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Wie umfangreich waren Emissionen?
ОглавлениеDie Untersuchung der Stempel, die für die Massenproduktion von Münzgeld benutzt wurden, wirft nicht nur Licht auf die Organisation der Münzproduktion, sondern auch auf die Dauer und die Größenordnung der Produktion. Ebenso wie Münzen von denselben Stempeln in der Regel am selben Ort produziert wurden – mit einigen Ausnahmen, die soeben diskutiert wurden –, sind Münzen von denselben Stempeln aller Wahrscheinlichkeit nach auch gleichzeitig geprägt worden. Wie ‚gleichzeitig‘ sie waren, hängt von der Intensität der Produktion ab; Stempel verschleißen oder zerbrechen durch den Gebrauch. In der hellenistischen Zeit sind einige Serien von Silbermünzen mit Monatsangaben datiert; sie erlauben uns Untersuchungen über die Dauer der Verwendung bestimmter Stempel (Mørkholm 1983b; de Callataÿ 1995) [53]. In Münzstätten mit einer umfangreichen und regelmäßigen Prägung hielten Stempel im Durchschnitt drei bis fünf Monate und manchmal deutlich kürzere Zeit; die Stempel von Mithridates hielten normalerweise nicht länger als einen Monat. In Münzstätten mit einem geringeren Ausstoß konnten Stempel bis zu fünf Jahren in Verwendung bleiben. In der römischen Welt treffen wir auf Extreme. Einige Gelehrte haben veranschlagt, daß die Intensität bei der Produktion von Denaren in der Münzstätte Rom in der späten Republik zur Folge hatte, daß man Stempel notwendigerweise nach weniger als einem Tag aus dem Verkehr gezogen haben dürfte (Carter und Nord 1992). Im Gegensatz dazu gibt es in den unregelmäßig arbeitenden städtischen Münzstätten des Ostens den Fall, wo ein und derselbe Stempel für zwei Emissionen verwendet wurde, die achtzig Jahre auseinanderlagen. Der Stempel war in der Zwischenzeit vermutlich im Magazin aufbewahrt worden (Mørkholm 1983 b: 16). Ein derartiger Ausnahmefall sollte nicht von den normalen Verhältnissen ablenken, er ist aber eine deutliche Warnung an uns, nicht ohne jede Überlegung von der Annahme auszugehen, daß Münzen von denselben Stempeln zeitgleich im engeren Sinne waren. Eine solche Gefahr besteht für die griechische Numismatik, wo unsere Vorstellungen von Chronologie oft in großem Umfang auf Stempeluntersuchungen beruhen, die das Zeugnis der Schatzfunde ergänzen.
Für den Historiker ist das weitaus wichtigste Ergebnis von Stempeluntersuchungen die Möglichkeit, den Umfang von Münzemissionen abzuschätzen. Produktionsberichte von Münzstätten aus der Antike sind nicht erhalten, weshalb alle Versuche, etwas über die Quantitäten auszusagen, bei den erhaltenen Münzen anzusetzen haben. Die ursprüngliche Zahl der Stempel, die für eine Emission verwendet wurden, muß ermittelt und mit der Durchschnittszahl der Münzen, die mit jedem Stempel produziert wurden, multipliziert werden.
Die ursprüngliche Zahl der Stempel wird durch eine statistische Extrapolation der Zahl jener Stempel, die in modernen Stempeluntersuchungen festgestellt wurden, ermittelt, wobei der verdoppelte Betrag der vorhandenen Belegexemplare zugrunde gelegt wird. Es ist gute Praxis, das Ergebnis nicht in einer auf die Zahl genauen Schätzung auszudrücken, sondern durch die Angabe eines Bereichs, innerhalb dessen man mit einiger Zuversicht die exakte Zahl anzusetzen hat. Wenn die vorhandenen Belegexemplare einer Prägung im Verhältnis zur ursprünglichen Produktion spärlich sind, kann der Spielraum, in dem sich Fehlschätzungen bewegen, sehr weit sein (Esty 1986).
In einem gewissen Umfang läßt sich Abhilfe dadurch schaffen, daß die geschätzten Ergebnisse für die Stempelanzahl mit der relativen Häufigkeit von Emissionen in Schatzfunden verglichen werden. Unter idealen Umständen spiegelt ein großer Schatzfund den Münzausstoß leidlich gut wieder, vorausgesetzt, daß das fortschreitende Ausscheiden älterer Münzen aus dem Umlauf berücksichtigt wird (Volk 1987). Tatsächlich ist es in der Anlehnung an Crawfords Pionierarbeit über die Münzen der Römischen Republik ziemlich normal geworden, die Befunde der Horte dafür zu benutzen, um auf der Grundlage der Ergebnisse von Stempeluntersuchungen zu bestimmten Emissionen Extrapolationen vorzunehmen, um so die Größe von Emissionen, für die keine Stempeluntersuchungen durchgeführt wurden, einzuschätzen (RRC 640–94; Duncan-Jones 1994: 113–5; de Callataÿ 1997). Diese Methode ist sowohl nützlich als auch von ihrem theoretischen Ansatz her einwandfrei. Allerdings muß daran erinnert werden, daß sie ihren eigenen, nicht unbeträchtlichen Spielraum für Fehler hat. So kann z. B. die Häufigkeit, mit der bestimmte Emissionen vorkommen, in den Schatzfunden aus verschiedenen Regionen manchmal markant variieren (z. B. Duncan-Jones 1994: 120–2). Man muß also einen Weg finden, die Zeugnisse verschiedener Regionen miteinander zu verbinden, um zu einem ausgewogenen Bild von der ursprünglichen Produktion zu gelangen. Selbst wenn dies mit noch so viel Problembewußtsein geschieht, schließt jedes Vorgehen dieser Art auch das Element der Mutmaßung mit ein.
