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14. August 2013

Nr. 93

Die Macht des Wortes

Philosophisches Update nach 2500 Jahren (Teil 6)

Erfolgreiche Politiker bedienen sich der Rederezepte aus dem antiken Griechenland. Mit persönlichem Erfolg, jedoch nicht immer zum Wohl des Landes.

(In loser Folge sind diese Updates jeweils auf eine herausragende Figur der Antike fokussiert und sollen auf besonders aktuelle Bezüge zur Gegenwart hinweisen.)

Demosthenes von Athen gilt als bedeutendster Redner der Antike. Seine Reden aus dem 4. vorchristlichen Jahrhundert waren über zwei Jahrtausende fester Bestandteil des abendländischen Bildungskanons. Neben Perikles, dem Strategen, ist der Rückblick auf diese eher tragische Figur aus drei Gründen besonders aufschlussreich:

– Entscheidende Macht des Wortes

– Fatale Polarisierung zwischen zwei Parteilagern

– Inflationsgefahr als Folge der Geldmengenausweitung

Es geht ja bei diesen Updates in erster Linie darum, festzustellen, was die Welt des 21. Jahrhunderts als Relikte jener die Demokratie prägenden Zeit auffindet. Und was nach über 2000 Jahren als Erkenntnis heute noch geortet, gelobt oder verdrängt wird. Geradezu überraschend ist die Entdeckung, dass clevere Politiker sich heute mit großem Erfolg nach den Regeln ihrer antiken Redner-Vordenker verhalten. In jedem europäischen Land gibt es sie ja, in Deutschland rufen sie nach der Kavallerie, in der Schweiz – besonders laut polternd – nach »Sicherheit für alle«. In Italien – ach, lassen wir das.

Bevor die drei oben genannten Gründe beleuchtet werden, ist dem Weg Demosthenes’ zum Meister der Rhetorik nachzugehen. Der begnadete Redner investierte in jungen Jahren viel Geld in ein spezielles Trainingsprogramm, um dereinst den Herausforderungen der politischen Agora gewachsen zu sein. Bei seinem Joggingtraining machte er Sprechübungen und deklamierte lange Texte mit einem Kieselstein im Mund. Damit legte er den Grundstein zum Redenschreiber, der ersten Station auf dem Weg zum erfolgreichen, öffentlich auftretenden Rhetores. Im Unterschied zu weniger redegewandten Politikern – diese mussten die eingekauften Reden vor ihrem Auftritt auswendig lernen – brillierte Demosthenes später mit Eigenproduktionen. Die ersten Auftritte erfolgten in Zivilprozessen. »Der Sprecher hatte sich als einfacher und ruhiger, im Gerichtswesen unerfahrener Bürger vorzustellen. Zornige, persönliche Attacken auf den Prozessgegner waren unerlässlich, wobei es bei der Pointierung weitaus weniger auf den Wahrheitsgehalt als auf den aktuellen Unterhaltungswert ankam. […] Zusammenfassung der gesamten Argumentation und ein gut inszenierter Appell an die Emotionen der Richter durften nicht fehlen« (Gustav Adolf Lehmann: »Demosthenes von Athen. Ein Leben für die Freiheit«). Mit der Politik vertraute Schweizerinnen und Schweizer entdecken da zweifellos die Parallelen zu heutigen Redenschreibern, auch mit universitärem Hintergrund.

Die entscheidende Macht des Wortes

Wer als Politiker reüssieren wollte, musste also reden können, ausgezeichnet, polemisch, faszinierend. Seine Gesellenstücke lieferte Demosthenes mit Anklagen gegen Spitzenpolitiker (heute: »die da oben«). Gestritten wurde u.a. über … die Reform des Sozialstaates.

Fatale Polarisierung zwischen zwei Parteilagern

In den 350er-Jahren waren Politik und Öffentlichkeit von einer für das Gemeinwohl fatalen Polarisierung zwischen zwei Parteilagern erfasst worden, die sich gegenseitig blockierten. Demosthenes distanzierte sich deutlich und grundsätzlich von dieser Haltung. Er erkannte die Systemwidrigkeit einer ausgeprägten und dauerhaften polarisierenden Lagerbildung im Rahmen einer direkten Demokratie. Diese wäre – so fand er – auf eine kontinuierliche und loyale Zusammenarbeit aller Kräfte und einen beständigen, offenen Wettbewerb unter ihren Politikern besonders angewiesen. Dass man sich in Athen schon in der Ära Perikles gegen den Versuch einer politischen Fraktionsbildung in den Versammlungen gewehrt hatte – eine interessante Erkenntnis, auch heute noch.

Inflationsgefahr als Folge der Geldmengenausweitung

In unserer Zeit, da Nationalbanken und europäische Rettungsschirme Milliarden in die darbenden Volkswirtschaften pumpen, ist eine Passage in den historischen Unterlagen besonders brisant. In den frühen 350er-Jahren wurden Athen und ganz Hellas von den Spätfolgen des Alexanderzugs in Mitleidenschaft gezogen. (Heute würden wir sagen: Die Vergangenheit hatte sie eingeholt.) Alexander der Große hatte die von den Persern angelegten gewaltigen Goldvorräte planmässig ausmünzen und in den Wirtschaftskreislauf einfließen lassen. Diese Maßnahme, vorerst hochgepriesen aus Kreisen der Geldwirtschaft und des Kreditwesens (heute Groß- und Investmentbanken genannt), hatte sich als äußerst segensreich und belebend ausgewirkt. In der Folge führte sie jedoch in der griechischen Staatswelt zu einem raschen, allgemeinen Anstieg des Preisniveaus, Teuerung grassierte (heute Inflation genannt). Importgetreide und einzelne Lebensmittel wurden zudem Mangelware, da sie in neu entstandene Verbrauchermärkte geflossen waren (heute Importsog aufstrebender Märkte).

War Demosthenes ein verantwortungsbewusster, weitsichtiger Politiker und geschickter Taktiker, der flexibel auf immer neue Herausforderungen reagierte? Dem politische Lagerbildung zuwider war und der eine lösungsorientierte Zusammenarbeit aller demokratischen Kräfte forderte? Oder war er der glücklose Verteidiger von Freiheit und Demokratie, wie es auf der Bronzestatue hieß, die 35 Jahre nach seinem Tod auf dem Marktplatz von Athen zu seinen Ehren errichtet wurde?

Jedenfalls ging er als »der Redner« in die Geschichte ein, weniger als Staatsmann. Um sich seiner Verhaftung zu entziehen, beging Demosthenes Selbstmord, indem er ein schnell wirkendes Gift trank.

»Nichts ist leichter als Selbstbetrug, denn was ein Mensch für wahr haben möchte, hält er auch für wahr«, soll er einst gesagt haben.

Mythen, Macht + Menschen durchschaut!

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