Читать книгу Mythen, Macht + Menschen durchschaut! - Christoph Zollinger - Страница 10
Оглавление23. September 2013
Nr. 97
Nachhaltig – Programm oder Etikettenschwindel?
Nach der Klärung, was hier unter »nachhaltig« verstanden wird, kann der persönliche Entscheid gefällt werden: ein einfaches und ehrliches Prinzip zu befolgen, wofür die nächsten Generationen dankbar sind.
Der Begriff hat eine spektakuläre, weltweite Karriere hinter sich: nachhaltig – sustainable oder Nachhaltigkeit – sustainability. Kein Tag, ohne dass wir nicht davon hören oder lesen. Allerdings verstehen die Absender dieser Botschaften darunter völlig Unterschiedliches. In der Werbung, in Geschäftsberichten von Konzernen oder in politischen Diskussionen überwiegen ab und zu die missbräuchlichen Anwendungen – das nennen wir dann Etikettenschwindel. Nicht ganz unschuldig am Durcheinander im deutschen Sprachraum ist der Duden, der es bis heute nicht geschafft hat, auch zeitgemäße Definitionen nachzutragen.
Im Duden lesen wir beim Nachschlagen des Wortes Nachhaltigkeit: »sich auf längere Zeit stark auswirkend; (…) forstwirtschaftliches Prinzip, nach dem nicht mehr Holz gefällt werden darf, als jeweils nachwachsen kann.« Im Duden online ist eine weitere Definition eingefügt, die der Sache schon etwas näherkommt: »(…) Prinzip, nach dem nicht mehr verbraucht werden darf, als jeweils nachwachsen, sich regenerieren, künftig wieder bereitgestellt werden kann.«
Natürlich heißt es das. Doch zu Beginn des 21. Jahrhunderts versteht die Welt darunter etwas viel Umfassenderes: »Entwicklung, die die Bedürfnisse heutiger Generationen erfüllt, ohne die Voraussetzungen künftiger Generationen, ihre Bedürfnisse dereinst ebenfalls erfüllen zu können, einzuschränken (UNO-Leitbild).« Oder: »Nachhaltige Entwicklung basiert auf der Idee der gleichzeitigen und gleichberechtigten Umsetzung umweltbezogener, sozialer und wirtschaftlicher Ziele.«
Dafür steht im angelsächsischen Raum das Wort sustainable – klipp und klar. Für den altehrwürdigen Begriff nachhaltig gilt wie eh und je die Übersetzung lasting, ongoing – also anhaltend, dauerhaft, beständig. Und das ist ein großer Unterschied.
Eine nachhaltige Entwicklung zu beachten geht also weit über den Gummibegriff der PR-Strategen hinaus. Die UNO hat 1983 (»Brundtland-Kommission«) dies so definiert: Generationenübergreifend denken und handeln. Sich ressourcenschonend verhalten, auch zuhause. Nicht erneuerbare Energie sparen und, wo möglich, ersetzen. Sozial verträglich politisieren und wirtschaften. Umweltbewusste Mobilität anstreben usw.
Im Übrigen kann man es drehen und wenden, wie man will: Unternehmen wie z.B. Zigarettenproduzenten, Erdölmultis, Rohstoffabbaufirmen, Zementkonzerne oder auch Chunkfood-Anbieter können obige Kriterien nicht erfüllen. Dies ist nicht despektierlich gemeint.
Gemäß verlässlichen Sustainability Ratings belegt von den großen Multis Unilever Platz eins, dies dank seines konsequenten Engagements in den Bereichen Nachhaltige Landwirtschaft und Fischerei sowie in der effizienteren Nutzung von Wasser bei der Produktion. Paul Polman, der Chef dieses Konsumgüterkonzerns, kümmert sich in vorbildlicher Weise darum. Er hat erkannt, dass immer mehr Konsumenten und Aktionäre von ihren Unternehmen nachhaltiges Geschäften verlangen.
