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Religion

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Die Frage, welche Position sie zur Religion beziehen soll, ist für die extreme Rechte von einiger Bedeutung. Je nach Spektrum fallen die Antworten unterschiedlich aus. Auch wenn es durchaus Schnittmengen gibt, ist die extreme Rechte selbst vom religiösen Fundamentalismus zu unterscheiden. International und in der Geschichte hat es aber durchaus Beispiele gegeben, in der rechtsextreme Ideologie und die organisierte Religion eng miteinander verknüpft wurden, etwa im spanischen Franquismus. Im Nationalsozialismus gab es christlichen Widerstand, aber eben auch christliche Kreise, die das NS-Regime begrüßten und mit ihm kooperierten.

In ihrer Mehrheit nimmt die extreme Rechte für sich in Anspruch, Verteidigerin des »Abendlandes« zu sein. Dieser Begriff wurde in der Geschichte der Rechten mit unterschiedlichen Bedeutungen unterlegt und beispielsweise mit dem Reichsgedanken verknüpft. Inbegriffen war eine Deutung des Abendlandes als Überbegriff für das christliche Westeuropa mit Deutschland im Zentrum. Die christliche Tradition wurde als ein zu schützender oder wiederherzustellender Kernbestandteil der europäischen Kultur betrachtet. Mit nationalistischen Ideen vereint wurde das Christentum an die eigenen Europakonzeptionen gekoppelt. In nicht geringen Ausmaß bildeten sich dabei auch konfessionelle Auseinandersetzungen zwischen Katholizismus und Protestantismus ab. Die historische völkische Bewegung war beispielsweise größtenteils antikatholisch ausgerichtet.

In jüngerer Zeit sind die Bezüge, die die extreme Rechte auf Christentum und Abendland nimmt, nicht unbedingt seltener geworden, aber sie haben sich entkonkretisiert. An den großen Kirchen wird zumeist harsche Kritik geübt. Ihnen wird vorgeworfen, zu zeitgeistkonform zu agieren. Stellenweise kommt es hierbei zu Überschneidungen von christlichen Rechten mit dem Rechtsextremismus. Als abstrakter Bestandteil des europäischen und damit auch deutschen Erbes wird das Christentum jedoch viel häufiger und auf vielfältige Weise beschworen. Dabei spielen in der Gesamtheit die konkreten religiösen Inhalte und Praktiken eine immer geringere Rolle. Die im weithin säkular geprägten Ostdeutschland ansässigen »Patriotischen Europäer gegen die Islamisierung des Abendlandes« (Pegida) erklärten in einem früh veröffentlichten Manifest ausdrücklich, »den Schutz unserer christlich-jüdisch geprägten Abendlandkultur« erreichen zu wollen. Im tatsächlichen Aktivismus dieses Zusammenschlusses spielt das Christentum – vom Judentum ganz zu schweigen – hingegen kaum eine Rolle. Aus dem Dunstkreis der »Identitären Bewegung« wird stellenweise gleichfalls eine Re-Christianisierung des Abendlandes gefordert, obgleich diese rechtsextreme Gruppe keineswegs christlich geprägt ist. Der Bezug auf das Christentum dient in solchen Zusammenhängen eher als ein Symbol für die angestrebte Stärkung von Traditionen. Es wird in erster Linie nicht als konkreter Glaube adressiert, sondern dient als Merkmal, durch das sich Europa und Deutschland von anderen Regionen der Welt abgrenzen lasse.

