt. Inzwischen funktionierte es so reibungslos, dass sich Frontmann Roger sicher eingerahmt fühlen durfte.
Der Gitarrist der Pirates, Mick Green, hatte John und Pete einen Sound vorgegeben, der ihre Entwicklung am Bass wie auch an der Gitarre stark beeinflusste. Pete war vor allem als Rhythmusgitarrist begabt, der gekonnt Tempo, Takt und Harmonie bestimmte. Seine Soli klangen zwar originell, aber technisch waren sie im Vergleich mit den virtuosen Saitenläufen eines Jeff Beck, Richie Blackmore oder Eric Clapton nicht sehr anspruchsvoll.
John, der musikalisch beschlagenere der beiden Gitarristen, wollte sowieso immer das Leadinstrument spielen. Damit kam Pete jene tragende Rolle im Gerüst der Detours zu, die normalerweise der Bassist übernimmt, ohne dass er freilich auf seiner E-Gitarre die tiefen Töne erzeugen konnte. Er hielt aber den Rhythmus und deckte zumindest noch den mittleren Klangbereich ab. Das erlaubte es John, seine Lautstärke und den Höhenregler so weit hochzudrehen, dass er mit seiner Bassgitarre die notwendigen melodischen Linien und Füllmuster zwischen den Akkorden einbringen konnte.
Dieses Konzept der vertauschten Rollen von Bass und Gitarre, das nicht geplant war, sondern aus vorhandenen – beziehungsweise nicht vorhandenen – musikalischen Fähigkeiten innerhalb der Band entstand, steckte Mitte 1963, nachdem The Detours eine beeindruckende Vorstellung der Rockpiraten in der Süd-Londoner St. Mary’s Hall aus nächster Nähe studiert und ausgewertet hatten, zwar noch in den Kinderschuhen; aber auf alle Fälle wurde klar, dass man weder einen zweiten Gitarristen noch einen zusätzlichen Sänger brauchte, um einen voll klingenden, authentischen Rocksound zu erzielen.
Entscheidend für die Umsetzung ihrer Vorstellungen war freilich, dass die Band eine gute Anlage zur Verfügung hatte. Noch immer benutzten die Detours Instrumente und Lautsprecher, die größtenteils Roger gehörten oder die er in seinen Arbeitspausen gebaut hatte: „Chase Products muss die einzige metallverarbeitende Fabrik gewesen sein, in der ständig Holzspäne auf dem Boden lagen“, erzählt er lachend. „Wir machten unsere Ausrüstung buchstäblich selbst, bis auf die Drums. Wir waren besessen von der Idee, das größte Equipment zu besitzen, das man je gesehen hatte.“
Tatsächlich waren die Aussichten darauf recht gut. Wenn man heute etwa die Verstärkeranlage der Pirates auf Fotos betrachtet, bekommt man beinahe Mitleid, so mickrig nimmt sich deren Ausrüstung gemessen an modernen Ansprüchen aus. Jede aktuelle Amateurband würde sich heute weigern, mit derart lächerlichen Mitteln aufzutreten.