Urteilen Sie bitte selbst darüber, wovon die UBS spricht, wenn sie in ihren Corporate-Governance-Grundsätzen von »Erreichung eines nachhaltigen Wachstums« spricht. Oder wenn Glencore Xstrata ankündigt, 2013 erstmals einen »Sustainability Report« publizieren zu wollen …
Erstaunlich ist es, wenn ein Fachjournalist in der NZZ (»Green Economy« – nur aufgewärmter Malthusianismus) seinen Meinungsjournalismus ausbreitet, in dem er seine selektive Wahrnehmung dokumentiert. »Im Namen der Nachhaltigkeit wird eine planwirtschaftliche Umverteilungsmaschinerie in Gang gesetzt, die den Mangel und die Armut erst schafft, die sie zu bekämpfen vorgibt.« In diesem Beitrag wird zwar richtigerweise der betrübliche Trend kritisiert, dass einige Rohstoff- und Nahrungsmittelkonzerne begonnen haben, sich durch Produktion von Biotreibstoffen aus Soja, Mais oder Raps CO2-Gutschriften ausstellen zu lassen. Diese politisch geförderte Verirrung hat aber mit sustainability so wenig zu tun wie die Unterstellung, nachhaltiges Geschäften führe zu Planwirtschaft.
Die Versöhnung von Ökonomie und Ökologie ist dem Wort Nachhaltigkeit immanent. Das Subsystem Ökonomie müsste im Größeren, im System Biosphäre eingebettet sein. Heute hat man manchmal den Eindruck, es sei umgekehrt.
Rudolf Wehrli, (ehemaliger) Präsident von Economiesuisse, hat in seinem ersten Amtsjahr das Thema »Nachhaltigkeit in allen Bereichen« ins Zentrum der Aufmerksamkeit gestellt. Nachhaltigkeit werde meist ökologisch verstanden, genauso wichtig seien aber auch die ökonomische und soziale Nachhaltigkeit. Erstere etwa sei ohne die letzten beiden nicht zu haben, wird er zitiert. Die mit Nachhaltigkeit angeschriebene Economiesuisse-Verpackung ist neu. Doch, Achtung: Es darf die Wirtschaft nichts kosten. Ob Wehrli, der gelernte Theologe und Philosoph, da nicht Wasser predigte und Wein trank?
Wie steht es bezüglich Ihres persönlichen, nachhaltigen Handelns? Welchen Fußabdruck hinterlassen Sie? Ein Vorschlag: Sie können an einem verregneten Sonntag im Internet mehr darüber erfahren. Swiss Climate liefert nicht nur ausgezeichnete Beratung. Unternehmen können da ihren Carbon Footprint erfahren. Auch WWF Schweiz bietet verschiedene, persönliche Testmöglichkeiten. Ecological Footprint bietet gar ein Ecological Footprint Quiz an. Auf Global Footprint Network ist nicht nur der wissenschaftliche Hintergrund solcher Fußabdruck-Erhebungen erklärt. Da gibt es auch einen Foodprint-Index der Nationen und einen über Finanzen. Und natürlich auch einen über Ihren persönlichen »Abdruck«.
Neuerdings können Sie sogar erfahren, welchen Footprint Ihr angelegtes Geld hinterlässt. Haben Sie damit schon einmal Arbeitsplätze geschaffen? Etwas Neues erfunden? Menschen ausgebildet? Energie gespart? Der Globalance Portfolio Footprint klärt Sie über die Auswirkungen Ihres Portfolios auf. Fällt der Check positiv aus, umso besser.
Ob Einzelperson, Familie oder KMU – indem Sie eine individuelle Philosophie für Nachhaltigkeit entwickeln, Ihr persönliches Programm sozusagen, handeln Sie verantwortungsbewusst gegenüber den Nachfolgegenerationen. Wirtschaft, Gesellschaft, Umwelt nachhaltig zu verstehen, ist ein einfaches, günstiges und ehrliches Prinzip.