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15. Juni 2013

Nr. 87

Transparenz als System

Philosophisches Update nach 2500 Jahren (Teil 5)

Die Geburtsstunde der Demokratie liegt 2500 Jahre zurück. Transparenz und Information, jene Grundlagen dieses Systems und die Anforderungen an Politiker, sind geradezu beunruhigend modern.

»Programme entwerfen, Perspektiven aufzeigen, Visionen eröffnen. Dies ist die Domäne der Politiker. Transparenz bildet die selbstverständliche Grundlage dieses Systems. Hohe Anforderungen gelten für jene, die das Wort ergreifen. Zu diesen Tugenden zählen: Intelligenz, Schlagfertigkeit, Sachkunde, Selbstbewusstsein. Die guten Rhetoriker sind gewaltig im Vorteil. Allerdings: Die Redefertigkeit von Demagogen, Volksführern ohne Rechenschaftspflicht, kann dazu führen, dass in Lebensfragen Rhetorik statt Sachverstand und Karrieredenken statt Verantwortungsbewusstsein den Ausschlag geben« (»Perikles«, Carl Wilhelm Weber).

Kurz und bündig, hochaktuell und unbestritten, liest sich diese »zeitgemäße« Charakterisierung eines demokratischen Systems. Doch Achtung! Formuliert wurde sie zur Glanzzeit Athens, als die einzigartige Kultur der griechischen Antike erblühte. Vor 2500 Jahren …

Perikles hat jener Epoche den politischen Stempel aufgedrückt. In dieser Kolumne ist diesmal nicht die Rede von den Überlieferungen der großen Philosophen. Vielmehr geht es um den umstrittenen Politiker und Strategen – jenen Menschen, der sich während 40 Jahren an der Spitze des Staates bewegte, davon 15 als Stratege – im Besitz der höchsten Macht und Gewalt. Obwohl die Amtsdauer nur ein Jahr betrug. Für eine Wiederwahl mussten die Wahlberechtigten einverstanden sein.

Seit 451 v. Chr. stand Perikles im Vordergrund der attischen Politik. Er verfügte über eine quasi monarchische Position innerhalb der jungen Demokratie. Doch nochmals: In aller Offenheit und Öffentlichkeit hatte das Volk einverstanden zu sein mit seiner Amtsführung. Neidlos mussten die Korinther eingestehen: Wenn man es mit einer Stadt wie Athen zu tun hat, die ständig Neues hervorbringt, kann man nicht am Alten festhalten. Man muss sich vielmehr seinerseits verändern. Zweifellos eine kluge Einschätzung.

Als Visionär und Macher ging Perikles in die Geschichte ein. Er ließ die Akropolis erbauen, jenes Monument Athens, das einer steinernen Staatsidee gleichkommt. Er machte Ernst mit der Demokratie (allerdings nicht vergleichbar mit unserem heutigen demokratischen Verständnis) und sein Name stand für ein liberales, kunstliebendes und wohlhabendes Gemeinwesen. Gleichzeitig haftete Perikles ein Negativbild an. Als glänzender Ideologe zeichnete er 431 v. Chr. hauptverantwortlich für den Bruderkrieg gegen Sparta, später bekannt als der Peloponnesische Krieg. Dieser endete nach dreissig Jahren mit dem Sieg Spartas, was gleichbedeutend war mit dem Ende des klassischen Zeitalters Athens und der attischen Demokratie.

Perikles war ein begnadeter Rhetoriker. »Reden zu können wurde in der Demokratie zur wichtigsten Erfordernis einer politischen Karriere« (Carl Wilhelm Weber). Perikles fühlte die Stimmung im Volk und setzte diese geschickt zum eigenen Vorteil ein. Er bezahlte Taggelder und machte so Geschworene und Richter zu Parteigängern. Der Bau der Akropolis und der Betrieb der Flotte bot Tausenden von ärmeren Bürgern eine Beschäftigung, förderte aber deren Abhängigkeit. Auch die Verschärfung des »Asylrechts« trug seine Handschrift. Er gewann damit viele Stimmen unter der einfachen Bevölkerung. Fortan durfte nur noch Bürger von Athen werden, wessen beide Eltern bereits Athener waren.

Geradezu bildhaft sehen wir ein Urmuster aus der alten Zeit vor unserem geistigen Auge, wenn wir über Erfolgsrezepte der Politiker lesen: »Sie appellierten an die im Volk tief verwurzelten [von Aberglauben gespeisten] Ängste und spielten das Unwissen und die daraus hervorbrechenden Emotionen der breiten Masse gegen den Rationalismus voll aus« (Carl Wilhelm Weber).

Wer heute Schlüsse ziehen möchte aus den Demokratieanfängen vor 2500 Jahren, stellt nüchtern fest, dass allein die Tatsache, dass ein Gemeinwesen demokratisch organisiert ist, noch keine Garantie für vernünftige Politik darstellt. Wenn Perioden wirtschaftlicher Blüte und erfolgreicher Politik zustande kommen, ist dies allzu oft durch die wirtschaftliche Großwetterlage bedingt und weniger das viel beschworene Resultat der politischen Ideologen, Institutionen oder gar der parteipolitischen Fahnenschwinger.

Damals wie heute laufen erfolgreiche Politiker Gefahr, die Fähigkeit zu verlieren, auf sich ändernde Herausforderungen mit kreativen Lernprozessen zu reagieren. Ihr Vermögen, dazuzulernen, scheint mehr und mehr gelähmt. Sie – auch heute gibt es sie, die begnadeten Rhetoriker – beschwören das »mehr desselben«, das einstmals Erfolgreiche, die Vergangenheit. Anders formuliert: Ein »Perikles« des 21. Jahrhunderts, der eine jahrzehntelange Geschichte des Erfolgs hinter sich hat, übersieht gerne alle Zeichen, die eine Richtungsänderung nahelegen. Somit halten sie schließlich das Falsche für das Richtige. Doch wer weiss schon, wann eine Erfolgsgeschichte zu Ende ist?

Transparenz und Information waren also die Säulen der attischen Demokratie. Während unser Informationszeitalter zumindest quantitativ alles Bisherige in den Schatten stellt, lässt sich das von der Transparenz nicht behaupten. Vor einer Massenversammlung mit Tausenden von Bürgern mit südländischem Temperament seinen Ideen zum Durchbruch zu verhelfen ist offensichtlich noch anders verstandene Transparenz. Gar nicht so altmodisch? Unser Ständerat ist angesprochen: Kopfschüttelnd lasen wir noch Anfang 2013 Professor Yvan Lengwilers (Uni Basel) Kolumne in der NZZ: »Individuelles Abstimmungsverhalten im Parlament sollte nicht offengelegt werden.«

Und wie steht es mit »Programme entwerfen, Perspektiven aufzeigen, Visionen eröffnen«? Das war doch die Domäne der Politiker, damals, vor langer Zeit?

Mythen, Macht + Menschen durchschaut!

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