Roger hatte den technischen Aspekt des Rock’n’Roll früh erkannt und entsprechende Maßnahmen ergriffen: „In unseren Boxen gab es zwar auch nur diese kleinen Zwölf-Inch-Lautsprecher – aber von außen sahen sie aus wie der Wohnzimmerschrank meiner Mutter. Die Leute staunten: ‚Wow, die Jungs müssen gut sein, schaut euch bloß ihre riesige Anlage an!‘“ Zu den selbstgefertigten Lautsprechern und dem tragisch ererbten Vox AC-15, den sich Pete und Roger teilten, kam im Lauf der Zeit noch ein zweiter identischer Vox-Verstärker hinzu, der Johns alten Goodman-Lautsprecher und Rogers Decca-Mono-PA unterstützte. Diese Gesangsanlage muss ein recht explosives, vielseitiges Teil gewesen sein, denn es wird berichtet, dass ihre Ventile bei der kleinsten Berührung hochgingen, sonst aber zum Trocknen der kleinen Grampian-Mikrofone benutzt wurden: „Großartige, hübsche Dinger, diese Mikros“, erinnert sich John, „aber sie wurden immer leiser, je länger man sang und zwangsläufig in sie hineinsabberte. Wir hatten deswegen immer eine Anzahl Ersatzmikros über dem Ventilgebläse zum Trocknen.“
John hatte inzwischen auch seinen ersten richtigen Bass. Es war ein echter Fender Precision Bass, Baujahr 1961, den er von Gabby übernommen hatte, indem er dessen Restschuld von fünfzig Pfund übernahm: „Er hielt den Bass unterm Bett seiner Freundin versteckt, weil er die Raten nicht mehr bezahlen konnte.“
Johns größtes Problem war aber noch ungelöst: „Ich begann ja mit dem Achtzehn-Inch-Lautsprecher von Goodman,“ – das war mit etwa fünfzig Zentimetern Durchmesser in der Tat ein beeindruckendes Teil – „der in einer selbst geschreinerten Holzkiste ohne Rückwand lebte. Die war so schwer, dass sich der Rest der Band weigerte, den riesigen Kasten zu schleppen. Also kamen wir auf die Idee, den Lautsprecher an einen langen Nagel zu hängen und in einem großen bemalten Karton zu transportieren. Es sah sehr echt aus, aber konsequenterweise plumpste der Lautsprecher jedes Mal vom Nagel, wenn ich die tiefe E-Saite anschlug.“
Es müssen diese frustrierenden Erfahrungen gewesen sein, die John in den Musikshop von Jim Marshall trieben. Marshall war selbst Musiker gewesen und hatte als Schlagzeuger mit Petes Vater in einer Band gespielt. 1960 eröffnete er einen kleinen Laden in Nord-London, der zunächst nur Schlagzeugbedarf führte. Aber die Drummer brachten oft Bassisten und Gitarristen mit. Gespräche mit Pete, der oft mit John bei Marshall herumhing, und mit anderen elektrischen Saitenkünstlern überzeugten Marshall schließlich, auch Verstärker und Gitarren ins Programm aufzunehmen.
Damit kam eine Lawine ins Rollen. Der findige Musikalienverkäufer erkannte rasch, dass er die teuer aus den USA importierten Markengeräte von Fender für gleiches Geld selbst herstellen konnte. Auf der Basis des damals sehr populären Fender Bassman entwickelte er einen eigenen Verstärker, mit einer geschlossenen Box, die größere Lautsprecher enthielt als die Originalvorlage von Fender. Und einer der ersten, die diesen neuen Marshall-Verstärker mit vier Zwölf-Inch-Lautsprechern kauften, war John Entwistle: „Ich war aber nicht der allererste, sondern das war ein Typ, der in einer Band namens The Flintstones spielte. Ich kaufte den zweiten … und den vierten … und den sechsten und achten. Und Pete kaufte die dazwischen.“
Im September 1963 erschien im Melody Maker eine Marshall-Anzeige, die The Detours als Kunden auflistete. Johns Probleme waren also gelöst, seine tiefe E-Saite durfte aufatmen, und er konnte sie nun nach Belieben einsetzen.
Auch Pete hatte seine Ausrüstung verbessert. Vor allem kaufte er nach Rogers Wechsel ans Mikro dessen schicke weiße Epiphone, gegen sehr moderate Teilzahlungen, und begann, mit dieser seiner ersten Solidbody-Gitarre zu experimentieren. Wenn die Band im Oldfield Hotel auftrat, meistens samstags und donnerstags, stellte Pete seinen Verstärker auf einen Stuhl, einmal auch auf das Piano, und dabei entstanden seltsame Störgeräusche, ein plötzliches Blubbern und verzögertes Kreischen, vor allem, wenn er seine Gitarre in eine Linie mit dem Verstärker brachte. Der Effekt gefiel ihm. Erstens konnte man damit das Publikum irritieren, wenn es mal wieder wegen einer R&B-Nummer maulte, was häufig vorkam, weil die meisten Klubbesucher lieber Songs aus den aktuellen Hitlisten hören wollten. Und zweitens interessierte er sich seit einiger Zeit grundsätzlich für fremdartige Klänge und Geräusche.