Noch problematischer ist es, von einer relativen Schätzung des Münzausstoßes – die mit der Zahl der Stempel angegeben wird – zu einer absoluten Schätzung überzugehen, die mit der Zahl der Münzen angegeben wird. Eine Vorstellung davon, wie viele Münzen im Durchschnitt mit einem Stempel produziert werden konnten, ist dazu erforderlich. Das einzige sichere Zeugnis aus der Antike stammt von einer inschriftlichen Notiz über Edelmetall, das für Silbermünzen der Amphiktyonen ca. 338–333 v. Chr. in Delphi verwendet wurde. Diese Angabe kann mit der Zahl der Stempel, die für die Produktion dieser Münzen verwendet wurden, in Beziehung gesetzt werden (Kinns 1983). Unsicherheiten in der Lesung der Inschrift und einige unbekannte Faktoren lassen einen gewissen Raum für Ungewißheiten, doch liegt die durchschnittliche Produktion eines jeden Stater-Vorderseitenstempels wahrscheinlich zwischen 23 000 und 47 000 Münzen und zwischen 11 000 und 28 000 für jeden Rückseitenstempel. Dieses Zeugnis verschafft einen gewissen Eindruck für mögliche Größenverhältnisse, doch haben wir keinen Grund, die Zahlen für typisch zu halten.1
Es ist klar, daß der tatsächliche Ausstoß von einzelnen Stempeln erheblich variieren konnte, doch kann es auch bedeutende Unterschiede im Durchschnittsausstoß zwischen Emissionen wie auch innerhalb einzelner Emissionen im Laufe der Zeit gegeben haben. Ganz offensichtlich dürfte der Ausstoß pro Stempel aufgrund der Metalle, die verwendet wurden, variiert haben, ebenso aufgrund der Größe und des Typus der Münzen sowie aufgrund der Qualität des Stempels und der Geschicklichkeit der Münzarbeiter. Schließlich spielte es noch eine Rolle, ob die Stempel in Gebrauch blieben, bis sie brachen. Wir sind nicht in der Lage, diese Ausstoßschwankungen in der antiken Welt auch nur mit einiger Sicherheit einzuschätzen, aber die Nachrichten über Stempel, die in England zwischen 1281 und 1327 verwendet wurden, und Edelmetall, das damals geprägt wurde, liefern eine aussagekräftige Analogie aus einem vorindustriellen Kontext. Die durchschnittliche Produktion mit einzelnen Stempeln variierte in verschiedenen Abschnitten dieses Zeitraums zwischen 5000 und 74 000 Stück (Mate 1969; Howgego 1992: 3).
Wenn wir solche Überlegungen ernstnehmen, wird die Gefahr eines zu großen Optimismus über das, was erreichbar ist, deutlich. Berechnungen führen mit einiger Sicherheit in die Irre, wenn nicht die Spielräume für Fehler festgelegt und bei jedem Schritt komplexer Berechnungen multipliziert werden. Studien zum Ausstoß sind von grundlegender Bedeutung, wenn sie korrekt und vorsichtig angewandt werden. So reichen sie z. B. aus, um den geringen Umfang der römischen Münzprägung im Verhältnis zur karthagischen und sogar zu einigen italischen Städten vor dem 2. Punischen Krieg aufzuzeigen (Burnett 1987: 12–4; 1989, 41–8), oder um den niedrigen Gesamtwert jenes römischen provinzialen Bronzegeldes zu unterstreichen, das in der verhältnismäßig bedeutenden Münze von Korinth von 44 v. Chr. bis 69 n. Chr. hergestellt wurde (Howgego 1989). In beiden Fällen erlauben uns die Berechnungen, bestimmte Erklärungen über die Funktion der betreffenden Geldprägungen auszuschließen. Stempeluntersuchungen reichen oft aus, um Perioden hoher und niedriger Produktionstätigkeit zu unterscheiden; sie bleiben so lange von Nutzen, wie die Überlieferung nicht überdehnt wird. So können wir sehen, wie der Ausstoß bestimmter Prägungen in Zeiten des Krieges oder einer Münzreform dramatisch anwuchs. Allerdings ist die Vorstellung, daß Berechnungen so genau sein könnten, daß man in der Lage wäre, detaillierte, jahresbezogene Vergleiche mit den geschätzten Staatsausgaben anzustellen, reine Phantasie.
Einige Exzesse quantitativer Numismatik waren bereits an anderer Stelle Gegenstand detaillierterer Kritik (Howgego 1992; Buttrey 1993; 1994); Warnungen wurden in der Tat schon vor längerer Zeit geäußert (Grierson 1968). Man bemüht sich jetzt um einen ausgewogeneren Zugang (de Callataÿ 1997). Weil der Autor dieses Buches der vorgeblichen Genauigkeit, mit der viele quantitative Untersuchungen präsentiert wurden, vorsichtig entgegentritt, widmet das vorliegende Buch diesem Ansatz nicht so viel Raum, wie ihm aufgrund des Optimismus einiger jüngerer Arbeiten scheinbar zukommen sollte.