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Geschlechter- und Familienvorstellungen

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Die extreme Rechte vertritt traditionalistische Vorstellungen von Familie und von Geschlechterrollen. Als gesellschaftliche Grundeinheit und als Ideal gilt ihr die heteronormative, also aus Mann und Frau sowie Kindern zusammengesetzte Kernfamilie, die bevorzugt an einen größeren und weitere Generationen übergreifenden Familienverbund angeschlossen ist. Die Besonderheit der rechtsextremen Vorstellungen von Familie ist die Rigidität, mit der sie vertreten werden. Die Bedeutung heteronormativer Familien wird meist mit ihrer reproduktiven Funktion begründet. Individuelle Entscheidungen, wahrgenommenes Glück und die Lebensqualität der Menschen sind ihr tendenziell nachrangig. Dass die »klassische« Familie der Ort ist, an dem sexualisierte Gewalt vorrangig stattfindet, wird ignoriert und die Kernfamilie als Organisationsgrundlage der Gesellschaft verabsolutiert. Ihr wird ein geradezu ewiger Wert zugesprochen, obwohl sie tatsächlich ein Produkt der industriellen Revolution ist.

Liberalisierungsprozesse – weit mehr als jede dritte Ehe wird heutzutage geschieden – gelten als Bedrohungen des nationalen Zusammenlebens. »Regenbogen«-Familien, alleinerziehende Elternschaft und andere Optionen, die die Möglichkeiten des familiären Lebens erweitern, werden genauso problematisiert. Auch wenn die meisten Rechtextremen in ihrer Lebenspraxis die Möglichkeiten gesellschaftlicher Auflockerungen für sich selbst durchaus in Anspruch nehmen, bleibt das »bürgerliche« Modell von Familie ihr Ideal. Zumindest betrifft dies Deutsche im völkischen Sinne – Menschen mit Migrationsgeschichte wird – in rassistischer Logik durchaus konsequent – nicht selten gerade das Festhalten an traditionellen Familienvorstellungen und Geschlechterrollen und ein damit verbundener Kinderreichtum vorgeworfen.

Die Forscherin Renate Bitzan weist darauf hin, dass im Rechtsextremismus – wie selbstverständlich auch in weiten Teilen der Gesellschaft – von zwei aufs Deutlichste zu unterscheidenden Geschlechtern ausgegangen wird. In Absehung sozialwissenschaftlicher Erkenntnisse aber auch in Absehung eines Bundesverfassungsgerichts-Urteils von 2017, das die Geschlechtskategorie »divers« ermöglichte, beharren Rechtsextreme auf einer strikten, biologisch begründeten Einteilung in Männer und Frauen. Die Existenz von Inter- oder Transsexualität wird verleugnet oder als krankhaft dargestellt. Nicht heterosexuelles Leben – also etwa Homosexualität – betrachten Rechtsextreme als einzuhegendes Problem, schon weil es mit ihrem Familienideal kollidiert.

Die Vorstellungen über die Rollen der Geschlechter sind im Rechtsextremismus analog dazu ausgesprochen traditionalistisch und werden auf biologische Veranlagungen zurückgeführt. Die sozialen Geschlechterrollen sind aus Sicht von Rechtsextremen natürliche Tatsachen, die nur durch Störungen aus der Balance geraten sind: wenn endlich keine schädlichen Ideologien die vermeintlich natürliche Ordnung mehr bedrohten, könnten Frauen wieder Frauen und Männer wieder Männer sein. Das Spektrum der als akzeptabel und erstrebenswert geltenden Männlichkeitsund Weiblichkeitsmodelle ist vergleichsweise eng. Kampf, Kultur, Politik und Herrschaft gelten im Rechtsextremismus als männliche Sphären, während Reproduktion, Fürsorge, Natur, Privatheit und Ausgleichsstreben als weiblich betrachtet werden. Von Rechtsextremen wird zumeist betont, dass die Geschlechter zwar als »nicht gleichartig« aber als »gleichwertig« anzusehen seien, da sie sich in der Form der Familie gegenseitig komplettierten. Tatsächlich ist (beispielsweise soldatisch, hypermaskulin oder proletarisch geprägte) Männlichkeit jedoch die ausgesprochene oder unausgesprochene Norm, und ihr ist Herrschaft und Gestaltung der Gesellschaft vorbehalten. Der rechtsextreme Funktionär Martin Sellner forderte 2015, dass »der schlafende Furor teutonicus, das ewig unzivilisierbare, urdeutsche Fieber« wiedererweckt werden müsste. Solche Appelle beschwören eine kämpferische, archaische Männlichkeit und verorten die Pflicht und Fähigkeit zum politischen Handeln bei Männern. Explizit proklamierte der AfD-Politiker Björn Höcke im gleichen Jahr: »Nur, wenn wir unsere Männlichkeit wiederentdecken, werden wir mannhaft. Und nur, wenn wir mannhaft werden, werden wir wehrhaft, und wir müssen wehrhaft werden!«

Maskulinität kommt im rechtsextremen Geschlechtermodell also die vorrangige politische Entscheidungsgewalt zu. Der Feminismus wird als universalistische und zerstörerische Tendenz abgelehnt und für sittlichen Verfall, Entmännlichung der Männer, für Kinderarmut und Abtreibungen verantwortlich gemacht. Bis auf seltene Ausnahmen betonen auch weibliche Rechtsextreme ihren Antifeminismus. Eine Befreiung von Frauen wird dennoch zuweilen in Aussicht gestellt. Damit gemeint ist zweierlei: Zum einen die Befreiung hin zu den als gefährdet angesehenen traditionellen Geschlechterrollen, also ihre Restauration gegen die Ziele des Feminismus. Zum anderen werden Frauenrechte positiv angesprochen, allerdings in der Regel durch ihre Ethnisierung. Die deutschen Frauen müssten vor Bedrohungen durch männliche Zuwanderer geschützt werden.

Auch wenn es homosexuelle Rechtsextreme gibt, ist die Homophobie wesentlich schärfer ausgeprägt als in anderen Teilen der Gesellschaft. Bekannte Homosexuelle in den eigenen Reihen werden eher nur geduldet und müssen potenziell mit Anfeindungen aufgrund ihrer Sexualität rechnen.

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