Dazu hatte ihn eine Aufführung angeregt, die einer seiner Freunde, Dick Seaman, an der Kunstakademie organisiert hatte. Seaman war Fan eines geheimnisumwitterten Genies, das sich Thunderclap Newman nannte. Newmans Vorname war eigentlich Andy, und er war Postangestellter. Er hatte bis dahin noch nie vor Publikum gespielt, sondern ausschließlich zuhause oder in einer leeren Kirche, wo er mit Klängen und Tönen laboriert hatte. Dick besaß einige rare Mitschnitte der experimentellen Konzerte, und Pete hörte sie ständig. Newmans gespenstische, zarte, verhallende Klänge und die verschachtelten Arrangements inspirierten ihn. (Später brachte er ihn mit dem Gitarristen Jimmy McCulloch zusammen und produzierte ihren großen Hit „Something In The Air“.)
An der Kunstschule gab Newman zur Mittagszeit im Vorlesungssaal ein denkwürdiges Pianokonzert. Von einem tickenden Metronom begleitet und ohne auch nur einmal ins Auditorium zu blicken, sang und klimperte er eine bizarre Eigenkomposition, bis er nach einer Stunde vom Klavier getrennt werden musste. Seine Erscheinung, die der eines verwirrten Erfinders glich, dick bebrillt, bärtig, in schmuddelige Klamotten gehüllt, hinterließ einen bleibenden Eindruck bei den Studenten. Ein Meister lebte unerkannt zwischen ihnen!
Pete und Barney hängten sich an die Fersen des bauchigen Unikums: „Wir folgten ihm, hinter Autos verborgen, vollkommen ergriffen und staunend vor Ehrfurcht und Bewunderung für seine schrullige Genialität.“ Bald stand ihr Guru in der Sunnyside Road und hielt Privatvorträge über den verstorbenen Jazzmusiker Bix Beiderbecke. Vor allem aber brachte er Pete Aufnahmetechniken wie die Grundlagen des Multitracking nahe. Newman hatte es geschafft, im Schlafzimmer seines Elternhauses mit zwei Mono-Kassettenrekordern bis zu zwanzig Instrumentalspuren übereinander zu legen. „Bevor ich überhaupt wusste, was eine Tonbandaufnahme ist, arbeitete er schon mit Vogelstimmen, Aufnahmen von Dampflokomotiven und Spezialeffekten wie Hall und Echo“, erzählte Pete dem Zig-Zag Magazine.
Pete beschäftigte sich nun ebenfalls mit Aufnahmetechnik, nicht zuletzt deshalb, weil er wie Newman die Notenschrift nicht ausreichend beherrschte, um seine eigenen musikalischen Einfälle schnell festzuhalten. Denn Mitte 1963 machte Pete auch seine ersten tastenden Schritte als Songwriter.
In jenem Sommer schafften die Beatles mit „Love Me Do“ ihren endgültigen Durchbruch im Musikgeschäft. Die meisten Bands versuchten die Fab Four daraufhin unverzüglich zu kopieren, um auf der weichen, geldträchtigen Merseybeatwelle mitzuschwimmen. Auch The Detours nahmen einige Beatles-Songs in ihr Repertoire auf – die sie allerdings bald wieder vergaßen, weil ihnen das Konzept der rauen Londoner R&B-Bands weit mehr imponierte. Von den Beatles konnte und musste man freilich etwas lernen, wenn man im Business bestehen wollte –und das war, wie man eigene Kompositionen schreibt.