Die Idee eines christlichen Abendlandes ist freilich nicht ohne ein entsprechendes Gegenstück zu denken. Das »Morgenland« und mit ihm der Islam wird von der extremen Rechten als Gegenentwurf zu den eigenen Werten präsentiert und ist im antimuslimischen Rassismus zu einem umfassenden Feindbild ausgebaut worden. Manche Rechtsextreme zeichnen den Islam dabei als unzivilisiert und zivilisationszerstörend, als eine durch und durch totalitäre und aggressive Ideologie. Friedfertigkeit und Kultur seien die dagegen zu verteidigenden christlichen Werte. Andere Rechtsextreme erkennen den Islam als eine – konkurrierende – Kultur an, die zwar in Deutschland und Europa raumfremd sei, jedoch in »ihren« Weltregionen eine Daseinsberechtigung habe. Die erste Variante nutzt zumeist die drastischere Rhetorik, und verunglimpft den Islam beispielsweise als Pädophilenreligion. Gleichzeitig aber eignet sie sich universalistische und mit dem Rechtsextremismus schwer in Übereinstimmung zu bringende Begriffe an: Der Islam sei barbarisch und müsse im Interesse von Menschenrecht und Grundgesetz abgewehrt werden. Die zweite Variante ist in dieser Hinsicht konsequenter und radikaler, da sie Universalismus und Menschenrecht von vorneherein verwirft. Eine strenge Segregation von Islam und Christentum, von Abendland und Morgenland ergebe sich weniger aus bestimmten behaupteten oder tatsächlichen Charakteristika des Islam, sondern allein daraus, dass der Islam nicht zum »Eigenen« gezählt wird.

Dem Islam werden zuweilen sogar positive Eigenschaften zugeschrieben. Durch Aufklärung, Marxismus, Feminismus und andere Einflüsse verursachte Zerfallsprozesse hätten eine Erschlaffung und Entmännlichung der deutschen und verwandter Gesellschaften bewirkt – eine »thymotische Unterversorgung«, wie es zuweilen in Anlehnung an einen Begriff aus Platons Philosophie formuliert wird. Ein Wiedererwecken von Kampfgeist und Aggressivität sei darum nötig, also explizit keine Stärkung der Zivilisation, sondern das Abschneiden eines »überzivilisierten« Überhangs zur Rettung derselben. Im Islam und speziell unter männlichen Muslimen hingegen seien diese gesunden Regungen lebendig und könnten auf dieser Ebene als Vorbild zur Rettung des Eigenen dienen. Durch einige weitere Anknüpfungspunkte, beispielsweise in den Feldern des Antisemitismus und Antiamerikanismus, gibt es zudem gewisse inhaltliche Konvergenzen zwischen Teilen des Rechtsextremismus und dem islamistischen Fundamentalismus. Versuche zur konkreten politischen Zusammenarbeit sind jedoch bisher marginal geblieben.

Besonders im Neonazismus sind hingegen auch neuheidnische und radikal antichristlich-antisemitische Positionen zu finden. Das wiederherzustellende Ideal wird hier im Unterschied zu anderen Strömungen des Rechtsextremismus nicht als Mythos einer in der christlich-abendländischen Welt angesiedelten Nation entworfen. Stattdessen werden nordische, germanische und vorchristliche Traditionen angesprochen und als Vorbild inszeniert. Das Christentum wird als Verlängerung des Judentums diffamiert. Es handele sich um eine letztlich jüdische Erfindung, die in Europa unterdrückerisch und gewaltsam durchgesetzt worden sei. Christliche Konzepte wie die »Nächstenliebe« widersprächen der Natur des Menschen bzw. der Natur der weißen »Rassen« und seien Ausdruck von Schwäche. Zur Befreiung von der Fremdherrschaft müsste daher das Christentum überwunden werden und an seine Stelle eine neu zu entdeckende heidnisch-germanische Religiosität treten. Manche Kleingruppen wollen einen »Artglauben« einführen, in dem die Vergöttlichung der europäisch-weißen »Rassen«, also die Vergottung des eigenen »Blutes«, im Zentrum steht. Weniger als tatsächliche Glaubenspraxis aber in Form eines symbolischen Repertoires haben heidnische Vorstellungen im subkulturellen Rechtsextremismus einen bedeutenden Einfluss. Zahlreiche Rechtsrockbands besingen Gottheiten wie Thor oder nutzen Runen- Schriftzeichen oder den Thorshammer (Mjölnir) als Embleme.

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