Um zu begreifen, welche Revolution die Beatles in der Unterhaltungsmusik auslösten, muss man wissen, dass Musikgruppen vor ihnen lediglich als bezahlte Erfüllungsgehilfen von Produzenten und Komponisten fungierten, die sich für ausgewähltes Liedgut die nach ihrer Meinung besten Interpreten suchten oder nach Belieben zusammenstellten. Die Beatles aber schrieben ihre Musik selbst. Sie hatten Erfolg damit – und kassierten auch die Tantiemen dafür. Erst diese Errungenschaft ermöglichte den kreativen Aufbruch in der Popmusik, von dem heute noch alle selbst komponierenden Musiker profitieren. Vor den Beatles hätte es kaum jemand für möglich gehalten, dass ein Musiker erfolgreiche Songs verfassen, arrangieren und auch noch selbst vortragen könnte. Indem die Beatles die Trennung zwischen Songwriter und Interpret aufhoben, schufen sie eine grenzenlose Freiheit in der Unterhaltungsmusik. Alles schien möglich, und alles erschien auf einmal interessant. Also versuchte jede Band, die etwas auf sich hielt und ernsthaft im Musikgeschäft Fuß fassen wollte, eigene Songs zu komponieren. The Detours hatten die Zeichen der Zeit ebenfalls erkannt: Wenn sie den Durchbruch schaffen wollten, brauchten sie erfolgversprechendes eigenes Material.
Rogers Versuche, sich als Komponist zu betätigen, scheiterten allerdings schon im Ansatz: „Ich würde wirklich nichts lieber als gute Songs schreiben können, aber dafür fehlt mir leider das Talent“, erkannte er. Roger war ein geborener Darsteller seiner selbst, ein instinktsicherer Interpret, der Stücke genau analysieren konnte. Er wusste um seine Grenzen, auch als Sänger, und beschränkte sich deswegen darauf, die passenden Nummern für die Detours auszuwählen und bespielbar zu machen.
Interessanterweise sorgte eben diese Beschränkung ihres Leadsängers dafür, dass die Detours nicht wie alle anderen Bands zu jener Zeit klangen. Flauschige Balladen zu singen wie die Beatles oder die Hollies wäre für Roger (wie auch für John oder Pete) undenkbar gewesen. Er war kein Melodiker wie die wohltemperierten Vokalisten der Merseybands, und er fühlte sich auch nicht den am Leben oder an der Liebe leidenden schwarzen Bluesmusikern verwandt. Roger war ein ruppiger, zorniger Cockney-Heißsporn, der in der Musik die einzige Chance sah, einem drohenden Fabrikarbeiterleben zu entkommen – und er war sich dessen vollkommen bewusst.
Erst innerhalb dieser Grenzziehung entwickelten The Detours ihr eigenständiges Repertoire, ihre Interpretation von Rock’n’Roll, zwischen Rhythm & Blues, zwischen Elvis und James Brown, zwischen Pop und Beat. Erst Rogers Grenzen als Leadsänger ermöglichten der Band den Durchbruch zur Rockmusik, wie man sie heute versteht und wofür The Who später reich und berühmt wurden. Rogers Limitationen sorgten dafür, dass die Detours einen kompromisslosen und authentischen Weg einschlugen, der bis dahin noch niemandem eingefallen war.
Der Band fehlte aber immer noch ein Songwriter, der passendes Material lieferte, das Roger singen konnte. John, der als Nächstliegender dafür in Frage gekommen wäre, verzweifelte am klassischen Wissen, das er aufgrund seiner musikalischen Ausbildung besaß: „Zu wissen, welcher Akkord als nächstes kommen sollte, behinderte mich beim Schreiben enorm. Ich konnte nichts zustande bringen, was nicht gewöhnlich geklungen hätte.“
Blieb Pete. Der war unbefangen, offen und an seiner Unsicherheit ausreichend verzweifelt, um selbst die verrücktesten Ideen in Erwägung zu ziehen. Er hatte einen musikalischen Hintergrund, war trotzdem unverbildet und konnte seine Ideen formulieren. Vor seinem Kunststudium hatte er sogar daran gedacht, sich der Literatur zu verschreiben oder als Journalist zu beginnen. Als Pete im Sommer 1963 Bob Dylan hörte, fügte sich plötzlich alles in ihm zusammen: „Mir wurde klar, dass ein Songwriter ein ganz normaler Mensch ist, der mit seinen Erinnerungen arbeitet.“
Als Pete später einmal gefragt wurde, wer ihn musikalisch am meisten beeinflusst habe, nannte er drei Namen: „An erster Stelle Bob Dylan, dann Brian Wilson. Nummer drei ist Ray Davies, der mir zeigte dass es auch einen englischen Weg gibt.“ Dylan hatte es ihm anscheinend besonders angetan. Mitbewohner Barnes erinnert sich, dass Pete die Platten des näselnden Sonderlings schier endlos abspielte: „Dylan und hauptsächlich das Stück ‚All I Really Want To Do‘ brachten ihn auf die Spur, eigene Songs zu schreiben.“
Pete trug fortan ein Notizbuch mit sich herum, in das er seine Einfälle und musikalischen Entwürfe eintrug. Er setzte sich mit der Gitarre hin, schusterte an den wenigen Zeilen herum, die er bis dahin zuwege gebracht hatte, und versuchte, wie seine erfolgreichen Vorbilder zu klingen.
Eine seiner frühen Nummern, die er schon mit sechzehn, also 1961 oder 1962, skizziert haben will, erschien den Detours aussichtsreich genug, um davon ein Demoband anzufertigen. Der Song hieß „It Was You“ und hörte sich verdächtig nach Merseybeat an; aber Petes Vater und auch der Vater von Peter Wilson, dem Ex-Bandkollegen ihrer Schulband, kannten einen Produzenten, der im Auftrag der BBC Kindersendungen aufnahm, und so ermunterten beide die Band, es einfach damit zu versuchen.
Also machten sich Pete, Roger, John und Doug an einem Sonntagabend, vermutlich im Herbst 1963, auf den Weg zu Barry Gray. Dessen Heimstudio befand sich im Keller seines Hauses und war laut John nur rudimentär ausgestattet. Trotzdem wurde ein Tonband produziert, das neben „It Was You“ noch eine weitere Townshend-Komposition enthielt, die „Please Don’t Send Me Home“ hieß und von John gesungen wurde. Als drittes Stück nahm die Band eine Coverversion von Chuck Berrys „Come On“ auf, mit Roger an der Mundharmonika. Solcherart professionell für den Sturm auf die Charts gerüstet, rechnete die stolze Gruppe natürlich mit dem sofortigen Durchbruch; aber nichts weiter geschah, als dass das Demoband erfolglos durch verschiedene Hände wanderte.
The Detours spielten „It Was You“ noch einige Zeit live auf der Bühne, wo es laut Pete auch „gut aufgenommen wurde“. Doch von den angeschriebenen Plattenfirmen meldete sich nie jemand. Erst im folgenden Jahr nahmen The Who das Stück noch einmal unter professionellen Umständen auf; später wurde es von zwei anderen Bands übernommen: von der britischen Formation The Fourmost, die es auf einer B-Seite veröffentlichte, und von den Naturals in den USA. Doch all diese Versuche blieben ohne Erfolg.
Etwas fehlte der Band, das fast noch entscheidender war als gute eigene Songs. Es genügte nicht, hartnäckig und diszipliniert am Durchbruch zu arbeiten wie Roger, ehrgeizig und fleißig sein Instrument beherrschen zu lernen wie John oder sich für die Kunst zu öffnen und einen eigenen Weg zu suchen wie Pete. Der Wille zum Erfolg ist notwendig, wenn man nach oben kommen will; doch noch wichtiger ist der unbedingte Glaube an sich selbst, an die Stärke der eigenen Gruppe; dass man stolz darauf ist, ihr anzugehören und diesen Stolz auch nach außen trägt. Aber dazu war keiner der vier Detours in der Lage; dazu bedurfte es der Dreistigkeit eines wild trommelnden Halblings, der genau besehen keine andere Wahl hatte, als reich und berühmt zu werden.